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L e b e n s z e i c h e n

Deutschland

Von Stefanie Schoene und Ahmet Şenyurt 26.09.2021

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2021

Sprecherin:

Toleranz, Chancengerechtigkeit und gesellschaftliche Teilhabe - dafür wirbt die Gülen-Bewegung.

O-Ton aus Gülen Video 2018 (übersetzt):

Demokratie ist das Rezept für plurale Gesellschaften. Jeder glaubt an das, was er will. Der eine an Marx, der andere an Engels, der nächste an unseren Herrn.

Sprecherin:

Seit 30 Jahren ist die türkische Gülen Bewegung in Deutschland aktiv. Seit ihr Gründer Fetullah Gülen 1998 in die USA geflohen ist, nennt die Bewegung sich selbst Hizmet. Das bedeutet auf Deutsch „Dienst“. Besonders im Bildungsbereich werden Dienste angeboten.

O-Ton Erol Ünal:

Es ist ziemlich interessant dort, die reden auch immer über den Islam dort.

Sprecherin:

Erol Ünal Student.

O-Ton Umut Ali Öksüz:

Warum ich Nachhilfe gebraucht hab, ist klar. Ganz typische Standard-Story. Die Eltern konnten kein Deutsch, als Nachhilfeeinrichtung, wo nur türkischsprachige Menschen waren, war das für mich ne gute Anlaufstelle.

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Sprecherin:

Umut Ali Öksüz, Religionspädagoge.

Das Oberhaupt der Gülen-Bewegung, Fethullah Gülen, hält Demokratie nicht für eine Staatsform.

Sondern für den Weg zu einer religiöseren Gesellschaft im Sinn des Islam. In einer Textsammlung Gülens, „Kein Zurück von der Demokratie“, die 2018 in deutscher Übersetzung erschienen ist, heißt es:

Sprecher 2 Zitat Gülen:

„Wenn es eine humane Demokratie geben soll, dann muss sie mich komplett annehmen, sie muss so gestaltet werden, dass sie alle meine Bedürfnisse befriedigt.“

Sprecherin:

Für Gülen scheint die Demokratie erst einmal gut, weil sie Religionsfreiheit garantiert. Dialog-Dinner, Empfänge, Konferenzen, Lesungen – auf den Events der Gülen-Bewegung in Deutschland ist sehr viel von Demokratie, Toleranz und Vielfalt die Rede. Doch wie viel Demokratie lebt die Bewegung nach innen?

Bis zu 150.000 türkische und Türkei stämmige Gülen-Anhänger soll es in Deutschland geben. Seit 30 Jahren organisieren sie sich hier. Sie betreiben 3.500 Firmen, 75 Nachhilfeinstitute, 300 Vereine, 22 staatlich genehmigte Privatschulen und eine unbekannte Anzahl religiöser Wohnheime.

Solche Wohnhäuser stehen unerkannt in fast jeder deutschen Universitätsstadt. Hier wohnen Studenten, aber auch Schüler der Nachhilfeeinrichtungen gehen dort ein- und aus. Für sie gibt es hier Nachhilfe, Ausflüge, Spiele und Unterricht in Islam, Moral und Charakterbildung.

Gülen selbst nennt sie „Lichthäuser“. Hier wird die nächste, die „goldene Generation“ sozialisiert.

Auch Umut Ali Öksüz sollte Teil dieser goldenen Generation werden. Er verbrachte sieben Jahre beinah jeden Nachmittag im Lernzentrum der Hizmet-Bewegung. Erst als Nachhilfeschüler, dann als Betreuer. Vier Jahre war er als Lehrer in einem Lernzentrum der Hizmet-Bewegung tätig. Erstmals erzählt er öffentlich von seinen Beobachtungen.

