Theologen und Mystiker in Huräsän und Transoxanien
Von Bernd Radtke, Basel
Für Richard Grämlich zum sechzigsten Geburtstag
I. Die Fa<}äHl-i Balh
Neben Weltgeschichten wie Tabaris Ta'rih, Ibn al-Atirs Kämil, Ihn al-
öawzfs Muntazam, Dynastiengeschichten wie Ibn Wä^ils Mufarrig al-
kurüb, biografischen Lexika wie §afadis Wäß stellen Stadt- und Lokal¬
geschichten unsere Hauptinformanten der mittelalterlichen islami¬
schen Geschichte. Zu nennen wären etwa für Ägjrpten die Futüh Mi^r
des Ibn 'Abd al-Hakam, für Damaskus der monumentale Ta'rih DimaSq
des Ibn 'Asäkir, fur Bagdad der Ta'rih Bagdäd des Hatib al-Bagdädi. Es
gibt Geschichten der iranischen Landschaften Färs, öurgän, Sistän,
Stadtgeschichten von Naysäbür, Buhärä, Samarqand, Marw und Herat.
Und es existiert auch eine Stadtgeschichte für die bis zur Zerstörung
durch die Mongolen im Jahr 617/1220 große und blühende Stadt Balh:
Die Fadä'il-i Balh (Storey 1/2, 1296; Bregel' 2, 1053f ).
Die beiden topografischen Einleitungskapitel der Chronik wurden
bereits von Ch. Schefer in der Chrestomathie persane ediert (S. 65-103
Text, S. 56-94 Einleitung), das gesamte Werk jedoch erst 1972/1350 §
von 'ÄBD al-Hayy-i HabIbi in den IntiSärät-i bunyäd-i farhang-i Iran.
Es bietet neben den von Schefer veröffentlichten Kapiteln den Haupt¬
teil (S. 56-390) mit den Biografien von siebzig Persönlichkeiten, die in
Balh lebten, starben oder in irgendeiner Verbindung mit der Stadt stan¬
den. Der Aufbau der Fadä'il-i Balh entspricht somit demjenigen des
Ta'rih DimaSq und Ta'rih Bagdäd: nach einer topografischen Einleitung
folgen im Hauptteil Biografien. In unserem Werk sind die Biografien im
Unterschied zu den genannten Stadtchroniken von Bagdad und Damas¬
kus in zeitlicher Reihenfolge, nicht alphabetisch angeordnet.
Der Verfasser nennt sich (4,1) Abü Bakr 'Abdallah b. 'Umar b.
Muhammad b. Däwüd al-Wä'iz Sali ad-din al-Balhi. Er beendete das
Werk wenige Jahre vor der Zerstörung der Stadt im Ramadän 610/
1214, und zwar in arabischer Spreiche. Knapp siebzig Jahre später, im
Jahr 676/1278 wurde die Chronik von 'Abdallah b. Muhammad b. al-
Qäsim al-Husayni ins Persische übersetzt. Diese persische Fassung ist
die allein erhaltene.
II. Die Quellen der Fa<jla'il-i Balh
Ein Wert unserer Chronik besteht darin, daß Wä'iz-i Balhi größten¬
teils unbekannte oder verlorengegangene Quellen benutzte. Er nennt
auf S. 10 die wichtigsten:
1. 'Abdalläh b. Muhammad b. Öa'far al-Öüybäri. Er soll fünf Hefte
(daftar) mit Tabaqät verfaßt haben. Dieser Autor wird von Sahäwi
(Rosenthal: History 463 und Anm. 4) als Abü 'Abdalläh Muhammad
b. öa'far al-öübiyäri al-Warräq zitiert. Er lebte um 300/912.
2. Abü Ishäq al-Mustamli: K. 'ulamä' Balh, in 14 daftar, alphabetisch
geordnet; auch zitiert von Sahäwi (Rosenthal: History 463 und
Anm. 3); zum Autor vgl. Biografie Nr. 52.
3. 'Ali b. Fadl b. Tähir. Verfasser eines vierbändigen Tabaqät-Wer-
kes, das al-Hatib al-Bagdädi im Ta'rih Bagdäd {8, 223, 8 ff.) zitiert; auch
genannt bei Sahäwi (Rosenthal: History 464 f und Anm. 1); starb
323/934-35.
4. Yünus b. Tähir an-Nusajoi al-Balhi: K. al-bah^a. Es handelt, wie S.
319 mitgeteilt wird, über die Schüler {ashäb) Abü Hanifas; auch zitiert
von Sahäwi (Rosenthal: History 464); zum Autor vgl. Biografie
Nr. 53.
5. Nasir ad-din Abü l-Qäsim a§-äahid as-Samarqandi = Muhammad
b. Yüsuf b. 'Ali as-Samarqandi. Er schrieb fünf daftar über berühmte
Baiher. Das Werk existierte noch zur Zeit Sahäwis (Rosenthal:
History 463); der Autor starb 556/1161; vgl. GAL, G I, 381; S I, 733.
Alle diese Quellen sind nicht erhalten.
Weitere Quellen, die im fortlaufenden Text erwähnt werden:
6. Abü Zayd al-Balhi: Manäqib Balh (54,-3); zum Autor vgl. Ef, s. v. ;
Yäqüt: IrSäd 1, 143, 9, wo der Titel: Fadä'il Balh.
7. K. al-hadä'iq li-ahl al-haqä'iq (121,7). Es existiert eine gleichna¬
mige Schrift Ibn al-öawzis; GAL, S I, 918.
8. 'Abbäd b. Katir: K. az-zuhd (135,-1 ff.). Ibn Hagar kennt zwei Per¬
sönlichkeiten dieses Namens: 'Abbäd b. Katir at-Taqafi al-Basri {Tah¬
dib 5, 100, Nr. 169) und 'Abbäd b. Katir ar-Ramli al-Filastirü {Tahdib 5,
102, Nr. 170).
9. K. as-salwa (140,2); auch Salwat al-'ärifin (224,6) oder Salwat a?-
Säbirin (223,8, Verschreibung ?) oder schließlich K. al-'ärifin wa-anis al-
538 Bernd Radtke
muStäqin (283,-1) genannt. Bei Subki lautet der Titel, in dieser Form
von Brockelmann übemommen [GAL, S I, 773): Salwat al-'ärifin wa-
uns al-muAtäqin (Tabaqät aS-Säfi'iyya 3, 76). Der Verfasser heißt Abü
Halaf Muhammad b. 'Abd al-Malik b. Halaf at-Tabari. Er starb 470/
1077. Das Werk bestand aus 22 Kapiteln, von denen das letzte Biogra¬
fien von süfiyya enthielt. Subki hielt es der Risäla QuSayris fiir ebenbür¬
tig, und nur durch diese sei es verdrängt worden. Daher sei es nicht
erstaunlich, wenn er, Subki, nur eine Kopie des Werkes in der A§ra-
fiyya-Bibliothek in Damaskus gefunden habe. Das Werk wurde im Rabi'
II/März 1067 beendet.
10. Abü Layt as-Samarqandi: an-Nawäzil fi l-furil' (151,3); vgl. GAS
1, 447, Nr. 6; vgl. Biografie Nr. 51.
11. Nuzhat al-hätir (176,3); nicht zu identifizieren.
12. Abü Yüsuf al-Qädi: K. al-qa4iyya (177,-2); vielleicht identiseh
mit Adah al-qä4i; vgl. GAS 1, 421.
13. Bayän al-haqq Sihäb ad-din Mahmüd b. Abi 1-Hasan an-Naysä-
büri: öumal al-garä'ib (195,-4); erwähnt KaSf a?-?unün 1, 601 f.; zum
Verfasser vgl. GAL, S I, 733.
14. 'Ah b. Hasan al-Mustamli: K. al-'äfiya (228,-2); der Verfasser ist
nicht zu identifizieren.
15. Abü l-'Abbäs öa'far b. Muhammad an-Nasafi al-Mustagfiri; ad-
Dalä'il al-bayyinät; gemeint ist Dalä'il an-nubuwwa; vgl. GAL, SI, 617;
der Verfasser starb 432/1040; reichliche biografische Angaben bei Ibn
Abi 1-Wafä': Öawähir 2, 19, Nr. 406.
16. Abü Bakr al-Färisi: 'Uyünal-masä'il; erwähntheiZiRiKL.!; A'läm
I, 110; der Verfasser starb 305/917.
III. Die 7 0 Biografien der Fada'il-i Balh
Es folgen Inhaltsangaben der siebzig Biografien. Da der Herausgeber
zahlreiche Parallelquellen in den Anmerkungen aufführt, wird auf deren
Wiederholung verzichtet. Nur neuere oder dem Herausgeber unbe¬
kannte Ausgaben und westliche Literatur werden hinzugefügt.
1. Rümän al-Balhi (56-61); ein ?nawlä des Profeten; seine Herkunft
aus Balh scheint fraglich; vgl. Safadi: Wäfi 15, 285, Nr. 405.
2. Dahhäk b. Muzähim (62-71); GAS 1, 29f ; er soll in Balh gestor¬
ben sein — entweder 100/718-9 oder 105/723; bekannter Korankom¬
mentator und Traditionarier.
3. Sa'id al-Maqbari (69-71); vgl. Wäfi 15, 250, Nr. 354; gest. 123/
740-1 oder 126/743-4; Traditionarier.
4. 'Atä' b. Abi s-Sä'ib (71-73); gest. 136/753-4; Traditionarier.
5. Muqätil b. flayyän (73-82); vgl. GAS 1, 36; Traditionarier und
Korankommentator. Er floh vor Abü Muslim nach Kabul und ist in Gar¬
dez bei Gazna begraben, wo sein Grab noch im 13. Jh. berühmt war
(74,-5). Er starb 135, nach anderen 150/767. Als Schüler von Abü
Hanifa (75,6) war er Gouvemeur (wäli) von Balh (75,-2) und qääi von
Samarqand (78,8). Schon sein Vater soll Gouvemeur von Samarqand
gewesen sein (77,-6). Mit den Omayyaden stand er sich gut und pflegte
vertrauten Umgang mit 'Umar b. 'Abd al-'Aziz (76,2 ff.). Er solf dem
Haggäg b. Yüsuf von Sa'id b. öubayrs Versteck in Isfahan berichtet
haben (77,-5) (zu Sa'id b. Öubayr vgl. GAS 1, 28 f.; Wäfi 15, 206,
Nr. 287; Hilyat al-awliyä' 4, 272ff.; Ahbär Isbahän 1, 324f.; as-Sayed:
Die Revolte des Ibn al-AS'at 352 f.).
6. 'Atä' b. 'Abdalläh al-Huräsäni (82-85); vgl. GAS 1, 33; gest. 135/
757; Traditionarier und Korankommentator.
7. Al-Mutawakkü b. Humrän al-Qädi (85-89); gest. 141/758-9 in
Balh als Sahid (85,6). Er soll aus Kirmän stammen (86,1) und schon von
Qutayba b. Sa'id zum qädi von Balh und Cagäniyän ernannt worden
sein. Zusammen mit den Einwohnern von Balh stellte sich Mutawakkil
dem Abü Muslim entgegen und wurde geschlagen (vgl. hierzu Made¬
lung: Early Murji'a 38, Anm. 25). Daraufhin versteckte er sich zusam¬
men mit anderen Notablen (86,3 ff.). Auch nach einer Amnestie (86,7 ff.)
und der Wiedereinsetzung Mutawakkils als qädi blieb sein Verhältnis zu
den Machthabem gespannt, was schließlich zum gewaltsamen Tode
Mutawakkils führte (87,1 ff.).
