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Die bairische Mundart in Bayern

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2. Heimat in Sprache, Literatur und Massenmedien

LUDWIG ZEHETNER

Die bairische Mundart in Bayern

Einleitung

Wesentlicher Bestandteil des komplexen Begriffs Heimat ist zweifellos die Heimatsprache:

also die b o d e n s t ä n d i g e Mundart, in der sich Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Region und zu ihren Menschen manifestiert - und damit auch Geborgenheit. Wer im Zuge der kriegsbedingten Umsiedlungsbewegungen unseres Jahrhunderts aus seiner eigentlichen Heimat vertrieben wurde, konnte oft nichts an materieller Habe mit sich nehmen; die Heimatsprache jedoch, diesen u n v e r ä u ß e r l i c h e n Urbesitz, nahm er mit sich in die U n g e w i ß - heit der Fremde. D e r g r o ß e Sprachforscher Johann Andreas Schmeller (1785-1852), der B e g r ü n d e r der bairischen Dialektforschung, hat aus seiner eigenen Sicht, als Sohn eines armen oberpfälzischen K ü r b e n z ä u n e r s , folgendes g e ä u ß e r t :

Mir ward menschlicher Besitzthümer keines, nicht Ahnen, nicht Gold, nicht Äcker - nur die Sprache. Die Worte sind mein Grund und Boden...

D e n Wert der heimatlichen Sprache hat man - nach einer Phase der Diskriminierung und G e r i n g s c h ä t z u n g des Dialekts - in j ü n g s t e r Zeit wiederentdeckt. U n d so ist es v e r s t ä n d l i c h , d a ß im Zuge von allenthalben erstarkendem R e g i o n a l b e w u ß t s e i n und Neuentdeckung der Heimat auch die Dialekte zu neuem Ansehen gelangen.

H i e r soll es nicht darum gehen, sich etwa aus musealem Interesse heraus oder in r ü c k w ä r t s - gewandtem Konservierungsbestreben mit dem Dialekt zu beschäftigen: auch nicht die vorwiegend sprachwissenschaftlich ausgerichtete Dialektologie darf hier im Vordergrund stehen. Vielmehr ist es Z i e l und Zweck dieser knappen A u s f ü h r u n g e n , einen groben U m r i ß der Dialekte in Bayern zu geben, bevor dann etwas ausführlicher auf die bairischen Mundar- ten eingegangen werden soll.

A u f diese Weise k ö n n t e es gelingen, das oft unartikulierbare und nur vage vorhandene Gefühl für Dialekt in die Ebene des v e r s t a n d e s m ä ß i g E r f a ß t e n zu heben, um dem L e h r e r so ein neues - vielleicht entspannteres, da wissenderes - Verständnis zu vermitteln für die dialektale Grundstimmung der Normalsprache vieler seiner Schüler.

Dialekte in Bayern

Bekanntlich gibt es im heutigen Freistaat Bayern neben dem Bairischen (in Altbayern) auch das Schwäbische (im bayerischen Schwaben) und das Ostfränkische (in den drei fränkischen Regierungsbezirken); weniger bekannt ist, d a ß am Untermain eine bereits zum Rheinfrän- kischen z ä h l e n d e Mundart gesprochen wird, und im ä u ß e r s t e n N o r d e n ein thüringischer Dialekt. D i e beigegebene Karte 1 informiert d a r ü b e r .

