F
ehlender Ehrgeiz, fami- liäre Verpflichtungen, mangelnde Belastbar- keit – die Stereotype, die als Gründe für den eklatanten Frauen-Mangel im deutschen Professorenstand herhalten müssen, sind so staubverkru- stet wie die Berufungsverfah- ren. Um so frischer wirkt die neuerdings spürbare femi- nine Selbst-Mitleidslosigkeit:„Alle Einsichten in struktu- relle Barrieren und Behinde- rungen subtiler Art nützen nichts, wenn Frauen sich die Auseinandersetzungen nicht selbst zutrauen und zumu- ten.“ Das Zitat von Sigrid Metz-Göckel ist wie ein Fanal dem Programm des Deut- schen Hochschullehrerinnen- bundes (DHB) vorangestellt und gipfelt in dem Aufruf, sich „zu organisieren und auch vor Radikalität nicht zu scheuen“.
Radikal wird vor allem das Durchhaltevermögen des 1994 gegründeten Frauen- Verbandes sein müssen.
Denn die Kräfteverhältnisse in der patriarchal regierten deutschen Hochschulland- schaft sind zumindest in den alten Bundesländern schein- bar in Beton gegossen: Arbei- ten im akademischen Mittel-
bau noch zu einem Viertel Frauen, so sind es bei den C2- Professuren noch zehn Pro- zent, auf der Gehaltsstufe C3 noch sieben und bei den am besten bestallten C4-Positio- nen ganze 3,7 Prozent. Kom- plette Fachbereiche gibt es an Universitäten, etwa in den Naturwissenschaften, ohne eine einzige Professorin. Der
oft als frauenfeindlich ge- schmähte Orient zeigt, wie es anders geht: In der Türkei ist jedes fünfte Professorenamt mit einer Frau besetzt.
Die Quote als Knüppel der Chancengleichheit er- scheint den DHB-Aktivistin- nen als eine der wenigen effi- zienten Waffen im hochschul- internen Geschlechterkampf.
Vorrangig sollen, so die For- derung, Professuren mit Frauen besetzt werden, wenn der weibliche Hochschulleh- rer-Anteil unter 30 Prozent liegt. Die Hälfte aller Stellen aus Hochschulsonderpro- grammen müsse Frauen zu- fallen, fordert der Berliner Verband.
Der DHB ist dabei nicht die einzige pressure group, die das demographische Ende einer Ära als Chance für Frauen-Gleichstellung in der Wissenschaft nutzen will: In
A-1562 (84) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 23, 7. Juni 1996
V A R I A BILDUNG UND ERZIEHUNG
Hochschulen
Das Fehlen der Frauen
Seit 76 Jahren haben Frauen das Habilitationsrecht in Deutschland.
Seither ist zwar die Zahl der Studentinnen ständig gestiegen: auf
durchschnittlich 40 Prozent. Im Lehrkörper der Unis und Fachhoch-
schulen dagegen bleiben Frauen meist vor der Tür. An türkischen
oder spanischen Hochschulen machen mehr Akademikerinnen Kar-
riere als in Deutschland. Doch allmählich formiert sich eine Lobby.
den nächsten 10 Jahren näm- lich wird die Hälfte aller deut- schen Professoren aus Alters- gründen in den Ruhestand treten. Bereits im Juni vergan- genen Jahres erstellte die Ar- beitsgemeinschaft „Gleich- stellungspolitik in der Wissen- schaft“ in Berlin den Pro- grammvorschlag „Wissen- schaftlerinnen 2000“. Das von der Senatorin für Arbeit und Frauen vorgestellte Papier verlangt für den Bereich der Bundeshauptstadt nicht nur Quoten, die schließlich zur Parität an den Unis führen sollen. Auch die „außeruni- versitären Forschungseinrich- tungen“ müssen, so das Gut- achten, schon Studentinnen ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend fördern.
Frauenförderung
Mehr als diese Grundla- gen-Mathematik der Gleich- berechtigung dürfte männli- che Besitzstandswahrer ver- unsichern, daß auch die Ver- ankerung von Frauen- und Geschlechterforschung in der Hochschulstruktur finanziell und personell gefördert wer- den soll. Dabei soll nach dem Willen der Arbeitsgemein- schaft die DDR Schule ma- chen, denn: „Die Erfahrun- gen der DDR-sozialisierten Frauenforscherinnen wirken auf die Entwicklung der Frau- enforschung innovativ.“
Jenseits von Berlin, das sich mehr und mehr zu ei-
nem Zentrum universitärer Frauen-Power herausbildet, herrscht noch eine weit gedul- digere Tonart vor. In Bonn hat die Bund-Länder-Kom- mission für Bildungsplanung (BLK) ein Papier zur Frauen- förderung in den Wissen- schaften veröffentlicht. Darin zieht die BLK eine relativ wohlwollende Zwischenbi- lanz ihrer vor sieben Jahren gemachten Empfehlungen und stellt befriedigt fest, daß es inzwischen „an fast allen Hochschulen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte“
gebe. Auch sei damit begon- nen worden, Frauenförder- pläne zu erstellen.
Nach wie vor unbefriedi- gend jedoch sei der geringe Anteil der Akademikerinnen am Professorenstand, meint die BLK. Zudem würden Frauen oft in Sonderpro- gramme oder befristete Posi- tionen „abgeschoben“ – en- det das Programm oder rei- chen die Mittel nicht mehr, ist es dann auch mit der schein- baren Gleichbehandlung wie- der vorbei.
Als besonders rückständig fielen der BLK in der Frauen- frage ausgerechnet die Elite- schmieden der Innovation auf: die Großforschungsanla- gen der Bundesrepublik. Von 16 untersuchten Institutionen hatten zwei Frauenförder- pläne aufgestellt, fünf eine Gleichstellungsbeauftragte eingestellt und drei sich frei- willig zur Frauenförderung verpflichtet. Oliver Driesen
A-1563 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 23, 7. Juni 1996 (85)
V A R I A BILDUNG UND ERZIEHUNG
Internate gründen „IN.S.E.L.“
Um Eltern die Auswahl der richtigen Schule für ihr Kind zu erleichtern, haben einige der führenden Internate Deutschlands die Arbeitsgemeinschaft IN.S.E.L. („Inter- nats-Schulen erziehen fürs Leben“) gegründet. Die IN.S.E.L.-Mitglieder stellen sich vor allem gegen die Akti- vitäten kommerzieller Schüler-Makler, die für ihre Vermitt- lerdienste häufig sehr hohe Gebühren nehmen. Die IN.S.E.L.-Internate, die alle der pädagogischen Reform- schulbewegung entstammen, setzen dagegen auf direkten Kontakt zu interessierten Eltern, auf unvoreingenommene und kostenlose Beratung und Vermittlung. Zu den Teilneh- mern zählen unter anderem die Stiftung Louisenlund, das Landschulheim am Solling, die Schule Schloß Salem, die Odenwaldschule, der Birklehof im Schwarzwald und die Schule Schloß Reichersbeuern in Bayern. MS