8. Muqätil b. Sulaymän (89-93); GAS 1, 36 f; gest. 150/767 oder
158/774-5; vgl. auch Nwyia: Exegese2M.\ bekannter Korankommen-
tator.
9. Ibrähim b. Adham (93-118); gest. 161/177-8; vgl. EI'-, s.v. Der
berühmte Asket und Mystiker. Er soll während der Mekkawallfahrt sei¬
ner Eltern geboren sein (94,1 ff.) (Dasselbe wird von Ibn Karräm berich¬
tet; vgl. van Ess: Ungenützte Texte 30; es könnte sich um einen Topos
handeln). Sein Vater soll gäzi, mugähid, zähid, 'äbid (religiosus) und
muräbit (zu muräbif/ribät vgl. Meier: Almoraviden 81 ff.) gewesen sein;
sein Name wird als Adham b. Mansür b. Yazid b. Gäbir al-'Igli angege¬
ben. Ibrähim ist demnach rein arabischer Abstammung. Er verkehrte
mit 'Abdallah b. al-Mubärak, Awzä'i und Sufyän at-Tawri (100,2ff.),
auch soll er Zugang zum Kalifen Mandür gehabt haben (116,5 ff.). Nach
Ägjrpten reiste er, um den Traditionarier Riädin b. Sa'd zu treffen
(109,-4).
10. Ya'qüb al-Qäri' (118-124); gest. 163/779-80; wird in anderen
540 Bernd Radtke
biografischen Nachschlagewerken nicht erwähnt. Er war faqih und zä¬
hid, kannte Sufyän at-Tawri. Als Quelle wird das K. al-hadä'iq li-ahl al-
haqä'iq (Quelle Nr. 7) angegeben (121,7).
11. 'Umarb. Majmiün ar-Rammäh (124-129); gest. 171/787-8; vgl.
öawähir 2, 672, Nr. 1077; Halm: Ausbreitung 74. Er war qädi von Balh
nach Mutawakkil b. Humrän (Nr. 7) (124,6). Mit Öahm b. Safwän (zu
ihm vgl. EP, s.v.; van Ess: I>irär b. 'Amr279) disputierte er über die
Gottesschau im Paradies [ru'ya], die öahm bestritt. Abü Hanifa
schätzte Ibn ar-Rammäh außerordentlich (126,10).
12. Saqiq al-Balhi (129-142); gest. 194/809-10 (so der Text zu ver¬
bessern) in Külän zwischen Wäägird und Huttalän als Glaubenskämp¬
fer (zu WäSgird vgl. Barthold: Turkestan 71; auch Meieb: Ausspra¬
chefragen 102); vgl. auch Nwyia: Exegese 213 ff. Sein Grab wurde im
Jahr 588/1192 vom Verfasser besucht und als in hohem Ansehen unter
der ansässigen Bevölkerung stehend befunden (130,2 ff.). — Saqiq hatte
zusammen mit Abü Yüsuf al-Qädi Unterricht bei Abü Hanifa (131,4ff.).
Er war Schüler von Ibrähim b. Adham (Nr. 9) (135,6) und Lehrer von
Hätim al-A^amm (132, -7f) (Nr. 19). Quelle für Saqiq ist Salwat al-'äri¬
fin (Quelle Nr. 9) (140,2). Von 'Abbäd b. Katir hat er ein K. az-zuhd
(Quelle Nr. 8) erhalten (135,-1 f). Die Regeln des mystischen Pfades
will er von den Gotterkennem gelemt haben (ädäb-i tariqat-rä az ahl-i
ma'rifat giriftam) (zur Bedeutung von ma'rifa vgl. hier IV, Exkurs).
13. Abü Mu'äd Hälid (Text Härit) b. Sulaymän; 142-146; gest. im
Muharram 199/814. Er war Schüler von Abü Hanifa (143,11.), gleichal¬
trig mit Abü Yüsuf al-Qädi, Abü Muti' (Nr. 14) und Saqiq al-Balhi (Nr.
12) (143,2f ). — Auch Abü Mu'äd geriet mit den Machthabem in Kon¬
flikt: Zur Zeit des Abbasidenstatthalters 'Ali b. 'Isä b. Mähän (145,1 fi".)
soll Abü Muhammad al-A'ma§ qädi von Balh gewesen sein und die Mei¬
nung vertreten haben, su^üd und rukü' gehörten nicht zum Ritualgebet
(145,2). Abü Mu'äd erklärte die Lehre für A;M/r( 145,3). Daraufhin wurde
er nach körperlichen Mißhandlungen aus Balh vertrieben. Er wandte
sich nach Tirmid, wo er vom qädi 'Abd al-'Aziz b. Hälid zuerst freundlich
aufgenommen wurde, dann aber mit diesem zusammen nach SäS und
Fargäna flüchten mußte (145,-2 ff.). Hier sollen die beiden an die
100000 Heiden zum Islam bekehrt haben (146,1). Nachdem Abü Muti'
(Nr. 14) zum qätjli von Balh ernannt worden war, mußte A'maä fliehen
und Abü Mu'äd und 'Abd al-'Aziz konnten zurückkehren (146,2 ff.). —
Wenn der bekannte Abü Muhammad al-A'maä gemeint ist (zu ihm vgl.
Wäfi 15, 429, Nr. 583; van Ess: Zwischen Hadit 9 ff.), kann der Bericht
in dieser Form nicht stimmen, denn A'maS starb 148/765, während 'Ali
b. 'Isä erst von 180/796 an Gouverneur von Huräsän war (Tabari:
Annaleslll, 645). Das Bild der Tradition über A'maä schwankt (Dahabi:
Mizän 2, 224, Nr. 3517; Ibn Hagar: Tahdib 4, 222, Nr. 376). Neben Un¬
Zuverlässigkeit als Traditionarier werden ihm schütische Neigungen
nachgesagt {Tahdib 4, 223). Daß er qädi von Balh war, sagen die Quel¬
len nicht. — 'Ali b. 'Isä wurde gegen den Rat des Barmakiden Yahyä b.
Hälid zum Gouvemeur von Balh emannt (Tabari: Annales III, 702). Er
residierte in Marw (ibid. 647) und Balh (ibid. 708) und wurde nach hefti¬
gen Klagen der Bevölkemng 191/807 abgesetzt (ibid. 713 ff.), nach
Bagdäd gebracht und gefangengehalten.
14. Abü Muti' al-Hakam b. 'Abdalläh al-Qädi (146-154); gest. 204/
819-20 oder 197/812-13; vgl. GAS 1, 414; Halm: Ausbreitung 74;
Tärih Bagdäd 8, 223-25; van Ess: Pirär 2, 24. Er war Schüler Abü
Hanifas (147,1 ff.). Spätere (Dahabi: Mizän 1, 574, Nr. 2181; al-Hatib
al-Bagdädi) nennen ihn einen Öahmiten, der die Endlichkeit des Para¬
dieses gelehrt haben soll. Al-Hatib al-Bagdädis Quelle ist 'Ali b. Fadl b.
Tähir (Quelle Nr. 3). Wä'iz-i Balhi hat als Quelle für Abü Muti' u. a. das
K. an-Nawäzil {QueUe Nr. 10) benutzt (151,3; 153,-3). -Abü Muti'hin¬
terließ drei Söhne und acht Töchter (152, 7ff.). Seine älteste Tochter
war mit al-Qäsim b. Zurayq (Nr. 20) verheiratet, eine andere Tochter
mit dem wäli von Täliqän. — Der Emennung Ma'müns zum Thronfolger
stand Abü Muti' anscheinend ablehnend gegenüber (149,7 ff. = Ta'rih
Bagdäd 8, 224, 3fr.).
15. Wusaym (Wasim) b. Öamü at-Taqafi (154-156); gest. 182/798.
Er gehörte zu den Frommen {'ubbäd) (154,5) (zum Terminus vgl.
Meier: Der mystische Weg 117) und war Onkel des Traditionariers
Qutayba b. Sa'id (Nr. 30).
16. Salm b. Sälim (156-160); gest. 174/790-91 in Mekka (156,-1);
nach Safadi: Wäfi 15, 300, Nr. 419 erst 194/809-10, was wahrscheinli¬
cher ist; vgl. auch öawähir 2, 232, Nr. 621. Salm war ein religiosus, der
sich gegen die Ungerechtigkeit der Machthaber wandte (157,-5 ff.). Er
wurde vom Statthalter 'Ali b. 'Isä (s. hier Nr. 13) bei Härün ar-Raäid
verklagt und in Bagdäd eingekerkert. Eine andere Version besagt, daß
er während seines Aufenthaltes in Bagdäd gefangengesetzt wurde, weil
er Härün schmähte ( Ta'rih Bagdäd 9, 141, 14). Erst nach dem Tode Hä¬
rüns wurde er von dessen Gattin Zubayda und dem neuen Kalifen Amin
freigelassen. — Ibn Sa'd nennt Salm einen Murgi'iten (zur Bedeutung
von murji'a in dieser Zeit vgl. Madelung: Early Murji'a 32 ff.) und
unzuverlässigen {da'ifi Traditionarier (Tabaqät 7, 2, 106). Von Salm
überlieferte u.a. der Vater Hakim Tirmidis, 'Ali at-Tirmidi {H T 14).
17. 'Umar b. Härün al-Balhi (160-162); gest. 196/811-12; vgl.
Dahabi: Mizän 3, 228, Nr. 6233; dort als da'if eingeschätzt. Von ihm
37 ZDMG 136/3
542 Bernd Radtke
überlieferte auch Qutayba b. Sa'id (Nr. 30). Mit der Murgi'a von Balh
stand er schlecht (Tärih Bagdäd 11, 189, 6). Hatib Bagdädi benutzte
Quelle Nr. 3, 'Ali b. al-Fadl, die ilim von Ahmad b. Qäg al-Warräq ver¬
mittelt worden war.
18. 'Abdalläh b. 'Umar b. Mäymün ar-Rammäh (162-165); gest.
197/812-13 als qädi in Naysäbür; vgl. Halm: Ausbreitung 67; Bul¬
liet: Patricians 256, Nr. 6; auch öawähir2, 319, Nr. 715. Er war Sohn
von 'Umar b. Mäymün ar-Rammäh (Nr. 11). Nach dem Tode von Abü
Muti' (Nr. 14), d.h. wohl nach 197/812-13, nachdem Saddäd b. Hakim
(Hukaym) (Nr. 22) aus dem Richteramt von Balh geflohen war, wurde
er zusammen mit Halaf b. Ayyüb (Nr. 21) und einem Yüsuf b. Wäqid zu
Ma'mün nach Marw bestellt (162, 7ff.) und zum qä4iemannt (164,3 ff.).
19. gätim al-Asamm (165-177); gest. 237/857-58 in Wäägird in
einem ribät. Sein Grabmal wurde 588/1192 vom Verfasser Wä'iz-i Balhi
(166, 4ff.) besucht. Hätim wird Asket (zähid), 'älim und hakim genannt
(166,1 f.). Er war Schüler von Saqiq al-Balhi (Nr. 12) und Lehrer von
Ahmad b. Hidröya (Nr. 29). In Bagdäd traf er Ahmad b. Hanbai
(174,8ff.; vgl. Tärih Bagdädi, 242, 3f.). Quelle für Hätim ist neben der
Risäla QuSayris (169,3) Quelle Nr. 11, Nuzhat al-hätir (176,3).
20. Al-Qäsim b. Zurayq (177-178); gest. 201/820-21; vgl. Öawähir
2, 170, Nr. 562. Er war Schwiegersohn von Abü Muti' (Nr. 14).