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Sprachebenen

A u f den Versuch einer Definition von Dialekt - wie heute üblich, synonym mit Mundart verwendet - k ö n n e n wir uns hier nicht einlassen. V o n den in der Fachliteratur aufgeführten Kriterien sind als die wichtigsten hervorzuheben: Dialekte sind landschaftlich gebundene A u s p r ä g u n g e n einer Sprache (Regiolekt: mit e i n g e s c h r ä n k t e r e r Reichweite als die ü b e r r e - gionale Standard- oder Hochsprache) und sind von Natur aus der mündlichen Verständi- gung vorbehalten (Mundart im Gegensatz zu „ S c h r e i b a r t " = Schriftsprache). Historisch betrachtet, sind die deutschen Dialekte älter als die neuhochdeutsche Standardsprache, die auf der Grundlage mittel- und oberdeutscher Mundarten entstanden ist. In Wortschatz und Grammatik weichen sie von der Standardsprache ab, was nicht unbedingt bedeutet, d a ß sie b e s c h r ä n k t sind im Sinne von Bernsteins „restringiertem C o d e " . F ü r den S ü d e n des deut- schen Sprachraumes gilt auch die Behauptung nicht, die Dialekte seien die Sprachebene der gesellschaftlichen Unterschicht. Mundartliche L a u t f ä r b u n g und Formenlehre finden sich hierzulande - wenngleich in weit geringerem A u s m a ß als in der Schweiz und in Österreich - durchaus auch in der Sprache der h ö h e r e n Gesellschaftsschichten. Heute, i m späten 20. Jahrhundert, kann man davon ausgehen, d a ß es keine ausschließlich Dialekt sprechen- den Menschen mehr gibt; durch Schule, M e d i e n und Kontakt mit Nicht- oder Fremddialekt- sprechenden sind auch die niedrigeren Gesellschaftsschichten mit der Schrift- oder Stan- dardsprache so weit vertraut, d a ß auch sie als binnensprachlich-zweisprachig einzustufen sind. Im Rahmen dieser Diglossie sind die meisten ursprünglich d i a l e k t g e p r ä g t e n Menschen zum sogenannten code switching befähigt, d . h . sie wechseln die Sprachebene je nach G e s p r ä c h s p a r t n e r , Thema und Situation. E s ist empirisch nachgewiesen, d a ß solche - früher unvorstellbare - Wendigkeit durchaus als Vorteil angesehen werden kann. Dadurch sind Kinder, die Dialekt und Hochsprache beherrschen, nicht selten denen ü b e r l e g e n , denen ausschließlich die Standardsprache zu Gebote steht.

M i t den beiden Polen - Standardsprache einerseits und Dialekt andererseits - ist die Sprachwirklichkeit allerdings nur unvollkommen erfaßt. Dazwischen liegt der weite Bereich der Umgangssprachen, die zu beschreiben besonders schwerfällt. D i e deutschen Umgangs- sprachen weisen auf jeden Fall regiolektale Merkmale auf.

A u c h das Dreischichtenmodell - Hochsprache/Umgangssprache/Dialekt - stellt eine grobe Vereinfachung dar. Tatsächlich erweist sich die Sprachwirklichkeit als ein kontinuierliches Spektrum, das sich von den Orts- und Kleinraummundarten ü b e r die G r o ß r a u m d i a l e k t e (wie Bairisch, Schwäbisch, Ostfränkisch etc.) und die zahlreichen Varietäten der Umgangs- sprachen bis hin zur allgemeingültigen Schriftsprache erstreckt, also vom nur kleinsträumig belegbaren Dorfdialekt bis hin zur Standardsprache Deutsch.

Bayern nimmt innerhalb der Bundesrepublik hinsichtlich des Dialektgebrauchs fast eine Sonderstellung ein. Bekannten sich 1966 bereits 71% der Bewohner zum Dialektgebrauch (gegenüber nur 57% i m übrigen Bundesgebiet), so zeigen die 1975 erhobenen Daten, d a ß in Altbayern, Schwaben und Franken 78,5% die Frage „Sprechen Sie D i a l e k t ? " mit einem mehr oder minder stolzen „ J a " beantworteten. In A l t b a y e r n , also in den Regierungsbezir- ken Oberbayern, Niederbayern und Oberpfalz, gaben sogar 81% „ja" an, dazu 13% „ein wenig". In Schwaben lauten die entsprechenden Zahlen: 75% (+17%), und in den fränki- schen Regierungsbezirken: 77% (+16%). D i e Altbayern schätzen also demnach ihre ange- stammte Mundart noch etwas h ö h e r ein als die Schwaben und Franken.

