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Spannende Fragen ... oder nur i dentitäre Phrasen? Ein kritischer Blick auf Militanz und Gew altfreiheit

p ra kt is ch . q ua d ra tis ch .

th eoriestark.

Au tor: Jörg Bergstedt

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Strafe − Rech t au f Gewal t

E i n au frü ttel n des B u ch m i t Tex- ten u n d Th esen zu r Kri ti k an Strafe sowi e m eh reren I n ter- vi ews m i t R ech tsan wäl tI n n en , R i ch terI n n en , G efan gen en u n d Tatort Gu tfl ei sch straße

Fi ese Tri cks von Pol i zei u n d Ju s- ti z i n B ei spi el en − span n en d gesch ri eb en u n d m i t Ori gi n al - akten bel egt. E i n sch l i eßl i ch der G i eßen er „ Federb al l n ach t“.

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3 U m was es geh t

D ie Au sein an dersetzu n g u m den Tiefbah n h ofbau u n d Kopfbah n h ofabriss in Stu ttgart tru g bizarre Form en . H ein er Geißl er, der Su persch l ich ter u n d Bah n bau retter von Stu ttgart, CD U -Mitgl ied u n d erken n barer F reu n d ge- ordn eter Staatsverh äl tn isse, m ach te ein ige Jah re zu vor ein en Satz be- rü h m t, der ih n obwoh l dam al s al s U n terstü tzer von Attac u n terwegs wie ein en Mil itan ten au sseh en l ieß: „Wen n m ich ein er an fasst, dan n sch l age

ich zu rü ck − u n d wen n es ein Pol izist ist, dan n sch l age ich zu rü ck. Wen n ich dem on strie- re, dan n ü be ich ein Gru n drech t au s, dan n l asse ich m ich n ich t an fassen , von n iem an dem .

„ E r sagte das ku rz n ach sein em Attac-Beitritt im Ju n i 2007 m it Bezu g au f den dam al s be- vorsteh en den G8-Gipfel . Gen au dieser Geißl er rettete dan n das Megaprojekt Stu ttgart 21 vor den P rotesten .

D em gegen ü ber der sogen an n te „ Aktion skon sen s“ sein er Gegn er _in n en , verfasst von den al s radikal er oder zu m in dest aktion istisch er F l ü gel der P roteste wah rgen om m en en „ Park- sch ü tzern“ ( waru m eigen tl ich in rein m än n l ich er Sch reibweise?) , geradezu wie ein e ge- h isste weiße Fah n e: „ Stu ttgart 21 steh t dem Wil l en u n d dem I n teresse der Bevöl keru n g en tgegen . D esh al b seh en wir u n s in der P fl ich t, al l e gewal tfreien Mittel zu n u tzen , u m die- ses P rojekt zu stoppen . Gesetze u n d Vorsch riften , die n u r den reibu n gsl osen P rojektabl au f sch ü tzen , werden wir n ich t beach ten . D u rch E in sch ü ch teru n gsversu ch e, m ögl ich e D em on - stration sverbote u n d ju ristisch e Verfol gu n gen l assen wir u n s n ich t absch recken . Bei u n se- ren Aktion en des Zivil en U n geh orsam s sin d wir gewal tfrei u n d ach ten au f die Verh äl tn is- m äßigkeit der Mittel . U n abh än gig von Mein u n g u n d F u n ktion respektieren wir u n ser Ge- gen ü ber. I n sbeson dere ist die Pol izei n ich t u n ser Gegn er. Bei pol izeil ich en Maßn ah m en werden wir beson n en u n d oh n e Gewal t h an del n . Bei E in stel l u n g des Bau vorh aben s Stu tt- gart 21 werden wir u n sere Bl ockade- u n d Beh in deru n gsaktion en sofort been den .“

Mit diesem Text sol l das Bü ch l ein ü ber die F rage der „ Gewal t“ begin n en . E s sol l aber die F rage, ob Gewal tfreih eit oder Gewal t sin nvol l sin d, gar n ich t bean tworten , son dern u n tersu - ch en , ob diese F rage eigen tl ich so wich tig ist, wie sie gem ach t wird. U n d fal l s n ein : Was ist wich tig bei Aktion en?

www.g ewa l tdeb a tte.de.vu

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í Obwoh l n u r rech t ku rz, kom m t dreim al die Redewen du n g „ gewal tfrei“ bzw.

„ oh n e Gewal t“ vor. D as ist offen bar die wich tigste Botsch aft al l er Aktion en u n d Organ isieru n g.

í Al l e „ Gegen ü ber“ ( ob Pol izei, Regie- ru n g . . . ) werden respektiert − u n d zwar „ u n abh än gig von Mein u n g u n d F u n ktion“. D as ist ein e bem erken swerte Au fgabe des An spru ch s, in Verh äl tn isse u n d Verh al ten sweisen zu in terven ieren . Wörtl ich gen om m en h eißt die Passage, dass Sexism u s, Rassism u s u sw. zu m in - dest gedu l det wü rden .

í Gl eich zeitig wird n ach I n n en ein deu tl i- ch er Mach tan spru ch vertreten . D er Rech tsh il fefon ds, fü r den die Parksch ü t- zer werben , ist kein sol idarisch er Topf.

Gel d erh äl t n u r, wer sich dem bedin - gu n gsl osen Gewal tfreih eitsdogm a des Kon sen s u n terwirft: „ D er Aktion skon - sen s ist die Bewil l igu n gsgru n dl age fü r U n terstü tzu n g au s dem Rech tsh il fe- fon ds“ h eißt es au f www. kritisch es- stu ttgart.de.

D er dogm atisch e Gewal tfreih eitsan satz m ach t dabei au ch vor U n l ogiken n ich t h al t:

„ Bei u n seren Aktion en des Zivil en U n ge- h orsam s sin d wir gewal tfrei u n d ach ten au f die Verh äl tn ism äßigkeit der Mittel .“ Mit dieser Form u l ieru n g verein t der Kon sen s in ein em Satz zwei u nverein bare P rin zipien : Zu m ein en die dogm atisch e Festl egu n g von Aktion sstrategien ( „ gewal tfrei“ ) u n d zu m an deren der Ru f n ach „Verh äl tn ism äßigkeit der Mittel “. Beides zu sam m en geh t sch on th eoretisch n ich t. I n der P raxis kön n en zwar im kon kreten Fal l beide An sprü ch e gewah rt sein , aber in an deren eben n ich t. „Verh äl t- n ism äßigkeit der Mittel “ bedeu tet, dass m en sch sich je n ach Situ ation en tsch eidet, was passt u n d was n ich t. D abei kom m en ein e Men ge Kriterien zu m Zu ge:

í Wil l en , Lu st, Bedü rfn isse, Än gste u n d Fäh igkeiten der h an del n den Person ( en ) í Situ ation /Rah m en bedin gu n gen vor Ort

u n d verfü gbare Mittel

í Gefah ren von N ebenwirku n gen oder Kol l ateral sch äden der gen u tzten Aktion sform ( en )

Beken n tn issach e Gewal tfreih eit?

D er Aktion skon sen s der Stu ttgarter Parksch ü tzer ist bem erken swert. D en n es war gerade diese Ström u n g, die Geißl ers I n tegration s- u n d Befriedu n gssch au u n ter P rotest verl ieß, u m dort n ich t m it weich gespü l t zu werden . E in − wie in zwisch en au ch die wissen , die dabei bl ieben − weiser Sch ritt. D och der Bl ick au f den Aktion skon sen s l ässt eh er den Verdach t au fkom m en , dass sel bst die, die Geißl ers I n tegration ssh ow n ich t m itm ach en wol l ten , ih ren P rotest au ch n u r m it an gezogen er H an dbrem se fah ren wol l ten .

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í Verm ittl u n gsm ögl ich keiten von Kritik, I n - h al ten oder Perspektiven , die h in ter ei- n er Aktion steh en

í Brisan z, Zeitdru ck, E rfordern is ein es sch n el l en u n d wirksam en E in sch reiten s í Abwägu n g zwisch en Sch aden u n d

N u tzen der versch ieden en m ög- l ich en Aktion sform en

í . . . u n d sich erl ich n och ein iges m eh r.

E s gibt fragl os viel e Fäl l e, in den en gewal t- freie Mittel dem jeweil igen Aktion sziel , der Lage vor Ort, den Verm ittl u n gsstrategien u n d den Bedü rfn issen der Beteil igten en t- sprech en . D an n wäre es sin n l os, gewal tför- m ig vorzu geh en . Viel e m il itan te Aktion en resu l tieren bedau erl ich erweise eh er au s Oh n m ach t oder ein em in h al tsl eeren , dan n eh er m ackerh aften P ro-Gewal t-Fetisch al s refl ektierter Ü berl egu n g. Aber das kan n au ch an ders sein . N eh m en wir zwei Bei- spiel e, in den en rech t ein deu tig Gewal t ge- gen Men sch en au sgeü bt wu rde.