21. Halafb. Ayyüb (178-185); gest. Anfang Ramadän 205/820-21 in
Balh, 69-jährig (179, lf.); Öawähir2, 170, Nr. 562. Er war Schüler des
Abü-Hanifa-Schülers Muhammad a§-Saybäni (180,1); Abü Yüsuf al-
Qädi soll über ihn gesagt haben: in marde ast ki 'ilm-i mä-rä bi Huräsän
ihyä kunad (180,8). Halaf sollte zum qädi emannt werden, lehnte es
aber ab, wurde eingekerkert und starb (184,8) (vgl. Nr. 18 und die
Audienz bei Ma'mün). Der Sohn Halafs, Sa'id b. Halaf, war zeitweilig
g'ä(;ii von Buhärä (185,2 ff.); vgl. Halm: Ausbreitung 105; Naräahi: Ta'rih
Buhärä 5/transl. Frye 5, Not. 9.
22. Saddäd b. Hakim (185-195); vgl. auch£rT12. Saddäd wurde für
sechs Monate qädi von Balh und floh dann aus dem Amt (vgl. Nr. 18). Er
starb 89-jährig 214/829. — Saddäd lehnte das öffentliche Zurschaustel-
len von Askese und Frömmigkeit ab: 'älim dunän mastür bäyad ki heö kas
bar 'ibädat-i way niuttali' nagardad tä än häs$ mar-hudäy-rä näß' buwad
(188,-1). In Bagdäd, wohin er geflohen war, hatte er Umgang mit dem
Abü-Haiüfa-Schüler Zufar (192, -4fr.). Ahmad b. Hanbai äußerte sich
über Halafb. Ayyüb (Nr. 21) und Saddäd sehr freundlich: ra^ulän qad
i^tama'a 'alayhimä ahi küratihimä bi ß-sidq wa ßsaläh. — Saddäd war
u. a. Gewährsmann von 'Ali at-Tirmidi, dem Vater des Hakim Tirmidi
(H T 12).
23. 'I?äm b. Yüsuf (196-201); gest. 215/830; vgl. auch Öawähir 2,
527, Nr. 934. T§äm war außerordentlich reich und freigebig (197,-5).
Sein Sohn Abü Muhammad 'Ubayd b. 'Isäm wurde nach Ahmad b.
Mudrik wäli von Balh (einen Traditionarier dieses Namens kannte
Hakim Tirmidi; vgl. H T 21) (196,4f.). 'Isäm soll noch Schüler Abü
Hanifas gewesen sein (198, 6ff.).
24. Makki b. Ibrähim (202-206); gest. 215/830; vgl. H T 13; er war
Gewährsmann von 'Ali at-Tirmidi; Ta'rih Bagdäd 13, 115, Nr. 7098.
Ahmad b. Hanbai äußerte sich sehr lobend über den sidq Makkis
(202,5 ff.). Makki selbst sagte, er habe durch sidq und ihläs 'ilm gefun¬
den (206,5ff.). Er war u.a. Schüler des A'maä (vgl. Nr. 13). Er hatte
zwei gelehrte Söhne, Hasan und Ya'qüb, Hasan einen Sohn Muhammad,
Makki einen Bruder Ismä'il (203,1-3; vgl. Ta'rih Bagdäd 13, 116, 20).
25. Sihäb b. Ma'mar (206-208); gest. 216 (so wohl statt 296 zu
le8en)/831-32; vgl. Ibn Hagar: Tahdib 4, 368, Nr. 624.
26. Layt b. Musäfir (208-210); gest. 224/838-9 oder 226/840-1;
vgl. Öawähir2, 731, Nr. 1133. Layt war der 11. gä(?i von Balh (208,-6).
In diesem Zusammenhang gibt der Autor eine Liste der qädis von Balh
bis auf Layt, die unsere bisherige Kenntnis erweitert (vgl. Halm: Aus¬
breitung 74).
Die Liste (208,-3): 1. Härit b. Sry't (?). -2. Hiläl b. Hassän. -3. Sulay¬
män b. Biär, der Vater von Muqätil b. Sulaymän (Nr. 8.). — 4. Na^r b.
MuSäris. — 5. Mutawakkil b. Humrän (Nr. 7). — 6. 'Umar b. Mäymün ar-
Rammäh (Nr. 11). - 7. Abü Muhammad al-A'ma§ (vgl. Nr. 13). - 8. Abü
Muti' (Nr. 14). - 9. Saddäd b. gakim (Nr. 22). - 10. 'AbdaUäh b. 'Umar
b. Mäymün ar-Rammäh (Nr. 18), der auch qädi von Naysäbür war. —
11. Layt b. Musäfir (Nr. 26).
Halm bringt von den genannten elf nur zwei (Nr. 6 und 8). Eine wei¬
tere gä(ii-Liste von Balh, die diese fortsetzt, befand sich im Ta'rih Balh
des Na^ir ad-din-i Samarqandi (Quelle Nr. 5).
Layt trat in der mihna vom Amt zurück (210,2fr.), mit der Begrün¬
dung: har Ici da'wä kunad ki qur'än mahlüq ast käfir ba-hudäy. Nach Layt
gab es fiir lange Zeit in Balh keine qädis mehr, sondern nur noch ashäb
al-mazälim (209,2 f).
27. Abü Sulaymän Müsä b. Sulaymän al-öüzgäni (210-214); vgl.
auch GAS\, 433. Abü Sulaymän war Vermittler der Schriften Saybänis
von Bagdäd nach Huräsän (211,1 f). Er bezeichnete Biär al-Marisi (zu
ihm Ef^, s.v.; van Ess: Dirär b. 'AmrSOff.) als murtadd (213, -5f), da
Biär die Erschaffenheit des Korans vertrat. — Der Verfasser Wä'iz-i
Balhi besuchte im Jahr 582/1186-87 das Grabmal des Abü Sulaymän
in Färyäb in öüzgänän (213,2 ff.).
37*
544 Bernd Radtke
28. Ibrähim b. Yüsuf (214-19); gest. 239/853-54 oder 241/855-56;
vgl. Öawähir 1, 119, Nr. 62. Er war Bruder von Nr. 23, 'I§äm b. Yüsuf.
Er war Schüler von Abü Yüsuf al-Qädi. Ahmad b. Harb, der berühmte
Asket von Naysäbür (gest. 234/848) und Lehrer Ibn Karräms (zu ihm
vgl. Massignon: Essai 259; van Ess: Ungenützte Texte 32; Chabbi:
Mouvements 30, 33) schätzte Ibrähim sehr (216,2 f.). Er lobte die ribä{.e
von Wäägird und Isfigäb (215,6) (zu Isfigäb vgl. Barthold: Turicestan
175-178). Scharf verurteilte Ibrähim diejenigen, die bezüglich der
Erschaffenheit oder Unerschaffenheit des Korans eine abwartende,
unentschiedene Haltung einnahmen: awgafahum Alläh 'alä ^isr ^ahan-
nam laysaß l-qur'än vjaqj (215,1 f ) (zur Wäqifiyya vgl. van Ess: Dirär
2,18). — Sein Sohn, Abü Nasr Yüsuf b. Ibrähim b. Yüsuf war ein berühm¬
ter 'älim; er starb 303/915-6. — Eine Geschichte über Ibrähim stammt
aus den Fawä'id des Abü Bakr al-Warräq at-Tirmidi (hier Nr. 40)
(218,-4fr.).
29. Ahmad b. Hidröya (219-230); gest. 240/854-5. Er war Schüler
des Hätim al-Asamm (Nr. 19) und hörte von Sälih b. 'Abdallah at-Tir¬
midi dessen Tafsir (zu Sälih b. 'Abdalläh vgl. HT21, Nr. 141). Quelle
für Ahmad ist u.a. (220,1) Abü Nu'ayms Hilyat al-awliyä' (dort 10,
42 ff.). Er wurde von Abü Haf§ al-Haddäd (Sulami: Tabaqät 103,6; zu
ihm vgl. H T 86) sehr geschätzt (220,-6ff ). Sein Schüler war u.a.
Muhammad b. Hämid at-Tirmidi (221,-5) (Sulami: Tabaqät 280.5:
laqiya l-maSäyih bi-Balh mitl Ahmad h. Hidröya). Ahmads Grabmal in
Balh war zur Zeit des Autors berühmt (222,1 ff) und wurde im 5./
11. Jh. vom Lehrer Gazälis, dem Imäm al-haramayn öuwayni dafür
gepriesen, daß es die Erhörung von Bittgebeten bewirke (222,3 ff.). —
Alimad empfahl den sidq (Quelle Hilya 10, 42, llf, von Sulami, aber
nicht in den Tabaqät) . — Eine weitere Quejle für die Vita Ahmads ist
Salwat al-'ärißn (Quelle Nr. 9) (223,8; 224,6). Dort wird auch berichtet,
daß Ahmad mit Ahmad b. Harb zusammentraf (vgl. Nr. 28). — Ahmads
Frau, Umm 'Ali, war die Tochter des Mälik b. Sälih, seine Mutter die
Tochter des Hasan b. 'Imrän, der Gouvemeur von Huräsän war (rücht
zu identifizieren; vgl. Hilya 10, 42, 5f ). Umm 'Ali hörte von Sälih b.
'Abdalläh at-Tirmidi dessen K. at-tafsir. Sie verkaufte ihre Ländereien
für 79 000 Dirham und zog nach Mekka. Dort blieb sie sieben Jahre: dar
^ami'-i 'ulüm mähir Sud wa ahädit istimä' kard, und kehrte dann naeh
Balh zurück. — Eine andere Frau Ahmads wird gelehrte Asketin
genannt {hakima) (226,-2 f).
Abü Bakr al-Warräq (Nr. 40), Schüler Ahmads, berichtet, daß Ahmad
den mystischen Pfad in zehn Stufen einteilte, von denen fiinf durch
menschliche Anstrengung, die anderen fünf durch göttliche Gnade zu
erlangen seien (227, -3fT.). Die fünf menschlichen sind: tawba, nafy al-
manähi wa l-malähi, zuhd, hüm, ihtimäl al-adä wa-zahmat al-agyär
(228,1 ff.), die fünf Begnadungen: minna, §ukr, amäna, mahahba, waiati:
wa än gäyat-i dara^ät ast wa har Ici dar mahabbat wälih Sud hama az mah¬
büb andeSad. — Hakim Tirmidi, der vielleicht Schüler Ahmads war
(vgl. H T 36), teilte den mystischen Pfad in sieben Stufen ein {H T
83).
Eine weitere Quelle fiir Ahmad ist das K. al-'äfiya des 'Ali b. Hasan
al-Mustamli (Quelle Nr. 14), der berichtet, daß Ahmad heftigen Verfol¬
gungen ausgesetzt war (230,1 ff.).
30. Qutayba b. Sa'id (230-239); gest. 240/854-5; berühmter Tradi¬
tionarier (vgl. H T26, Nr. 132). Quelle für Qutayba ist Abü Ishäq al-
Mustamli (238,1) (Quelle Nr. 2 und hier Nr. 52).
31. Muhammad b. al-Qädi Abi Muti' (239-244); gest. 244/258-9. Er
war Sohn von Nr. 14 und Gewährsmann von Hakim Tirmidi (H T24,
Nr. 96).
32. Muhammad b. Abän (244-246); gest. 244/858-9; Gewährsmann
von Hakim Tirmidi (H T2^, Nr. 95). Er befahl, nach seinem Tod alle
seine Bücher in den Oxus zu werfen (245,4f ). Dasselbe soll Hakim Tir¬
midi schon zu Lebzeiten getan haben {H T 154, Anm. 234).
33. Muhammad b. Mälik b. Bakr (246-248); gest. 244/258-9. Däwüd
b. 'Abbäs al-Bänigüri, damals Tähiridenstatthalter von Balh (vgl. H T
34) sprach über diesen faqih das Totengebet (246,7). — Muhammad war
ein großer Herr mit 3000 Mannen Gefolgschaft (246,8 ff.). Sein Vater
Mälik war Schüler Abü Hanifas (247,-5).
