„Bei aller negativen Faszination vergingen die dreißig Minuten im Museum of Forensic Medi- cine denkwürdig langsam. Unter langsam austrocknenden Au- genlidern (gibt es das?), fixierte ich Ungeheuerlichkeiten: ein geschälter Penis (man denke an eine Banane), ein homosexuell- sadistisches Verbrechen; eine Kehle, in der ein Frankfurter Würstchen steckengeblieben war (mit letalem Ende); die Lachgasmaschine, mit der ein Zahnarzt sich umgebracht hatte, uninteressant; eine Art Mumie:
Überreste eines Mannes, der mitten im Central Park vom Blitzschlag getötet wurde (fast tröstlich: eine Naturkatastrophe in Manhattan).
Und dann, das Photo eines jun- gen Mannes, etwa 40 auf 80 Zentimeter, selbstermordet auf dem Schragen seines ärmlichen Zimmers, an dessen Wand ein Poster hängt: Don't worry, you're not going to leave this world alive. Tröstliche Worte.
Und da war auch ein Stuhl, eine gewöhnliche Sitzgelegenheit in einem Flugzeug dieser Jahre.
Das Flugzeug war in der Luft ex-
Dieser Dreibeinige fehlt in Jean-Pier- re Lahary's Sammlung; rennt er des- halb so schnell? Graffiti-Kunst, ganz edel: Keith Haring hat die Wände der Tony Shafrazi Gallery bemalt plodiert. Ich mußte lange schau- en, um den Grund zu entdek- ken, daß dieser Sessel kein blo- ßer Fetisch für eben eine Flug- zeugkatastrophe war, sondern eine technische Merkwürdig- keit, aviatikbedingt: Der Sessel war nicht aus den Schrauben gelöst (wie man sich vorstellen kann), nein, die stählernen Füße des Sessels waren spitzförmig aus dem eigenen Material ge- zerrt worden, so, als hätte es sich nicht um Eisen oder Stahl gehandelt, sondern um Türken-
honig oder Kautschuk. Und wie eine Bestätigung kleineren Aus- maßes: ein Männerschuh, der im Luftdruck — wie von Men- schenhand — als weicher Lap- pen mehrere Male um- und um- gedreht worden war ..."
Der Schriftsteller Jürg Feder- spiel, der längere Zeit in New York lebte, beschreibt so seine Eindrücke in diesem Museum im Reiseführer „New York selbst entdecken", der, heraus- gegeben von Fatima Igramhan, soeben im Regenbogen-Verlag, Zürich, erschienen ist.
Das Museum of Forensic Medi- cine steht in keinem Telefon- buch und, wie der Autor be- schreibt, ist der Weg dorthin nicht ohne Hindernisse. Aber er gibt einen Hinweis: Milton Hel- pern Hospital, 30th Street, First Avenue. Der Kurator heißt Jean- Pierre Lahary, der 1974 seine Reputation erlangte, als es ihm gelang, aus 20 000 Einzelteilen der 346 Opfer des Flugzeugab- sturzes bei Orly 149 Passagiere zu identifizieren. Wer's also gru- selig liebt, sollte sein Glück ver- suchen ... Übrigens, der Reise- führer hat für den echt New- York-Süchtigen auch fröhliche- re Tips parat, abseits von ausge- tretenen Touristenpfaden. bl
New York, New York!!
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
POST SCRIPTUM
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746 (148) Heft 10 vom 9. März 1984 81. Jahrgang Ausgabe A