í E s ist sch on l an ge h er, al s Beate Kl ars- fel d dem deu tsch en Bu n deskan zl er Ku rt Georg Kiesin ger ein e öffen tl ich e Oh r- feige verpasste. Sie war dam al s sch on in an tifasch istisch en Kreisen aktiv u n d versu ch te − wie an dere au ch -, den Mach terh al t von Al tn azis in al l en m ög- l ich en F ü h ru n gsposition en der BRD zu th em atisieren . D er E rfol g bl ieb weitge- h en d versagt, bis diese geziel te, direkte Aktion ein en erh ebl ich en öffen tl ich en

E rregu n gskorridor sch u f, der ein en spü rbaren An teil an der später fol gen - den kritisch en Teil -Au sein an dersetzu n g m it der N azi-Vergan gen h eit viel er BRD - Kader bewirkte.

F rage: Was an dieser Aktion ist − an - gesich ts des feh l en den E rfol gs vorh eri- ger Bem ü h u n gen − u nverh äl tn ism äßig?

N ach der D oktrin der Gewal tfreih eit h ätte sie den n och n ich t stattfin den dü r- fen ( m it al l en Fol gen fü r die dam al ige Zeit) . H ier steh en „Verh äl tn ism äßigkeit der Mittel “ u n d Gewal tfreih eit in ein em offen sich tl ich en Gegen satz.

í Seit 2004 wu rden in D eu tsch l an d zu m zweiten Mal ( n ach den 90er Jah ren ) verm eh rt gen tech n isch verän derte P fl an zen au sgebrach t. Viel e fü rch teten Fol gen fü r Gesu n dh eit u n d U mwel t, an - dere th em atisierten die Zu spitzu n g von H errsch aftsverh äl tn issen du rch Saatgu t- kon trol l e, Paten te u n d die I n du strial isie- ru n g der Lan dwirtsch aft. I n sgesam t l eh n ten 80 P rozen t der Bevöl keru n g die Gen tech n ik au f Acker u n d Tel l er ab, wäh ren d n u r sech s P rozen t sie wü n sch - ten . Sel bst viel e Befü rworter _in n en der Gen tech n ik bis h in zu den fü h ren den Kon zern en a l a Mon san to h iel ten die Tech n ik fü r u n kon trol l ierbar u n d wen ig n ü tzl ich − verfol gten sie au s kom m er- ziel l en Grü n den aber den n och weiter.

Seit 2005 m eh rten sich direkte Aktio- n en gegen die Fel der, z. B. du rch Ge-

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gen saaten , Besetzu n gen u n d soge- n an n te Fel dbefreiu n gen , bei den en die gen tech n isch verän derten P fl an zen h e- rau sgerissen wu rden . U m die Fel der besser zu sch ü tzen , wu rden diese im - m er m eh r au f gem ein sam e Areal e zu - sam m en gel egt u n d stärker bewach t.

201 1 existierten n u r n och zwei I n ten - sivstan dorte m it jeweil s m eh reren Ver- su ch sfel dern au f ein er u m zäu n ten u n d bewach ten F l äch e. I m Ju l i 201 1 gel an g es u n bekan n t gebl ieben en Akti- vist _in n en , in n erh al b von 48 Stu n den beide An l agen zu ü berfal l en u n d dabei al l e Sich eru n gen au szu sch al ten . So bl ieben sie u n erkan n t, kon n ten al l e Fel - der zerstören u n d die Al arm au sl ösu n g z. B. der in ein em Fal l bereitsteh en den Pol izeih u bsch rau ber verh in dern . D afü r aber m u ssten sie die vor Ort tätigen Bewach er in ih ren Wach h äu sch en ein - sperren u n d sie ih rer Kom m u n ikation s- m ittel berau ben . D as E rgebn is war du rch sch l agen d: N ach der D oppel ak- tion besch l ossen die fü h ren den Gen - tech n ikkon zern e, D eu tsch l an d al s Fel d- stan dort fortan zu m eiden . D er Gen - tech n ikl obbyist U we Sch rader sprach vom „ Gen ickbru ch“.

F rage au ch h ier: Was an dieser Aktion ist u nverh äl tn ism äßig? E s gil t das Gl ei- ch e wie oben : Wen n die Aktion al s verh äl tn ism äßig an geseh en wird, steh t dieses im Widerspru ch zu m D ogm a

der Gewal tfreih eit. H ätte Letzteres ge- gol ten , gäbe es vorau ssich tl ich au ch 201 2 u n d die Fol gejah re n och gen tech - n isch verän derte P fl an zen in D eu tsch - l an d.

E s zeigt sich sch n el l , dass sich ein dogm ati- sch er Au ssch l u ss von Gewal t m it dem An - spru ch an Verh äl tn ism äßigkeit n ich t verein - baren l ässt. I n Kreisen dogm atisch er Ge- wal tfreih eit fü h rt das zu kein en P robl em en . D er Spru ch der Verh äl tn ism äßigkeit h at dort n u r propagan distisch e Bedeu tu n g. E s gil t das P rim at der Gewal tfreih eit − du rch - gesetzt oft m it au toritären Mittel n wie Sel bstverpfl ich tu n gserkl äru n gen , Au sgren - zu n gen u n d ein er steu ern den Strategie von Kon sen s u n d Vetoein satz. Wie säh e dem - gegen ü ber ein e em an zipatorisch e Sich t- weise zu r Gewal tfrage au s? D iese bedeu - tet, dass die Men sch en au s ih rer jeweil igen Position u n d Ü berzeu gu n g h erau s in freier Kom m u n ikation u n d Refl exion ih re Wah l der Mittel treffen . Vorgaben , die ein e be- stim m te Verh al ten sweise n ah el egen oder oktroyieren wol l en , h aben kein en h öh eren Ran g al s die Viel fal t der Mein u n gen u n ter den Beteil igten . Gesetze, rel igiöse oder son stige Moral kon zepte stel l en sol ch e Vor- gaben dar, die ü ber der eigen en E n tsch ei- du n g bzw. der freien Verein baru n g m eh re- rer Men sch en steh en . I n ih n en geh t der An - spru ch au f Verh äl tn ism äßigkeit verl oren , weil die H an dl u n gsvorgaben u n abh än gig von der kon kreten Situ ation u n d den kon -

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kreten Person en , ih ren I n teressen oder Be- dü rfn issen erfol gen . E in e H an dl u n gsvor- gabe aber, die u n abh än gig von Men sch en u n d Situ ation gel ten sol l , ist ein au toritäres D ogm a. E s en tm ü n digt die Men sch en , weil diese n ach dem D ogm a h an del n sol l en u n d n ich t n ach eigen en Wü n sch en , den Wü n sch en An derer u n d der jeweil igen Si- tu ation .

U n bedin gte Gewal tfreih eit ist ein sol ch es D ogm a. E s sol l im m er gel ten : Beate Kl ars- fel d, die u n bekan n ten Fel dbefreier _in n en oder der H itl eratten täter Georg E l ser − sie al l e h an del ten zwar ersich tl ich verh äl tn is- m äßig, aber doch m oral isch fal sch . Weil gewal tsam . So jeden fal l s wertet das D ogm a der Gewal tfreih eit.

Geißl ers Satz, er wü rde zu rü cksch l agen , sagt viel u n d wen ig. Wen ig desh al b, weil sein Motiv im D u n kel n bl ieb. Viel aber au ch , weil h ier etwas in F rage gestel l t wu r- de, was m eist wie ein H eil igtu m beh an del t wird: D as Gewal tm on opol des Staates in E in h eit m it dem freiwil l igen oder erzwu n ge- n en Gewal tverzich t der U n tertan en . D ah er h ätte der Satz du rch au s ein kl ein es Beben bei den en au sl ösen kön n en , fü r die Geißl er au ftrat u n d warb: Attac − n eben Bion ade die dam al s fast offiziel l e Marke fü r ein e bessere, aber geordn ete u n d eigen tl ich au ch gar n ich t so viel an dere Wel t. Zwar war die Organ isation wegen ih rer offen en Stru ktu ren ein Sam m el becken fü r viel e Rich - tu n gen , aber die von den zen tral en Perso-

n en u n d Grem ien verkörperte u n d verkü n - dete H au ptl in ie rich tete sich doch ziem l ich ein deu tig au f ein e n u r m äßig reform ierte Wel t au s.