34. Ahmad b. Ya'qüb b. Marwän (249-250); gest. 247/861-2 als 84-
jähriger; vgl. auch öawähir 1, 356, Nr. 284. Man begrub ihn nachts
(249,6).
35. Muhammad b. 'Abdallah b. 'Isä b. Ibrähim, bekannt als Muham¬
mad b. Farruh. Er gehörte zu den Asketen und Frommen (zuhhäd wa
'ubbäd) ; 250-252; gest. 275/888-9. Er soll Schüler von Fudayl b. 'Iyäd
gewesen sein (251,2 f).
36. Muhammad b. al-Fudayl al-'Äbid (252-257); gest. 261/874-5. Er
war mit den qädi-Fa,mi\ien Balhs verwandt: Seine Großmutter Amina,
die Mutter seines Vaters al-Fudayl b. Sahl, war Tochter des 'Abdallah b.
Humrän, eines Bruders von Mutawakkil b. Qumrän (Nr. 7). Die Schwe¬
ster seines Vaters, 'Ätika bt. Sahl, war Frau des Abü Muti' (Nr. 14)
(255,-4 ff.). Muhammad selbst war Schüler von 'I^äm b. Yüsuf (Nr. 23)
(256,-5).
37. Nasr (Nusayr) b. Yahyä al-Balhi (257-259); gest. 268/881. Er
war ein asketischer 'älim. Er will nie unerlaubt vom Beischlaf geträumt
546 Bebnd Radtke
haben (257,-5 f.). Dasselbe behauptet von sich sein Altersgenosse Ela-
kim Tirmidi (H T 144, Anm. 76).
38. Abü Bakr b. Sädän (259); gest. 267/880. Traditionarier.
39. Muhammad b. Salama (259-261); gest. 78-jährig 278/891-2
oder 279/892-3. Traditionarier.
40. Abü Bakr al-Warräq Muhammad b. 'Umar at-Tirmidi (261-273).
Erlebte in Balh in der köy-i 'Iyäd (262,1). Als erin Balh erkrankte, trug
man ihn nach Tirmid. Er starb unterwegs in Siyähgird zwischen Ballj
und Tirmid (zu Siyähgird vgl. Barthold: Turkestan 76) im Jahr 294/
906-7. Sein Grabmal in Tirmid wurde im 6./12. Jh. sehr verehrt. Der
Verfasser Wä'i?-i Balhi besuchte es wiederholt (262, 6ff.) (vgl. Meier:
Alm Sa'id 201). Auch in der Freitagsmoschee von Balh wurde sein
Andenken gepflegt: ö-rä dar mas^id-i gämi'-i Balh §äy-i mu'ayyan ast
wa mihräbe mu'tabar ast dar gäyat-i Suhrat. (262, -6ff.). Als Schüler
Ahmad b. Hidröyas war Abü Bakr al-Warräq ein frommer hakim
(262,2f ). Er verfaßte zahlreiche Schriften (262,-5f.; vgl. Sulami: Taba¬
qät 221,6). Neben den bereits erwähnten Fawä'id (vgl. hier Nr. 28)
nennt Wä'iz-i Balhi neun weitere Titel von Werken Abü Bakrs: 1. K. al-
'älim wa l-muta'allim (262,-5 f.); vgl. GASl, 646. - 2. K. al-ihläs (262,- 1); daraus Zitate 271,-4 ff. - 3. K. al-hurüf {262,-1). - 4:. K. al-'itq wa l-
fikäk (263,1). - 5. K. ad-dara^ät (263,1). - 6. K. al-'ahd (263,1). -
7. K. as-ßafä' (263,1). - 8. K. al-'u^b (263,2). - 9. K. hidmat al-bätin
(263,2).
Ein Abü l-'Alä' al-Hamadäni wünschte vom Verfasser Bücher des Abü
Bakr zu erwerben. Wä'iz-i Balhi war jedoch nicht bereit, sich von ihnen
zu trennen (263,4). Abü Bakrs Schriften waren auch im Iraq sehr ver¬
breitet (263,-2f.).
41. Muhammad b. Muhammad b. Saläm al-Faqih al-Balhi (273-278);
gest. 305/917-8. Quelle für Muhammad ist Nuzhat al-hätir (Quelle
Nr. 11). Im 6./12. Jh. war das Grabmal Muhammads ein vielbesuchter
Wallfahrtsort (276,1 ff.).
42. Muhammad b. 'Aqil b. al-Azhar al-Balhi (279-280); gest. 316/
928-9). Ein Traditionarier, der folgende Werke verfaßte: 1. K. assahih.
— 2. K. ad-daqä'iq wa-Samä'il assälihin (279,6 f.).
Sein Bruder Ahmad b. 'Aqil b. al-Azhar war ebenfalls Traditionarier
(279, -2f); er starb im selben Jahr wie Muhammad.
43. Muhammad b. al-Fadl al-Balhi (280-288); gest. 319/931 in
Samarqand, nachdem er aus Balh vertrieben worden war. Er gehörte
zum Schülerkreis des Ahmad b. Hidröya (283,2), verkehrte auch mit
den Naysäbürer Mystikern wie Abü 'Utmän al-Hiri (283, 9ff.; vgl. H T
86, Anm. 287). Quellen für seine Biografie sind Salwat al-'ärifin (283,-
1 ff.) (Quelle Nr. 9) und ad-Dalä'il al-bayyinät (286,-2 f.) des Abü l-'Ab¬
bäs al-Mustagfiri (Quelle Nr. 15).
44. Abü l-Qäsim as-gafiar al-Balhi (288-291); gest. 326/937-8; vgl.
Öawähir 1, 200, Nr. 141. Faqih.
45. Muhammad b. Sa'id, Abü Bakr (291-294); gest. 328/939-40. Er
war Lehrer von Abü öa'far al-Hinduwäni (Nr. 49) (292,11.). Er hatte
Auseinandersetzungen mit dem Sohn des Sämänidenwezirs Abü t-
Tayyib, Hasan b. Abi t-Tayyib al-Mus'abi (293,5ff.). In diesem Zusam¬
menhang wird Abü t-Tayyib als Qarmate bezeichnet (294,1; zu ihm vgl.
Babthold: TurkeMan 245).
46. Muhammad b. 'Ali b. Tarhän (295); gest. 333/944-5. Traditionarier.
47. Muhammad b. Ahmad al-Iskäf (296); gest. 333/944-5. Faqih.
48. 'Ali b. Ahmad b. Müsä b. Marwän al-Färisi (297-299); gest. 335/
946-7.
49. Abü Öa'far al-Hinduwäni (299-310); gest. 362/972-3 in Buhärä
duch Gift (299,5f ). Von ihm überlieferte Abü l-Lajrt as-Samarqandi
(hier Nr. 51) (302,3f ). - Abü Öa'far sagte über Koran 1/7: „den Weg
derer, denen Du Gnade erwiesen hast" : 'Das ist der Weg Muhammads
und seiner beiden Gefährten {har do yär-i ö) Abü Bakr und 'Umar'
(302,4). Hier scheint noch einmal im 4./10. Jh. die alte murgi'itische
Auffassung durch, die nur Abü Bakr und 'Umar akzeptierte, das Urteil
über 'Utmän, 'Ali und andere Profetengenossen jedoch „aufschob" (vgl.
dazu Madelung: Early Murji'a 32).
50. Abü l-Qäsim b. Abi Bakr b. Abi Sa'id (310-311); gest. 370/980-1
56-jährig. Von ihm überheferte Yünus b. Tähir (Nr. 53) (310,-1 f).
51. Abü 1-Layt Na^rb. Muhammad as-Samarqandi (311-316); gest.
376/986-7; vgl. GAS 1, 445. Er war Schüler von Abü Öa'far al-Hindu¬
wäni (Nr. 49) (313,8ff.).
Eine Liste seiner Schriften (312, -3ff.): 1. K. al-mabsüt. — 2. K. al-^ä-
mi'ayn. — 3. K. az-ziyädät. — 4. Muhtalif ar-riwäya {GAS 1, 447). —
5. Kutub tafsir {GAS 1, 445). - 6. Tanbih al-gäfilin {GAS 1, 449). -
7. Bustän al-'ärißn {GAS 1, 449). - 8. Sifärat al-fiqh {GASl,U6 = Hizä¬
nat al-fiqM). — 9. K. ru'üs al-masä'il {GASl, 447 = 'Uyün al-masä'il ß l-
furü't.).
52. Abü Ishäq al-Mustamh (316-319); gest. 376/986-7; vgl. Vorwort
des Herausgebers S. 29 ff. Er ist der Verfasser von Quelle Nr. 2: wa ö
mu^annif-i kitäb al-kabir ast dar dikr-i 'ulamä'-i Balh wa än dahärdah
daftar ast (318,1). Abü Ishäq scheint schütische Neigungen gehabt zu
haben (318, -5ff.).
53. Yünus b. Tähir an-Na^iri (an-Nusayri) (319-322); gest. 411/
1020; vgl. Öawähir (H) 2, 236, Nr. 737. Dort lautet der Name, aus
548 Bernd Radtke
Sam'äni: Ansäb übemommen: al-IJayyü'i; bei Bulliet: Patricians 52:
an-Nadri al-Khiwi. — Yünus war der erste, der den Titel Sayh al-isläm in
Balh tmg (319,-1) (zum Titel vgl. Els.y.; Bulliet: Patricians 51-58),
Er verfaßte das K. al-bah^a „dar dikr-i ashäb-iAbü Hanifa" (319, -3f.)
(Quelle Nr. 4). Mahmüd von Gazna wandte sich wegen Rechtsgutachten
an Yünus (320,4-322,2).
54. Muhammad b. al-Fadl b. Ahmad (323-325); gest. 413/1022-23;
vgl. öawähir (H) 2, III, Nr. 332. Er war bekannt unter seiner kunya
Abü Bakr b. Amirak ar-Rawwäs al-Balhi (323,5 f.). Er versah eine Zeit¬
lang das qädi-Amt in Balh (323,-1) und schrieb einen großen Tafsirmit
dem Titel: Kitäb al-kabir al-mabsüt al-murü^ (sie) bi-^amV al-'ulüm
(324,3 ff.). Weitere Werke (324,-5 ff.): \.K. karämat al-mu'min (Hadit).
— 2. K. ad-diyäna „dar taqrir-i madhab-i sunnat wa jamä'at" für Mah¬
müd von Gazna. Ibn Abi l-Wafa' nennt dieses Buch: K. al-i'tiqäd fi 'ti-
qäd ahi as-sunna wa l-^amä'a.
55. 'Abd ar-Rahim b. 'Abdalläh b. Ahmad as-Sayrafi (325-326); gest.
454/1062. Er war iayA al-islämnnd qädi l-qudät (325,-5). Zur Funktion
eines qädi l-qudät vgl. Halm: Ausbreitung 30. Der Titel qädi l-qudät
taucht hier zum erstenmal auf. Quelle der Biografie ist Na^ir ad-din-i
Samarqandi (326,1) (= Quelle Nr. 5).
