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Bairische Mundartkenntnisse als Hilfe für das Verständnis des Altdeutschen

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(1)

Bairische Mundartkenntnisse als Hilfe für das Verständnis des Altdeutschen

Von Ludwig G. Zehetner, Regensburg

Übersicht:

L E i n f ü h r u n g (1—3)

II. Möglichkeit der Darbietung (4)

III. Gemeinsamkeiten zwischen dem Mittelhochdeutschen u n d der bairischen M u n d a r t : K o n s o n a n t e n v e r h ä l t n i s s e (5) — V o k a l v e r h ä l t n i s s e (6) — V e r b u m (7) — N o m e n (8) — Syntax (9)

IV. S e l b s t ä n d i g e Neuerungen i n der M u n d a r t g r a m m a t i k : L a u t v e r ä n d e r u n g e n (10) — morphologische Neuerungen (11)

V . Ergebnisse Kleine Bibliographie

(i)

Z i e l der Sprach- und Sprecherziehung v o n der Grundschule an ist es, das u n b e w u ß t e Festhalten an mundartlichen u n d umgangssprachlichen Gewohnheiten i m m ü n d l i c h e n wie i m schriftlichen Ausdruck z u ü b e r w i n d e n , u m die Schüler zur sicheren u n d gewand- ten H a n d h a b u n g der Hochsprache z u f ü h r e n . Diese Aufgabe bereitet dem Lehrer vor allem auch i n der Gymnasialunterstufe einige Schwierigkeiten1K D i e Schule ist n u n aber kein Feind der M u n d a r t . D i e Erziehung z u m korrekten Sprechen u n d Schreiben mit größtmöglicher A n n ä h e r u n g an die N o r m e n der Hochsprache w i r d heute i n der G r u n d - schule die Erziehung z u einer A r t Zweisprachigkeit (Diglossie) g e g e n ü b e r g e s t e l l t : Nicht das A u f g e b e n der M u n d a r t zugunsten der Hochsprache w i r d angestrebt, sondern die b e w u ß t e Beherrschung beider Ebenen. D a s G y m n a s i u m m u ß dann den Schritt zur E i n - sprachigkeit aber doch vollziehen. Das braucht aber keineswegs mit einer A u s m e r z u n g des D i a l e k t s verbunden z u sein, ja nicht einmal mit einer A u s k l a m m e r u n g der M u n d a r t aus dem Deutschunterricht. W i e sich die Mundartkenntnisse bairischer2) Schüler i m

1) Einige Beispiele, mit denen sich der Lehrer in Bayern herumschlagen m u ß : Im Lautlichen stellt sich etwa das Problem des hochsprachlichen hellen [a.], dem das mundartlich dunkle [a] weichen soll; kein S ü d d e u t s c h e r findet von selbst zur stimmhaften Artikulation des s im A n - und zwischenvokalischen Inlaut; im S c h w ä b i s c h e n bereitet die L o s l ö s u n g vom ge- wohnten ischt, Fenschter, Pflasditer zugunsten des b ü h n e n d e u t s c h e n [st] Schwierigkeiten;

dem Franken fällt es schwer, die Starklautlenierung aufzugeben. Aus dem Bereich der Formenlehre und Syntax sei an den umgangssprachlichen p r ä p o s i t i o n a l e n Genitiv statt des Flexionsgenitivs erinnert, oder an die Verwendung des bestimmten Artikels vor Personen- namen, an die doppelte Verneinung, an die ausschließliche Verwendung des Perfekts als E r z ä h l v e r g a n g e n h e i t statt des in der Mundart ausgestorbenen Imperfekts, an Genus- unsicherheit oder schließlich an Verschiedenheiten in der Flexion (i nimm, i gib, du trägst, er tragt).

2) In Volkskunde und Mundartforschung ist es üblich, die Schreibung bairisch zu verwenden, wenn damit Stamm oder Mundart in Altbayern und Österreich gemeint ist; bayerisch hingegen meint: zur politischen Einheit des Freistaates Bayern g e h ö r i g .

(2)

Deutschunterricht b e i der Durchnahme des A l t - u n d Mittelhochdeutschen nutzbar ~ machen lassen, soll i m folgenden an einigen a u s g e w ä h l t e n Beispielen gezeigt werden, j die z u eigenen Versuchen anregen k ö n n e n .

(2)

In der Unterstufe des G y m n a s i u m s dürfte es v e r f r ü h t sein, den Schüler darauf hin- zuweisen, d a ß jeweils beide M ö g l i c h k e i t e n , die hochsprachliche wie die mundartliche, an sich richtig sind, jede i n dem ihr zustehenden Bereich; d a ß also die hochsprachlichen N o r m e n keineswegs ausschließliche G ü l t i g k e i t haben, sondern eben nur innerhalb der Schriftsprache; d a ß die umgangssprachlichen Formen nicht falsch sind, n u r eben einem anderen Bereich der sprachlichen Ä u ß e r u n g z u g e h ö r e n . In der Unterstufe m u ß wohl strikt die Lautung u n d G r a m m a t i k der Hochsprache erzwungen werden, w e i l vom Schüler noch nicht verlangt werden k a n n , d a ß er zweierlei N o r m e n innerhalb seiner Muttersprache b e w u ß t voneinander getrennt halte. A l s o w i r d vereinfachend die eine als falsch abgestempelt, w ä h r e n d die andere als die einzig richtige gilt.

W e n n i n der 8. und 9. Klasse, dem Lehrplan folgend, die Eigenheiten der deutschen M u n d a r t e n besprochen werden, ist es an der Zeit, ein Stück W a h r h e i t einfließen zu lassen: D i e M u n d a r t stellt eine v o n der Schriftsprache u n a b h ä n g i g e Sprachschicht dar, die ihre eigene Entwicklung hat u n d ihrer eigenen G e s e t z m ä ß i g k e i t unterliegt. Wenn bei der Durchnahme des Altdeutschen wiederum sprachgeschichtliche Fakten erwähnt werden, m u ß eindeutig klargestellt werden: d a ß unsere Schriftsprache nur die erstarrte Summe hochdeutscher M u n d a r t e n (zu ungleichen Teilen) darstellt; d a ß die großen historischen W a n d l u n g e n i n der deutschen Sprache i n den M u n d a r t e n stattgefunden haben; d a ß die A u s w i r k u n g e n der sog. Sprachgesetze nicht einmalige Ereignisse i n der 1 Vergangenheit waren, sondern d a ß sie z. T . noch heute i n den M u n d a r t e n lebendig sind;

d a ß m a n aufgrund v o n Regeln u n d P r i n z i p i e n der hochdeutschen G r a m m a t i k ebenso- wenig ü b e r die Richtigkeit u n d G ü t e mundartlicher u n d umgangssprachlicher Fügungen u n d Formen z u Gericht sitzen k a n n wie etwa ü b e r fremdsprachliche Eigenheiten 3\

(3)

Nachdem die Schüler bereits mit zwei oder sogar drei Fremdsprachen Bekanntschaft gemacht haben, k a n n u n d m u ß diese Klarstellung vorgenommen werden. W i e sie latei- nische, englische, französische oder griechische G r a m m a t i k nebeneinander sehen und - falls die Fachlehrer sie anzuregen verstehen — durch Vergleiche Ä h n l i c h k e i t e n und G e g e n s ä t z e feststellen werden, so k ö n n e n sie jetzt auch angeleitet werden, Schrift- sprache u n d M u n d a r t e n vergleichend z u betrachten, u m dadurch einen Einblick i n die P r i n z i p i e n der deutschen Sprachentwicklung z u gewinnen. D i e synchronische Betrach- tung m ü n d e t fugenlos ein i n die Diachronie: Unterschiede i m zeitlichen Nacheinander werden i n Parallele gesetzt z u dem gleichzeitigen Nebeneinander ähnlicher Befunde in Hochsprache u n d M u n d a r t . So w i r d der dem Schüler s e l b s t v e r s t ä n d l i c h e Besitz der heimatlichen M u n d a r t für den Deutschunterricht fruchtbar, w e n n es darum geht, i n die scheinbaren Fremdsprachen A l t - u n d Mittelhochdeutsch e i n z u f ü h r e n . D e r Schüler soll allmählich beginnen z u verstehen, d a ß die deutsche Sprache nicht eine übersichtliche, 3) Wem würde es einfallen, etwa den englischen präpositionalen Genitiv (the pages of the book — die Seiten des Buches) vom Standpunkt der deutschen Grammatik aus zu beur- teilen und ihn als unkorrekt oder auch bloß unschön zu bezeichnen?

