Ü
belkeit und Erbrechen als Nebenwirkungen der Chemotherapie kom- men in zwei unterschiedlichen Ausprägungen vor: An der akuten Form (innerhalb von 24 Stunden) leiden die mei- sten Patienten, die vorher kei- ne antiemetische Therapie er- halten haben. Über verzögerte Übelkeit und Erbrechen kla- gen etwa die Hälfte der Pati- enten trotz einer vorangegan- genen präventiven Therapie.Aprepitant (MSD) ist die erste Substanz einer neuen Wirkstoffklasse, welche – in Kombination mit Kortiko- steroiden und 5-HT3-Ant- agonisten gegeben – die Pati- enten sowohl vor der akuten als auch der verzögerten Form schützen kann. Bisher liegen hauptsächlich Erfahrungen zum Einsatz des Neurokinin- 1-Rezeptor-Antagonisten bei hoch emetogener Emesis nach Cisplatin vor.
Eine neue Studie zeigt, dass Aprepitant auch in schwieri- gen Settings nützlich ist, bei- spielsweise bei einer moderat emetogenen Chemotherapie unter zusätzlicher Gabe von
Cisplatin. Prof. Dr. med. Ri- chard Gralla (New York Lung Cancer Alliance) stellte zu diesem Thema eine Analyse gepoolter Daten aus zwei Phase-III-Studien vor. Einge- setzt wurde Aprepitant bei
Frauen mit Brustkrebs un- ter einer moderat emetoge- nen Chemotherapie (Doxo- rubicin und/oder Cyclophos- phamid) plus Cisplatin. Der Neurokinin-1-Rezeptor-Ant- agonist wurde doppelblind
randomisiert zusätzlich zur konventionellen antiemeti- schen Medikation (Ondanse- tron plus Dexamethason) ge- geben.
In der Analyse zeigte sich, dass von 70 Patienten, die un- ter einer moderat emetogenen Therapie mit Cisplatin Aprepi- tant erhielten, circa 60 Pro- zent komplett von Übelkeit und Erbrechen befreit wur- den. In der Kontrollgruppe lag der Anteil nur bei 26 Prozent.
Die Ergebnisse dieser Analyse waren hoch signifikant.
Da es sich bei diesem Set- ting um eines der am schwie- rigsten zu beherrschenden Gebiete der antiemetischen Therapie handelt, werteten die Autoren den Therapieer- folg als besonders bemer- kenswert. Gralla verwies dar- auf, dass weitere prospektive Studien benötigt werden, um den Stellenwert von Aprepi- tant bei moderat emetogener Chemotherapie genau festzu-
legen. EB
40. Kongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) in New Orleans, Gralla et al., Abstract Nr. 8137 V A R I A
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3817. September 2004 AA2549
Aprepitant
Antiemetikum hilft
auch in schweren Fällen
´ TabelleCC´
Komplettes Ansprechen unter einer mäßig emetogenen Therapie plus Cisplatin
Prozent mit komplettem Response Aprepitant-Gruppe Kontroll-Gruppe P-value Doxorubicin und/oder
Cyclophosphamid
(0 bis 120 Stunden) 59 26 < 0,05
Akut (0 bis 24 Stunden) 71 49 0,006
Verzögerte
(24 bis 120 Stunden) 67 32 < 0,001
Anzahl der Doxorubicin und/oder Cyclophosphamid
(0 bis 120 Stunden) 69 51 < 0,05
E
s ist ein Trend, einen zu- sätzlichen – über die In- dikation für die Verord- nung hinausgehenden – Nut- zen eines Arzneimittels zu su- chen. Die Interpretation die- ses „pleiotropen“ Effekts ist nach Aussage von Prof. Dr.med. Heyo Klaus Kroemer (Greifswald) eine Frage des Blickwinkels. Es könne sich dabei sowohl um ein patho- mechanistisch bisher noch nicht erklärbares Phänomen handeln als auch um eine zwar unerwartete, aber patho- physiologisch folgerichtig aus dem pharmakodynamischen Mechanismus ableitbare Wir- kung.
Wohl eher der zweiten Ka- tegorie zuzuordnen ist der pleiotrope Effekt der AT1-Re- zeptorantagonisten. Als Beleg dafür, dass diese Antihyper- tensiva über die Blutdrucksen- kung hinaus protektive Eigen- schaften besitzen, führte Prof.
Dr. med. Michael Böhm (Hom-
burg) den Ausgang der LIFE- Studie (Losartan Intervention for Endpoint Reduction in Hy- pertension) an. Obwohl Losar- tan und Atenolol den Blut- druck vergleichbar gut gesenkt hatten, war unter Behandlung mit dem AT1-Rezeptoranta- gonisten im Beobachtungs- zeitraum von durchschnittlich fünf Jahren das relative Risiko für einen tödlichen oder nicht- tödlichen Schlaganfall um 25 Prozent geringer gewesen als unter Therapie mit dem Beta- Rezeptorenblocker.
Für die Überlegenheit des AT1-Rezeptorantagonisten gibt es nach Aussage von Böhm ei- ne pathophysiologisch plausi-
ble Erklärung. Man wisse, dass nahezu alle kardiovaskulären Risikofaktoren auch Trigger für die Aktivierung des Re- nin-Angiotensin-Systems sei- en. Ein Anstieg des LDL- Cholesterins beispielsweise führt zu einer vermehrten Ex- pression von AT1-Rezeptoren und verstärkt die konstrik- torische Antwort auf die in- travenöse Gabe von Angio- tensin II. Ebenfalls heraufre- guliert werden AT1-Rezepto- ren durch Insulin- und Östro- genmangel.
Es ist bekannt, dass die Sti- mulation des AT1-Rezeptors mit einer vermehrten Radikal- last im Endothel einhergeht.
Dies begünstigt die Entwick- lung einer endothelialen Dys- funktion, die als eine Frühform der Atherosklerose gesehen wird. Im fortgeschrittenen Sta- dium der Gefäßwandverände- rungen werden bevorzugt im Bereich vulnerabler Plaques – also am potenziellen Aus- gangspunkt von akuten klini- schen Ereignissen – vermehrt AT1-Rezeptoren exprimiert.
Dementsprechend ist es nach Aussage von Böhm nahe liegend, dass die selektive In- hibition der AT1-Rezeptoren und auch andere Interventio- nen im Bereich des Renin-An- giotensin-Systems neben ihrer hämodynamisch entlastenden Wirkung einen zusätzlichen Schutz vor kardio- oder zere- brovaskulären Komplikatio- nen bieten. Gabriele Blaeser-Kiel
MSD-Diskussion „Pleiotrope Effekte – Mythos oder Wirklichkeit“ im Rahmen der 110. Jahrestagung der Deutschen Gesell- schaft für Innere Medizin in Wiesbaden