56. Hasan b. 'Ali b. Muhammad al-Wahäi (326-330); gest. 471/
1078-9. Er war qädi l-qudät (326,-2), verfaßte ein K. al-amäli (erwähnt
KaSf az-zunün 1, 163). Ibn Hagar (Lisän2, 241 f, Nr. 1013) berichtet,
daß Nizäm ul-mulk dem Hasan in Balh eine madrasa zum hadit-\]ntev-
richt baute. Das wäre dann wohl die erste Nizämiyya überhaupt gewe¬
sen (vgl. Halm: Ausbreitung 73; über die Gründung von Ni?ämiyyät,
auch in Balh, vgl. Subki: Tabaqät2, 137) — Hasan wurde von Tekiä, dem
Bmder MalikSähs, zu Grabe getragen (327,2 ff.). Tekiä erhielt Balh 466/
1073-4 von seinem Bmder zu Lehen (Ibn al-Atir: Kämil 10, 92). —
Hasan war mustamli von Abü Nu'aym al-Isbahäiü (328, 4f.). Quelle für
seine Vita ist Abü l-Qäsim as-Samarqandi (329,3 ff.) (= Quelle Nr. 5).
57. Abü Bakr al-Iskäfi (330-332); gest. 475/1082-3. Er war qädi l-
qudät (330,-3) und entstammte einer großen Famüie (331,2); verfaßte
Amäli (331,6).
58. Halil b. Ahmad as-Sigzi (332-335); gest. 481/1088-9; vgl. Öawä¬
hir 2, 177, Nr. 567. Er war qädi l-quMt (332,-4). Seinetwegen wurde der
Säh von Gazna um Erlaubnis für den Bau einer madrasa gebeten
(333,4 ff.), die zur Zeit des Verfassers noch bestand und Madrasa-i hali-
liyya hieß (333,7). Der Verfasser erwähnt nur die Gründung dieser
hanafitischen madrasa, nicht die in Nr. 56 behandelte schafiitische. —
Welcher Gaznawide hier gemeint ist, bleibt unklar.
59. Muhammad b. Abi Sahl as-Sarahsi (335-343); gest. 481/1082-3;
vgl. GAL, G 1, 373; S I, 638.
60. Al-Husayn al-Mahmüdi (343-345); gest. 506/1112-3. Er war
qädi l-qu4ät (343,-8). Die Familie Mahmüdi stammte aus Täliqän
(343,-4). Es gab drei Brüder: Husayn (Nr. 60), Hasan und 'Umar (vgl.
Anhang des Herausgebers 394 f.). Alle drei waren qä^i.
61. Muhammad b. 'Umar b. 'Ah an-Naggär ad-Darir (346-348); gest.
511/1117-8. Erwar Schüler von Nr. 56, 57 und 58, hat viel geschrieben
(347,3). Titel seiner Bücher (347,4f.): 1. K. as-äamma fi l-ußül. - 2. K.
da'wat al-hind; er hatte Transoxaiuen und Indien bereist (347,6).
62. Muhammad b. Abi Muhammad b. Abi l-Qäsim b. Abi 1-Qasir al-
Balhi (348-349); gest. 511/1117-8. Er war Sayh al-isläm und qädi'l-
qudät (348,3). Seine Familie stammte von Muhallab b. Abi Sufra ab
(348,-7fr.).
63. Muhammad b. Muhammad b. al-Hasan a2-2äli (349-351); gest.
517/1123. Er war Sayh al-isläm (349,-3). Der Verfasser der Quelle Nr.
5, Abü l-Qäsim as-Samarqandi, kannte ihn persönlich (349,-1 f.).
64. Al-Hasan b. 'Ali b. Abi t-Tälib al-Husayni, Saraf ad-din (351-
353); gest. 532/1137-8. Er war Alide (351,-5); er baute am Friedhof
von Balh eine Moschee, die nach ihm Mas^id-i Saraf ud-din hieß
(351,9).
65. Muhammad b. al-Husayn b. 'Ali al-Qalänisi (353-354); gest. 535/
1I40-I. Er war Sayh al-isläm (353,-1).
66. 'Utmän b. 'Umar al-Gaznawi (354-356); gest. 536/1141-2. Er
war faqih, Grammatiker und Lexikograf (355,5).
67. Muhammad b. al-Husayn al-Husajmi (356-358); gest. 537/1142-
3. Quelle für seine Vita ist Quelle Nr. 5 (356,-4). — Die Familie stammte
von Abü 'Abdallah al-A'rag, einem Enkel 'Ali b. Abi Tälibs, ab (356,-
1 f.). Muhammad war ra'is von Balh. (357,6). Dieses Amt wird hier zum
ersten und einzigen Mal erwähnt. Einer seiner Söhne, Ni?äm ud-din
Muhammad, war ra'is von Huräsän und Adelsmarschall der Aliden
(357,I2ff.).
68. Muhammad b. al-Mu'ta§im al-Margäni (358-362); gest. 572/
1176-7. Ein frommer 'älim.
69. Muhammad b. 'Abdalläh b. Nasr al-Bastämi (363-370); gest.
562/1166-7. Traditionarier.
70. Muhammad b. Ahmad b. Ibrähim az-Zähid al-Balhi (370-386);
gest. 584/1188-89, 84-jährig. Der Verfasser ist sein Schüler (371,-8).
Er wurde zur Zeit des Guzz-Einfalls nach Tirmid verschleppt (372,2 ff.),
von wo aus Balh damals regiert wurde. Dort suchte Muhammad in
gefährlichen Situationen das Grabmal des Hakim Tirmidi auf (376,4ff.).
550 Bernd Radtke
Das zeigt, daß bereits vor dem timuridischen Bau ein Grabmal Tirmidis
in Tirmid bestand (vgl. H T 15).
Bei der Auswertung des Materials ist zu berücksichtigen, daß Wä'iz-i
Balhi eine Auswahl aus Quellen getroffen hat, deren Umfang wir nicht
kennen, der jedoch im Vergleich zu demjenigen unserer Schrift
beträchtlich gewesen sein muß. Unsere Schlüsse müssen daher oft
etwas Willkürliches an sich haben.
Zunächst ist festzustellen, daß nur fuqahä', 'ulamä', qu(jlät und
Fromme erwähnt werden, es fehlen politische Persönlichkeiten (Für¬
sten, Statthalter), aber auch Dichter, udabä', Philosophen, Ärzte,
Naturwissenschaftler. Fast alle genannten Persönlichkeiten gehören
zudem dem hanafitischen madhab an, andere madahib werden gar nicht
zur Kenntms genommen. Unsere Chronik ist daher eigentlich nicht als
Stadtchronik, sondem als Chronik des hanafitischen madhab in Balh zu
bezeichnen (bei Hafsi: Recherches II, llff. zu ergänzen).
Trotz dieser Einseitigkeit unserer Quelle können einige Beobachtun¬
gen zum politischen Status und zur Ämtergeschichte der Stadt gemacht
werden. Balh war anscheinend in der ausgehenden Omayyadenzeit Sitz
eines Gouverneurs (Nr. 5). In der frühen Abbasidenzeit hören wir von
einem Gouverneur, der Balh neben Marw zu seinem Sitz machte (Nr.
13). Er unterstand offenbar direkt der Zentrale Bagdäd. Für das 3./
9. Jh. werden die Namen von drei Gouvemeuren genannt: Ahmad b.
Mudrik, 'Ubayd b. 'Isäm (Nr. 23) sowie Däwüd b. 'Abbäs al-Bänigüri
(Nr. 33) als Statthalter der Tähiriden. Er floh vor dem Saffäriden Ya'¬
qüb b. Layt, der 258/871 Balh eroberte {Tärih-i Sistän 216 f.). Für die
Sämäniden- und Gaznawidenzeit werden keine Gouverneure genannt.
In der Salgüqenzeit war Balh Sitz eines Prinzen (Nr. 56). Für das 6./12.
Jh. ist das Amt eines ra'is der Stadt bezeugt, das von einem Aliden ver¬
sehen wurde (Nr. 67).
Mit der Gaznawidenzeit treten zwei neue Ämter auf: Das des qädi l-
qudät (Nr. 55, 56, 57, 58, 60, 62) und des Sayh al-isläm (Nr. 53, 55, 62,
63, 65). Zuweilen (Nr. 55 und 62) sind also beide Ämter in einer Hand
vereinigt.
Das Verhältnis der fuqahä', qudät und 'ubbäd zu den Machthabem
erscheint oft gespannt, vor allem in der frühen Abbasidenzeit (Nr. 7,13,
14, 16, 18, 21, 22, 26). Ein Beispiel aus der Sämänidenzeit (Nr. 45)
spricht ebenfalls von Unstimmigkeiten zwischen 'ulamä' und Machtha¬
bem. In der Gaznawiden- und Salgüqenzeit tritt eine Ändemng ein
(Nr. 53, 54, 56): Baiher 'ulamä' sind Hoftheologen Mahmüds von Gazna
und werden von Salgüqenprinzen verehrt.
Die Quellen für das 2. und 3./8. und 9. Jh. sprechen von verwandt¬
schaftlichen Beziehungen unter den 'ulamä': Nr. 20 ist mit der Tochter
von Nr. 14 verheiratet; Nr. 15 ist Onkel von Nr. 30; Nr. 18 ist Sohn von
Nr. 11; Nr. 23 und 28 sind Brüder; die Tochter des Bruders von Nr. 7 ist
Großmutter von Nr. 36; die Frau von Nr. 14 Tante von Nr. 36, der somit
auch mit Nr. 20 verwandt ist. — Für die folgenden Jahrhunderte fehlen
Angaben über Verwandtschaftsverhältnisse.
Fast alle qädis und 'ulamä' der frühen Abbasidenzeit waren entweder
direkte Schüler Abü Hanifas (Nr. 11, 12, 13, 14, 23 (fraglich), Vater von
33) oder seiner Schüler Saybäni, Abü Yüsuf und Zufar: Nr. 21, 22, 27.
Balh spielte somit eine zentrale Rolle bei der Ausbreitung des hanafiti¬
schen madhab im Osten (vgl. dazu Madelung: Early Murji'a 32 ff.).
Zwei Persönlichkeiten des 2./8. Jhs. werden mit Sufyän at-Tawri im
Zusammenhang genannt (Nr. 9, 10). Im 3./9. Jh. scheint Ahmad b.
Hanbai für die Baiher die wichtigste Autorität in Bagdäd gewesen zu
sein (Nr. 19, 22, 24).
In Balh selbst können folgende Schüler-Lehrer-Beziehungen festge¬
stellt werden: Nr. 36 ist Schüler von Nr. 23; Nr. 45 Lehrer von Nr. 49;
Nr. 49 Lehrer von Nr. 5 1 ; Nr. 50 Lehrer von Nr. 53; Nr. 56,57,58 waren
Lehrer von Nr. 60.
Einige Mitglieder der Baiher gä<ii-Familien haben auch in anderen
Städten richterliche Funktion ausgeübt: Nr. 18 war qädi in Naysäbür,
der Sohn von Nr. 21 qädi in Buhärä, Nr. 45 ebenfalls. Kontakte nach
Naysäbür hatten auch Nr. 28 und 29.
IV. Exkurs: Welche Bedeutung haben hikma/hakim nnd
'ilm al-bätin in der Mystik des 3./9. Jhs.?
Balh war bis zum Anfang des 4./10. Jhs. ein Zentrum islamischer
Mystik. Ibrähim b. Adham, Saqiq al-Balhi, Hätim al-Asamm, Ahmad b.
Hidröya, Abü Bakr al-Warräq und Muhammad b. al-Fadl (Nr. 9, 12, 19,
29, 40, 43) stammten aus Balh oder lebten und wirkten in dieser Stadt.
Manche von ihnen waren, wie Ahmad b. Hidröya, mit der Oberschicht
der Stadt verwandt und verschwägert.
Alle genannten Mystiker erscheinen in den biografischen Werken
und Handbüchern sowohl des 4./10. und 5. /II. Jhs. als auch der späte¬
ren Zeit als süf iyya. In unserer Quelle kommen jedoch das Wort süßund
seine Ableitungen nicht vor. Hier heißen die genannten Persönlichkei¬
ten entweder hakim oder 'äbid. Nun ist die Darstellung islamischer
Mystik in den Handbüchern aus vielen Quellen zusammengeflossen.