D ass das m en tal e Beben au sbl ieb, war u n - gewöh n l ich . Meisten s n äm l ich h at die Ge- wal tfrage ein e paral ysieren de Wirku n g au f pol itisch e Zu sam m en h än ge. Kein an deres Th em a fü h rt so sch n el l zu erbitterten Streit- debatten , zu Ab- u n d Au sgren zu n gen oder sogar zu P h an tasien , sich m it der an deren Seite ( z. B. der Pol izei) zu verbü n den , u m die eigen e Position du rch zu setzen . Waru m erregt Gewal t die Gem ü ter, wäh ren d D e- batten u m I n h al te u n d Aktion sform en n u r sel ten in ten siv disku tiert werden oder sch l ich t gar n ich t in teressieren?

An h än ger _in n en der Gewal tfreih eit fü h ren versch ieden e Argu m en te fü r ih re Position in s Fel d. D an ach sol l ein e gewal tfreie Wel t n ich t m it Gewal t erreich bar sein , d. h . „ der Zweck h eil ige n ich t die Mittel “. E s sei des- h al b au ch so wich tig, diese F rage tatsäch - l ich in den Mittel pu n kt zu stel l en , weil es kein Mit- oder N eben ein an der von Ge- wal tfreih eit u n d Mil itan z geben kön n e.

Letzteres wü rde ersteres im m er kapu tt m a- ch en . An dere h al ten Gewal tfreih eit sch l ich t fü r die wirksam ste Strategie. Sol ch e Grü n de kan n m en sch teil en oder n ich t. Au f- fäl l ig u n d ein m al ig u n ter den viel en Streit- th em en der Pol itszen e aber ist die Veh e- m en z, m it der die Gewal tfrage E m otion en weckt u n d spal tet, oh n e jem al s n äh er be-

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grü n det zu werden . Meist steh t sie wie ein Leh rsatz im Rau m .

Au s ein em offenen B rief von Wolfgan g Stern - stein („ Friedens- u nd Konfliktforsch er m it dem Schwerpu n kt Th eorie u n d P raxis der gewalt- freien Aktion“, so im B rief selbst benan nt) an den Stu ttgart21 -Widerstan d (ZU= Ziviler Unge- h orsam)

Wa s u n ter di e Rä der der Ge- wa l t( frei h ei ts) deba tte kom m t . . . D er Streit u m die F rage von Gewal tanwen - du n g prägt viel e D isku ssion en u n d zerstört oft Wil l en u n d Ch an cen zu r Gem ein sam - keit. Sel ten wird die F rage gestel l t, ob ein Au ssch l u ss jegl ich er Gewal t oh n e die Ori- en tieru n g an Verh äl tn ism äßigkeit ü ber- h au pt ein so wich tiger Kn ackpu n kt ist, dass er zu m Sch eidepu n kt werden m u ss. Meist geraten Gewal tfreih eit oder Mil itan z − je n ach Bl ickwin kel − zu m I n begriff von rich - tig u n d fal sch u n d steigen so zu r iden titäts- stiften den Kraft von Ström u n gen au f. Beide Au ffassu n gen , pro oder con tra Gewal t, werden dan n oft zu m Au ssch l u sskriteriu m . Wen n es gu t l äu ft, geh en sich die Lager au s dem Weg. Son st kan n es zu erbitterten Au sein an dersetzu n gen kom m en − zu m in - dest al s Zerfl eisch u n g du rch u n d via Me- dien vor, wäh ren d u n d n ach Aktion en . D erartige Abgren zu n gen u n d Gl au ben s- kam pf-äh n l ich e D ebatten wären n u r be- grü n det, wen n Mil itan z oder Gewal tfrei- h eit der vorran gige Gru n dsatz al l er pol iti- sch en Arbeit wäre − al so sich qu al itativ von an deren F ragen , die n ich t zu Abgren - zu n gen fü h ren , u n tersch eiden wü rde.

Fän de sich kein Gru n d fü r diese Son derstel - l u n g, wäre es n ich t n u r wil l kü rl ich , die Ge- wal tfrage im m er wieder zu m Kn ackpu n kt zu erh eben , son dern au ch gefäh rl ich . D en n die erzwu n gen e D om in an z dieser D ebatte l en kt von an derem ab, das m in -

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desten s eben so n ötig zu disku tieren wäre, aber oft h in ten ru n terfäl l t. Sowoh l bei vie- l en gewal tfreien u n d m il itan ten al s au ch bei an deren Aktivist _in n en feh l en F ragen n ach der Qu al ität von Aktion sform en u n d -ver- m ittl u n g.

í Wie seh en die D om in an zverh al ten u n d H ierarch ien in Gru ppen au s, u.a. die H au ptam tl ich en -, „ Ch ecker _in n en“ -, Män n er- oder E rwach sen en dom in an z in n erh al b von Aktion sstrategien oder Bü n dn issen?

í Fördern pol itisch e Position en die Zwan gsverh äl tn isse du rch Staat oder Markt?

í Werden Kritiken oder Forderu n gen so stark popu l istisch verkü rzt, dass sie fal - sch e Au sl egu n gen h ervorru fen , fü r rech te Gru ppen an kn ü pfu n gsfäh ig sin d o.ä. ?

í I nwieweit reprodu zieren Aktion en m it ih rem H an g zu prom in en ten Red- n er _in n en , Au fru fen im N am en l abel tra- gen der Gru ppen u sw. die N orm en u n d Zu rich tu n gen in der Gesel l sch aft?

í Wel ch e Au ßenverm ittl u n g h at ein e Aktion? Wen erreich t sie wie u n d m it wel ch en Position en?

í Sin d die E in griffe in den Al l tag von Men sch en , die jede Aktion ( au ch die gewal tfreie! ) m it sich brin gt, an - gem essen u n d sich tbar begrü n det?

í Wie kön n en Viel fal t u n d Qu al ität von Aktion en verbessert werden , sowoh l von der Aktion sm eth ode h er wie au ch bei der Verm ittl u n g?

U m sol ch e F ragen wird sel ten gestritten , zu m in dest n ich t m it der I n bru n st, wie u m die Gewal t. D as gil t fü r gewal tfreie wie fü r m il itan te Gru ppen gl eich erm aßen u n d trägt zu ein em verh eeren den E rgebn is bei: D ie m eisten m il itan ten wie au ch die m eisten ge- wal tfreien Aktion en sin d pl att, in h al tsl eer u n d m eth odisch l an gweil ig. Mil itan te Ak- tion en m issl in gen sel ten er wegen ih rer Ge- wal t, son dern weil die m eiste Gewal t n iveau l os ist u n d ein e Verm ittl u n g feh l t. D as aber gil t au ch fü r Mah nwach en , Latsch de- m os u n d Postkarten aktion en . Offen sich tl ich verdrän gt die Fetisch isieru n g von Mil itan z bzw. Gewal tfreih eit ein e D ebatte u m die Qu al ität von Aktion en .

N otwen dig wäre stattdessen ein e deu tl i- ch e Weiteren twickl u n g von Ziel en , Visio- n en , Gesel l sch aftskritiken u n d Meth oden von Aktion en ein sch l ießl ich ih rer Au ßenver- m ittl u n g. Wen n dan n im Zu ge pol itisch er Käm pfe kreative, verm ittl u n gsstarke m il itan te u n d gewal t- freie Aktion en n e- ben ein an der ge- sch eh en wer wol l te sich darü ber ärgern?

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Was ist eigen tl ich Gewal t?

D ie D efin ition ist bereits ein e schwierige Sach e. Was Gewal t ist, wird von Seiten gewal tfreier Aktion sgru ppen au ch kau m gekl ärt. Sch l im m er: D as ist kein Verseh en , son dern h at Meth ode. Gewal tfreih eit ist ( wie Mil itan z au ch ) n äm l ich kein I deal , son dern ein e I m agefrage u n d iden titätsstif- ten d fü r das „Wir“ der Zu sam m en h än ge.

D ah er wird Gewal tfreih eit au ch „verkau ft“.

Aktion sform en werden je n ach öffen tl ich er Bel iebth eit al s gewal tfrei ein gem ein det oder eben au sgegren zt. Öffen tl ich e D i- stan zieru n gen von m il itan ten Aktion en sin d h äu fig, m eist bekan n tgem ach t ü ber die bü rgerl ich e P resse oder sogar gegen ü ber dem Staat ( Pol izei, Gerich te u sw. ) , den en dam it ein erh ebl ich er Vorteil in der öffen tl i- ch en I n terpretation versch afft wird.