(3)

glatte O b e r f l ä c h e ist, sondern d a ß darunter, w i e unter dem b l a n k e n Spiegel eines Teiches, eine reiche, schier unerforschlich vielgestaltige Unterwasserlandschaft verbor- gen ist, die die Farbe des ganzen G e w ä s s e r s u n d damit auch den G l a n z der Oberfläche bewirkt. D i e Beschaffenheit der U f e r u n d die v o n verschiedenen Seiten z u s t r ö m e n d e n Q u e l l e n tragen ebenfalls z u m „ W e s e n " des Teiches b e i , v o n dem w i r nur die Oberfläche wahrnehmen. D e r Schüler soll a l l m ä h l i c h einsehen, d a ß die deutsche Sprache zeitlich, räumlich u n d soziologisch strukturiert ist u n d trotzdem eine Einheit darstellt. A l t - u n d Mittelhochdeutsch sind d a n n keine F r e m d k ö r p e r mehr, sondern werden integriert i n das V e r s t ä n d n i s des G a n z e n 4 ).

(4)

Für die praktische D u r c h f ü h r u n g eröffnen sich z w e i methodisch g r u n d s ä t z l i c h ver- schiedene W e g e der D a r b i e t u n g :

1. D e r Lehrer stellt bei Gelegenheit des einen oder anderen mittelhochdeutschen (mhd.) W o r t e s , das einer E r l ä u t e r u n g bedarf, die V e r b i n d u n g z u m entsprechenden M u n d a r t w o r t her, u m die Ä h n l i c h k e i t beider i m Gegensatz z u m sich unterscheidenden schriftsprachlichen W o r t aufzuzeigen. E i n B e i s p i e l : Es k o m m t i m Text das m h d . V e r b u m Hegen vor5>; ein Schüler ü b e r s e t z t es falsch m i t neuhochdeutsch (nhd.) liegen. D a r a u f h i n schlägt der Lehrer v o r , die bairische M u n d a r t z u H i l f e z u nehmen. W a s entspricht n h d . liegen i m Bairischen? [liiy], mit einem M o n o p h t h o n g ; also k a n n i m M h d . u n m ö g l i c h

4) Es bedarf kaum der E r w ä h n u n g , d a ß Lehrer wie Schüler eine gewisse Mundartfestigkeit mitbringen m ü s s e n , ohne die die hier vorgeschlagene Methode in der Luft h ä n g e n w ü r d e . — Das Literaturverzeichnis führt eine Reihe v o n grundlegenden Werken auf, die dem Deutschlehrer z. T . vom Studium her bekannt sein dürften. Für die Praxis des Unterrichts eignet sich keines dieser Werke unmittelbar. Darauf abgestellte V e r ö f f e n t l i c h u n g e n sind weit weniger zahlreich, vor allem aber weniger umfassend und gut. Versuche wie die Hefte 2/1956 und 1/1963 der Zeitschrift Der Deutschunterricht kommen dem B e d ü r f n i s des Leh- rers noch am weitesten entgegen. Recht n ü t z l i c h erscheinen die Sprachlehre von VJ ollmann und das Büchlein von Bergmann. Im Deutschen Sprachbuch von Henß/Kausch, Bd. 3 (11.—13. Schuljahr) ist der Betrachtung von Mundarttexten so g r o ß e Bedeutung beigemes- sen, d a ß gerade sie herangezogen werden, um das V e r s t ä n d n i s sprachlicher Ereignisse und Gegebenheiten zu erleichtern.

So erstaunlich es nach der gewaltigen Umschiditung der deutschen Mundarten sein mag, die der Zweite Weltkrieg bewirkt hat, wir finden heute an den meisten Schulen eine relativ einheitliche Konversationssprache der Schüler, die sich weitgehend mit der b o d e n s t ä n d i g e n Alltagssprache ihrer Umgebung deckt (Literatur: W. F. Leopold, Das Deutsch der Flücht- lingskinder, in: Zeitschr. f. Mundartforschung 23 (1961), S. 289 ff.). Das bedeutet etwa für den Raum Ober- und Niederbayern, d a ß sich die Schüler spräche im phonologischen System, in der Grammatik und v. a. auch im Wortschatz stark nach dem Bairischen münchnerischer P r ä g u n g ausrichtet. (Vgl. dazu: Max Dingler, Bayrisch und M ü n c h n e r i s c h ist nicht ganz dasselbe, in der Zeitschrift Zwiebelturm, Jg. 1958, S. 245.) Das zeigt auch die G e g e n ü b e r s t e l l u n g von Lauttexten aus M ü n c h e n und dem nur 30 km entfernten Freising, herausgegeben von H. L. Kufner (Lautbibliothek d. deutschen Mundarten, Heft 35) und L. G. Zehetner (Reihe Phonai, i m Druck).) Diese landschaftliche Umgangssprache weist zahlreiche E i g e n t ü m l i c h k e i t e n der eigentlichen Mundart auf, entbehrt aber der Archaismen und der oft recht k l e i n r ä u m i g differenzierten phonologischen A l l e i n g ä n g e der Bauern- mundart.

5) Swer liegen kan der ist gemeit. (Meier Helmbrecht)

(4)

der D i p h t h o n g ie stehen, denn m h d . ie ergab bair. [id] *\ wie an vielen Beispielen u n - schwer nachgewiesen werden k a n n . Demnach m u ß das i n Frage stehende m h d . W o r t gleich bair. [lidy] sein, d. h . n h d . lügen. A u s der G e g e n ü b e r s t e l l u n g :

ergibt sich die richtige Ü b e r s e t z u n g sozusagen „ e i n s p r a c h i g " , ohne das Neuhochdeutsche zur E r k l ä r u n g beanspruchen z u m ü s s e n . — D e r H i n w e i s auf die neuhochdeutsche D e h - n u n g i n offener Silbe {ligen ]> [liigdn] *>) u n d die V e r w e n d u n g des Graphems ie zur Schreibung des langen /i/J-Lautes einerseits u n d die unorganische R u n d u n g des V o k a l s i n n h d . lügen zur lautlichen Unterscheidung v o n n h d . liegen andererseits6 ) werden sich als E r l ä u t e r u n g z u diesem W o r t anschließen.

Das ist an sich recht s i n n v o l l , nur hat diese A r t der sporadischen A u s f l ü g e i n die Sprachgeschichte z w e i Nachteile: Erstens ist eine Zersplitterung der Stunde unvermeid- lich. D i e Schüler werden v o m inhaltlichen Erfassen des Textes abgelenkt; die Exkurse i n die M u n d a r t sind dem V e r s t ä n d n i s des Sinnganzen einer mittelhochdeutschen Dichtung nicht zuträglich. B e i dem a n g e f ü h r t e n Beispiel aus Meier Helmbrecht etwa ist nach der sprachlichen E r l ä u t e r u n g wieder der Zusammenhang herzustellen z u m vorher Gesag- ten: Z e r r b i l d der hohen Ritterideale, L u g u n d T r u g anstelle von ere und tugent, V e r f a l l des höfischen Lebens usw. D a m i t geht die Einheitlichkeit der L e k t ü r e s t u n d e verloren. — Zweitens bekommen die Schüler das G e f ü h l , der Lehrer reite n u n einmal das Stecken- pferd M u n d a r t k u n d e u n d k ö n n e es einfach nicht lassen, selbst an inhaltlich dichten u n d spannenden Stellen seinen „ B e z u g z u m Bairischen" herzustellen. Selbst für an der M u n d a r t interessierte Schüler m u ß diese offensichtliche M a r o t t e des Deutschlehrers mit der Zeit A n l a ß zur Heiterkeit werden.

2. A l s Alternative dazu gibt es die M ö g l i c h k e i t , zwei oder auch mehr Deutschstunden einzuplanen, die ausschließlich der M u n d a r t k u n d e gewidmet sind. Das dabei en bloc gebotene M a t e r i a l k a n n allerdings nicht so umfassend sein, d a ß nicht gelegentlich i m Laufe der mittelhochdeutschen L e k t ü r e einzelne E r l ä u t e r u n g e n u n d H i n w e i s e einge- flochten werden m ü ß t e n .

