Leonore von Este, des Herzogs kluge Schwester, und Leonore Sanvitale schwärmen für den
„großen Dichter“
Tasso, der soeben sein „Himmelisches Jerusalem“ vollende- te und seinem ge- nerösen Gastgeber dedizierte; doch ste- hen die beiden Da- men im Grunde mehr auf irdischen Beglückungen. Die Prinzessinnen lang- weilen sich. Ist Tasso nicht zur Stelle, wird das Leben auch am vergnüglichsten Hof schnell zur Ödnis.
Alles und jeder am Hof des Herzogs von Ferrara ist (mit Ausnahme Antonios) emsig bemüht, dem spinnerten Jüngling gefällig zu sein, statt ihn auf den Marmorboden zurückzuholen. Da soll ein noch unfertiger, pubertieren- der, kaum ganz ernst zu neh- mender Narziß nicht vorlaut und übermütig werden? Tas- so wird es, und wie! Ein frühreifer junger Decadent, der nicht verwinden kann, daß der dem realen Leben mehr als den holden Musen zugewandte Staatsmann An- tonio ihn, den „Eindring- ling“, kühl und reichlich von oben herab behandelt. Das bringt das Blut des Knaben zum Kochen, läßt ihn hitzig zum Degen greifen und damit auf das Übelste gegen Sitte und Regel des Musenhofs verstoßen. Die Folgen sind auch dem, der die Schule längst hinter sich hat, noch wohlbekannt: Zimmer-Ar- rest. Vom Herzog höchstper- sönlich angeordnet, denn Strafe muß sein.
Der Verwöhnte versteht die Welt nicht mehr. Ist das
vielleicht noch seine angebe- tete Fürstin, diese dominante Frau, die ihn plötzlich mit sol- cher Kraft von sich stieß, daß er die Treppe herab kugelte und akkurat im Wasser- becken landete? Das kühle Naß bewirkt Wunder: Tassos armer, verwirrter Kopf be- sinnt sich; er ist nun zum Vieraugengespräch mit An- tonio bereit. Antonio zieht den unglücklichen Schwär- mer großmütig an seine Brust. Während Herzog und Hof sich inzwischen klamm- heimlich verdrückten, heben ein gestandener Mann und ei- ner, der das wohl gern schon wäre, im Schein der brennen- den Fackeln zu schönem, ver- söhnlichem Gespräch auf der Bühne an.
Joachim Bissmeister gibt einen eleganten Antonio, Jürgen Cziesla einen gütigen Renaissancefürsten. Die In- szenierung (unter der Regie von Benjamin Korn) läuft zur Zeit im Spielplan des Basler Theaters.
Britta Steiner-Rinneberg A-3290 (78) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 48, 28. November 1997
Die Basler „Tasso“-Inszenierung
Liebe und Kabale am Musenhof
Der Herzog mit Leonore von Este (Gudrun Gabriel) und Leonore Sanvitale (Katharina Abt)
V A R I A FEUILLETON
Foto: Leonard Zubler