D ieser Zu sam m en h an g zwisch en Gewal t- frage u n d P R-Aspekten ist au ffäl l ig. So wer- den Aktion sform en gegen Atom kraft oder Gen tech n ik, die n och vor ein igen Jah ren von gewal tfreien Gru ppen abgel eh n t wu r- den , h eu te al s gewal tfrei bezeich n et − u n d zwar desh al b, weil sie in der Öffen tl ich keit positiv rü berkam en u n d sich so im agem ä- ßig gu t n u tzen l ießen . D as gil t z. B. fü r Gl eissabotage oder Gen fel dzerstöru n g.

Sol ch e sel tsam en U m in terpretation en m a- ch en deu tl ich , dass ein e beson dere Rol l e der Gewal tfrage sch on wegen des steten D efin ition swan del s kau m u m setzbar wäre.

Sel bst die Gewal t gegen Men sch en u n ter- l iegt Verän deru n gen in der Wah rn eh m u n g.

D er An trieb au ch dieser Wan dl u n gen ist propagan distisch er Art: Wah l weise al s m i- l itan t oder gewal tfrei werden E reign isse dargestel l t, wen n m it ih n en geworben oder du rch sie abgesch reckt werden sol l . D er Au fstan d der Zapatistas ab 1 994 in Mexi- ko, die Bl ockade der WTO-Sitzu n g 1 999 in Seattl e oder die Vertreibu n gen n ordafrika- n isch er D iktatoren du rch ih re protestieren de Bevöl keru n g − im Lich te dieser epoch al en E reign isse son n t sich jede _r gern . E n tspre- ch en d werden die gl eich en E reign isse m al al s gewal tfrei u n d m al al s gewal ttätig dar- gestel l t. Tatsäch l ich waren sie Misch u n gen , u n d die Akteu r _in n en verän derten ih re H an dl u n gsform en au ch im Lau fe der Au sei- n an dersetzu n gen u n d je n ach N otwen dig- keit.

D ie D ebatte u m Gewal t kl ärt den Begriff sel ten oder n ie. Stattdessen ersch ein en Gewal tfreih eit u n d Mil itan z al s Modeworte u n d Label , wobei Aktion sform en je n ach öf- fen tl ich er Reaktion ein gem ein det oder au s- gegren zt werden . D ie weitergeh en de D if- feren zieru n g zwisch en versch ieden en Ty- pen u n d Qu al itäten von Gewal t ist dan n gar n ich t m eh r vorgeseh en . Wer darau f aber verzich tet, bl en det ein erseits Motive u n d Ziel e au s dem H an del n au s. Au ch geh t dan n der U n tersch ied zwisch en stru ktu rel -

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l er Gewal t bzw. Gewal t „von oben“ sowie der Gewal t, die befreien de Ziel e h at u n d sich gegen stru ktu rel l e Gewal t rich tet ( so- zial e N otweh r) , verl oren . D as m ach t pol iti- sch e Akteu r _in n en zu ideol ogisch en H il fs- tru ppen des Staates, der n ich t u m die Legi- tim ation sein er Gewal t käm pfen m u ss − er h at das Gewal tm on opol . Wen n Gewal t in jeder Form gl eich bewertet wird, gibt es au ch kein e U n tersch eidu n g m eh r zwisch en An griff u n d Verteidigu n g, Aggression u n d N otweh r, Ü bergriff u n d Sel bstverteidigu n g.

Au s der Seite der B u n deszentrale fü r politisch e B ildu n g zu „ Gewalt“

Gewalt bei Wikipedia

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Au s den D efin ition en ergeben sich bereits m eh rere Schwierigkeiten fü r ein e P raxis von P rotest. Wen n al l e Zwan gsm om en te, al so au ch jeder psych isch e D ru ck, al s Gewal t gewertet wü rden , bl iebe gar kein e H an d- l u n gsoption m eh r offen au ßer sol ch er ver- bal en oder sch riftl ich en Ü berzeu gu n g von Men sch en , bei der au ch kein erl ei D om i- n an zen au ftreten dü rfen . D as ist weitge- h en d u n m ögl ich . E s wü rde zu dem jedes besteh en de sozial e Mach tgefäl l e akzep- tieren , dü rfte al so in Rich tu n g der P rivil e- gierten u n d Mach tin h aber _in n en n u r al s Bittstel l u n g au ftreten . E in pol itisch er E rfol g von P rotest wäre dan n kau m n och m ögl ich . D en n wen n kein weitergeh en der H an d- l u n gsdru ck au fgebau t werden kön n te u n d das der Person , die fü r eigen e I deen ge- won n en werden sol l , au ch bekan n t ist, gibt es fü r Pol itiker _in n en , die vor al l em Oppor- tu n ist _in n en der au f sie einwirken den Kräfte sin d, kein en Gru n d, au f die Bittstel l u n g zu

reagierel n . F ragl ich wäre sch on , ob u n ter sol ch en P räm issen der direkte Kon takt ü berh au pt h ergestel l t werden kön n te. Pol iti- sch er P rotest verm ittel t sich m eist ü ber öf- fen tl ich e Wirku n g, m edial e Berich terstat- tu n g u n d m itu n ter au ch direkte E inwirku n g, sel ten aber al s Ü berzeu gu n gsarbeit im n et- ten Gespräch srah m en . Ob gewol l t oder n ich t: Pol itiker _in n en , F irm en l eitu n gen u n d Verban dsfü h ru n gen vol l zieh en öffen tl ich en D ru ck in ih rem Verh al ten n ach , wen n sie das fü r opportu n h al ten . D afü r bedarf es kein es direkten Kon taktes. Öffen tl ich er D ru ck aber wäre n ach der erweiterten D e- fin ition sch on Gewal t, psych isch e Gewal t eben .

E in zweiter P robl em pu n kt ist die F rage von Gewal t gegen Sach en . E s ist n och n ich t l an ge h er, da war diese in viel en gewal t- freien Kreisen au ch verpön t. H eu te ist sie in viel en Kreisen akzeptiert, obwoh l jeder An - griff au f Sach en ein en psych isch en D ru ck au f die dah in tersteh en den Men sch en , z. B.

deren E igen tü m er _in n en , au sü bt. D as ist in der Regel au ch gewol l t. Som it l ässt sich sa- gen : I m erweiterten Sin n e des Gewal tbe- griffs ist jede pol itisch e Aktion Gewal t. D as gil t au ch u m gekeh rt: Ob ein e Pol izeiein h eit n u n prü gel t, in der versch l eiern den F rage

„ Geh en Sie freiwil l ig?“ die An droh u n g von Gewal t u n ü berseh bar en th al ten ist oder das Wissen u m die E xisten z u n d das m ögl i- ch e E in greifen der Ordn u n gstru ppen be- steh t, spiel t beim erweiterten Gewal tbegriff

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kein e Rol l e. Al l es ist ein e Beein fl u ssu n g, die das Gegen ü ber zu ein em H an del n brin gen wil l , das es n ich t freiwil l ig zeigt.

I n sofern bl eibt zu m in dest in der pol itisch en D ebatte m eist rech t u n kl ar, was den n eigen tl ich Gewal t bedeu tet.

D an n aber ist au ch n ich t du rch -

sch au bar, wel ch e P rotestform gewal tfrei ist u n d wel ch e n ich t m eh r.

í Vergl eich Gewal tfreie Aktion u n d D irect Action : www. projektwerkstatt.de/

debatte/

kritikan l in ks/

gewal tfreie aktion . h tm l

Verwirru n g h och zeh n : 20. Ju l i 1 944

N ich t ein fach er wird al l das du rch Fäl l e, in den en zwar völ l ig kl ar ist, dass bl an ke Gewal t im Spiel ist, aber trotz- dem gen au diese Jah r fü r Jah r von Teil en derer, die den Verzich t von Gewal t predi- gen , zu m Mu sterbeispiel pol itisch en P rotes- tes h och stil isiert werden . Gem ein t sin d diesm al n ich t die dogm atisch Gewal tfrei- en , son dern die I n h aber _in n en pol itisch er Au torität. Sie h aben ih re eigen en I n teres- sen , fü r Gewal tfreih eit zu streiten − sin d sie doch im Besitz des sogen an n ten Gewal t- m on opol s, d. h . des Rech ts au f Gewal t. Von ih ren Gegn er _in n en verl an gen sie Gel ü bde zu r Gewal tfreih eit, wäh ren d sie sel bst ih re Tru ppen bis an die Zäh n e bewaffn en − ein du rch sich tiges Spiel . D en n och wäre au s diesem Bl ickwin kel ü berrasch en d, wen n sie pol itisch e Widerstan dskäm pfer _in n en l o- ben , die bei ein em Bom ben atten tat viel e Men sch en töten − ein sch l ießl ich viel er, die gar n ich t das Ziel sol ch er Atten tate waren .