Bei der Besprechung der althochdeutschen (ahd.) S p r a c h d e n k m ä l e r fällt schon einiges an M a t e r i a l an, das ausreicht, ein gewisses Interesse für den Zusammenhang zwischen dem Altdeutschen u n d der heutigen bairischen M u n d a r t z u wecken. W^enn die A h n u n g einmal erwacht ist, d a ß v o m Altdeutschen her eine unmittelbare u n d ununterbrochene V e r b i n d u n g besteht zur eigenen gewohnten M u n d a r t , d a n n ist es an der Zeit, diese A h n u n g durch konkrete Kenntnisse z u s t ü t z e n u n d z u m festen Wissensbesitz auszu- bauen.

*) Aus technischen G r ü n d e n konnte in diesem Aufsatz der phonetisch einwandfreie Unter- schied zwischen dem faj-haltigen Schwa (z. B. in bair. [lidy, bruddd]) und dem /e/-haltigen (in nhd. [liigdn]) graphisch nicht zum Ausdruck gebracht werden; für beide Laute steht [d], das Symbol für reduziertes [e]. In der Mundartforschung ist für Schwachton-/a/ das auf den Kopf gestellte Zeichen a üblich. — Ebenso m u ß t e die Bezeichnung der Nasalierung in [ei, ed] unterbleiben.

6) In Anlehnung an das im Ablaut zum Verbum stehende Substantiv Lug bzw. zum j ü n g e r e n Lüge. V g l . auch die L ö s u n g , die die englische Sprache gefunden hat, um die Homophone to lie = liegen und to lie = lügen zu vermeiden: Letzteres wird meist durch die F ü g u n g to teil a lie ersetzt.

m h d . liegen m h d . ligen

bair. [li^rj]

bair. [Hin]

(5)

Im Lorscher Bienensegen h e i ß t das W o r t f ü r „ B i e n e " imbi, i m heutigen Bairisch Impm. I m zweiten Merseburger Zauberspruch findet m a n das W o r t holz i n der Bedeu- tung „ W a l d " wie i n der M u n d a r t ; dort w i r d auch gesprochen v o n Sinthgunt, Sünna era suister u n d Friia, Volla era suister — vergleiche die bairischen P o s s e s s i v f ü g u n g e n der Marie ihre Schwester oder dem Vater sein Hut7^, i m Wessobrunner Gebet fällt die dop- pelte V e r n e i n u n g auf: do dar niuuiht ni uuas — vergleiche bairisch: Nix Gwiß woaß ma net oder / hob nia nix gsagt.

Schon hier k a n n m a n zeigen, wie eine Brücke v o m Altdeutschen unmittelbar h e r ü b e r - f ü h r t z u m heutigen Bairisch, die das „ k ü n s t l i c h e " Gebilde der neuhochdeutschen Schrift- sprache ü b e r s p a n n t :

A h d . / M h d . / n h d . >

Schriftspr. M u n d a r t

A u f diese A r t werden sehr viele E r l ä u t e r u n g e n , die sonst die flüssige L e k t ü r e unter- brechen w ü r d e n , vorweggenommen.

(5)

D i e hochdeutsche Konsonantenverschiebung w i r d i n der Regel schon i n der 8. Klasse behandelt. S p ä t e r k a n n dann der Nachdruck auf die Scheidung i n hoch- u n d nieder- deutsche M u n d a r t e n gelegt werden. Z u r Illustration ist eine sprachgeschichtliche K a r t e u n e r l ä ß l i c h 8 ).

Eine notwendige E r g ä n z u n g zur Z w e i t e n Lautverschiebung ist der H i n w e i s auf die A f f r i z i e r u n g b z w . Spirantisierung a l l e r S t a r k v e r s c h l u ß k o n s o n a n t e n . p> pf,ff (f) u n d t > {t)z, ss (s) ist an zahlreichen Beispielen nachzuweisen, k > kch, ch hingegen ist i n der Hochsprache nicht z u finden. H i e r empfiehlt sich die K a r t e 17 (oder 38) des D e u t - schen Sprachatlas. Sie zeigt k l a r , d a ß die Verschiebung Kind > Kchind i m ä u ß e r s t e n S ü d e n des deutschen Sprachgebietes tatsächlich d u r c h g e f ü h r t ist: i n den a l p e n l ä n d i s c h e n [ M u n d a r t e n des Tirolischen u n d Schweizerischen. A n diesem Befund l ä ß t sich erweisen, , d a ß i n der Sprachgeschichte strenge Systematik herrscht: N i c h t irgendeine A u s w a h l v o n L a u t e n w i r d verschoben, sondern eine durch ein bestimmtes phonetisches Charakteristi-

| k u m z u einer G r u p p e z u s a m m e n g e f a ß t e Reihe v e r ä n d e r t sich i n ihrer Gesamtheit. D a -

| m i t ist das P r i n z i p der Reihenschritte erschlossen, das i m V o k a l i s m u s eine so bedeutende j R o l l e spielt.

D e r H i n w e i s auf mundartlich i siech, er siecht (ich sehe, er sieht) mit starker Spirans l ä ß t ein für allemal die m h d . L a u t u n g des Graphems h (bzw. ch) verstehen, das als

^Reibelaut z u artikulieren ist u n d nicht als Hauchlaut, auch da, w o es v o m Neuhoch- deutschen her m e r k w ü r d i g anmuten m a g :

m h d . er siht bair. er si(e)cht n h d . er [zi:t]

l 7) Dativ 4- Genitiv liegt ü b r i g e n s , zur Worteinheit verschmolzen, auch vor in dem bair.

i Genitiv Plural des Personalpronomens: [ednd] < in + zY, z. B. Des is eahna Freid = das ist ihre ( „ i h n e n ihre") Freude.

8) Recht übersichtlich zeigt die V e r h ä l t n i s s e etwa die Vorsatzkarte im Sprachbuch von Henßf

\ Kausch, Bd. 3. Geeignet sind auch die Karte von Hellmut Rosenfeld oder einfachere Dar- stellungen wie etwa die Karte 2 im Buch von Kurt Wagner. Falls dem Lehrer die g r o ß e n Originalkarten (im DIN-A-l-Format) des Deutschen Sprachatlas irgendwie z u g ä n g l i c h sind, sollte er es nicht v e r s ä u m e n , wenigstens die Karte 4 (bzw. 31) „ich" vorzuzeigen, um zu demonstrieren, wie die in den vereinfachten Karten gezogenen Linien erstellt wurden.

(6)

D i e n h d . Schreibung er sieht zeigt die alten V e r h ä l t n i s s e i n musealer Erstarrung u n d entspricht damit dem g ü l t i g e n mundartlichen Befund, w ä h r e n d sich die hochsprachliche L a u t u n g d a v o n entfernt h a t9 ).

(6)

(6.1) G a n z ohne G r a m m a t i k geht das V e r s t ä n d n i s des Mittelhochdeutschen n u n ein- m a l nicht, auch w e n n es die meisten Schüler u n d manche Deutschlehrer gern so h ä t t e n . I n den Beiheften z u den g e b r ä u c h l i c h e n L e s e b ü c h e r n mit altdeutschen Texten w i r d je- weils ein A b r i ß der mittelhochdeutschen Sprachlehre gegeben. N e b e n der neuhochdeut- schen D e h n u n g i n offener T o n s i l b e (leben> [leibdn]) stehen als bedeutendste V e r ä n d e - rungen v o m M i t t e l - z u m Neuhochdeutschen die M o n o p h t h o n g i e r u n g der D i p h t h o n g e ie, uo, üe z u [i\, ui, yi] einerseits (mhd. liehe guote brüeder > n h d . [liiba guitd bryiddr]) u n d die D i p h t h o n g i e r u n g der alten Langvokale i, ü, iu (einschließlich des U m l a u t s iü) z u [ai, aw, oi] andrerseits (mhd. min niuwes hüs > n h d . [main noids haus]). F ü r die H o c h - sprache treffen beide W a n d l u n g e n z u . D i e s ü d d e u t s c h e n M u n d a r t e n hingegen, das Bairische u n d das A l e m a n n i s c h e , kennen die V e r e i n l a u t u n g der alten Zwielaute nicht.

Es h e i ß t bairisch [lidwe gudde briddd]. Es freut die Schüler, z u h ö r e n , d a ß das M i t t e l - hochdeutsche diese drei Z w i e l a u t e mit ihrer eigenen M u n d a r t gemeinsam hat. D i e V e r - b i n d u n g Mittelhochdeutsch ->- Bairisch ist hier unmittelbar z u greifen, w ä h r e n d sich die Hochsprache nach den M u n d a r t e n gerichtet hat, die vereinlauten.