552 Bernd Radtke
und nur eine davon bildete die Hurasäner und transoxanische Mystik,
in der eher von hukamä' als von süfiyya gesprochen wurde. Im 4./10. Jh.
hatte sich jedoch süfi/ta$awivuf als allgemeine Bezeichnung für Mysti¬
ker/Mystik durchgesetzt, und so wird die spätere Umbenennung der
Baiher Mystiker verständlich.
In der Nachbarstadt von Balh wirkte im 3./9. Jh. ein hakim, Abü 'Ab¬
dalläh Muhammad b. 'Ali al-Hakim at-Tirmidi. Auch er wurde im 4./
10. Jh. unter die süfiyya aufgenommen, wenn auch von manchen Auto¬
ren nur zögernd {H T9i{.). Hakim Timüdi stand in enger Verbindung
mit Balh. Er soll Schüler des Ahmad b. Hidröya gewesen sein (H Til ^
36), Baiher Hanafiten waren seine und seines Vaters Äadii-Gewährs-
leute (H T30; hier 542 f.) und Muhammad b. al-Fadl, der letzte hakim
von Balh (Nr. 43), stand mit ihm in Briefwechsel [H T 86; llOff.).
Annemarie Schimmel schheßt aus Tirmidis Laqab hakim, daß er
ein Vertreter neuplatonisch-gnostisch beeinflußter Mystik war (Mysti¬
cal Dimensions 56 f.). Es könnte nun naheliegen, auch in den Baiher
hukamä' Vertreter einer von hellenistisch-neuplatonischen Lehren
beeinflußten Mystik zu sehen, und so müßten wir dann fiir Balh und Tir¬
mid eine Schule neuplatonischer Mystiker annehmen, deren Anfänge
womöglich in die zweite Hälfte des 2./8. Jhs. zurückreichen würde, da
Saqiq al-Balhi, der Lehrer des ältesten hakim Hätim al-A^amm, schon
810 starb.
Auch der in der ersten Hälfte des 3./9. Jhs. im Westen, in Syrien und
Ägypten wirkende Dü n-Nün trägt den Laqab hakim (zuerst bei Mas'üdi :
Mum(j 2, 88, § 812). Dü n-Nün soll alchimistische Schriften verfaßt
haben (GAS 4, 273; Ullmann: Naturwissenschaften 196f) und der
erste gewesen sein, der von der ma'rifa sprach. Ma'rifa übersetzt man
gemeinhin als Gnosis und meint damit eine Art der Erkenntnis, die jen¬
seits der Grenze der gewöhnlichen liegt. So wären im Falle des Dü n-
Nün Laqab und Lehre Beweis dafür, daß die islamische Mystik im 3./
9. Jh. von gnostisch-antiken Vorstellungen ausging.
Gnostisch-neuplatonische Abhängigkeiten der islamischen Mystik
konstatierte auch Suzanne Diwald: Philosophie 23. Sie erklärt, daß
diese längst erwiesen seien, bleibt jedoch den Beleg dafür schuldig.
Ebensowenig wird die von ihr behauptete terminologische Verwandt¬
schaft zwischen dem System der Ihwän a§-§afa' und des frühen tasaw¬
umf (Philosophie 20) quellenkritisch diskutiert. Man wartet im Text
größtenteils vergeblich auf die Nennung sufischer Autoren und Handbü¬
cher.
Die Verwandtschaft zwischen dem System Färäbis und der Ihwän a?-
9afa' einerseits und der Mystik Hakim Tirmidis andererseits wollten
Yves Marquet und 'Abd al-Fattäh Barakät erweisen'. Marquet
bietet ein Referat des BARAKÄT'schen Werkes, stellenweise auch Kri¬
tik und Erweiterung. Die Arbeit dieser beiden Autoren kann dennoch
ebensowenig wie diejenigen von Husayni und Gheyoushi^ als Grund¬
lage einer Bewertung und geistesgeschichtlichen Einordnung der Tirmi-
dischen Mystik dienen. Von Marquets Aufsatz kann sogar behauptet
werden, daß fast jeder Satz, vom Titel bis zur letzten Seite, anfechtbar
ist. Schon der Titel enthält eine unsinnige Fragestellung, denn die
Mystik Tirmidis wird mit der Philosophie Färäbis und derjenigen der
Ihwän a§-§afa' verglichen, die beide in die 1. Hälfte des 4./10. Jhs. zu
datieren sind. Tirmidi ist jedoch, wie von mir in H T38 gezeigt, höchst¬
wahrscheinlich um 820 geboren und im 1. Jahrzehnt des 10. Jhs. gestor¬
ben. Sein Wirken fällt somit in die 2. Hälfte des 3./9. Jhs. Der Neupla¬
tonismus seiner Zeit — so der Titel Marquets — hätte also wohl in den
Werken des Abü Ya'qüb al-Kindi oder seines Schülers Ahmad b. at-
Tayyib as-Sarahsi gesucht werden müssen, besser noch in den sog. Plo¬
tiniana arabica, und nicht bei Färäbi und den Ihwän as-safa'. Die von
Marquet konstatierten „analogies frappantes" (Neoplatonisme 1, 263)
zwischen dem Werk Tirmidis und der Lehre der Ihwän as-safa' scheinen
mir das Ergebnis „freier" Assoziationen zu sein. Als Beispiel sei Neopla¬
tonisme 2, 178f genannt, wo das Tirmidische 'ilm al-bä(in (s.u.) als eso¬
terisches Wissen (science Esoterique) verstanden wird — dies sei ja auch
eine „idee chere aux Ihwän as-safa'" — und so wäre Tirmidi dann in die
Nähe ismä'iiitisch-fatimidischer Kreise gerückt^. Es sei hier daraufhin¬
gewiesen, daß der andalusische Mystiker Ibn Masarra (gest. 319/931)
ebenfalls durch eine Fehlinterpretation des Begriffes 'ilm al-bäfinm den
Geruch schiitisch-fatimidischer Parteinahme gelangte*.
Wie konnte es nun zu dem Verständnis von „hakim" als einem in hel-
lenistisch-neuplatorüscher Tradition ausgebildeten Philosophen kom¬
men? Annemarie Schimmel übernahm diese Auffassung von Massi¬
gnon: Essai 286; an anderer Stelle (Halladsch 26) nennt sie Tirmidi
einen philosophisch in die Dinge eindringenden Geist. Der eigentliche
Grund liegt wohl in dem Hauptanwendungsgebiet des Wortes: Die in
den biografischen Nachschlagewerken von Bayhaqi, Qifti und Ibn Abi
' Vgl. hier V, Bibliografie.
^ Vgl. hier V, Bibliografie.
^ Zur verfehlten Darstellung des Verhältnisses von früher Ismä'üiyya und Ih¬
wän a§-9afä' durch Marquet vgl. Halm: Kosmologie 138.
■* Dazu das Nötigste bei Stern: Ibn Masarra 326; noch G. Hourani: Secular Sciences 146 f stellt diesen Zusammenhang her.
554 Bernd Radtke
U§aybi'a genannten hukamä' sind in griechischer Philosophie und
Naturlehre ausgebildet worden — so, um nur ein Beispiel zu nennen, der
Philosoph Yahyä b. 'Adi (gest. 364/974), der Tahdib al-ahläq 67,3 als
hakim bezeichnet wird.
Ist der gleiche Schluß im Falle Hakim Tirmidis und somit auch der
anderen hukamä' von Balh erlaubt? Zeigt die islamische Mystik des 3./
9. und 4./10. Jhs. ein neuplatonisches Gepräge? War der islamisch-ara¬
bische Neuplatonismus Tirmidi und anderen zeitgenössischen Mysti¬
kern bekannt?
Zu Beginn des folgenden Abschnittes seien einige vielleicht selbstver¬
ständliche, jedoch oft nicht beachtete Feststellungen getroffen:
Mystik ist, wenn sie sich in der Sprache äußert, wie die Naturwissen¬
schaft auf Erfahrungen gegründet. Diese beschreibt Wahrnehmungen
der Sinne und stellt rationale Beziehungen zwischen ihnen fest. Die
Mystik beschreibt Erfahrungen der Seele und versucht diese zu erklä¬
ren. Daß solche Erfährungen dem Alltagsbewußtsein nicht gegenwärtig
sind, besagt nichts über ihre Wirklichkeit. Mystische Erfahrungen, see¬
lische Erlebnisse können sich ebenso wie die Sinneserfahrungen ver¬
ändern: sie können weiter, enger, schärfer, verschwommen werden.
Auch das Vermögen, mystische Erlebnisse durch die Sprache in das
Bewußtsein zu heben, wechselt. In der Sprache ist der Mystiker abhän¬
gig von der Tradition der Kultur, in der er lebt — wie übrigens der Natur¬
wissenschaftler auch. Die als mystisch bezeichneten seelischen Erfah¬
rungen und Wahmehmungen bilden die subjektive Wirklichkeit jedes
Mystikers. Seine Begriffe gewinnt der Mystiker, wenn er seine Erfah¬
mngen sprachlich zum Ausdmck bringt, d.h. zu einer Wissenschaft
macht, jedoch aus der Kultur seiner Zeit.
Daß es in der islamischen Kultur mystische Erfahmngen gegeben
hat, müssen wir als gegeben hinnehmen. Erklämngsbedürftig ist jedoch
die mystische Wissenschaft.
Als erstes wäre nun zu fragen, welches Begriffsystem einem islami¬
schen Mystiker des 3./9. Jhs. zur Verfügung stand, um mystische
Erfahmng wissenschaftlich zu erfassen. Die Antwort fiele leicht, wenn
man genaue Kenntnis über Bildungsgang, Lehrer, Schüler, Freunde
usw. der jeweüigen Mystiker besäße, wenn man wüßte, welche Bücher
ihm zur Verfügung standen; aber in den wenigsten Fällen erfährt man
Einzelheiten. Einer dieser wenigen Fälle ist Hakim Tirmidi. Durch
seine Autobiografie wissen wir, welche Art von Ausbildung er genoß
und durch die große Zahl seiner erhaltenen Schriften kennen wir seine
Lehre.
Tirmidis Ausbildung war diejenige eines 'älim, eines faqih und muhad-
dit (H T l). Seine Lehre sei hier kurz anhand zweier Themen, der Kos¬
mologie und Anthropologie, dargestellt.
Die Kosmologie Tirmidis ist diejenige, die von Anton Keinen als
„islamische" dargestellt und beschrieben wurde (Heinen: Cosmology
76 ff.): Die erschaffene Welt erstreckt sich vom Gottesthron über die
sieben Himmel und die sieben Erden zum Weltfisch, auf dem die Erde
ruht (H T ßl; Tirmidi: 'Ilin al-awliyä' 117,13ff.). Die Quellen dieses
Systems sind in Hadit und Ta.fsir zu suchen. Auch der Universalhistori¬
ker Tabari und seine Imitatoren (Ibn al-Atir, Ibn Katir) verwendeten
dieses Weltmodell (Tabari: Annales I, 29, 7ff.). Es erfuhr eine systema¬
tische Darstellung in den sog. Kutub al-'azama (Heinen: Cosmology
37 ff.). Mit diesem kosmologischen Modell war ein System der Naturer¬
klärung verbunden, das ich fantastisch-rational nenne (s.u.).
Neben der islamischen Kosmologie und Naturerklärung waren seit
den Übersetzungen des 2.-3./8.-9. Jhs. auch die entsprechenden anti¬
ken Modelle und Methoden in der islamischen Welt bekannt. Davon
findet sich in den Schriften Tirmidi jedoch keinerlei Spur. Die Über¬
setzungshteratur war ihm also nicht bekannt — ebensowenig wie seinem
Zeitgenossen Tabari.