Aber gen au so gesch ieh t es, jedes Jah r von N eu em . Von Regieru n g bis zu kon servativen Medien werden die At- ten täter des 20. Ju l i 1 944 jedes Jah r au f- wen dig gefeiert. N ich t Georg E l ser, der vor ( ! ) dem Krieg versu ch te, H itl er zu töten , u m u n ter an derem den Krieg zu verh in dern . Au ch n ich t an dere Widerstan dskäm p- fer _in n en , die m u tig, aber gewal tfrei, je- doch au ch wirku n gsl os protestierten u n d bei E n tdecku n g sch n el l ein en Kopf kü rzer gem ach t wu rden . N ein , abgefeiert werden au sgerech n et die, die erst ein sch ritten , al s al l er Greu el sch on gesch eh en war oder au f H och tou ren l ief. D ie das D eu tsch e Reich retten statt stoppen wol l ten u n d die bis Mitte 1 944 die gan ze Sch eiße m it- m ach ten , d. h . Gewal t au ch in ih rer bru tal s- ten Form akzeptierten . Sch on diese Au s- wah l m ach t fassu n gsl os, den n viel e an dere Widerstan dkäm pfer _in n en sin d vergessen oder wu rden n och n ach 1 945 von den

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n eu en Regieren den m al trätiert. D ie Ge- den kstätte fü r die „ gu ten“ Gewal ttäter u n d das deu tsch e Verteidigu n gsm in isteriu m l ie- gen am gl eich en Ort. D ort fan d viel e Jah re das wich tigste öffen tl ich e Gel öbn is der Be- ru fsgewal ttäter _in n en h eu tiger Zeit, n äm - l ich von Sol dat _in n en , statt. Völ l ig frei ir- gen dwel ch er kritisch en Tön e feiert das offi- ziel l e D eu tsch l an d jedes Jah r au sgerech - n et die Men sch en , die E roberu n gen , Ver- n ich tu n gskriege, H ol ocau st u n d viel es m eh r gebil l igt oder sogar m iten twickel t u n d an - gezettel t h atten − u n d kassiert dafü r kau m Kritik der ü berfal l en en Län der oder N ach - fragen der wen igen Ü berl eben den . D er Gipfel des Abson derl ich en aber ist, dass fast al l e derer, die jäh rl ich den Atten - tätern des 20. Ju l i h u l digen , gl eich zeitig fa- n atisch e P ropagan dist _in n en des Verzich ts au f Gewal t in der pol itisch en Au sein an der- setzu n g sin d. D er treu ergeben e Fasch ist Stau ffen berg h in gegen l egte 1 944 ein e Bom be, die Men sch en tötete ( n u r n ich t den , fü r den sie bestim m t war) . D ie Kreise, fü r die Sitzbl ockaden , das Au sreißen gen - tech n isch verän derter P fl an zen oder zu m in - dest ein Steinwu rf sch on Terrorism u s sin d, m ach en Stau ffen berg zu m H el den . Wel ch sel tsam e Wel t, m ag m an ch e _r den ken . D och u n l ogisch ist diese Wertu n g n ich t.

D en n der Gewal tbegriff ist ein fach n u r frei jegl ich en I n h al tes − wie son st au ch . Tat- säch l ich kom m t es darau f an , wel ch en Zweck die Tat verfol gt. D er deu tsch n atio-

n al e, zu r Rettu n g von Reich u n d Fasch ism u s du rch gefü h rte Bom ben an sch l ag war gu t, ein staatskritisch er wie der seiten s Georg E l sers h in gegen sch l ech t ( m it l eich ten Ver- än deru n gen in den l etzten Jah ren ) . U n ter sol ch en Real pol itiken ist die Geißel u n g von Gewal t n u r vorgesch oben . D as P robl em fü r diejen igen , die au s der Position der H err- sch en den h erau s die Gewal t kritisieren , m ein en n ich t die Gewal t al s sol ch es, son - dern n u r diejen ige, die ih n en sch adet. Was ih n en n ü tzt, n eh m en sie gern e in Kau f − ein sch l ießl ich Pol izei- u n d m il itärisch er Ge- wal t, fü r die sie oder ih n en Gl eich gesin n te das Person al der Au sfü h ru n g bezah l en u n d befeh l igen .

Au s der Antwort der B u n desregieru n g au f ein e Anfrage im B u n destag (B u ndestags-Dru ck- sacke 1 6/21 78), zitiert in : Ju nge Welt, 5. 8. 2006 (S. 1 0)

Au s Wikipedia

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D istan zieru n gen von diesem pein l ich en E h - ren ku l t sin d sel ten . Aber es gibt sie. So be- n an n te sich ein e Sch u l e u m . Sie wol l te die Täter des 20. Ju l i 1 944 u n d des fasch isti- sch en Terrors davor n ich t l än ger eh ren ( Ju n ge Wel t, 23. 7. 2008, S. 1 5) .

Gewa l t a l s zen tra l er P u n kt − pro & con tra

E s gibt viel e Grü n de, in den D ebatten ü ber passen de oder gewol l te Aktion sform en au ch al l e Aspekte der Wirku n g von Gewal t zu disku tieren u n d zu berü cksich tigen . I n ein er em an zipatorisch en Aktion sku l tu r ist es zu dem sel bstverstän dl ich , dass Men sch en fü r sich Gren zen zieh en , die ih ren Ü berzeu gu n gen , Beden ken oder vorh an den en Än gsten en t- sprech en . D och au s dem N ich ts l eitet sich die sel tsam e Ü berh öh u n g der Gewal tfrage ge- gen ü ber al l en an deren F ragen von Organ isieru n g ab. Trotzdem bil det sie fü r viel e pol i- tisch Aktive, gan ze Ström u n gen u n d Verbän de den zen tral en Orien tieru n gspu n kt − u n d zwar n ich t n u r, wie viel l eich t m an ch e beim Lesen dieser Sätze den ken m ögen , au f Seiten der Gewal tfreien . N ein , au ch der Mil itan zfetisch au f Seiten gewal tbereiter Gru ppen sch iebt die gl eich e F rage ( wen n au ch m it en tgegen gesetzter An twort) in den Mittel pu n kt, u n d zwar eben fal l s iden titätsstiften d. I m Fol gen den sol l en die Argu m en tation sm u ster u n d die m it der Gewal tfrage verbu n den en H egem on ial an sprü ch e dieser zwei Ström u n gen au fzeigen , dass u n d wie beide au s der Gewal tfrage ein en Fetisch m ach en .

D ie Argu m en te pro Gewal tfreih eit − u n d was davon zu h al ten ist

Oh n e Ken n tn is der jeweil igen Situ ation u n d Rah m en bedin gu n gen ü ber kon krete Akti- on sstrategien zu disku tieren , ist per se ab- su rd. D en n viel en wich tigen Kriterien wie dem der An gem essen h eit oder des kreati-

ven U m gan gs m it den Gegeben h eiten feh l t dan n der Maßstab. Au ch Reaktion en der von Aktion en Betroffen en wären n ich t ab- sch ätzbar. D as E rgebn is situ ation su n ab- h än gig festgel egter Verh al ten sweisen wä-

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ren pau sch al e, n ich t kon kret begrü n dete E in sch rän ku n gen eigen er H an dl u n gsfäh ig- keit oder dogm atisch e Kriterien u n d Gren - zen der Tätigkeit. D as gil t im m er − n ich t n u r fü r die F rage, wel ch e Mittel an gewen - det werden bzw. , weiter veren gt, wel ch en Grad an Gewal t diese erreich en dü rfen . Je n ach Situ ation kan n seh r viel dafü r spre- ch en , den An griff au f Person en oder sogar au f Sach en fü r u n an gem essen , in h al tsl eer, fal sch e Ziel e verm ittel n d oder zu gefäh rl ich zu verwerfen . E s kan n aber au ch etl ich e Grü n de geben , in an deren Situ ation an - ders zu en tsch eiden . Sch on von dah er kan n dieses Bü ch l ein kein e E n tsch eidu n gs- h il fe fü r ein P ro oder Con tra von Gewal t- freih eit bzw. Mil itan z sein . D en n der gru n d- l egen de Feh l er wü rde dan n n u r wieder- h ol t: Wertu n gen oh n e Wissen u m die La- ge.