O-Ton Umut Ali Öksüz :

Die Lehrer waren engagiert, unabhängig von der Hizmet-Bewegung, die Lehrer, die mit gar nichts zu tun haben und die Hizmet-Lehrer liefen meistens mit oder hatten ihr eigenes

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Programm. Man hatte gemerkt, man hat engagierte Lehrer, die Familien sind zufrieden, alles ist gut. Die Schüler schreiben gute Noten.

Sprecherin:

Wir treffen Erol Ünal in Stuttgart. Es ist Corona Zeit, das Interview muss draußen stattfinden. Der 28- jährige Student besuchte vier Jahre lang Sohbets der Gülen-Bewegung. Sohbet bedeutet

Gesprächskreis. Er war auf der Suche, sagt er, wollte mehr über seine Religion, den Islam, lernen.

Andere islamische Gemeinden hatten ihn nicht überzeugt. Die Gülen-Sohbets versprachen mehr Tiefe.

O-Ton Erol Ünal:

Es hat auch ne Zeit Spaß gemacht, der las was vor, dann wurde auch immer schwarzer Tee angeboten. Immer wieder wurde uns auch was zum Essen angeboten.

Sprecherin:

Überall auf der Welt laufen die Sohbets der Gülen-Einrichtungen nach den gleichen Muster. Fetullah Gülen ist heute 80 Jahre alt. Ihm gelang etwas Außergewöhnliches: Schon mit seinem ersten

„Lichthaus“ in der türkischen Stadt Izmir zog er Jugendliche und junge Männer der konservativen Mittelschicht in seinen Bann. Der Beginn einer Massenbewegung.

Innerhalb von nur vierzig Jahren baut die Gülen-Bewegung ein umfassendes, weltweites Religions-, Schul- und Wirtschaftsimperium auf. Keine andere der zig islamisch-konservativen Konkurrentinnen in der Türkei legte je eine so rasante Entwicklung hin.

Heute ist sie laut türkischem Geheimdienst in rund 170 Ländern mit ihren Bildungsunternehmen aktiv. Ein großes, attraktives Karrierenetzwerk für bis zehn Millionen Anhänger.

Als die Partei des heutigen Staatspräsidenten Erdogan 2002 ihre erste Wahl gewann, versorgte das Gülen-Netzwerk ihn mit gut ausgebildeten jungen Akademikern. Man expandierte gemeinsam nach Afrika, Asien, Amerika und Europa.

Gülens Erfolgsrezept ist die Verbindung von Islam und Wissenschaft. Religiöse Familien

unterstützen ihn, vor allem solche, die in der Wirtschaft bereits ein Vermögen machten. Und weil ein wichtiger Teil der islamischen Glaubenspraxis das Spenden ist, gingen Milliarden aus diesen Firmen in den Aufbau neuer Bildungseinrichtungen auf allen Kontinenten. Der Unterricht folgt dabei

nationalen Lehrplänen. In den meisten Ländern, so auch in Deutschland, steht Religion nicht auf dem Lehrplan.

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1998 geriet Fethullah Gülen ins Fadenkreuz der türkischen Justiz. Die Staatsanwaltschaft beschuldigte ihn in einer Predigt seine Millionen Anhänger zur Unterwanderung des Staates

aufgerufen zu haben. Gülen stritt alles ab und ging in die USA. Dort lebt er 90 Autominuten von New York entfernt mit einem Dutzend seiner treuesten Gefährten im „Golden Generation Camp“. Gülen hat nie geheiratet. Hier empfängt er jene Brüder, die auf den Kontinenten die Imame der jeweiligen Länder koordinieren. Eine interne Leitungsstruktur, deren Aufbau und Personal bis heute nicht öffentlich bekannt ist, deren Existenz nach außen bestritten wird. Unsere Interviewanfragen an den Deutschland-Imam bleiben unbeantwortet.

Mit 16 ging Erol Ünal vier Jahre lang in ein kleines Lichthaus, eines der religiösen Wohnheime der Gülen-Bewegung in seiner Stadt nahe Stuttgart. Erst heute versteht der Student, dass das Netzwerk mehr ist und dass in der offiziellen Nachhilfe rekrutiert wird.