H i e r fügt sich die E r k l ä r u n g des m h d . W o r t e s ieder gut ein. Es hegt der gleiche D i p h t h o n g ie v o r wie etwa i n liebe, keineswegs Reibelaut / + e. D i e Schüler g e w ö h n e n sich rascher an die richtige Aussprache des W o r t e s , w e n n m a n sie darauf hinweist, d a ß es i m b ä u e r l i c h e n Bairisch auch heute noch [dn iddd] h e i ß t (bzw. nordbairisch [an eidd]

m i t sog. g e s t ü r z t e m D i p h t h o n g ) . D a s Simplex m h d . ie (nhd. je) erscheint mundartlich i n der schwer durchschaubaren Zusammensetzung [d'didmol] ( = manchmal), das als et-ie-mal a u f z u l ö s e n ist.

(6.2) M a n k a n n sagen, d a ß die M u n d a r t ausgesprochen diphthongfreudig ist. W i r haben gesehen, d a ß die alten Zwielaute bewahrt worden sind. D a z u haben die ober- deutschen M u n d a r t e n noch neue entwickelt. In den k u r z e n E i n f ü h r u n g e n ins M i t t e l - hochdeutsche finden sich v e r s t ä n d l i c h e r w e i s e n u r die drei Fälle verzeichnet, die für die Hochsprache v o n Bedeutung sind. W ä h r e n d mitteldeutsche M u n d a r t e n hinsichtlich der M o n o p h t h o n g i e r u n g für die i n der heutigen Hochsprache e i n g e f ü h r t e L a u t u n g m a ß - geblich w a r e n , ist die D i p h t h o n g i e r u n g der alten Langvokale ein Beitrag des S ü d e n s , w o z. T . a l l e L a n g v o k a l e verzwielautet wurden. — M a n schreibt B e i s p i e l w ö r t e r mit m h d . L a n g v o k a l e n an die T a f e l u n d l ä ß t die mundartlichen Entsprechungen suchen:

f?v r i m h d . zit nordbair. Zeit [ai] n h d . Zeit [ai]

Hute Leit [ai] Leute [oi]

hüs Haus [au] Haus [au]

sne Schnäi [ei] Schnee [ei]

roete Räidn [ei] Röte [cei]

tot doud [ou] tot [oi]

här Houa [ou] Haar [ai]

9) Es ist also richtig zu sprechen: Ich such mit minen ougen ... (Walther 9.16) und Secht mich an, jungen man (Carmina Burana), auch wenn in den Schulausgaben sah und seht gedruckt steht.

(7)

V o n den 7 Langvokalen erscheinen i n der Hochsprache 3 diphthongiert, w ä h r e n d sich i n der O b e r p f ä l z e r M u n d a r t die ganze Gruppe geschlossen z u Zwielauten entwickelt hat. A m besten ruft m a n den Schülern das irgendeinmal v o r g e f ü h r t e Vokaldreieck ins G e d ä c h t n i s zurück. W i r entwerfen die Figur für die mittelhochdeutschen Langvokale (a).

Daraus ergibt sich i n der Vorstufe des heutigen Bairisch durch Entrundung die V e r e i n - fachung (b). N a c h der Diphthongierung ist die Figur auf n u r mehr 4 Zwielaute zusam- mengeschrumpft (cj.

(a) mittelhochdeutsch (b) (c) nordbairisch i iu ü i *~ . ü [ai] [au]

e ce 6 e . 6 [ei] [ou]

ä ä

Es w i r d deutlich, d a ß hier ein P r i n z i p mit vollendeter Konsequenz d u r c h g e f ü h r t ist, w ä h r e n d die Hochsprache (d) dagegen nur recht Uneinheitliches bietet:

(d) n h d . Hochsprache [ai] [oi] [au]

[e:l [er:/ [oij [a:]

Jetzt sehen die Schüler: D i e M u n d a r t k a n n einmal konservativ sein, dann aber auch fortschrittlicher als die Hochsprache. U n d was m a n oft geneigt ist, als altmodischen Bauerndialekt z u verspotten, erweist sich als die konsequente F o r t f ü h r u n g einer T e n - denz, die i n der Hochsprache n u r stückweise realisiert worden ist. D i e M u n d a r t zeigt hier eindeutig den moderneren Befund. M e r k w ü r d i g n u r : D i e Entwicklung zit > Zeit wurde allgemein akzeptiert, und niemand findet daran etwas ungeschlacht u n d b ä u r i s c h - unfein. H i e r k a n n m a n die Schüler z u der Einsicht f ü h r e n , d a ß ästhetische M a ß s t ä b e i m Lautbild einer Sprache nichts U n v e r r ü c k b a r e s sind, sondern immer a n der gewohnten Mehrheitsnorm gemessen werden, somit also immer relativ sind.

(6.3) A u s m h d . i ist i m Neuhochdeutschen u n d Bairischen der Zwielaut [ai] gewor- den, der meist ei geschrieben w i r d . W a s geschah m i t d e m alten m h d . ei, das solcher- m a ß e n Zuwachs bekam? Betrachtet m a n n u r die schriftsprachlichen Formen, so lautet die A n t w o r t : Es k a m einfach z u dem alten ei ein neues dazu; denn i n der Hochsprache fallen lautlich zusammen:

mhd, lip u n d leip i n n h d . [laip], orthographisch differenziert: Leib, Laib

„ lieh „ leich „ „ [laix(a)]f „ „ : Leiche, Laich

„ min(en) „ meinen „ „ [maindn] (Possessivpronomen; V e r b u m ) // wis „ wei$ „ „ [wais] (Farbe; V e r b f o r m ich weiß)

„ win „ wein(en) „ „ [wain(dn)] (Wein, weinen).

Derlei k a n n n u r i n einer künstlich geschaffenen Mischsprache Zustandekommen; die natürlich gewachsene M u n d a r t suchte einen A u s w e g , um solche Verwischungen z u ver- meiden: D a s alte ei wich aus i n Richtung der o-Laute u n d wurde z u [od]. U n d so unter- scheidet das Bairische heute f e i n s ä u b e r l i c h : [laiwdl— lodwdlt0\ laixx — loax, meina*) — modna, wais — woas, wei *) — woana].

10) Leiberl — Leibchen, Kleidungsstück; Laiberl = kleiner Laib, eine A r t Semmel.

*) [ei] ist die durch Nasaleinwirkung geschlossene und nasal zu artikulierende Variante von [ai].

(8)

Statt der mittelhochdeutschen O p p o s i t i o n M o n o p h t h o n g — D i p h t h o n g steht im Bairischen die zwischen gespreiztem u n d gerundetem D i p h t h o n g . D a m i t vermeidet die M u n d a r t alle die i n der Hochsprache auftretenden ef-Homophone u n d erreicht i m rein Lautlichen eine Eindeutigkeit, z u der die Schriftsprache der orthographischen Differen- zierung bedarf, z. B . Weise — Waise, Leib — Laib, Rhein, rein — Rain, Seite — Saite u s w .n ). W i e oben die M u n d a r t zur richtigen Ü b e r s e t z u n g des mittelhochdeutschen liegen f ü h r t e , so k a n n auch die bairische ei-Korrektheit gelegentlich ein M i ß v e r s t ä n d n i s aus dem W e g r ä u m e n . H a t Leiter i m Mittelhochdeutschen ei oder i? W i e steht es mit den Entsprechungen v o n breit, Leid, bleiben, streiten? G a n z einfach: mundartliches [ai]

zeigt mittelhochdeutsches i an (bliben, striten), [oa] hingegen weist auf altes ei (leiter, breit, leid).

(6.4) Ä h n l i c h e n N u t z e n zieht der Schüler aus dem W i s s e n , d a ß der Langvokal x z u m bairischen hellen [a] geworden ist. Liest er W ö r t e r wie draen, laer, swaer u . ä., so . k a n n er sie meist nicht sofort richtig ü b e r s e t z e n . D i e bairischen Entsprechungen sind aber leicht z u finden: [drain, Xair, fwa:r] u n d damit sind die Bedeutungen drehen, leer, schwer rasch g e k l ä r t . Einer der Kernbegriffe des Minnesangs, stdete, w i r d leicht i m Ge- d ä c h t n i s haften bleiben, w e n n die lautliche Entsprechung i n der heutigen M u n d a r t her- angezogen w i r d : [fta:d]; das A b s i n k e n der Bedeutung auf still, ruhig ist k e i n Einzel- fall. — D i e hochdeutschen H o m o p h o n e lehren u n d leeren k a n n der Schüler nicht ohne weiteres etymologisch voneinander scheiden. E r k a n n nicht wissen, d a ß das Paar in m h d . leren u n d Ideren zerfällt, w o h l aber w e i ß er, d a ß letzteres i n der M u n d a r t [lairn]

h e i ß t . D e r i n der Schriftsprache einzig orthographisch fixierte Unterschied hat also nicht n u r eine semantische, sondern auch eine historisch-phonologische B e g r ü n d u n g , die im Neuhochdeutschen nicht mehr i n Erscheinung tritt.