Bairisch spricht man überall, wo Baiern (Bajuwaren) leben, also in Oberbayern, Nieder- bayern, der Oberpfalz, in ganz Österreich (ausschließlich Vorarlbergs) und in Südtirol,

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ehedem auch im Egerland und im deutschsprachigen B ö h m e r w a l d sowie in a u ß e r h a l b des deutschen Sprachraums gelegenen Sprachinseln. Heute umfaßt das Verbreitungsgebiet ins- gesamt an die 150000 Quadratkilometer; etwa 15 Millionen Menschen leben in diesem Gebiet. Das bedeutet, d a ß zirka 17% aller Deutschsprachigen im bairischen Dialektraum zu Hause sind.

Bevor auf die Untergliederung des Gesamtbairischen eingegangen wird, seien einige grund- sätzliche Kennzeichen dieses deutschen G r o ß d i a l e k t s zusammengestellt.

Einige Merkmale des Gesamtbairischen Kennlautungen

• Diphthonge (Zwielaute)

D i e vom Bairischen ausgegangene Diphthongierung der mittelhochdeutschen Langvokale i , ü, ü zu ei, au, eu ist Bestandteil der neuhochdeutschen Standardsprache geworden (mhd.

min niuwes h ü s > mein neues Haus). D i e entsprechende Entwicklung der übrigen Langvo- kale hingegen ist auf die Dialekte b e s c h r ä n k t geblieben. In bestimmten Gegenden des bairischen Raumes finden wir als Entsprechungen für mhd. ä, ö, e, ö die Zwielaute ou, eo, ej, ea. A u c h die Weiterentwicklung von mhd. ei zu oa bzw. öi ist bezeichnend fürs Bairische, w ä h r e n d die Hochsprache zwischen altem und neuem ei nicht unterscheidet (zwoa - drei, Loata/Loita = zwei, drei, Leiter).

Das Bairische hat die mhd. Diphthonge ie, ü e , uo als solche bewahrt, w ä h r e n d sie in der Hochsprache heute als einfache Langvokale auftreten (liabe/lejbe guade/goude Briada/

Brejda = liebe gute B r ü d e r ) .

• Entrundung

Wie auch in anderen ober- und mitteldeutschen Dialekten sind die mhd. Vokale ö, ö, ü, ü , ü e , öü entrundet worden, so d a ß sich g e g e n ü b e r s t e h e n : bääs/bejs, Z i g l , nai, miad/mejd, Haisa und b ö s e , Z ü g e l , neu, m ü d e , H ä u s e r .

• Z w e i a-Phoneme

F ü r den mhd. S e k u n d ä r u m l a u t ä, ae steht im Gesamtbairischen das ü b e r h e l l e ä, w ä h r e n d die Nachbarmundarten und die Schriftsprache einen e-Laut haben: z ä ä c h , Schaar, R a d i , M a n d l , A n t n = z ä h , Schere, Rettich, M ä n n l e i n , Ente.

Dieses helle ä tritt auch in F r e m d w ö r t e r n auf (Kasse, Examen). A u f diese Weise hat das Bairische zwei bedeutungsunterscheidende a-Laute, die sich als echte Phoneme erweisen, wie sich leicht an einem Minimalpaar wie i war - i war (ich war, ich w ä r e ) erkennen läßt. Die deutliche Differenzierung von verdumpftem N o r m a l - ä (das sich dem o n ä h e r t ) und überhel- lem ä entlarvt auch denjenigen noch als B a i e r n , der sonstige Dialektmerkmale in seiner Sprechweise zu verbergen gelernt hat ( z . B . wäit, L ä d e n k a s s e g e g e n ü b e r standardsprachli- cher Lautung wait, Ladenkasse mit jeweils gleicher Artikulation der a-Laute).

• K o n s o n a n t e n s c h w ä c h u n g

Das Bairische ist durch eine weitreichende K o n s o n a n t e n s c h w ä c h u n g gekennzeichnet, die z . B . zur Neutralisierung des Unterschieds zwischen b, d, g und p, t, k (vor Konsonanten) geführt hat. A u f diese Weise klingen etwa im Mittelbairischen, wo diese Erscheinung am stärksten ausgeprägt erscheint, „ S c h a d e n " und „ S c h a t t e n " völlig gleich ( S c h ö ö n ) , und

„ L e d e r " reimt sich rein mit „ W e t t e r " .

