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Archiv "New York: Die Unbeschreibliche oder die Unvollendete" (18.04.1991)

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er über New York spricht oder gar schreibt, der hat of- fensichtlich einen coolen Stil zu benutzen, der deutlich ausdrücken muß, daß Liebe zu dieser Stadt an eine milde Form des Wahnsinns grenzt.

„Welche Entschuldigung ha- ben Sie dafür, in New York zu wohnen?". Manfred, ein deutschsprechender Taxifah- rer, der vor 60 Jahren als klei- ner Junge ins Land kam und heute ein nettes Haus mit Garten in den besseren Ge- genden Brooklyns sein eigen nennt, hat sich angewöhnt, diese Frage zu stellen, wenn er „native New Yorker" fährt und eine dieser kaugummi- kauend-fröhlichen Wegwerf- konversationen führen will.

Stadt der Gegensätze Metropole der Gegensätze

— eine Banalität, wenn man mehr als sieben Millionen Menschen auf eine paar Qua- dratkilometern zusammenle- ben läßt. Was erwarten Sie von einer Stadt, die ihre Bür- ger in Dutzende von Stock- werken übereinander stapeln muß? Die mehr Taxifahrer hat, welche mexikanisch spre- chen als amerikanisch? In der mehr Italiener wohnen als in Venedig? Die mehr Top-Mu- seen als Sportstadien hat?

Wo die meisten noch nicht einmal eine Generation im Land und in der Stadt sind?

Das ist der Hintergrund für die fasziniert-abgeklärte Beschreibung vieler Berufe- ner, die sich an diesem The- ma versuchen wollen. Nur ei- nes ist richtig: Nichts stimmt, was man über diese Stadt schreibt. Nichts. Wenn die Tinte trocken ist, ist das Halt- barkeitsdatum des Geschrie- benen bereits überschritten.

Die Stadtverwaltung ent- läßt 15 000 (!) Arbeiter, und deshalb blockieren die Unions den Highway. Man- fred weiß im Abendstau von JFK (nach Präsident John Fitzgerald Kennedy), dem in- ternationalen Flughafen, des- halb viel zu erzählen. Zwei Stunden für eine Strecke von

New York

sonst 30 Minuten. Er erzählt von der Zeit, als auf der

„Fünften" (Fifth Avenue) noch die befrackten Herren und Damen mit weißen Handschuhen flanierten. Wo noch Abstand in einer klas- senlosen Gesellschaft ge- wahrt wurde. Wo man noch unternehmerisches Urgestein wie die Vanderbilts und Astors treffen konnte und nicht nur solche Karriere-Jo- jos wie Trump, Milken und Boesky. Die sind noch immer Partygespräch in einem Mi- krokosmos, in dem auch Wirtschafts-Verbrecherisches Achtung findet, wenn es nur erfolgreich ist.

Die Grenze zwischen den Klassen definiert sich heute — Manfred weiß es — dadurch, ob man das Geld für den Psychiater (oder irgendeinen.

anderen Menschen, der be- reit ist, zuzuhören) hat, um sich den unvermeidlichen New-York-Koller (hat man ihn, weil man hier ist, oder ist man hier, weil man ihn hat?) therapieren zu lassen. In den Avenues, die North und East des Central Park laufen, ist das so. Die Gegenden, wo neurotische Frauen vor ihren monetär überlebensfixierten Männern und ihrem teuren, aber sinnlosen Leben ins im- mer hektischere Society-Tret- rad dieser Stadt flüchten, wo man seinen (warum soll es ihm besser gehen?) neuroti- schen Hund von einem (tat- sächlich) speziell ausgebilde- ten Hundepsychiater behan- deln lassen kann und ihn da- nach von einem der vielen stellensuchenden Akademi- ker ausführen läßt.

Diese Mischung aus steri- ler Pracht wird schnell lang- weilig. Emotionale Waisen auf der gottverdammten Su- che nach dem scheuen We- sen, das einem die Parties öff-

net: dem neuesten Trend.

Baldachine wie bei uns nur in den besten Hotels, Wachleu- te, zum Teil eine eigene (pri- vat bezahlte) Stadtteilpolizei, die Atmosphäre sozialen Desinteresses.

Was jedoch so nicht stimmt. New York ist nicht nur deshalb Hauptstadt der Obdachlosen, weil es sie pro- duziert, sondern weil es die Armut besser bezahlt als an- derswo. Die Wanderungsbi- lanz ist positiv, ein Großteil ist nicht vom vielversprechen- den Yuppie zum „homeless people" abgestiegen, sondern als solcher bereits angereist.

Die Hälfte, so schätzt die Ge- sundheitsbehörde, hat be- New York ge-

hört auch zu den neuen Zielen von Meier' s Städtereisen (alle Reise- büros)

handlungsbedürftige psychi- sche Krankheiten. Chancen- loser Bodensatz. Aber nir- gendwo sonst hält ein schlechtes Gewissen satter Bäuche in Black Harlem, der Lower East Side, den Slum- gegenden der Bronx und Brooklyns kirchliche Suppen- küchen, die staatlichen Asyle, die „Streetworkers" und pri- vaten Initiativen so üppig be- reit wie hier.

Der Abstand zwischen elendem Elend und motivie- rendem Elend ist schmal.