O-Ton Erol Ünal:

Ich war z.B. als Kind in so einer Nachhilfeeinrichtung und nach ner gewissen Zeit eingeladen, ob ich nicht im Sommer an so ‘nem Camp teilnehmen will. Aber erst in solchen Camps bekommt man auch zu sehen, dass sie nach und nach schauen, die Schüler für sich zu gewinnen. Wir haben immer Filme angeguckt, aber nebenbei hat man eben auch religiöse Inhalte vermittelt. Das war dann so ‘ne langsame Annäherung.

Sprecherin:

Die Bewegung hat Erfolg, weil die deutsche Bildungspolitik die Kinder türkischer Familien

jahrzehntelang nicht mitgenommen hat. Hier setzte die Gülen-Bewegung mit ihrem Nachhilfeangebot an. Rein weltlich, für Mathe, Englisch, Deutsch. Gülen selbst schreibt in seinem Buch „Prisma“ über die Lichthäuser:

Sprecher 2 Zitat Gülen:

„Es ist gut, mit dem Koran in der einen Hand und der Logik in der anderen in die Herzen der Menschen einzudringen statt wie früher mit einem Schwert in der Hand. In diesen Lichthäusern werden Soldaten des Geistes erzogen.“

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Sprecher:

Erol Ünal hat das Lichthaus erlebt. Die Antworten auf kritische Fragen haben ihn damals verstört.

O-Ton Erol Ünal:

Als ich mal einen Abi, einen Bruder in der Gemeinde mal fragte, wie es mit der Steinigung ist im Islam, ob das nicht zu brutal ist? Ob das nicht unzeitgemäß ist? Da meinte er, dass das durchaus mit dem Islam konform ist. Dass es legitim ist. Und da sah ich über Jahre hinweg, dass die Gemeinde nicht so liberal ist, wie sie nach außen hin präsentieren. Als die

Diskrepanz zwischen dem, was außen hin präsentieren und wie sie selbst ist, ist total unterschiedlich, ganz anders.

Wenn es zum Beispiel darum geht, Kontakte nach außen zu knüpfen, sieht man sehr wohl bedeckte Frauen, die einem die Hand geben mit Männern. Aber da weiß ich selber, dass das zum Teil gespielt ist. Man will mit den konformen Werten auch mithalten. Man wird sich hier anpassen. nach außen hin. Aber nach innen weiß ich, dass dort eine strikte

Geschlechtertrennung herrscht. Das selbst in Konferenzen Männer auf der linken und Frauen auf der rechten Seite sitzen. Die Hände nicht gibt. Wenn ich das Innenleben sehe und das sehe, was man nach außen präsentiert, sehe ich natürlich eine enorme Kluft:

Sprecherin:

Auch Umut Ali Öksüz kam als Schüler zu einer Gülen-nahen Bildungseinrichtung. Er wurde später Nachhilfelehrer und organisierte Freizeitaktivitäten für den Verein:

O-Ton Umut:

Das fing beispielsweise an mit Aktionsfahrten, dass man Mädchen und Jungen nicht mischen soll. Ne, wir hatten mal beispielsweise die Lehrerkollegen hatten mal ne Ferienfreizeit geplant, wirklich komplett so viel Zeit investiert wie noch nie und hatten uns total gefreut und am Ende hatten wir dann quasi einen auf den Deckel bekommen… sagt mal, seid ihr eigentlich völlig irre, wie könnt ihr etwas machen, was unseren Vorstellungen nicht entspricht.

