DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
BRIEFE AN DIE REDAKTION
ETHIK
Eine alte Geschichte, die im- mer noch frisch ist:
Philosophisches
Der Philosoph Me-ti unter- hielt sich mit einigen Ärz- ten über die Zustände des Staates und forderte sie auf, an deren Beseitigung mitzuarbeiten. Sie lehnten das ab mit der Begrün- dung, sie seien keine Poli- tiker. Darauf erzählte er ih- nen folgende Geschichte:
Der Arzt Shin-fu nahm an dem Krieg des Kaisers Ming zur Eroberung der Provinz Shensi teil. Er ar- beitete als Arzt in verschie- denen Lazaretten, und sein Wirken war vorbildlich in- sofern, als man noch lange Zeit von ihm lehrte an den medizinischen Schulen, daß dieses sein Wirken eben vorbildlich genannt werden mußte. Seine Kon- struktion einer künstlichen Hand für Soldaten, welche eine Hand verloren hatten, machte viel von sich reden.
Er konnte als Arzt das Pro- blem der Ersetzung von Gliedmaßen durch Prothe- sen für gelöst ansehen. Er pflegte zu sagen, daß er diese Vervollkommnung seiner ärztlichen Kunst nur einem strengen Verzicht auf alle anderen Interessen als nur medizinischen ver- danke. Über den Zweck des Krieges, an dem er teil- nahm, befragt, sagte er:
Als Arzt kann ich ihn nicht beurteilen, als Arzt sehe ich nur beschädigte Men- schen, nicht ergiebige Ko- lonien. Man nahm ihm bei Hofe das infolge seiner Verdienste nicht übel.
Der Hof konnte ein Auge zudrücken, da er, befragt, wie er zu den Schriften des Aufrührers Ki-en stehe, der den Krieg, die Eroberung, den Gehorsam der Solda- ten, das Kaisertum und den niedrigen Lohn der Ar- beiter und Bauern verwarf, nur antwortete: Als Philo- soph könnte ich darüber
eine Meinung haben, als Politiker könnte ich das Kaisertum bekämpfen, als Soldat könnte ich den Ge- horsam verweigern oder die Tötung des Feindes, als Kuli könnte ich meinen Lohn zu niedrig finden, aber als Arzt kann ich das.
alles nicht, und das, was sie alle nicht können, kann ich, nämlich Wunden hei- len. Jedoch soll Shin-fu doch einmal bei einer be- stimmten Gelegenheit die- sen hohen und konse- quenten Standpunkt auf- gegeben haben.
Bei der Eroberung einer Stadt, in der sein Lazarett lag, durch den Feind, soll er Hals über Kopf geflohen sein, um nicht als Anhän- ger des Kaisers Ming getö- tet zu werden. Verkleidet soll er als Bauer durch die Linien des Feindes ge- schlichen sein und als Phi- losoph soll er einigen, die ihm seine Haltung vorwar- fen, geantwortet haben:
Wie soll ich als Arzt wei- terwirken, wenn ich als Mensch getötet werde.
Karl Heinz Küchle Nansenstraße 17 1000 Berlin 44
STERBEN
Zu dem Feuilleton-Beitrag
„Man muß eine Antwort ge- ben" aus dem Buch „Dr. Jar- don", von Walter Fick (Heft 25/1983):
Horchen lernen
. .. Walter Fick, der Arzt, schildert, wie ein junger Mann, der an einem Kno- chensarkom erkrankt ist, zu ihm kommt und fragt, wann er sterben müsse.
Walter Fick antwortet: „Da ist noch lange Zeit. Das Wachstum kann jederzeit zum Stillstand kommen, das ist durchaus möglich, aber selbst wenn es wei- tergehen sollte, damit kann man noch einige Zeit leben." Der Patient sagt:
„Ich sehe es wachsen täg- lich. Ich habe meine Ange- legenheiten geregelt. Das Geschäft führt jetzt mein Bruder, der wird auch für meine Familie sorgen."
Der Arzt nickt und verab- schiedet diesen Patienten und schreibt „da war nichts mehr zu trösten."
Walter Fick schreibt nun darüber, wie schwer sol- che Situation für den Arzt ist, was in ihm vorgeht, was er tun und sagen soll, was er alles aushalten muß.
Von dem Patienten hört man nur noch, daß er sich eine Woche später aufge- hängt hat.
Ich denke, daß wir in den letzten Jahren gelernt ha- ben, anders mit Sterben- den umzugehen. Unsere eigenen Ängste müssen wir kennen und annehmen lernen. Erst dann können wir wahrnehmen, was die- se Frage nach dem Zeit- punkt des Todes für ein Si- gnal ist. Ich nehme an, daß dieser Patient ausspre- chen wollte, was in ihm vorging, daß er eine Be- gleitung suchte. Vielleicht hat ihn gerade die Antwort
„da ist noch lange Zeit" zu dem Entschluß des Freito- des getrieben. Es war ihm offenbar nicht möglich, so ganz alleine auf unbe- stimmt lange Zeit auf den Tod warten zu müssen.
Was wirklich in ihm vor- ging, können wir nur ver- muten, was ihm das Ster- ben erleichtert hätte, hätte er nur selbst sagen kön- nen. Wir müssen keine Antwort geben — wie Wal- ter Fick es fordert —, son- dern wir müssen horchen lernen und dem Patienten im Gespräch helfen, die ei- gene Antwort zu finden ...
Der Beitrag von Walter Fick kam mir ein bißchen wie Selbstmitleid vor, was einem natürlich manchmal auch ganz gut tut.
Dr. med.
Clara Fischer-Wasels Eidelstedter Platz 6 2000 Hamburg 54
ARZNEIMITTEL
Zu dem Bericht von Wolf G.
Dorner über das Buch „Bittere Pillen", in Heft 40/1983:
Stimmungsmache
Jawoll! Immer feste druff!
Fragt sich nur, warum die ganze Aufregung? Stellen wir uns einmal vor, „Bitte- re Pillen" wäre ein schänd- liches „Machwerk" nicht sachverständiger, böswilli- ger Brandstifter, die den Herstellern pharmazeuti- scher Spezialitäten den
Roten Hahn aufs Dach set- zen wollen. Da dies derart viel Unbedarftheit bezüg-
lich der alltäglichen Le- benspraxis voraussetzen würde und nichts weiter als sträflicher Leichtsinn wäre, weil die Behauptun- gen dann ja mit wenigen stichhaltigen Argumenten widerlegt werden könnten, müssen es die Verfasser wohl in der Tat ernst mei-
nen.
Da wird nun also ein be- wertendes Arzneimittelver- zeichnis vorgelegt (was es übrigens in mehreren Län- dern der zivilisierten Welt gibt) und jeder normalsin- nige Mensch dürfte eine von Sachverstand gepräg- te Auseinandersetzung mit den dort vorgenommenen Einstufungen erwarten.
Damit würde man aber of- fensichtlich von den Kriti- sierten zuviel verlangen.
Wann immer Kritik an der pharmazeutischen Indu- strie geübt wurde (und dies geschah in vergange- ner Zeit mit zunehmender Häufigkeit) hat man — wie auch jetzt wieder — in ei- ner geradezu unerhörten Art und Weise versucht, die Kritiker zu denunzie- ren. Sachliche Argumente scheinen im „Waffenarse- nal" der Kritisierten nicht vorhanden ...
Dr. Bernd Richter Pillenreuther Str. 64 8500 Nürnberg 40
404 (16) Heft 7 vom 17. Februar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A