(6.5) D e m Schüler werden bei der mittelhochdeutschen L e k t ü r e b a l d W ö r t e r auffal- len wie kumen, gunnen, sun, sunne, summer, besunder, gewunnen, gerunnen oder künec, ir muget (müget), sünnelen, kunnen (künnen) usw. D i e neuhochdeutschen Ent- sprechungen haben alle als Stammvokal o b z w . ö. M a n k a n n diesen Befund einfach in die Regel fassen, d a ß u u n d ü v o r N a s a l e n häufig z u o u n d ö gesenkt worden sind. Dem Schüler werden aber die altdeutschen Formen gleich viel heimischer k l i n g e n u n d sogar vertraut v o r k o m m e n , sobald i h m aufgeht, d a ß seine heimische M u n d a r t dieselben Ver- h ä l t n i s s e aufweist wie das Mittelhochdeutsche. Es h e i ß t bairisch: [kuma, (fa)guna, sui, suna, suma, bsundas, gwuna, gruna] u n d [khiine, es migts, sinaln, khina] usw., wobei i n den letzteren das alte ü z u i entrundet erscheint (kommen, gönnen, Sohn, Sonne, Sommer, besonders, gewonnen, geronnen; König, ihr mögt, sonnen, können).

(7)

(7.1) Häufig u n d auffallend treten i n den Texten Formen der sogenannten athemati- schen V e r b e n (oder ui-Verben) auf: gen, sten, tuon, sin. D e r Infinitiv selbst ist bereits bemerkenswert wegen seiner Einsilbigkeit. Diese Besonderheit verwundert den Mund- artkundigen nicht. A u c h i m Bairischen sind diese V e r b e n einsilbig: [gei, fte:, töa, sei].

D a ß es sich hierbei nicht u m K o n t r a k t i o n e n handelt, l ä ß t sich leicht mit H i l f e der Nasa- lierung nachweisen: D a s sie bewirkende -n m u ß den Stammvokal schon ursprünglich b e r ü h r t haben. D e r Unterschied w i r d offenkundig durch G e g e n ü b e r s t e l l u n g e n mit den Singularformen des P r ä s e n s : [i fte:, du fteist, er fteit] — keine Nasalierung! D i e heu- tige M u n d a r t weist genau die V e r h ä l t n i s s e des Mittelhochdeutschen auf, bis i n die Fein- i l ) Hinweis auf die einzig als Klang lebendige Mundart (Sprechsprache) und die Doppel- existenz des Hochdeutschen als gesprochene und geschriebene Sprache (Sprache+Schreibe)!

(9)

heit der Nasalendung i n der 1. Person Sigular, die eines der Charakteristika der u.i- Verben darstellt; allerdings tritt sie nur mehr i n der Inversion — aus S a n d h i - G r ü n d e n — auf: [da f temi, do gsmi hii, des tudni], m h d . ich sten, ich gen, ich tuon.

(7.2) Welle wir uns scheiden . . . e da$ wir heginnen hie ze jagenne? steht i n der X V I . A v e n t i u r e des Nibelungenlieds. W a s für eine m e r k w ü r d i g e V e r b f o r m : ze jagennel Es handelt sich u m das i m Mittelhochdeutschen noch vorhandene G e r u n d i u m1 2* . Es scheint, als h ä t t e das heutige Deutsch keine Spur des Gerunds mehr aufzuweisen; b e i der Besprechung der diesbezüglichen G r a m m a t i k k a p i t e l i n den Fremdsprachen sind die V e r s t ä n d n i s s c h w i e r i g k e i t e n der scheinbar völlig neuartigen Kategorie g r o ß . D a s B a i - rische hat i n seiner z. T . konservativen A r t auch einen Rest des Gerunds bewahrt. Dies läßt sich am besten am V e r b u m tun zeigen. Der Infinitiv lautet [töd]; z. B . Nix toa waar schee. Sobald der Infinitiv aber mit zu erscheint, h e i ß t er [ts-toan]; z . B . Der hat nix ztoan. E r k l ä r u n g : E i n einziges n geht i n der N ä s e l u n g des V o k a l s auf, D o p p e l - n h i n - gegen bleibt erhalten:

bair. [töa] < m h d . tuon

[ts-todn] < zetuonne

W i r haben also i n der F o r m z'toan einen lebendigen Rest des alten Gerunds v o r Augen.

(7.3) Eine weitere Brücke zwischen Altdeutsch u n d dem heutigen Bairischen auf dem Gebiet der Formenlehre des V e r b u m s findet sich bei den V e r b e n der III., I V . u n d V . A b - lautsreihe, die i n beiden Sprachstufen i n der 1. Person Singular P r ä s e n s den Stamm- vokal i zeigen: bairisch i wirf, stirb, verdirb u . a . m . (III.); i nimm, brich, sprich, drisch, erschrick, stich, kimm 13> u . a. m . ( I V . ) ; i gib, si(e)ch, tritt, iß, friß, vergiß, lies u . a. m . ( V . ) . Das i steht lautgesetzlich als Folge der sog. Brechung, die v o n der althochdeutschen Endung -m verursacht wurde: ich *nemu > nimu > m h d . nim. D i e Hochsprache hat infolge Analogieausgleiches nach dem Infinitiv b z w . dem P l u r a l die 1. Person aus der ehemaligen Einheitlichkeit des Singulars herausgenommen (ich nehme, du nimmst, er nimmt). — W i e i m Mittelhochdeutschen sind auch die bairischen Partizipien der V e r - gangenheit aller V e r b e n der III. Ablautreihe einheitlich: [gfwuma, gruna, gfpuna, gwuna] usw., w ä h r e n d die Hochsprache das u r s p r ü n g l i c h e u n u r vor gedecktem N a s a l bewahrt hat (getrunken, gebunden) u n d es sonst z u o gesenkt hat (geschwommen, ge- ronnen).

(8)

A u s der nominalen Formenlehre sei als Beispiel etwa die V e r w e n d u n g des Personal- pronomens statt des Relativpronomens e r w ä h n t , das schon i m Althochdeutschen seinen Dativ verloren hatte, so d a ß dafür als Ersatz der D a t i v des geschlechtigen F ü r w o r t s ein- tritt: m h d . im, ir, in (inen) > bair. [eam, iarau\ ea(eana)]. E i n Beispiel bietet etwa Walthers Reichsspruch 8.28: . . . sam tuont die vogel under in. Im Bairischen: Des soll er eahm selber holn. D i e neuhochdeutsche Entsprechung beider S ä t z e verwendet das Reflexivpronomen sich an Stelle des personalen F ü r w o r t s1 5 ).

12) Paul/Schmitt, Mittelhochdeutsche Grammatik 195717, § 300; ze ist als P r ä p o s i t i o n aufzu- fassen, nach der jagenne als Dativ des Gerundiums steht.

13) Der Infinitiv lautet im Bairischen neben kumma meist kemma < ahd, queman; daher zur IV. Ablautsreihe g e h ö r i g .

14) Oft ersetzt durch die maskuline Form [edm], die dann als ungeschlechtiges Reflexivprono- men aufzufassen ist. Sie hat eahm selber kocht (Sie hat für sich selbst gekocht).

15) Vergleiche aber M ö r i k e s Gedicht Auf eine Lampe, in dem es h e i ß t : Was aber schön ist, I selig scheint es in ihm selbst.

(10)

Im Nibelungenlied lesen w i r die folgenden S ä t z e : sie stürben . . . von zweier edelen vrouwen nit u n d wie si einen valken . . . züge, den ir zwene am erkrummen. Der Schüler fragt sich: W o h e r k o m m e n die zweierlei Formen des Zahlworts? D i e Erklärung, d a ß das Mittelhochdeutsche noch eine m ä n n l i c h e , eine weibliche u n d eine sächliche Form unterscheidet (zwene, zwo (zwuo) zwei), k a n n wieder mit H i l f e der bauernmundart- lichen Formen g e s t ü t z t werden. In ländlichen Gegenden sagt m a n heute noch [tswei oksn, tswou mand, tswoa haisa]. D a haben w i r die völlig lautgesetzlich entwickelten Nachfahren der geschlechtigen Formen des Z a h l w o r t s . In der Hochsprache hat sich ein- zig die N e u t r u m f o r m durchgesetzt1 6 ).