Ansätze einer Synthese von islamischer und antiker Kosmologie fin¬
den sich dagegen bei dem in der 1. Hälfte des 4./10. Jhs. schreibenden Welthistoriker Mas'üdi (Murü^ 1, 31 f., § 34 ff.); sie ist vollständig ent¬
wickelt im Bad' wa t-ta'rih des Mutahhar b. Tähir al-Maqdisi'"'. Maqdisi
stellt beide Kosmologien und Naturwissenschaften nebeneinander. Er
schöpft aus der islamischen Tradition und kennt die Übersetzung der
Placita philosophorum (Daiber: Aetius 80 ff.).
Auch in der Anthropologie folgt Tirmidi der islamischen Tradition,
wenn auch diffuse Einflüsse antiker Lehren festzustellen sind, die sich
jedoch nie zu einer systematischen Übernahme ganzer
Systeme verdichten. Es lassen sich in den unter seinem Namen tra¬
dierten Schriften vier anthropologische Systeme nachweisen, die übri¬
gens bei Barakat/Marquet nicht voneinander geschieden werden.
Zwei dieser Systeme erscheinen aber jeweils nur in einer einzigen
Schrift. Ich möchte behaupten, daß diese beiden Schriften entweder Tir¬
midi untergeschoben — wie Farq — oder — wie Gawr — spätere Überar¬
beitungen sind". Das K. al-Ha^^, in dem das vierte anthropologische
System geschildert wird, habe ich inH bereits als wohl nicht von
Tirmidi stammend bezeichnet.
^ Näheres darüber wird man in meiner größeren Sehrift über das Weltbild der islamischen Universalhistoriker finden.
" Damit modifiziere ich meine If T 70i. geäußerte Theorie.
556 Bernd Radtke
Tirmidis authentisciies System läßt sich aus der islamischen
mystisch-theologischen Tradition verstehen (jy 7'63ff.): Zentral ist hier
der Gegensatz von Seele (nafs) und Herz (qalb). Die Seele hat ihren Sitz
im Unterleib und versucht von dort aus, das im Herzen schlummernde
Licht der ma'rifa an seiner Wirkung auf den Menschen zu hindem. Vom
Haupt wirkt die Vemunft ('aql) auf das Herz ein und unterstützt dort
das Wirksamwerden (Bewußtwerden) der ma'rifa. Dieses System erin¬
nert zwar an die platonische Dreiteilung der Seelenkräfte, ist aber nicht
das gleiche. Manche Äußemngen Tirmidis über die Seele zeigen zwar
Spuren aristotelischer oder stoischer Lehren (HTl 50), jedoch kann
von einer systematischen Übernahme nicht gesprochen
werden.
Ma'rifa, gemeinhin mit Gnosis, höhere Erkenntnis, übersetzt, ist für
Tirmidi eine Urbekanntschaft, ein ursprüngliches Wissen von Gott, das
jedem Menschen verliehen wurde — als Synonyme für ma'rifa gebraucht
er imän (Glaube) und 'ilm (Wissen). Der Gedanke einer dem Menschen
angeborenen ursprünglichen Kenntnis von Gott entstammt der islami¬
schen Theologie (van Ess: Ici 161) und geht vielleicht auf christliche
Vorbilder zurück (Seale: Theology 18; van Ess: Anfänge 242). Diese
islamische Lehre wird von Tirmidi mit der gnostisch-antiken Vorstel¬
lung eines in der Staubnatur des Menschen schlummemden Lichtes ver¬
bunden. Die Bewußtwerdung des göttlichen Lichtes wird in einem seeli¬
schen Äkt durch die Vemunft bewirkt (Radtke: Der Mystiker 246 L).
Unbekannt ist Tirmidi die gnostisch-antike Vorstellung, daß der gött¬
liche Wesenskem im Menschen durch den geistigen Kosmos aufsteigt,
um sich mit der Gottheit zu vereinen.
Wie auf dem Gebiet der Kosmologie vollzieht sich die Synthese von
islamischer und antiker Anthropologie erst in der zweiten Hälfte des 4./
10. Jhs. Sie ist nicht etwa bei Färäbi oder den Ihwän a§-safa' festzustel¬
len — schon aus diesem Grund ist der Vergleich, den Barakät/Mar-
quet anstellen, absurd — sondern in den Schriften des Abü Hayyän at-
Tawhidi. Während noch die Handbücher des tasawwuf aus der 2. Hälf-
tes des 4./10. Jhs. (Sarräg, Kaläbädi, Abü Tälib al-Makki, Sulami) tra¬
ditionelle Theologie, Anthropologie und Kosmologie lehren, herrscht in
den Schriften Tawhidis, eines Schülers des Philosophen Abü Sulaymän
as-Sigistäni al-Mantiqi, bereits ein anderer Geist. Tawhidi kennt die
sufische Tradition des 3./9. Jhs., war auch persönlich mit .süfiyya
bekannt (Imta' 3, 91,-5ff.), ist aber auch mit der philosophischen
Anthropologie vertraut; das zeigt Imtä' 3, 112 f. Auch der Philosoph
'Amin (gest. 381/991; GAL I, 213), der zu den Bekannten Tawhidis
zählte, verfaßte ein Buch über den tasawvmf (Imtä' 3, 94,-2 f).
Ihre endgültige Synthese fand islamisehe und antike Anthropologie im Ihyä' Gazälis, dort vor allem im dritten Teil, K. 'a^äib al-qalb. Gazäli
stand also mit seinem Bemühen, Mystik in ein Begriffssystem zu fassen,
in einer mehrhundertjährigen Tradition'.
Kehren wir zu unserer Frage naeh der Bedeutung von hakim/hikma im
3./9. Jh. zurück. Aus den beiden gewählten Beispielen ist hervorgegan¬
gen, daß bei Tinnidi von einem neuplatonischen Begriffssystem, sieht
man von sporadischen Einzelheiten ab, nicht gesprochen werden kann
— und wie wir meinen, auch rücht bei Dü n-Nün. Damit fällt die Existenz
einer Schule gnostisch-helleiüstischer Mystiker in Balh und Tirmid im
3./9. Jh. dahin.
Wenn nun weder Tirmidi noch Dü n-Nün als Philosophen betrachtet
werden können, stellt sich die Frage, welche andere Bedeutung der
Begriff hakim im 3./9. Jh. gehabt haben könnte.
Wenden wir uns zunächst wieder Tirmidi zu: Er unterscheidet drei
Arten der Offenbarung des göttlichen Wesens: Gott offenbart sich durch
das Gesetz, d. h. durch die Profeten, er offenbart sich durch die Schöp¬
fung und er offenbart sich durch die märifa. Diesen drei Offenbarungs¬
arten entsprechen drei Arten von menschlichen Wissensmöglichkei-
ten^
Erstens kann man von Gottes Gesetzesoffenbarung wissen. Dann ist
man ein 'älim bi l-haläl wa l-haräm, verfügt über das Wissen von Befehl
und Verbot Gottes. Das ist das Wissen der fuqahä', ahi ar-ra'y, ahi al-
hadit, mufassirün.
Gott hat die Schöpfung weise geordnet. Die Weisheit {hikma) Gottes
offenbart sich im Aufbau des Kosmos, in den Vorgängen der Natur und
im Menschen selbst, im Aufbau seines Leibes, in der Natur seiner Seele.
Weiser (hakim) ist, wer die göttliche Weisheit im Komos und in der eige-
' Das bleibt in der Arbeit von Erika Glassen über Gazäli unberücksichtigt, so daß Gazäli hier eine geistige Originalität erhält, die ihm nieht zukommt. Die islamische Mystik, vom 4./10. Jh. an allgemein tasawwuf genannt, ist in der auf
uns gekommenen schriftlichen Form das Produkt gedanklicher Arbeit einer
intellektuellen Elite. Die Originalschriften des 3./9. Jhs. eines Muhäsibi, Har¬
räz, öunayd, Tirmidi, Tustari zeugen von dem Ringen einer wissenschaftlich
gebildeten Schicht um den sprachlichen Ausdruck mystischen Erlebens. An
diese Mystik schloß Gazäli an, nicht etwa an eine diffuse, mit antinomistischen
Tendenzen durchsetzte Volksfrömmigkeit, die durch ihn erst zum Begriff ge¬
bracht und mit der Orthodoxie des offiziellen Islams versöhnt worden wäre (vgl.
etwa Glassen: Mittlerer Weg 177).
* Dieses Schema der Einteilung der Wissenschaften (des Wissens) übernahm Tirmidi ofiensichtlich von Muhäsibi; vgl. Librande: Al-Muhäsibi 131; arab.
Text ibid. 141, 5f 38 ZDMG 136/3
558 Bernd Radtke
nen Seele erkennt, wer auf der einen Seite das Wissen von der Gesetz¬
mäßigkeit, der Ordnung der Schöpfung ( Hlm at-tadbir) erwirbt, auf der
anderen Seite die Seele in ihrer Schöpfungsbedingtheit begreift und aus
dieser Selbsterkenntnis die Kraft und die Mittel zur Selbsterziehung fin- j
det, d.h. die „Wissenschaft vom Inneren" {Hlm al-bätin) erwirbt und |
anwendet. '
Die dritte, höchste Stufe, diejenige des 'älim billäh, erreicht, worunter
Einbegreifung der beiden niederen Stufen des fiqh und der hikma sich
allein auf die dritte Offenbarung Gottes, die ma'rifa, konzentriert (H T ,
72 ff".).
Für Tirmidi ist derjenige Mystiker ein hakim, der Naturerkenntnis mit '
Seelenerkenntnis- und Erziehung vereinigt. Die Naturwissenschaft des
hakim ist „islamisch". Sie benutzt das beschriebene kosmologische Modell, nicht das der Antike; sie pflegt eine eigene Art der Naturerklä¬
rung, die ich fantastisch-rational genannt habe. Charakteristisch für
diese Naturwissenschaft ist ein Nebeneinander von sinnlichen Wahr- I
nehmungen und traditionalen Größen. So entsteht in diesem Naturmo- \
dell Regen auf folgende Art: Gott schickt Winde, die Wolken aufwir- '
beln. Dann sendet er aus dem oberhimmlischen Meer, das sich unter
dem Gottesthron befindet, Wasser, das vom Wind durch die Wolken
geschüttelt wird (Maqdisi: Bad' 2, 32, 2ff.; Heinen: Cosmology 110- j
12, 227; ähnliche Vorstellungen bei dem Nestorianer Narsai (5. Jh.); j
Hom. VI, Vers. 165-168). Zu beachten ist hier einmal das Verknüpfen
sinnlicher Beobachtungen, nämlich Wind, Wolken, Wasser und der
Vorgang des Regnens mit der alten mythologischen Vorstellung des
oberhimmlischen Wassers, zum anderen die Tatsache, daß die einzel¬
nen Elemente des Naturvorgangs aufeinander wirken, ohne selbst eine i
Verwandlung zu erfahren — ganz anders als in der antiken Naturwissen- 1
Schaft (dazu Maqdisi: Bad' 2, 45, 1; Daiber: Aetius 6, 560; van Ess: '
Frühe 101 f.). Regen, Winde, Wolken werden als konstante, nebeneinan¬
derstehende Größen genommen und nicht auseinander erklärt. Hier lie- 1
ßen sich Verbindungen zur arabischen Dichtung ziehen (Heinrichs:
Dichtung 20f.; dagegen jedoch Ullmann: Gespräch 136f.).