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D i e für das Mittelbairische charakteristische Liquidenvokalisierung ist ebenfalls in diesem Rahmen zu sehen. D i e Laute r und 1 verlieren ihre konsonantische Q u a l i t ä t und „verflüssi- gen" sich nach V o k a l und bestimmten Konsonanten zu Vokalen. Daher lauten die Entspre- chungen für „Wirt, fort, viel, G a b e l " dann Wiat, fuat, vui/vej/vüü, G ö w e .

• A p o k o p e des -e

Nicht nur bairisch, sondern gesamtoberdeutsch ist der Abfall von unbetontem -e am Wort- oder Silbenende ( N a m , Bruck, Has). Dies hat auch Auswirkungen auf die Formenlehre (i sing, i n i m m , zwoa Tag = ich singe, nehme, zwei Tage).

• Silbenreduktion

K o n s o n a n t e n s c h w ä c h u n g , e-Ausfall und die ausgeprägte Neigung zur Lautangleichung (Assimilation) führen zu einer beachtlichen Schrumpfung der W o r t k ö r p e r . M a n vergleiche etwa Schriftdeutsch geben, Zettel, getragen, gelitten (2 bzw. 3 Silben) und deren mundartliche Entsprechungen: gern, Z e l , drong, glin (jeweils nur mehr 1 Silbe!) E i n Satz mit 8 Sprechsil- ben in der Standardsprache wie etwa Ich habe sie angezogen (die Hose) hat i m Dialekt nur mehr 4 Silben: / hö-s ozong. D i e Erkenntnis dieser Tatsache hat man sich zunutze gemacht, wenn man die „ D i a l e k t t i e f e " in Zahlenwerten a u s d r ü c k t , indem man den „Silbenreduk- tionsindex" (Quotient der Silbenzahlen in Hochsprache und Dialekt) ermittelt.

Kennformen

In Formenlehre und Wortbildung kennt das Bairische Besonderheiten, die den Dialekt als ein von der Hochsprache u n a b h ä n g i g e s , eigenes System ausweisen. V o n den zahlreichen grammatischen Eigenheiten seien hier nur ein paar besonders markante herausgegriffen.

• Verkleinerungsformen auf -1 und -erl

E i n M e r k m a l des S ü d d e u t s c h e n ü b e r h a u p t ist die Bildung des Diminutivs mit einem -1- Suffix. So heißt es bairisch: Häusl, Häuserl, Männdl, a bißl und nicht: H ä u s c h e n , M ä n n c h e n (oder gar, wie im Niederdeutschen, M ä n n e k e n ) , ein b i ß c h e n . Grammatische Verkleine- rungsformen sind im Dialekt ungemein häufig und kommen nicht nur bei Substantiven, sondern auch im verbalen Bereich vor.

• Flexionsendungen des Verbs

Abweichend von den standardsprachlichen Personalendungen des Verbs sind vor allem die 1. Singular (endungslos: i sing, gib, schreib, bzw. -t bei Verben auf -ein, -ern, -nen: i handlt, wandert, ordnet) und die 2. Plural, deren Endung um ein -s erweitert ist: ees/ihr findts, gebts, schau(g)ts. D i e Verbformen der 2. Person Plural sind ein untrügliches Kennzeichen des Bairischen. E i n Satz wie Wann kommts ihr denn heim? mag lautlich einwandfrei standardsprachlich formuliert sein, allein durch die charakteristische Verbindung klingt er bairischer als etwa Wenn kemmt'n ees hoam?, was zwar bezüglich Lautung und Wortschatz bairisch scheint, aber eben an dem kritischen Punkt falsch und damit insgesamt mißlungen ist (richtig: Wenn kemmts'n ees hoam?). Das zusätzliche -s ist übrigens nichts anderes als die angewachsene (agglutinierte) Kurzform des bairischen Personalpronomens ees = ihr (s.

dazu unten: K e n n w ö r t e r ) .