Bei der mittelhochdeutschen L e k t ü r e w i r d dem Schüler auffallen, d a ß manches Sub- stantiv ein anderes Genus hat als i m Neuhochdeutschen, z. B . der list, das sPers der site u . a. m . (die List, der Speer, die Sitte). A u c h der ritterliche Zentralbegriff diu mä^e ist femininen Geschlechts, o b w o h l es heute das Maß h e i ß t . W o ist da die V e r b i n d u n g zur M u n d a r t ? E i n gewaltiger Sprung i n der Bedeutung, aber zweifellos geht die Maß (Bier) auf das mittelhochdeutsche F e m i n i n u m zurück.

(9)

A u f dem Gebiet der Syntax setzen sich manche E i g e n t ü m l i c h k e i t e n des Mittelhoch- deutschen i n der M u n d a r t fort, w ä h r e n d die Schriftsprache andere Wege gegangen ist.

D i e V o r s t e l l u n g etwa, d a ß doppelte V e r n e i n u n g einer Bejahung gleichkäme, ist dem Altdeutschen wie der M u n d a r t völlig fremd; sie ist v o m Lateinischen her geformt (nonnullus = mancher, nonnihil = etwas; dagegen: koana net = ü b e r h a u p t keiner, nixn (< nihtesniht) = gar nichts). — Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen mittelhoch- deutschem u n d bairischem Sprachgebrauch liegt vor i n der V e r w e n d u n g der Vergleichs- partikel wie auch b e i m K o m p a r a t i v (Oana scheena wia da anda), w ä h r e n d die hoch- deutsche G r a m m a t i k wie für Gleichwertigkeit u n d als, denn für A b s t u f u n g vorschreibt.

Ä h n l i c h v e r h ä l t es sich mit den W ö r t e r n wenn u n d wann, deren Funktionen i n der Hoch- sprache eindeutig geschieden s i n d : wann als Fragewort, wenn als K o n j u n k t i o n . Die M u n d a r t aber sagt: Wenn kimmt er denn? Wann er fertig is, oder aber auch i n umge- kehrter Verteilung. D a s ist gute altdeutsche Gepflogenheit; denn auch das Mittelhoch- deutsche verwendet unterschiedslos nebeneinander wenne u n d wanne.

(10)

(10.1) S i n d diese K a p i t e l , i n denen die M u n d a r t zur E r l ä u t e r u n g mittelhochdeutscher Gegebenheiten dient, m i t einer Klasse besprochen, so k a n n i n einer der folgenden Deutschstunden der Blick auf das F o r t w i r k e n sprachgeschichtlicher Prinzipien gelenkt werden, was bei Gelegenheit der Diphthongierung der alten Langvokale bereits ange- schnitten wurde. A n h a n d einiger Beispiele soll der Schüler erfahren: D i e Sprache bleibt lebendig. W a s i n der Hochsprache vorliegt u n d i n Grammatikregeln fixiert ist, ist nichts E n d g ü l t i g e s . S p ä t e r w i r d sich vielleicht einmal als Sprachgesetz her- ausstellen, was w i r heute i n den A n f ä n g e n mitgeformt haben, ohne uns einer Verände- rung b e w u ß t z u sein. A l s Beispiel aus dem Bereich des Lautlichen m ö g e die i n vielen

16) Wenn um der Deutlichkeit willen beim Telefonieren zwo gesagt wird (um es klanglich von eins und drei abzuheben), so greift man damit auf die alte weibliche Form des Wortes zurück.

(11)

Teilen des bairischen Dialektgebietes feststellbare M o n o p h t h o n g i e r u n g der Zwielaute [ai] u n d [au] stehen. Statt [glai] (gleich) h ö r t m a n [gle:]; auf w i r d als [a:f] realisiert.

D i e Mundartsprecher glauben, noch Diphthonge z u sprechen, w ä h r e n d sie i n W i r k l i c h - keit n u r mehr einheitliche L a n g v o k a l e artikulieren. Ähnlich unmerklich w i r d sich die V e r z w i e l a u t u n g v o n m h d . i, ü, iu > [ai, au, oi] angebahnt haben. Eine Tendenz, für die Sprechenden selbst k a u m feststellbar, k a n n sich i m Rückblick als wichtiges Lautgesetz herausstellen.

(10.2) Schwierige Lautfolgen werden i n der M u n d a r t vereinfacht, indem m a n die Laute einander angleicht, sie assimiliert. D i e Hochsprache kennt n u r sehr begrenzte M ö g l i c h k e i t e n der A s s i m i l a t i o n , etwa den V e r l u s t der Stimmhaftigkeit eines A n l a u t - s nach stimmlosem V o r k l a n g : [das zalts > das salts]. D i e M u n d a r t hingegen ist sehr assimilationsfreudig. N e h m e n w i r als Beispiel die häufig auftretenden Lautgruppen hen, den, gen; ten; del, tel. I m W o r t n e b e n t o n verlieren sie ihren V o k a l ; die jetzt silbischen Liquide bieten sich zur A s s i m i l a t i o n a n :

m h d .

>

bair.

leben leibn [leim]

reden reidn [rein]

sagen saign [soirj]

treten treitn [trem]

k n ö d e l k n e i d l [krjeil, krjel]

zetel tsetl [tseil, tsel]

In diesen Fällen tritt meist Totalassimilation des V e r s c h l u ß l a u t e s e i n ; bei pen, ken k o m m t es n u r zur einfachen A n g l e i c h u n g des N a s a l s : pumpen > pumpm, schinken >

(10.3) W i e die Lautangleichung dient auch die V e r m e i d u n g des Z u s a m m e n s t o ß e n s zweier V o k a l e (Hiatus) der Sprecherleichterung. A l s Hiattrenner erscheinen i m B a i r i - schen r oder n17):

[ai-r-9moi] auch einmal

[wi9-r-i garj9 bi] wie ich gegangen b i n (als ich ging) [boi-n-i moig] (so)bald ich mag (wenn ich will)

M a n k a n n sich diese Einschiebsel entstanden denken i n A n a l o g i e z u Fällen mit laut- gesetzlichem -r- oder -n- i n der W o r t f u g e , z. B .

[gilb mar 09ns] gib m i r eins!

[i9ts gen i ho9m] jetzt geh ich h e i m [an oar] ein E i .

(ii)

V o m Standpunkt der Sprachentwicklung aus wichtiger noch als die phonetischen Erscheinungen sind die Neuerungen i n der M o r p h o l o g i e , die die M u n d a r t aufzuweisen hat. I n allen modernen Sprachen ist der Zerfall des reichen indogermanischen Flexions- systems offenbar. Sieht m a n sich etwa die Verbalendungen für die 1. Person P l u r a l a n , so w i r d der A b b a u deutlich sichtbar:

17) Vergleiche f r a n z ö s i s c h il a, aber a-t-il? oder englisch a man, aber an egg.

(12)

lat.

ahd.

m h d . n h d . s c h w ä b . bair.

engl.

(laud) -amus (nem) -ames -emes -em -en (la33)-en (lass)-9n (lass)-a (lass)-n (let)-

2 Silben

1 Langsilbe

1 K u r z s i l b e R e d u k t i o n s v o k a l silbischer K o n s o n a n t keine E n d u n g

D a s Englische ist a m weitesten fortgeschritten: Indem es auf Flexionsendungen fast völlig verzichtet, hat es den Charakter einer synthetischen Sprache aufgegeben. Es scheint n u n , als w ä r e n die s ü d d e u t s c h e n M u n d a r t e n auf demselben Wege. D e m ist aber keinesfalls so. I m Gegenteil: D i e der Verdeutlichung dienenden morphologischen Neuerungen i n der bairischen M u n d a r t bleiben nicht n u r i m R a h m e n des synthetischen Systems, sondern bauen es geradezu a u s1 8 ).

(11.1) Endungen z u r Verdeutlichung der W o r t a r t : teuer, halb sind an sich nicht als A d j e k t i v e gekennzeichnet; deshalb stattet sie die M u n d a r t m i t geläufigen A d j e k t i v - endungen aus: teur-ig, halb-et.

