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A2742 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4217. Oktober 2003
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on Sommerpause ist bei den Theatern schon lan- ge keine Rede mehr, denn mit diversen Festspielen und Events lässt sich die Kas- se ganz gut aufbessern. Auch neues Publikum gewinnen.An die Exklusivität von Bay- reuth und Salzburg freilich kommt keines heran. Die Ausnahmeinstitution auf dem Grünen Hügel ist sogar zu einem Teil des deutschen Selbstverständnisses avan- ciert. Sieht man von den wirk- lichen und Möchtegernpro- mis einmal ab, dann bleibt die Aura des Authentischen ein
„Muss“ für jeden Wagneria- ner. Otto Normalzuschauer muss allerdings dafür mehr als ein Jahrzehnt in der War- teschleife ausharren, um an seine Karten zu kommen. Da geht es in Salzburg zwar „de- mokratischer“ zu, allerdings muss man auch dort tief in die Tasche greifen, wenn man im Festspielbezirk dabei sein will.
Beim unvermeidlichen Pro- minentenschaulaufen, das zu einem Teil wie eine bruchlose Fortsetzung des Eröffnungs- defilees auf dem Grünen Hü- gel, kurz danach in Salzburg weitergeht, liefen in Öster- reich heuer Prinz Charles und Camilla allen anderen „Von und Zus“ den Rang ab.
In Bayreuth schaffte das ausgerechnet Gerhard Schrö- der. Sein „Bayreuthdebüt“
war zugleich das eines amtie- renden Bundeskanzlers. Da- hinter steckte freilich nicht ein plötzlich erwachtes „In- teresse“ des Regierungschefs an der Oper, sondern ein Wunsch des japanischen Mi- nisterpräsidenten Koizumi.
Zum großen „Erweckungser- lebnis“ taugte die dafür aus- gesuchte „Tannhäuser“-Ins- zenierung von Philippe Ar- laud aber nicht – trotz des Wagnerstatthalters Christian
Festspiele
Zwischen Event und Tiefgang
Bayreuth und Salzburg beeindrucken vor allem durch ihre Exklusivität.
Martin Kusej und Nikolaus Harnoncourt herausgestellt.
Da glänzte zum noblen Mo- zartklang der Wiener Phil- harmoniker ein ausgesuchtes Sängerensemble. Sogar die Uraufführung der erklärter- maßen letzten Oper von Hans Werner Henze, „L’Upupa und der Triumph der Sohneslie- be“, wurde zu einer Stern- stunde. Garantiert sind die freilich nicht. Die mit großen Vorschusslorbeeren bedachte Neuinszenierung von „Hoff- manns Erzählungen“ geriet dagegen zu einem museums- reifen Staubfänger. Oder die kapriziöse „Diva“ Angela Gheorghiu – sie „reicherte“
ihren Liederabend nicht nur mit dauernden Auf- und Ab- tritten, sondern schon nach 25 Minuten auch mit einer Pause an. Während dies beim Publi- kum durchging, spielte es vor allem in der turbulenten
„Entführungs“-Inszenierung des jungen, talentierten Nor- wegers Stefan Herheim und in Michael Thalheimers blutig konsequenter Woyzeck-Um- deutung in der Rolle des pö- belnden Zwischenrufers laut- stark mit.
Dass in Salzburg nicht alles so leicht und süß ist wie die berühmten Nockerln, zeigte auch der Hickhack mit Schau- spielchef Jürgen Flimm. Der hat vorfristig das Handtuch geworfen, vor allem weil er das Schauspiel beim Festival gefährdet sieht. Dieses Knir- schen im Festspielgetriebe ist nicht nur Folge von Finanzie- rungssorgen, sondern auch ein Vorbote des monströsen Ju- beljahres 2006, bei dem nicht weniger als alle 22 Mozart- opern aufgeführt werden sollen. Dr. Joachim Lange ehemals exilierter Komponi-
sten mit konzertanten Versio- nen auf Alibiformat reduziert.
Und doch bietet Salzburg im- mer noch so viele Neuproduk- tionen wie ein großes Opern- haus im ganzen Jahr – dazu Schauspiel, einschließlich Nach- wuchs-Wettbewerb, jede Men- ge Konzerte und Liederaben- de der Luxusklasse.
Als geglücktes Wagnis hat sich die Entscheidung Ru- zickas für das Mozart-Duo Thielemann im Graben. Bes-
ser wäre der neue „Hollän- der“ von Claus Guth gewe- sen, denn mit ihm hat so etwas wie eine Wende hin zur szeni- schen Moderne begonnen.
Dem nun endgültig abgespiel- ten, wenig packenden „Ring“
von Jürgen Flimm wird in drei Jahren der des Filmemachers und Opernneulings Lars von Trier nachfolgen. Christoph Marthaler und Anna Vie- brock werden sich in zwei Jah- ren der Aufgabe stellen, sich an Heiner Müllers singulärem
„Tristan“ zu messen.
Peter Ruzicka hat es in Salzburg, nicht nur wegen der viel breiteren Anlage der Fest- spiele, schwer, einen erkenn- bar künstlerisch profilierten Kurs – und zwar jenseits von eingefahrenen „Jedermann“- Gewohnheiten und Star-Opu- lenz – zu halten. Budgetbe- dingt wurden nämlich gerade da die Abstriche gemacht und sowohl die Befragung rand- ständigerer Strauss-Opern als auch die „Rehabilitierung“
Bayreuther Festspiele 2003: Das Rheingold, 4. Szene
Foto:© Bayreuther Festspiele GmbH/Jochen QuastFoto:Katrin Ribbe
Szenenfoto aus der Salzburger Woyzeck-Inszenierung
Feuilleton
Informationen: www.bayreuther- festspiele.de; www.salzburgfestival.at