• Verben mit der-

Typisch bairisch sind Verben mit dem Präfix der-, das anstelle von standardsprachlich er-,

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zer- oder ver- steht: derbarmen, derschrecken, derwerfen, derhungern. Viele derartige Wortbildungen haben keine direkte Entsprechung in der Hochsprache: derfressen, (sich) derrennen, derfallen, derwutzeln (aufessen k ö n n e n , durch Rennen oder Fallen verunglük- ken oder zu Tode k o m m e n , durch kleine Drehbewegungen zerreiben und damit z e r s t ö r e n ) .

Kennwörter

Wie reich der e i g e n s t ä n d i g e bairische Wortschatz ist bzw. war, läßt sich durch einen Blick in das immer noch u n ü b e r t r o f f e n e Standardwerk des Johann Andreas Schmeller, sein Bayeri- sches Wörterbuch (1. Auflage 1827-37, 2. Auflage 1872/77, davon zahlreiche Nachdrucke, zuletzt 1985), ermessen. Vieles davon ist i m Laufe unseres Jahrhunderts in Vergessenheit geraten, weil es durch Ü b e r n a h m e n aus der Hochsprache v e r d r ä n g t worden ist. M a n wird dies einerseits als Verlust beklagen, andererseits aber einsehen, d a ß auch der Dialekt als lebendiges Sprachsystem einem s t ä n d i g e n Wandel unterworfen ist und sich immer wieder ergänzt und erneuert - was allerdings mit einer tendenziellen Nivellierung, d . h . A n n ä h e - rung von Mundart und Hochsprache einhergeht. Selten geworden sind Bezeichnungen wie aft (nachher, dann), fert(en) (voriges Jahr) oder tenk (links). Andere K e n n w ö r t e r sind durchaus geläufig:

ees, enk, enker ihr, euch, euer (s. a. oben) Ertag (Iada) Dienstag B u ß l , busseln K u ß , küssen

D u l t Jahrmarkt Kirchtag (Kiada) Kirchweihfest

G ö t , Got(l) Pate, Patin

Scher M a u l w u r f ankenten a n z ü n d e n Rauchfang K a m i n und andere mehr.

Etliche ursprüngliche D i a l e k t w ö r t e r haben Eingang in die Hochsprache gefunden, so etwa aper, Fasching und M a u t .

Satzbau

• Perfekt statt E i n w o r t p r ä t e r i t u m

D e m gesamten Oberdeutschen ist das einfache P r ä t e r i t u m (Imperfekt) abhanden gekom- men, an seine Stelle ist das Perfekt getreten. E s kann also nur h e i ß e n : ich hab 'gessen, du bist g'fallen, sie hat g'sungen (und nicht: ich s a ß , du fielst, sie sang). H i e r i n ist die Ursache dafür zu sehen, d a ß K i n d e r n , die i m Dialekt aufgewachsen sind, die Imperfektformen der starken Verben von Haus aus fremd sind und mitunter g r o ß e Schwierigkeiten bereiten, weil sie sie oft in der Schule erst ganz neu lernen m ü s s e n .

Wenn das Perfekt als normale Vergangenheit gilt, ist es nur konsequent, d a ß auch das Plusquamperfekt ersetzt wird, und zwar durch das „ g e d o p p e l t e Perfekt" (passe surcom- pose): M i r habn bereits 'gessen g'habt, wie die andern ' k o m m e n sind (Wir hatten bereits gegessen, als die anderen kamen).

Dialektgeographie des Bairischen

Das Gesamtbairische untergliedert sich in drei g r o ß e Unterdialekte: das M i t t e l - , N o r d - und Südbairische, mit mannigfachen Ü b e r s c h n e i d u n g e n untereinander sowie Mischmundarten

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mit benachbarten Dialekten. D i e K a r t e 2 informiert ü b e r die bislang in der Forschung festgehaltene Situation. D e r im Entstehen begriffene Dialektatlas von Bayern mag neue Erkenntnisse bringen.

E s braucht eigentlich kaum gesagt zu werden, d a ß es eine grobe Vereinfachung ist, das Bairische als Einheit zu betrachten. Streng genommen, gibt es das Bairische als solches nicht; es ist ein Sammelbegriff für die unterschiedlichen Mundarten innerhalb des bairischen Raums, die allerdings durch eine A n z a h l von M e r k m a l e n verbunden sind, durch welche sie sich von den benachbarten alemannischen und fränkischen Mundarten abgrenzen lassen.