Das Band, das die Naturvorgänge fiir den menschlichen Betrachter
vereinigt, das ihnen innewohnende Ordnungsprinzip, ist die Weisheit
Gottes, nicht etwa ein Naturgesetz. Die Vorgänge der Natur sind weise
geordnet und in dieser Weisheitsordnung einzig und allein um des Men¬
schen wihen da (Tirmidi: Riyä4a 34, 3f.; Tabari: Annales I, 2, 6fT.).
Damit ermöglicht die Schöpfung dem Menschen, seine Aufgabe und
Bestimmung zu erfüllen: Gott zu dienen {H T61f.).
Die in dieser Naturwissenschaft gepflogene Erkenntnishaltung heißt
gemeinhin tafakkur/fikra/fikr (Heinen: Cosmology 44-52). Zur ersten
Aufgabe des hakim, durch die Erkenntnishaltung des tafakkur die Natur
als weisheitsvoll auf den Menschen hin geordnet zu erkennen, gesellt
sich eine zweite, nämlich die Seele in einen Einklag mit der weisheits¬
vollen Seinsordnung zu bringen, denn die Seele ist für Tirmidi, wie lür
die Mystik des 3./9. Jhs. allgemein, das eigentlich widergöttliche Prin¬
zip (Reinert: Tawakkul 7911.). Die hierfür benötigte Wissenschaft von
der Seele, diese psychagogische Wissenschaft nannte man 'ilm al-bätin
(Meiek: Ein wichtiger handschriftenfund 103 f.; H T 73; vgl. auch Sar¬
räg: Lrnna' 23 f.). Es handelt sich also keineswegs um ein esoterisches
Wissen (so Marquet: Neoplatonisme 179; vgl. 553), wie ein äußerlicher
Wortvergleich meinen könnte. Das 'ilm al-bätin wurde als notwendige
Erweiterung der herkömmlichen islamischen Wissenschaften fiqh und
hadit verstanden, der 'ulüm az-zähir, die durch die Sinneserfahrung und
den an die Sinne gebundenen Verstand erworben wurden. Tirmidi hielt
die von Abü Hanifa und seiner Schule entwickelte Erkemitnismethode
des qiyäs für ungenügend {Furüq 94b,-8f ). Sollen die durch Analogie¬
schluß (qiyäs) gewonnenen Urteile — Tirmidi akzeptiert den qiyäs aus¬
drücklich als Mittel der Rechtsfindung ('Hol 34 a ff.); hier zeigt sich
seine Herkunft aus hanafitischen Kreisen — mehr sein als durch äußerli¬
chen Vergleich (muSäkala) gefundene Urteile, so muß der urteilende
faqih um das Innere der Dinge wissen, denn erst dadurch erlangt er Ein¬
sicht in die Gründe ( 'ilal, sg. 'illa) der göttlichen Gebote, in denen sich
die göttliche Weisheit ausdrückt ('Hai 36a,8ff.). Diese Gründe findet
der Mensch, wenn er die verborgenen Tiefen der Seele und der Welt auf¬
sucht und die Erfahrung des Inneren zu einer Wissenschaft macht: zum
'ihn al-bätin. „Wissenschaft vom Inneren" heißt, daß die aus der äuße¬
ren Wissenschaft gewonnene Erkenntnismethode (qiyäs), die ohne das
Anerkennen von causae ('ilal) nicht möglich wäre (van Ess: Logieal
35 ff.; ders., Jci 321), auf ein neues Erfahrungsgebiet angewendet wird:
eben auf die Seele. Damit entsteht Wissen von der Seele, sie wird
„bewußt".
Daß der Begriff 'ilm. al-bäfin auch im fiqh bekannt war, zeigt die
Risäla des Säfi'i (Risäla 476ff., § 1327, 1328, 1332, 1350«"., 1368,
1388). Auch hier wird das 'ihn al-bätin mit dem Problem des qiyäs (zu
Säfi'is Stellung zum qiyäs vgl. Schacht: Origins 122 ff.) in einen
Zusammenhang gebracht: Für Säfi'i ist die Gerechtigkeit eines Men¬
schen aus seinen Werken zu erschließen, nicht aus seinem Inneren. Er
verwirft ausdrücklich die Möglichkeit, das Innere des Menschen zur
Grundlage eines Urteils zu machen. Für ihn gibt es daher keine Wissen¬
schaft des Inneren (vgl. auch Meier: Ein wichtiger handschriftenfund
38«
560 Bernd Radtke
103), da nur Gott allein das Innere kenne {Risäla4Q8, § 1425) — dieselbe
Haltung bei Säfi'i also, die Tirmidi an der Schule des Abü Hanifa rügt.
Ob man die Werke des Menschen nach dem sinnlichen Augenschein
oder nach Kriterien, die aus einer Seelenwissenschaft gewonnen sind,
beurteilt, hat für das soziale Zusammenleben natürlich weitreichende
Folgen. Sie erstrecken sich auf die Glaubenslehre, das Verhältnis von
isläm und itnän (vgl. HTliff.). Hier ist wiederum das Problem der Wil¬
lensfreiheit tangiert, und das steht in unmittelbarem Zusammenhang
mit der Staatslehre, der Frage des Imamats. So mag die Feststellung
nicht erstaunen, daß das Werk Tirmidis nichts Geringeres als den Ver¬
such darstellt, auf der Grundlage des Hlm al-bätin eine Neugründung
des islamischen Rechts und damit eine Reform der Gesellschaft vor¬
zunehmen. Ein Beweis für diese These soll an anderer Stelle erbracht
werden" — auch hier nimmt also Gazäli eine alte Tradition auf".
Für Tirmidi ist der hakim also ein nach Natur- und Seelenerkenntnis
strebender Gottsucher, der Natur- und Selbsterkenntnis auf der Grund¬
lage der islamischen Tradition ausbildet und dann weiterentwickelt.
Das Wissen des hakim ist hikma, d.h. das Wissen von der inneren
Gesetzlichkeit, den inneren causae von Makro- und Mikrokosmos: 'ilm
al-bä{in ist hikma (so 'Mal Berlin 2b, 11 /Velieddin 35a, 8f)".
" Das wird in der Neuedition des Tirmidischen Hauptwerkes Hatm al-awliyä', dessen Originaltitel Sirat al-awliyä' lautete, geschehen. Wenn Zimmermann
(Besprechung H T 139) meiner Bemerkung H T 39 unten f mehr Beachtung
geschenkt hätte, wäre ihm vielleicht sein groteskes Fehlurteil (unusually well- appointed edition) erspart geblieben — wenn es denn überhaupt ernst gemeint ist. Die Kollation der beiden von Yahyä benutzten Handschriften F und V mit zwei weiteren hat ergeben, daß der von Yahyä dargebotene Text inuner wieder nichts anderes als ein reines Fantasieprodukt des Herausgebers ist — das gilt
für Text und Variantenapparat gleichermaßen. So sind auch Zimmermanns
scharfsinnige Folgerungen (Besprechung H T 140f ) ohne Grundlage, da der
Text Yahyäs in den Handschriften — auch in den von ihm benutzten — nicht wie¬
derzufinden ist! Die Entscheidung darüber, welche wissenschaftliche Methode als „perverse" (so Zimmermann, ibid. 139 über meine Zweifel an der Güte der
YAHYÄschen Arbeit) zu bezeichnen ist, möchte ich einem größeren Publikum
überlassen; desgleichen das Urteil über die Kompetenz, die aus Zimmermanns Bewertung der Rolle Tirmidis in der Geschichte der islamischen Mystik sprieht.
Vielleicht hätte sogar er etwas aus meiner Anmerkung H T 311 lemen können (zu ibid. 140 Mitte).
Vgl. Glassen: Der Mittlere Weg 170 unten; dort nicht gesehen aufgrund unrichtiger Vorstellungen über den Charakter des Sufitums.
'' Wenn Massignon aufgrund des Tirmidischen Werkes 'Ilal aS-iari'a (Essai 288 f.) davon sprieht, daß Tirmidi um eine rationalistische Deutung der Sari'a bemüht war, so hat er vordergründig recht; entscheidend ist aber gerade, daß
Der Tirmidische Gebrauch von hikma steht nicht isoliert. Er läßt sich
auch bei anderen, etwa zeitgenössischen Mystikern nachweisen. Dü n-
Nün, Abü Sulaymän ad-Däräni und Hätim al-A§amm stellen einen
Zusammenhang zwischen hikma, Weltentsagung und Selbsterziehung
her. Abü Sulaymän: Wenn der hakim die Welt läßt, wird er mit dem
Licht der hikma erleuchtet (Sulami: fabaqät Kairo 81, 4f./Leiden 73,
2). Dü n-Nün: Die hikma hat keinen Platz in einem Magen, der mit Spei¬
sen gefüllt ist (Quäayri: Risäla 1, 60-2). Hätim al-Asamm: Hikmahahe
ich erhalten durch den leeren Bauch, die Großmut der Seele und das
Durchwachen der Nächte (Tawhidi: Imtä' 3, 85, 3).
Als Befähigung, seelische Phänomene zu kontrollieren, beschreiben
ein anonymer Spruch und ein Dictum des Abü 'Utmän al-Hiri die hikma
— Hiri: Hikma ist das Licht, das zwdschen der Eingebung (Gottes)
[ilhäm) (zum Begriff vgl. Meier: Kubrä 129ff.) und der Einflüsterung
der Seele (wasäwis) (zum Begriff vgl. H T 157) unterscheidet (Sulami:
Haqä'iq 16b,-6F/20a, llf L). Anonym: jyiA;maist die Kraft, durch die
die Einfälle Gottes {hawätir; zum Begriff Meier: Kubrä 127ff.; Gräm¬
lich: Derwischorden 2, 217 ff.), nicht die EinfäUe der Seele über dich
herrschen (Sulami: Haqä'iq 16b,-4 F/20a,-7f L). Abü Bakr al-War¬
räq, einer der hukamä' von Balh (Nr. 40), nennt die hukamä' die wahren
Nachfolger der Profeten (in Abwandlung des nichtkanonischen Hadi¬
tes: al-'ulamä' waratat al-anbiyä'); die Gabe der hukamä', die hikma,
nennt er das Beherrschen der Dinge [ihkäm al-umür); ihr erstes Kenn¬
zeichen sei fortwährendes Schweigen und das Vermeiden jedes unnöti¬
gen Sprechens (Sulami: Tabaqät 226, 17 K/221, 7 L).
In allen diesen Beispielen wird hikma als eine Fähigkeit verstanden,
die sich der Mensch durch eigene Anstrengung erwirbt. Einige Äußerun¬
gen lassen diese Fähigkeit jedoch auch als göttliche Gabe erscheinen.
So ein anonymer Ausspruch Sulami: Haqä'iq 16b, -8 F/20a, 9: hikma
ist ein Gott entstammendes Wissen ['ilm laduni). Für Ibrähim al-Haw¬
wäs steigt die hikma vom Himmel nur in ein von Weltlust gereinigtes
Herz hinab (Abü Nu'aym: Hilya 10, 326, -7ff). Auch für den Verfasser
des anonymen Handbuches zum tasawwuf, Adab al-mulük (Meier: Ein
wichtiger handschriftenfund 82 ff.), bedeutet das 'Um al-bätin ein durch
göttliche Gnade verliehenes Wissen [Adab al-mulük 37, 12 ff.)'^.
Noch in der Mitte des 4./10. Jhs. bezeichnete der Begriff hakim einen
Meister der mystischen Seelenführung. Ibn Hafif aus Siräz beginnt sein
die von Tirmidi gesuchten rationes {'Hol) solche der Seele sind; man hätte also
von einem Rationalismus der Innerlichkeit zu sprechen.
Das Werk ist wahrscheinlich Ende des 4./10. Jhs. entstanden.