D en kbar wäre, al l e viel l eich t irgen dwan n m al gel ten den P u n kte au fzu zäh l en , die fü r oder gegen Gewal tanwen du n g sprech en

− je n ach Situ ation . D as aber sch ein t u n - m ögl ich − es sin d zu viel e. N iem an d ken n t al l e Aspekte, die jem al s irgen dwo au fge- kom m en sin d u n d der Wah l von Aktion sm it- tel n zu gru n del agen . Letztl ich ist al l das au ch egal . D en n h ier geh t es ja u m die F ra- ge, ob die Gewal tfrage so bedeu ten d ist, dass sie zu der oder ein er der gru n dl egen - den F ragen gem ach t wird, an den en sich die Strategie von Aktion en oder Bü n dn is- sen en tsch eidet.

Au s einem I nterview m it dem gesch äftsfü h ren - den Vorstan d der B ewegu ngsstiftu ng, M atth ias Fiedler, in : Die Stiftu n g 2/201 4 (S. 46)

Zu n äch st sol l en die Argu m en te ü berprü ft werden , die diejen igen vorbrin gen , die Gewal t im m er, ü beral l u n d u n abh än gig von den vorgefu n den en Bedin gu n gen u n d son stigen H an dl u n gsm ögl ich keiten au s- sch l ießen wol l en . Al so von den en , die au ch dan n ( wie oft au ch im m er das vor- kom m en m ag) , wen n n ich t an deres m eh r bl iebe al s die Wah l zwisch en Feigh eit ( Wegseh en /Verdrän gen ) u n d Gewal t, die Gewal t abl eh n en wü rden . D ie verm ein tl i- ch e Gewal tfreih eits-I kon e Gan dh i h ätte an dieser Stel l e, wie n och gen au er dargestel l t wird, an ders en tsch ieden .

Arg u m en t pro Gewa l tfrei h ei t, zu m ersten : D er Weg m u ss dem Zi el en tsprech en

„Wir kön n en ein e gewal tfreie Wel t n ich t m it Gewal t erreich en“. D am it wird die For- deru n g n ach gewal tfreier Aktion oft be- grü n det. Gl eich bedeu ten d sin d äh n l ich e Form u l ieru n gen wie „ Kein Zweck h eil igt die Mittel “ oder „Wer gegen Gewal t ist, darf sie n ich t anwen den“.

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Au s „ Gewaltfreie Aktion“, in: „ H ilfreich es fü r Aktive“ zu r Aktion 2008 in B ü ch el

Au s Ralf B u rn icki, „ Die an arch istisch e Kon- sensdemokratie“, Tran skription ein es Videos von O. Ressler (au fgenom men in B ielefeld, Deu tsch lan d, 29 M in . , 2005)

Au s Dreis, Ralf: „ Anarch istisch e B om benle- ger?! “, in: Graswu rzelrevolu tion 3/201 1 (S. 1 7)

D ieses Argu m en t m it der Zweck-Mittel -Re- l ation ( wie au ch im m er gen au form u l iert) kl in gt zu n äch st pl au sibel . Bei n äh erer Be- trach tu n g ist es aber wen ig geh al tvol l . Zu m

ein en feh l t ein e Begrü n du n g der Beh au p- tu n g, dass Weg u n d Ziel ü berein stim m en m ü ssten . Meist wird sie al s sich sel bst be- grü n den des Axiom h in gestel l t, das so gl att rü berkom m t, dass es kein er zu sätzl ich en Begrü n du n g bedarf. D och gen au das ist gefäh rl ich . I m m er wen n im pol itisch en Rau m Sel bstverstän dl ich keiten form u l iert werden , die gedan kl ich en Assoziation en wie „ ja kl ar“, „ ist doch l ogisch“ oder „ weiß doch jede _r“ agieren , l oh n t sich das N ach - den ken . D ie D u rch setzu n g h errsch aftsför- m iger Pol itiken arbeitet gern dam it. Au s em an zipatorisch er Sich t m u ss aber jede strategisch e Position h in terfragbar u n d zu diesem Zweck ü berh au pt erstm al begrü n - det sein . Son st wird sie zu m rein en Be- ken n tn is, al so ein er rel igiösen Ü berzeu - gu n g äh n l ich . I n sofern ist „ D er Zweck h ei- l igt kein e Mittel “ n ich t per se sch on ein Ar- gu m en t.

Zweiten s wü rde die Gl eich sch al tu n g zwi- sch en Strategien im H ier u n d Jetzt m it dem Verh al ten in ein er zu kü n ftigen Gesel l sch aft zu ein er sel tsam en E rstarru n g fü h ren . Takti- sch e, kreative u n d su bversive Mittel wü rden weitgeh en d wegfal l en . E in e h errsch afts- freie Wel t wird vor al l em ein e kom m u n ika- tive sein , al so ein e des Au stau sch s, der Be- gegn u n g, des Streiten s u n d Kl ären s, des Verein baren s u n d Tren n en s. Aber waru m m u ss sch on der h eu tige P rotest au f D ial oge begren zt sein , au ch wen n von den H err- sch en den n iem an d zu h ört? E in Bl ick au f die

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P raxis der Gewal tfreien zeigt, dass sie ( zu m Gl ü ck) ih r Axiom von Weg u n d Ziel sel bst n ich t ern st n eh m en . Sie m ach en h äu - fig Aktion en , die in ih rer U topie n ich t n ötig, passen d oder m ögl ich wären . D ie Gru n d- au ssage, Ziel u n d Mittel m ü ssten im m er im E in kl an g steh en , fü h rt sich n äm l ich sch n el l sel bst ad absu rdu m , wen n sie m it an deren I n h al ten gefü l l t wü rde: D arf U mwel tsch u tz n u r au f u mwel tgerech te Art u n d Weise du rch gesetzt werden? D an n dü rfte es schwierig sein , ü berh au pt n och zu agieren , den n jeder Verbrau ch von Ressou rcen ist ein e U mwel tbeein träch tigu n g. Kan n ein e h errsch aftsfreie Wel t n u r erreich t werden ü ber Stru ktu ren , die h errsch aftsfrei sin d?

D er Wil l e u n d Versu ch dazu sin d du rch au s wich tig, aber ih re vorh erige u n d vol l stän - dige E rfü l l u n g al s Vorau ssetzu n g zu n eh - m en fü r pol itisch e Aktion h ieße, n ich t m eh r agieren zu kön n en , da es etwas Rich tiges im Fal sch en n ie so ein fach geben kan n .

„ D er Zweck h eil igt kein e Mittel “ ist fol gl ich u n erfü l l bar u n d ein fach n u r du m m . D ie Mit- tel m ü ssen zu m Ziel fü h ren ( kön n en ) , wäre die sin nvol l e strategisch e Vorgabe.

Zu m dritten widersprich t, wie sch on gezeigt, ein e dogm atisch e Gewal tfreih eit dem Ru f n ach der An gem essen h eit von Ak- tion en . D abei sol l gar n ich t widersproch en werden , dass das Ziel sich in den Aktion s- form en widerspiegel n m u ss. E m an zipatori- sch e Position en zu verwirkl ich en , ist ü beral l wich tig − in jeder pol itisch en Aktion , in

Gru ppen u n d im Al l tag. D ie Aktion m u ss diesem An spru ch gen ü gen . I h re Verwirkl i- ch u n g aber bereits al s Vorau ssetzu n g ein - zu fordern , m ach t pol itisch h an dl u n gsu n fä- h ig. Letztl ich fordern gewal tfreie Gru ppen das au ch gar n ich t. Sie wol l en al l ein , dass die Gewal tfreih eit al s D ogm a bewertet wird. Al l e an deren Ziel e sin d ih n en au ch deu tl ich m eh r egal .

D abei h at der Bezu g au f ein e Ziel -Mittel - Rel ation gar kein e ein deu tige Au sl egu n g.

E s wäre eben so den kbar, darau s abzu l ei- ten , dass das Mittel dem Ziel en tsprech en m u ss, al so geeign et sein m u ss, das Ziel zu erreich en . D as wäre dan n die Gru n dl ogik em an zipatorisch er Widerstan dsstrategien , bei der Men sch en sel bst den ken , d. h . ei- gen e Abwägu n gen vorn eh m en statt sich ein em D ogm a zu u n terwerfen ( so z. B. im Kon zept von „ D irect Action“, sieh e u n ter www.direct-action .de.vu ) .

Arg u m en te N r. 2 : Gewa l tfrei h ei t i st di e wi rksa m ste Stra teg i e Mit dieser oder äh n l ich form u l ierten Au ssa- gen wird beh au ptet, dass pol itisch e Wir- ku n g du rch Gewal tfreih eit au sgel öst oder verstärkt wird. Al s Beispiel wird oft M.