(11.2) Sogenannte „ p o t e n z i e r t e W o r t f o r m e n " : Eine E n d u n g w i r d verdoppelt, u m sie eindeutig bleiben z u lassen, selbst w e n n sie einmal sprachvereinfachenden M a ß n a h m e n z u m O p f e r gefallen ist (z. B . der A s s i m i l a t i o n ) . Solche v e r s t ä r k t e W o r t f o r m e n liegen vor i n derer als D a t i v des femininen A r t i k e l s b z w . des Demonstrativpronomens (Derer Frau kann man nicht helfen) oder i n Pluralformen wie [budmd, fraund] <C Buben-en, Frauen-erc. Jedesmal w i r d das Kasussuffix verdoppelt, u m seine F u n k t i o n z u sichern.

So ist auch die bairische D i m i n u t i v e n d u n g [dl] („-erl") eine V e r s t ä r k u n g , die notwendig wurde, als das einfache -Z-Diminutiv b e i zahlreichen W ö r t e r n z u r Normalbezeichnung geworden war, z. B . [khaiwi] < Kälbl(ein) = „ K a l b " , aber [khaiwdl] mit potenziertem Suffix = „ k l e i n e s K a l b "1 9 ). — D o p p e l u n g des Negationszeichens liegt v o r i n nixn

„ n i c h t s " , das m a n sich aus nichtesnicht entstanden denken k a n n (Was ist los? — Nixn!).

(11.3) Neue Kasusmorpheme: U m den Kasus trotz Endungsschwundes deutlich z u machen, hat das Bairische eine silbische Variante des bestimmten A r t i k e l s entwickelt, deren Entstehung nicht ganz g e k l ä r t i s t2 0) : Des is as erste Mal (statt: 's erste Mal). Oana nach an andern. 1 sags am Lehrerl Des is am Vätern sei Sach (possessiver D a t i v ) . Statt einer E n d u n g erscheint hier ein Kasuszeichen v o r dem flektierten N o m e n .

(11.4) Enklitische P r o n o m i a z u r Sicherung der Personalendung des V e r b s : D a s B a i - rische konjugiert i m P l u r a l f o l g e n d e r m a ß e n : 1. [mid ham] ( < w i r haben) oder mid hammd ( < w i r haben-wir); 2. [es habts] ( < e ß h a b t - e ß ) . D e r P r o z e ß des Endungs- 18) Ingerid Dal schreibt a . a . O . : „ D i e Mundarten weisen systemerhaltende Tendenzen auf,

indem das durch A u f l ö s u n g bedrohte System mit neuen Morphemen wieder ausgebaut worden ist, so d a ß der synthetische Charakter der Sprache im wesentlichen unerschüttert bleibt."

19) V . Schirmunski, V e r s t ä r k t e Wortformen in den deutschen Mundarten (in: Zeitschrift für Mundartforschung 26 (1958), S. 236).

20) ders., a. a. O . S. 228; auch bei Dal a. a. O .

(13)

Schwundes w i r d also wettgemacht durch neue Endungen 2 1 ): -ma und -rs2 2> für die 1.

und 2. Person P l u r a l , entstanden aus den angeschmolzenen Personalpronomina mia (wir)undej(?2 3>.

(11.5) A u s d e h n u n g der Flexion auf Konjunktionen u n d Pronomina, die i n K o n g r u e n z mit der Person des V e r b u m s Endungen annehmen: Bleib, wo-st bist! Ob-st magst oder riet. Wanns kemmts, seids da. ..., weils eß riet kemma seids ( „ w o d u , ob d u , w e n n ihr, weil i h r " ) .

(11.6) Formen des K o n j u n k t i v s : I m Gegensatz z u m Schwinden des K o n j u n k t i v s i n der Schriftsprache behauptet er sich i n der M u n d a r t nicht nur, sondern hat sogar neue morphologische M ö g l i c h k e i t e n entwickelt. W ä h r e n d die Hochsprache nur für die starken Verben eine einfache V e r b a l f o r m des K o n j u n k t i v II kennt (ich gäbe), k a n n die M u n d a r t zu j e d e m V e r b u m , stark oder schwach, eine e i g e n s t ä n d i g e , unverwechselbare einfache Form für den Irrealis b z w . das K o n d i t i o n a l b i l d e n : mit H i l f e des Suffixes -at. Bei starken Verben tritt es entweder an den P r ä s e n s s t a m m ([i geixoat]) oder aber auch an den P r ä t e r i t u m s t a m m ([i g&iwat]). D a r ü b e r h i n a u s existiert bei manchen starken V e r b e n auch noch die endungslose F o r m ([i ga:bj). In unserem Zusammenhang nicht v o n Bedeu- tung ist die analytische Bildungsweise täte + Infinitiv ([i fa:f ge:m]). Insgesamt stehen für die F u n k t i o n des Irrealis b z w . Konditionals bei manchen V e r b e n v i e r M ö g l i c h k e i - ten zur V e r f ü g u n g , bei jedem V e r b u m aber mindestens z w e i :

[er khemat] [er mciixat]

[er khaimat] — [er khaim] —

[er ta:t khema] [er ta:t mctxa] (er k ä m e ; er w ü r d e machen).

Ein G r u n d für den morphologischen A u s b a u des K o n j u n k t i v s ergibt sich einleuch- tend, w e n n m a n den reich entfalteten Gebrauch dieses M o d u s i n der M u n d a r t bedenkt:

Konjunktiv des Wunsches, der Hypothese, der Möglichkeit, des Zweifeins, der beschei- denen Ä u ß e r u n g , des erreichten Resultats u . a. m .

(11.7) U m l a u t . Z u r Verdeutlichung einer grammatikalischen Kategorie dient i m Deutschen u . a. der U m l a u t , z. B . Hut — Hüte; groß — größer. Ü b e r die gewohnten u m - lautfähigen V o k a l e u n d D i p h t h o n g e (a, o, u, au) hinaus bildet das Bairische z u [od]

( < m h d . ei) den U m l a u t [ea], offensichtlich i n Analogie zu [ou] ( < m h d . ö). W i e [grous

— greissa] findet sich entsprechend [hoas — heassa] ( g r o ß , h e i ß ) . S o e r h ä l t m a n ein inneres P l u r a l - b z w . Komparativzeichen bei W ö r t e r n , die das nicht vermuten lassen:

[ftoa — fteana] Stein/e [broad — breada] breit/er [goas — geass] G e i ß / e n [woax — weaxxa] weich/er Auch i n Wortableitungen erscheint der eigentümliche U m l a u t des ei: V o n [broad]

bildet m a n [breadn] (die Breite), v o n [soax] das V e r b u m [seaxln] (seichein, nach U r i n riechen).

21) J. A. Schmeller, Die Mundarten Bayerns, § 722; A. Pfalz, Suffigierung des Personalprono- mens im Donaubairischen, Wien 1918; und reiche sonstige Literatur.

22) Ebenso entstand früher die Endung der 2. Person Singular, -st: A n die ursprüngliche Endung -s (nimis) trat enklitisch das Pronomen pu: nimis-pu > nimist.

23) Das Personalpronomen eß ist ein ehemaliger Ehial, der im Bairischen pluralische Bedeu- tung angenommen hat; ebenso enk, enker (euch, euer). E. Kranzmayer handelt ausführlich darüber in der Festschrift für D . Kralik (Horn 1954, S. 249—259).

(14)

W a s soll n u n mit der D a r b i e t u n g des hier zusammengestellten M a t e r i a l s erreicht werden? Welchen G e w i n n hat der Schüler ü b e r das b l o ß e Faktenwissen hinaus? Das Z i e l dieser Stunden ist ein dreifaches: Sie w o l l e n Ü b e r s e t z u n g s h i l f e n bieten, Erkennt- nisse vermitteln u n d A n r e g u n g e n geben. (1) Indem Parallelen i n Lautgestalt, F o r m e n - lehre, Satzbau u n d Wortschatz zwischen dem Altdeutschen u n d der heimatlichen M u n d - art aufgezeigt werden, erleichtert m a n den Schülern das Übersetzen und Verstehen der alt- u n d mittelhochdeutschen Texte. — (2) D i e Schüler sollen erkennen:

W e d e r das Altdeutsche noch die M u n d a r t sind M u s e u m s s t ü c k e oder K u r i o s i t ä t e n , m e r k w ü r d i g e A b w e i c h u n g e n v o m N o r m a l e n , sondern sie stellen zeitlich b z w . soziolo- gisch u n d geographisch bedingte Ebenen ein u n d derselben Muttersprache dar. W i e das A l t - u n d Mittelhochdeutsche z u ihrer Zeit galten, wie die neuhochdeutsche Hochsprache heute ihren Bereich hat, so hat auch die M u n d a r t ihren W i r k r a u m u n d ihren G ü l t i g - keitsbereich. Besteht sie heute neben der Hochsprache, so steht sie zeitlich vor i h r ; das zeigen Gemeinsamkeiten zwischen den f r ü h e r e n Stufen u n d der M u n d a r t , an denen die Hochsprache keinen A n t e i l hat. D i e M u n d a r t ist keine minderwertige Sprache, keine abgerutschte Hochsprache, sondern lebendige Sprachwirklichkeit i n h ö h e r e m M a ß e als die neuhochdeutsche Schriftsprache.