Lohnenswert für solche Be-

obachtungen ist ein Besuch der Gegend um die Orchard Street. Eine ganze Straße nur Schnäppchen-Kleidung, billi- ger Modeschmuck. Kleine Parzellen, über den Köpfen hängen im Dutzend Leder- mäntel, nach denen ein Zu- hälter in Deutschland lange suchen muß, schnell aufge- motzte Keller, (echte) Sei- denkleider für unter 30 $, da- neben die Plagiat-Rolex für 9 $. Die Verkäufer: Stolze Operetten-Italiener wie aus Mafia-Filmen, wuselige klei- ne Asiaten, dazwischen ein massiger Jude wie aus der Ka- rikatur mit Zöpfchen, Käppi und dem stets undefinierbar angegrauten Anzug mit dem 60er-Jahre-Schnitt, kaum US- Amerikaner.

Leute auf dem Abflug, die raus wollen aus dem Dreck und der Kleinheit, aus der Kriminalität und der Abhän- gigkeit. Dieser Glaube an die Machbarkeit von Glück, der uramerikanische Glaubens- satz, liegt wie ein Parfum

über dem Chaos. Zwischen Orchard und Chinatown und in der Lower East Side, gera- de ein paar Ecken entfernt, sind dann die, die es nicht ge- schafft haben in dieser skurri- len Welt. Feuer in Metallton- nen zum Wärmen, Einkaufs- wagen mit dem gesamten Hausstand, gebeugte Gestal- ten, viel Schwarze, keine Spur mehr von der selbstbewußten und optimistischen Atmo- sphäre auch der Low-class- Viertel, dafür Sperrmüll, ag- gressive Graffiti. Nachts wird das hier zum Central-Park-

Die Unbeschreibliche oder die Unvollendete

A-1420 (126) Dt. Ärztebl. 88, Heft 16, 18. April 1991

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North-Äquivalent. Noch vor einigen Jahren fuhren hier nur wenige Taxis, die sich durch Schutzgelder an die re- gionalen Banden Immunität erkauft hatten. Dann küm- merte sich eine erstaunlich korruptophobe Polizeitruppe um die Gegend, und es gab wirklich Ruhe. Wenigstens solange die Sonne scheint.

Tagsüber ist es nicht gefähr- lich, aber unendlich depri- mierend.

Die Wallstreet, Ort der früheren Stadtmauer Chinatown selbst ist am eindrucksvollsten nicht in den Potemkinschen Touristen- straßen, sondern an seiner stetig expandierenden Gren- ze zu Little Italy, zu Soho und zur Lower East Side. Die Chi- nesen sind die am schnellsten wachsende Ethno-Gruppe und erobern die Stadtviertel, aus denen die dort ansässi- gen, ehemals mittellosen Ein- wanderer nach einer häufig gelungenen Karriere-Durch- lauferhitzung in die ersehn- ten besseren Wohngegenden (Queens, Brooklyn, New Jer- sey . . .) abdiffundieren.

Keine Straße folgt mehr dem langweiligen, aber unge- heuer hilfreichen 90-Grad- Schema Manhattans. Hier in Downtown bestimmen alte Stadtviertelgrenzen, indiani- sche Trampelpfade und ehe- mals militärische Linien die Straßen. Wallstreet war, we- nige wissen das, der Ort eines früheren (echten) Walls, ei- ner Schutzmauer der frühen Siedler gegen die Indianer.

Die Bowery, eine abgewirt- schaftete, aber immer noch imposante Prachtstraße, die hart dagegen kämpft, nicht vom Slum der Lower East Side eingeholt zu werden, hatte sich der holzbeinige Pe- ter Stuyvesant, einer der rup- pigen und machtbewußten Gouverneure der harten Siedlerzeit, als persönliche Renommierallee für sein An- wesen bauen lassen.

Am East River, wenige Blöcke entfernt, dann eine Enklave des Luxus. Die Her- Dt. Ärztebl. 88, Heft 16,

ren der Weltfinanzen haben sich hier ein Refugium ge- schaffen. „Pier 17", eine alte Hafenanlage, die verwaist ist, seit die Containerschiffahrt nach New Jersey zum Lö- schen geht, wird von den Bankers am Leben gehalten.

Sie haben sich gut eingerich- tet: Im Schatten der gewalti- gen Brooklyn Brigde liegen die aufgeblasenen Plastik- schläuche der Tennishallen, daneben alte Museum-Segler.

Das schiffähnliche ehemalige Hafengebäude bietet jede Art Gastronomie (auch günstige), Lifestyle-Läden und das prik- kelnde Spiel des „Sehens- und Gesehenwerdens".

New York ist ein gi- gantischer Feldversuch der Menschheit. Wer hier über- lebt, egal ob als Penner, Hot- Dog-Verkäufer, als Karriere- banker oder als glamouröse Ehefrau/Freundin, der wird überall irgendwie überleben.

Was muß man unbedingt gemacht haben: Hinauf auf das Empire State Building, über dem es aufgrund ei- genwilliger Luftströmungen manchmal nach oben regnet.

Zum Times Square, einer ein- zeigen surrealen Leuchtrekla- me. Zum Sonnenuntergang die Fähre nach Staten Island, mit der Vanderbilt seine er- sten Millionen machte und die, man kann es sich leisten, auch heute für eine Stunde Seefahrt mit toller Aussicht nur 50 Cents (0,75 DM) ko- stet.

. . . und warum

„The Big Apple"?

Ein ganz anderer Tip:

Wenn Sie einen New Yorker ratlos machen wollen - das ist eine echte Kunst -, fragen Sie ihn, woher der Kosename

„Big Apple" kommt. Die Her- kunft dieses an allen Ecken benutzten Etiketts für diese Insel der Gegensätze kann Ihnen mit Sicherheit niemand erklären. Manfred sagte knapp: „Nicht einmal Ed Koch (der frühere Bürger- meister) kann das wahr- scheinlich!"

Dr. med. Wolfgang Rühle 18. April 1991 (127) A-1421

Referenzen

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