Gan dh i an gefü h rt, an son sten ist die Liste der ben an n ten Beispiel e eh er ku rz.

Au s Wolfgan g Sternstein (201 3): „ Atom kraft − n ein dan ke! “ (S. 1 66 u n d S. 225f)

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Al l e Lobeshym n en u n d au ch der Bezu g au f

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Gan dh i sch au en n ich t au f die kon kreten h istorisch en U m stän de u n d sich n ich t au to- m atisch wiederh ol en de Vorgän ge ( z. B. die Berich terstattu n g der Massen m edien da- m al s) . Tatsäch l ich sprich t wen ig dafü r, dass

E in zel ereign isse wie der P roteste von Gan dh i u n d sein em U m fel d bel iebig veral l - gem ein erbar sin d. Gewal tfreie Bewegu n - gen werden h eu te eh er m argin al isiert. D as gil t fü r gewal tfreie Gru ppen in D iktatu ren oder Bü rger _in n en kriegsgebieten . D om i- n an t agieren die versch ieden en gewal t- orien tierten Gru ppen ( N ATO, Regieru n g, terroristisch e Gru ppen m it oder oh n e An - bin du n g an Regieru n gen u sw. ) . Äh n l ich es gil t au ch fü r den bewaffn eten Widerstan d in tern ation al , z. B. der Zapatistas in Ch ia- pas, die gegen ü ber n ich tbewaffn eten Au f- stän den wesen tl ich m eh r Au fm erksam keit erh iel ten .

D ie pol itisch en Au sein an dersetzu n gen der l etzten Jah re zeigen jedoch au ch kein e be- son ders gü n stigen Resu l tate fü r veren gt m il i- tan te Kon zepte. Viel m eh r ist erken n bar, dass viel fäl tige Aktion skon zepte die h öch ste Au fm erksam keit u n d Mobil isie- ru n gswirku n g erreich en , wäh ren d sie gl eich zeitig em an zipatorisch en Ch arakter beh al ten . Al l ein die Mobil isieru n g ist h ö- h er, weil sich dan n viel e Men sch en ih ren passen den Bezu g zu r Aktion su ch en . D ie rein m il itan te, aber in h al tsl ose Aktion ( ob im Rah m en viel er Bü rger _in n en kriege oder am 1 . Mai in Berl in ) ist gen au sowen ig ge- eign et, pol itisch e Wirku n g zu erzeu gen u n d wird eh er al s Ran dal e dargestel l t, oh n e pol itisch e Ziel e tran sportieren zu kön - n en .

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B u n dju gen d-H essen -Vorstän dler Adrian im AktivI nfo Febr. /M ärz 2001

Dieter Ru cht im Film „ Gipfelstü rm er u n d Stra- ßenkäm pfer“ (Laika-Verlag, 201 1 )

E in e pau sch al l egal istisch e Argu m en tation ist au s etl ich en Grü n den abwegig.

Rech t u n d die Rech tsordn u n g sin d kein e au s h öh eren Qu el l en stam m en den u n d dam it ü bergeordn et gü l tigen Setzu n gen . Viel - m eh r sin d sie Au sdru ck der pol itisch en Au f- fassu n g derer, die sich du rch zu setzen ver- m och ten . „ D ie Rech tsordn u n g gil t, die sich faktisch Wirksam keit zu sch affen verm ag [ . . . ] Wer Rech t du rch zu setzen verm ag, be- D ri ttes Arg u m en t: Mi t der Ge-

wa l tfrei h ei t drü cken wi r u n - sere dem okra ti sch e/rech ts- kon form e Gesi n n u n g a u s E s sol l h ier n ich t speku l iert werden , ob sol ch e Au ssagen oftm al s au ch ein en fi- n an ztaktisch en H in tergru n d h aben kön - n en , u m z. B. die Kon ten des reich en Bil - du n gsbü rger _in n en tu m s fü r Spen den oder des Staates fü r Förderu n gen zu öffn en . D en n sel bst wen n ein sol ch er Satz ern st gem ein t ist, kom m en ein ige Zweifel au f: Lässt sich du rch ein en Ver- zich t au f bestim m te P rotestform en ein e ideel l e Position au sdrü cken? Was be- deu tet es, wen n diese I deal e sich posi- tiv au f das h errsch en de System ( Rech ts- staat u n d D em okratie) bezieh en? Wird dam it n ich t ju st das abgefeiert, wel ch es die Missstän de produ ziert, gegen den sich der P rotest rich tet?

D a dieses Argu m en t n ich t so h äu fig ge- n an n t wird wie die vorh erigen , seien zu - n äch st ein ige Zitate al s Bel eg an ge- brach t.

Au s Wolfgang H ertle, „ P lädoyer fü r zivilen Ungeh orsam “, in : Frieden sforu m 2/2008 (S. 43)

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weist dam it, daß er Rech t zu setzen beru - fen ist“, form u l ierte es ein er der wich tigsten Rech tsph il osoph en in D eu tsch l an d, Gu stav Radbru ch . Rech t ist al so im m er das Rech t der Stärkeren . D ie l ebten zu dem in der Ver- gan gen h eit, den n die m eisten Gesetze sin d rech t al t. Sich au f ein e sol ch e Rech ts- ordn u n g positiv zu bezieh en u n d eigen e H an dl u n gen diesen zu u n terwerfen , be- deu tet ein e bedin gu n gsl ose Akzeptan z der Gestal tu n gskraft von E l iten im Kaiserreich , im N ation al sozial ism u s u n d in den an deren P h asen deu tsch er Staatl ich keit. D ie U n ter- werfu n g akzeptiert al so gen au die al s Rah - m en setzer des eigen en P rotestes, gegen die sich ( direkt oder in direkt) der P rotest ei- gen tl ich rich tet.

Zu dem wäre ein e al l gem ein e Akzeptan z des Rech ts so pau sch al , dass sie sel bst sol - ch e Gesetze zu r Gru n dl age erkl ärt, die h eu te N ich tdeu tsch e dran gsal ieren , Pol i- zeigewal t l egitim ieren , F rau en u n terdrü - cken u sw. Ja n och sch l im m er: Sel bst sol ch e Gesetze, die im D ritten Reich gesch affen wu rden , u m die Ju den au s der Gesel l - sch aft zu drän gen , u n d n och im m er gel ten , wü rden dan n zu m Leitstern pol itisch en P ro- testes. Wer Rech t prin zipiel l al s H an dl u n gs- gru n dl age setzt, sprich t es h eil ig.

F ü r Gewal tfreie m ach t der Bezu g au f Rech t u n d D em okratie eigen tl ich kein en Sin n . D en n kein e au f der Wel t gü l tige Rech tsord- n u n g u n d kein dem okratisch er Staat spre-

ch en sich gegen Gewal t au s. Viel m eh r tei- l en sie in l egal e u n d n ich t l egal e Gewal t.

Wer ein e Person u m brin gt u n d dabei n ich t al s Sch erge des Staates h an del t, wird ein - gesperrt − n ach aktu el l em Zeitgeist gl eich m eh rere Jah rzeh n te u n d oft m it an sch l ie- ßen der Sich eru n gsverwah ru n g, al so prak- tisch l eben sl an g. Wer h u n dert Men sch en tötet u n d das in U n iform vol l brin gt, erh äl t Orden . Rech t u n d Gewal tfreih eit h aben wen ig m itein an der zu tu n . Sie sin d eh er das Gegen teil , den n Rech t l egitim iert Ge- wal t.

Äh n l ich verh äl t es sich m it der D em okratie.

E s sin d die dem okratisch en Staaten , die große Teil e der E rde per wirtsch aftl ich er Au sbeu tu n g oder sch l ich tem Bom benwer- fen u n terworfen h aben . Fast ein e Mil l iarde h u n gern de Men sch en oder Mil l ion en H u n - gertoter sin d n ich t die Wirku n g u n dem o- kratisch en , son dern dem okratisch en Regie- ru n gsh an del n s. E s ist P ropagan da, dass D em okratie al s Staats- oder Gesel l sch afts- form etwas m it der Sel bstbestim m u n g der Bevöl keru n g zu tu n h ätte. D as ist weder im Begriff n och im Wesen oder in der P raxis der D em okratie so an gel egt. D as wird im positiven Bezu g pol itisch er Aktion en au f die D em okratie ü berseh en . Beson ders ab- su rd wird es, wen n An arch ist _in n en sich au f dem okratisch e P rotestform en festl egen u n d das au ch n och ideol ogisch begrü n den ( E xtra-Seite u n ter www.an arch ie-debatte.

de.vu ) .