D e r gesamtbairische Dialektraum erstreckt sich ü b e r etwa 500 km von Westen nach Osten (vom L e c h und A r l b e r g bis zum Neusiedler See) und ü b e r etwa 450 km von Norden nach S ü d e n (vom Fichtelgebirge bis zur deutsch-italienischen Sprachgrenze im Südtiroler Etsch- land). D i e geographische Reichweite des Bairischen übertrifft damit die mancher e u r o p ä i - scher Nationalsprachen (etwa des Ungarischen oder Finnischen), und hinsichtlich der Spre- cherzahl steht es vor solchen Sprachen wie R ä t o r o m a n i s c h , Baskisch, Kymrisch oder G ä - nsen.

• Das Mittelbairische u m f a ß t die Mundarten i m Donau-Isar-Raum entlang der Achse M ü n c h e n - W i e n . D i e Verkehrsoffenheit sowie die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung dieser Landschaften seit dem frühen Mittelalter haben dazu geführt, d a ß diese A u s p r ä g u n g des Bairischen am „ m o d e r n s t e n " ist, d. h . sich am weitesten von den historischen Vorfor- men weg entwickelt hat. E s ist die F o r m des Bairischen, die von der weitaus ü b e r w i e g e n d e n Z a h l der Baiern gesprochen wird und die von A u ß e n s t e h e n d e n für „das Bairische" schlecht- hin gehalten wird.

Merkmale sind unter anderem:

- K o n s o n a n t e n s c h w ä c h u n g , A s s i m i l a t i o n und Silbenreduktion sind am stärksten ausge- prägt.

- Im Rahmen der K o n s o n a n t e n s c h w ä c h u n g verlieren r und 1 nach Vokalen ihren konsonan- tischen Charakter und „verflüssigen sich" zu V o k a l e n (z. B . zu -a bzw. - i ) . D u r c h die -1- Vokalisierung setzt sich das (quasi b i n n e n l ä n d i s c h e ) Mittelbairisch ab von den konservati- veren ( a u ß e n gelegenen) Varianten N o r d - und S ü d b a i r i s c h . „Viel" heißt vui/vej/vüü,

„Wald, G e l d , H o b e l " W o i d , G e j d / G ö i d / G ö ö d , H o w e . Karte 3 informiert d a r ü b e r . - D i e mhd. Diphthonge ie, ü e , uo haben sich fast u n v e r ä n d e r t erhalten: liab, miad, guad.

Das Nordbairische kennt hier andere Zwielaute.

• Das Nordbairische wird volkstümlich auch als das Oberpfälzische bezeichnet, was nicht ganz korrekt ist, da seine M e r k m a l e deutlich ü b e r die Grenzen dieses Regierungsbezirks hinausreichen (angrenzende Gebiete Ober- und Mittelfrankens und Niederbayerns, nörd- lichstes Oberbayern); a u ß e r d e m ist (bzw. war) es die Heimatsprache der E g e r l ä n d e r . Kennlautungen sind:

- die sogenannten „gestürzten Diphthonge" ej, ou anstelle von mittel- und südbairisch ia, ua: lejb, mejd, F o u ß , K o u h , Kejh ( g e g e n ü b e r liab, miad, F u a ß , K u a h , K i a h = lieb, m ü d e , F u ß , K u h , K ü h e ) .

- Diphthongierung aller alten Langvokale, z . B . blousn, schlouffa, S t r o u ß , wejh, Schnej, bejs (blasen, schlafen, S t r a ß e , weh, Schnee, b ö s e ) , und i m Norden auch der j ü n g e r e n Langvokale, z . B . Iasl, K i a n , U a f m ( E s e l , Kette, Ofen).

- Erhaltung des postvokalischen -1, das allerdings sehr gerundet und ü-haltig artikuliert

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erscheint: W o l d , Gold, vul/vüll/vll, Büld/Blld, Kälwl (vgl. mittelbairisch W o i d , G e j d , vui/

vej/vüü, Buid/Bejd, Käiwi = Wald, G e l d , viel, B i l d , K a l b [Kälblein]).