Sprachgesetze sind nicht etwas ein f ü r allemal Abgeschlossenes; sie g e h ö r e n nicht e n d g ü l t i g der Vergangenheit an. W i r selbst sind Zeugen sprachlicher Entwicklungen, w i r k e n i n M u n d a r t u n d Umgangssprache an V o r g ä n g e n mit, die vielleicht s p ä t e r e Jahr- hunderte als „ G e s e t z e " bezeichnen werden. F ü r die L a u t v e r h ä l t n i s s e , den Formenbe- stand u n d den Satzbau gibt es keine starren Gesetze, sondern n u r P r i n z i p i e n , nach denen das Geschehen verläuft. Vereinfachung und Verdeutlichung haben sich bei unse- r e m G a n g durch die M u n d a r t k u n d e als die wesentlichsten herausgestellt.

(3) Diese Streiflichter sollen die Schüler aber auch anregen, ihre eigene Sprache u n d das sprachliche Geschehen i n ihrer U m w e l t z u beobachten. Es soll ein K e i m v o n Interesse geweckt werden für die Sprache als solche, als O b j e k t der Betrachtung u n d der Beschäf- tigung, nicht nur als Informationsmedium. Nicht nur die b e w u ß t geformte Sprache der Literatur verdient unsere A u f m e r k s a m k e i t u n d Beachtung i m Deutschunterricht, son- dern auch das N a t u r g e w ä c h s der M u n d a r t . Vielleicht findet mancher Schüler Geschmack an der Beobachtung der geographisch u n d soziologisch bedingten Unterschiede i n M u n d - art u n d Umgangssprache seiner Heimat.

K L E I N E B I B L I O G R A P H I E

Allgemeine Darstellungen: A.Bach, Deutsche Mundartforschung,Heidelberg 19502; G.Berg- mann, Mundarten und Mundartforschung, Leipzig 1964; B. Martin, Die deutschen Mundarten, Marburg 19592; R. E. Keller, German Dialects, Manchester 1961; W . Mitzka, Deutsche M u n d - arten, Heidelberg 1943; ders., Hochdeutsche Mundarten (in: Deutsche Philogogie im A u f r i ß , Bd. I 655—784); V . Schirmunski, Deutsche Mundartkunde, Berlin 1962; E . Schwarz, Die deut- schen Mundarten, G ö t t i n g e n 1950; K.Wagner, Deutsche Sprachlandschaften (Deutsche Dialekt- geographie Bd. 28, Marburg 1927); ders., Die Gliederung der deutschen Mundarten, Mainz 1954.

Bairisch: E. Kranzmayer, Historische Lautgeographie des gesamtbairischen Dialektraumes, Wien 1956 (umfassendes Standardwerk!); Schuster/Schikola, Sprachlehre der Wiener M u n d - art, Wien 1956; K . Winkler, Heimatsprachkunde des A l t b a i r i s c h - O b e r p f ä l z i s c h e n , K a l l m ü n z 1936; J. Lachner, 999 Worte Bayrisch, M ü n c h e n 1969 (und f r ü h e r ) ; J. M . Bauer, A u f gut Baye- risch. Eine Fibel unserer eigenen Sprache, M ü n c h e n 1969.

(15)

Grammatik: I. Dal, Systemerhaltende Tendenzen in hochdeutschen Mundarten (in: Wirken- des Wort 6 (1955/56), 138—144); H . L. Kufner, Strukturelle Grammatik der Münchner Stadt- mundart, München 1961; J. A. Schmeller, Die Mundarten Bayerns grammatisch dargestellt, München 1821.

Hochsprache — Umgangssprache — Mundart: Mundarten und Schriftsprache (Der Deutsch- unterricht Jg. 8, H . 2, Stuttgart 1956); K. Bischoff, Sprachliche Beziehungen zwischen Stadt und Land in neuerer Zeit (in: Studium Generale, Jg. 16, 631—642, Berlin 1963); H. Brinkmann, Hochsprache und Mundart (in: Wirkendes Wort 6 (1955/56), 65—76); F. Debus, Zwischen Mundart und Hochsprache (in: Zeitschrift für Mundartforschung 29 (1962), 1—43); W. Henzen, Schriftsprache und Mundarten, München/Bern 19542 (grundlegend!); E. Kranzmayer, Hoch- sprache und Mundarten in den Österreichischen Landschaften (in: Wirkendes Wort, Sammel- band I, 115—122, Düsseldorf 1962); I. Reiffenstein, Mundart, Umgangssprache, Hochsprache in Bayern (in: Schönere Heimat, Jg. 51, S. 548 f., München 1959); H . Moser, Umgangssprache (in: Zeitschrift für Mundartforschung 27 (i960)); J, Stave, Wie die Leute reden, Lüneburg 1964.

Auf die Schulpraxis ausgerichtete Veröffentlichungen: H . Hohmann, Die sprachbildende Kraft des mittelhochdeutschen Unterrichts (in: Wirkendes Wort, Sammelband IV, S. 41—48, Düsseldorf 1962); H. Schobel, Reste alten Sprachgebrauchs in neuerer Zeit (in: Der Deutsch- unterricht 15, H . 1, Stuttgart 1963); F. A. Vogt, Oberdeutsche Mundartdichtung, Stuttgart (Klett) 1968; F. Wollmann, Deutsche Sprachkunde auf sprachgeschichtlicher Grundlage, Wien/

Graz 19637.

Dialektgeographie: Deutscher Sprachatlas, Marburg 1926 ff. (bis jetzt sind 128 Karten ver- öffentlicht) ; Deutscher Wortatlas, herausgegeben von W. Mitzka, ab Bd. 5 mit L. E, Schmitt, Gießen 1951 ff.

Zeitschriften: Für unser Sprachgebiet wichtige Veröffentlichungen finden sich in den Heften 2/1956; 4/1958; 1/1963 der Zeitschrift Der Deutschunterricht, Stuttgart (Klett) und in den Sammelbänden I und IV der Zeitschrift Wirkendes Wort, Düsseldorf (Schwann), 1962. Das Organ der wissenschaftlichen Mundartforschung ist die Zeitschrift für Mundartforschung, Halle 1937 ff„ jetzt Wiesbaden (Steiner).

Wörterbücher: J. A. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, 2. Aufl. bearb. von K. G. Frommann, 2 Bde., München 1872—77 (unentbehrlich!); österreichisches Wörterbuch, Wien 1964 ff. (er- scheint in Lieferungen); Bayerisches Wörterbuch (im Entstehen begriffen; Kommission für Mundartforschung bei der Bayer. Akademie der Wissenschaften, München); H. Fischer, Schwä- bisches Wörterbuch, Tübingen 1904—36; Schweizerisches Idiotikon, Frauenfeld 1881 ff.;

H. Küpper, Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, Hamburg 1956 ff.; Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, Berlin (erscheint in Lieferungen).

Material für den Unterricht: H. Rosenfeld, Karte zur althochdeutschen Lautverschiebung mit den wichtigsten Mundartgrenzen, München 19615; L. M . Weifert, Deutsche Mundarten, Teil I: Süddeutschland, Österreich, Schweiz, Elsaß. 2 Schallplatten und Leitfaden mit einer Übersichtskarte, München 1964 (J. F. Lehmanns Verlag). Tonbänder mit Proben deutscher Mundarten bereitet das Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht, München, vor.

Der Kampf um das soziale Drama in Deutschland vor 1848

Von Dr. Reinhard Dithmar, Eßlingen/Neckar I.

„Das deutsche Drama scheint einen neuen Aufflug zu nehmen. Welche Aufgabe hat es jetzt zu lösen? . . . Soll es in die Gegenwart hineingreifen? soll es sich nach der Vergangen- heit zurückwenden? oder soll es sich um keine von beiden kümmern, d. h. soll es sozial, histo- risch oder philosophisch sein?"

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