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Au s der Ju gen dzeitu n g „ Utopia“, Au sgabe N r. 1 / H erbst 2007

(Down load ü ber www. ju gendzeitu ng. n et)

D ah in ter steh t ein e n aive H errsch aftsan al y- se. D ie Mach t werde gu t, wen n sie dem o- kratisch au sgeü bt wird. Oder eben , sel t- sam syn onym gebrach t: gewal tfrei. D am it wird au sgebl en det, dass in ein er h err- sch aftsförm igen Wel t n ich t n u r die Gewal t m on opol isiert ist, son dern au ch der D isku rs darü ber, was al s Gewal t gil t u n d wel ch e Gewal t l egitim ist. I n P raxis fal l en Gewal t- anwen du n g u n d -in terpratation au ch stets zu sam m en , was das n aive Beken n tn is an die gu te, weil gewal tfreie Mach t ign oriert:

„ Kein Gewal tm on opol , son dern gewal t- freie, sozial e Mach tau s-

ü bu n g“, ph an tasierte 1 995 der gewal tfreie Jan Steh n in sein er rom an ti- sch en An arch iewel t „ E in e Stru ktu r fü r die F reih eit“.

Kom m en wi r zu m 4. Arg u m en t:

Gewa l t & Mi l i ta n z b eei n fl u ssen da s I m a g e pol i ti sch er Akti on en D as ist kau m zu bestreiten . Al l erdin gs gibt es zwei gewich tige Aspekte, die dem Ar- gu m en t sein e Rel evan z n eh m en . D er erste ist, dass Mil itan z oft das öffen tl ich e I n te- resse u n d dam it ein e I m agebil du n g ü ber- h au pt erst sch afft − wen n au ch m eist n ega- tiv. I n ein igen Fäl l en aber kon n te diese öf- fen tl ich e Au fm erksam keit an sch l ießen d fü r ein e in h al tl ich e D ebatte gen u tzt werden . D ass das n ich t h äu figer gesch ieh t, l iegt n ich t an der Gewal tanwen du n g al s sol - ch er, son dern an I n h al tsl osigkeit u n d U n or- gan isierth eit so agieren der Gru ppen . D ie Qu al ität der Mil itan z ist das P robl em ( sieh e n äch stes H au ptkapitel ) . E in e weitere U rsa- ch e bil det die Taten l osigkeit An derer, die öffen tl ich e D ebatten in der Fol ge von Mil i- tan z n ich t fü r die Verm ittl u n g von I n h al ten n u tzen . N u r der P rotest, der dem bü rgerl i- ch en Main stream en tsprich t, kan n au f posi- tives I m age h offen . D och sol l sich pol iti- sch es E n gagem en t dan n au f Atom - u n d Gen tech n ik oder die in h al tsl eeren Forde- ru n gen n ach Gerech tigkeit oder N ach h al - tigkeit besch rän ken? F ü r al l e an deren Th e- m en gil t zu n äch st im m er n u r die Wah l zwi- sch en kein er oder n egativer Au fm erksam - keit. Bei n äh erem H in seh en trü gt dieser Sch ein aber, den n die n egative Reaktion erfol gt au s den Kreisen der H errsch en den u n d von den en , die sich deren D isku rsen

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u n terwerfen . D as ist wen ig ü berrasch en d

− an gesich ts der aktu el l en pol itisch en u n d wirtsch aftl ich en Verh äl tn isse trifft Wider- stan d au f die Abweh r der dort zu r Zeit Mäch tigen . Bis au f ein ige H eißsporn e h a- ben die l än gst gel ern t, dass die wirksam s- ten Waffen gegen P rotest deren Verschwei- gen u n d, fal l s das n ich t reich t, ih re Assim i- l ieru n g ( Tot-l oben oder -fördern ) sin d. D em kan n öffen tl ich e E rregu n g, au ch n egative, en tgegenwirken . D en n och h etzte z. B. der m eist al s „Wissen sch aftl er“ au ftreten de Verban dsfu n ktion är D ieter Ru ch t gegen die Gl obal isieru n gskäm pfe des Jah res 2001 , die im m erh in den Begin n der m assiven P ro- teste au ch in E u ropa darstel l ten u n d Kapita- l ism u skritik au s der Versen ku n g h ol ten , al l es sei „vom Au ftreten gewal ttätiger D em on st- ran ten u n d/oder der Pol izeigewal t ü ber- sch attet“ worden . D em widersprach Mar- ku s Wissen , der den Grü n du n gshype z. B.

u m Attac gerade m it der Mil itan z von Gö- teborg u n d Gen u a begrü n dete: „ D as we- n iger radikal e gl obal isieru n gskritisch e Spektru m wu rde n ich t zu l etzt du rch ein e praktisch geworden e radikal e Kritik in das Wah rn eh m u n gsfel d bü rgerl ich er Öffen t- l ich keit gespü l t.“

D er zweite Aspekt besagt, dass das öffen t- l ich e I m age n ich t das en tsch eiden de Ziel pol itisch er Arbeit darstel l t. D en n dieses m ach t sich an Gru ppen oder Verbän den fest, n ich t an der Aktion sel bst. D as I m age ein er Gl eisdem on tage verän dert sich n äm -

l ich n ich t du rch die D u rch fü h ru n g dersel - ben . D ie dam it tran sportierte Forderu n g z. B. n ach Absch al tu n g der Atom an l agen oder Stopp der Atom m ü l l tran sporte wird n ich t verdeckt. I m ageverl u ste m ü ssen , wen n ü berh au pt, die beteil igten Person en oder Gru ppen in Kau f n eh m en . Sie, n ich t ih re Forderu n gen , l au fen Gefah r, öffen tl ich kritisiert u n d even tu el l diskreditiert zu wer- den . D as kan n bedau erl ich sein . E s kan n aber au ch zeigen , dass N u tzn ießer getrof- fen wu rden − was ja au ch der Zweck war.

I n jedem Fal l eröffn et es Korridore fü r D e- batte. E in positives I m age fü r Gru ppen oder Verbän de h in gegen darf eben so we- n ig Sel bstzweck von pol itisch er Aktion sein wie E h re fü r die Mitwirken den .

H in zu kom m t, dass sch on die Gru n dan n ah - m e, Gewal t/Mil itan z kön n te im agesch ädi- gen d sein , seh r fragwü rdig ist. Wer m ach t I m age? Wen n sich ein e Gru ppe z. B. du rch Mitwirku n g bei An ti-Kriegs- oder An ti-Cas- tor-Aktion en bei den H errsch en den ( Regie- ru n gen , Medien , Kon zern e u sw. ) u n bel iebt m ach t, so wäre das n u r dan n bedau erl ich , wen n die Gru ppe es al s Ziel h at, dort be- l iebt zu sein . D as, n ich t die m il itan te Ak- tion sform , wäre dan n zu h in terfragen . Gewal tfreie Vorden ker aber seh en in der Mil itan z sel bst das P robl em .

Au s Dieter Ru cht: „ Zwisch en Stru ktu rlosigkeit u nd Strategiefäh igkeit − H erau sforderu n gen fü r die globalisieru ngskritisch en B ewegu ngen“, in:

E+ Z − Entwicklu ng u nd Zu sam men arbeit

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2 4

(N r. 1 2, Dezem ber 2001 , S. 358-360)

Au s dem Text „ Attac! Attac?“ von „ fan g“ in Graswu rzelrevolu tion M ärz 2002 (S. 2)

Graswu rzelrevolu tion -Au tor Wolfgan g Stern- stein am 3. 5. 201 1 ü ber den S21 -P rotest

Au s Wolfgan g Sternstein (201 3): „ Atom kraft − n ein dan ke! “ (S. 1 28ff u n d S. 1 90ff)

E in bekan n tes Beispiel fü r die F rage, ob Mi- l itan z an dere P rotestform en beein träch tigt, bot die große G8-Au ftaktdem o am 2. Ju n i 2007 in Rostock. Mach te h ier das − frag- l os ziem l ich strategiel ose u n d bl in dwü tige

− Stein ewerfen ein e an son sten tol l e D em o kapu tt? „ Am 2. Ju n i aben ds h ätten wir P ro- testierer die Fern seh sch irm e der Wel t fü r u n s geh abt. Statt aber ü ber Sch u l den er- l ass, ein e gerech tere N ord/Sü d-Pol itik bei H an del , F in an zen , U mwel t oder Ressou r- cen n u tzu n g zu in form ieren , h aben die Me-

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