- die Wortformen niat und (d)eds für net, ees (nicht, ihr).

• A u f das Südbairische braucht hier nicht n ä h e r eingegangen zu werden, da es in Bayern wenig vertreten ist (s. Karte 2). Es ist charakterisiert durch

- geringe K o n s o n a n t e n s c h w ä c h u n g , geringe Silbenreduktion, unterbliebene Liquidenvoka- lisierung, d. h . der historische Stand ist relativ weitgehend erhalten geblieben: k c h r ä n k c h , K h ü r c h , m ü r k h a , gatrogan, M a u r , Foir (krank, Kirche, merken, getragen, Mauer, Feuer).

- Diphthongierung der alten Langvokale ähnlich wie im Nordbairischen, allerdings mit teilweise anderen Ergebnissen (Sea, roat = See, rot).

Dialektabbau - Sprach wandel

J ü n g e r e Untersuchungen haben gezeigt, d a ß sich der Sprachwandel durch „Häufigkeitsver- lagerungen" vollzieht, d . h . alte und junge Laut- und Wortformen bzw. solche mit geringe- rem und solche mit h ö h e r e m Prestigewert bestehen nebeneinander, und die Sprecher verwenden einmal die ä l t e r e n , b o d e n s t ä n d i g e n , einmal die moderneren Varianten. Sicher ist, d a ß die Systeme Mittelbairisch (v. a. in seiner M ü n c h n e r F o r m , die sehr hohen Prestige- wert besitzt, der durch die M e d i e n gefestigt wird) und - mit Abstand allerdings - Hoch- sprache (jedoch in seiner oberdeutsch-bairischen Lautgebung) im unaufhaltsamen Vordrin- gen begriffen sind, w ä h r e n d die b o d e n s t ä n d i g e n Dialekte g r o ß s tad t f e r n er Regionen auf dem R ü c k z u g sind. D i e bereits angesprochene Nivellierung schreitet fort, s t ä r k e r bei den jünge- ren Leuten als bei den ä l t e r e n , in den g r ö ß e r e n Orten deutlicher als in kleinen Ortschaften, bei den Gebildeteren rascher und merklicher als bei manuell T ä t i g e n , d. h. Landwirten, Handwerkern und Arbeitern.

Wie sehr die jeweils gewählte Sprachebene von Situation, Thema und Partner abhängig ist, läßt sich aus folgender Aufstellung entnehmen, die die Auswertung der Antworten auf die Frage „Wenn Sie Dialekt sprechen - bei welchen Gelegenheiten tun Sie das meistens?"

darstellt:

In der Im Freun- Bei der Immer Eigentlich

Familie deskreis Arbeit nie

Bayern 77% 74% 43% 10% 7%

Norddeutschland 54% 55% 36% 4% 17%

Gesellschaftliche Akzeptabilität

D i e weit verbreitete Meinung, Dialektgebrauch sei kennzeichnend für die Z u g e h ö r i g k e i t zu unteren sozialen Schichten, w ä h r e n d in den oberen nur Hochsprache gesprochen werde, mag für Norddeutschland zutreffen, wo diejenigen, die h ö h e r e n Schichten z u g e h ö r e n (wol- len), die Mundart meiden. Im Süden des deutschen Sprachraumes ist das grundlegend anders. In Bayern darf auch der Landesvater getrost Bairisches ü b e r die Lippen kommen lassen, ohne einen Prestigeverlust befürchten zu müssen. Im Gegenteil: Bayerische Politiker sind gut beraten, wenn sie Dialekt benutzen. Es w ä r e gänzlich unvorstellbar, wollte etwa der M ü n c h n e r O b e r b ü r g e r m e i s t e r auf dem Oktoberfest den Aufruf zum allgemeinen M a ß k r u g -

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stemmen so geben: „ D a s erste F a ß B i e r wurde soeben von mir angestochen; das Trinken kann beginnen." E s kann eben nur h e i ß e n : Ozäpft is!

A u c h sonst im öffentlichen Leben - etwa in B e h ö r d e n - braucht es hierzulande keines eigenen Hinweises auf die Möglichkeit, Dialekt verwenden zu dürfen (vgl. „Wi snackt Platt"

in Norddeutschland!). In Altbayern, Franken und Schwaben ist dialektnahes Sprechen eine Selbstverständlichkeit. Es w ä r e lächerlich, wenn etwa im Finanzamt oder in der K f z - Zulassungsstelle angeschrieben s t ü n d e , man k ö n n e hier auch Dialekt reden; das versteht sich von selbst. V o n norddeutschen K u n d e n gefragt, warum sich denn die Bayern nicht wenigstens b e m ü h t e n , hochdeutsch zu sprechen, erklärte eine gestandene Regensburger Geschäftsfrau: „Wäl-ma mia des goa ned nejde h ä m ! "

Diese Andeutungen mögen ausreichen, um zu rechtfertigen, d a ß der Dialekt auch seinen Platz i n der Schule hat. Eine u n ü b e r l e g t e Verallgemeinerung „ D i a l e k t s p r e c h e r - schlechte Deutschnote - schlechter Schüler" ist unhaltbar. Empirische Untersuchungen gerade in Bayern haben nachgewiesen, d a ß für zahlreiche Fehlersorten nicht der Dialekt verantwort- lich gemacht werden kann. F ü r die Beziehung zwischen Dialektgebrauch und schulischem Versagen sind andere E r k l ä r u n g e n heranzuziehen:

Sowohl Fehlerhäufigkeit als auch ausschließlicher Dialektgebrauch sind die Folge von

• Z u g e h ö r i g k e i t zur Unterschicht und/oder

• mangelnder Intelligenz und geringer geistiger Wendigkeit.

D i e Lehrer haben die falsche Einstellung zum Dialekt als solchen und zur Dialektgeprägt- heit ihrer Schüler.

Dringend nötig sei es, so schrieb R u d o l f Hildebrand bereits 1867 in seinem B u c h „Vom deutschen Sprachunterricht", d a ß der Lehrer „die Sprache, die der Schüler zu Hause oder in der Zwischenstunde spricht, ... in der rechten Weise und Auswahl in den Bereich seiner Lehre zieht und sie so ins rechte Licht stellt". A n anderer Stelle heißt es, den Dialekt dürfe man

„nicht mit Geringschätzung oder verächtlich behandeln, wie ein vornehmer Herr den Bettler, nicht von sich stoßen als etwas, das eigentlich gar nicht als vorhanden anzuerkennen ist..."

Vielmehr müsse der Lehrer den Dialekt „in den Mund nehmen, allenfalls mit leisem Hu- mor".

B e i aller positiven Einstellung zum Dialekt darf aber das Wohl des Schülers nicht aus den A u g e n verloren werden. Gerade dem dialektgeprägten K i n d w ü r d e man einen Bärendienst erweisen, wollte man in der Schule nach der Maxime verfahren: „Bei uns is d'Unterrichts- sprach' Boarisch. Wer des ned k o , is eh a Rindviech", wie vor fast drei Jahrzehnten ein beliebter Freisinger Gymnasiallehrer gesagt hat.

Heimat bewußt erleben - das bedeutet auf jeden Fall auch: Sich seiner Heimatsprache b e w u ß t zu werden und die vielfältigen Gefühlswerte und Ausdrucksmöglichkeiten des Dialekts zu erkennen, ebenso aber auch seine Grenzen, jenseits derer dann der Bereich der H o c h - und Schriftsprache liegt, die beherrschen zu lernen mit zu den unerläßlichsten Aufgaben der Schule gehört.

Anmerkung

Diese Ausführungen stellen einen ausschnitthaften „Digest" dar aus: Das bairische Dialektbuch von Ludwig Zehetner (C. H . Beck, München 1985), dem auch die Karten entstammen.

Empfohlen sei auch der Band Mundarten in Bayern, bearbeitet von Werner König, Kurt Rein, Eberhard Wagner und Ludwig Zehetner, herausgegeben von Wolfgang Küpper (BR-Buch, Bayeri- scher Rundfunk, München 1989).

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