Sprecherin:

Viele Jugendliche mit Einwanderungshintergrund wachsen in einem Spannungsfeld auf. Die Welt der Lichthäuser habe Einfluss darauf, wie sie die Welt draußen wahrnehmen, meint Erol aus Stuttgart:

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O-Ton Erol Ünal:

Es ist wirklich so, dass man solche Werte auch verinnerlicht. Ich fing wirklich damit an eine Distanz zu Mädchen aufzubauen. Ich begrüßte sie z.B. nicht mit einer Umarmung oder einem freundschaftlichen Kuss auf die Wange, weil ich das schon für ziemlich intim hielt, ist,

sündhaft. Auch wenn ich das damals für nicht richtig hielt, habe ich eine Distanz zu Mädchen aufgebaut.

Sprecherin:

Der Islamwissenschaftler Florian Volm forscht seit Jahren zu Gülen. Auch zu den Moralvorstellungen.

O-Ton Florian Volm:

Seine Moral und seine Vorstellung von Moral ist immer sehr stark an den Begriff der Keuschheit geknüpft, was soziale Beziehungen zwischen Menschen anbelangt, vor allem, wenn es darum geht, die nicht verheiratet oder nicht verwandt sind, dass es hier bestimmte Beschränkungen gibt, grad wenn es um die Auflösung normativer Strukturen geht, all diese Sachen sind sehr islamisch konnotiert und sind auch nicht aufzulösen.

Sprecher:

Was bedeutet das für Jugendliche wie Erol und Umut, die zweifeln, Fragen stellen?

O-Ton Erol Ünal:

In der Schule sah ich meine Freunde, die in der Schule erste Beziehungen eingehen und ich in diesen Gemeinden der Frau noch nicht mal die Hand geben darf. Natürlich führt das zu enormen inneren Anspannungen. Weil ich nicht wusste, wie ich mich verhalten soll.

O-Ton Umut Öksüz:

Natürlich gehen die Kinder und Jugendlichen, die hier aufwachsen, in die deutschen Schulen und sind in der deutschen Gesellschaft angekommen, aber durch den engen Kontakt in die Ideologie sind sie psychisch nicht wirklich angekommen. Sie werden sich nicht voll wie

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Deutsche fühlen. Es ist für viele schon eine Qual, wenn sie neben Mädchen sitzen müssen oder neben Jungen.

Sprecher:

Umut Öksüz war nach vier Jahren Engagement ernüchtert.

O-Ton Umut Öksüz:

Ab dem Punkt habe ich mir ganz viele Fragen gestellt, dann wurde mir klar, ich …. und auch die Lehrerinnen und Lehrer die unabhängig waren, sind hier irgendwie fehl am Platz. Hier hat das Kind keine freie Entfaltung. Das war dann für mich der Entschluss zu sagen, bis hier hin und nicht weiter. Und dann erreichten mich aus ganz NRW, weil wir auch oft diese

Nachhilfereflektion hatten, auch in den anderen Städten, immer mehr Anfragen, immer mehr Hilferufe von anderen Lehrern, die so ähnliche Erfahrungen gemacht hatten.

Sprecherin:

Sind Umut und Erol nur Einzelfälle? Die Gülen-Bewegung genießt ein positives Image, ihre Bildungs- und Jugendarbeit ist anerkannt.

Vertreter der Bewegung sind gern gesehen bei Parteien, Gewerkschaften und Kirchen. Geld und Unterstützung gibt es, weil sie ein demokratisches Image haben. In Nordrheinwestfalen, das zeigen unsere Recherchen, erhielten die Gülen-Vereine 2019 und 2020 für Projekte in der Jugendarbeit 2,8 Millionen Euro aus den Kassen des Sozialministeriums und der fünf Regierungsbezirke. Der Bund und das Land Berlin haben eine besondere Förderung aufgelegt. Insgesamt 20 Millionen Euro stellen sie für das House of One in der Mitte Berlins zur Verfügung. Eine jüdische und eine protestantische Gemeinde sowie eine Dialog-Organisation der Gülen-Bewegung als muslimischer Partner bauen hier an einem multireligiösen Ort für Gebet und Debatte. Für die Gülen-Bewegung ein Vorzeigeprojekt.

Am Abend des 15. Juli 2016 rollen Panzer auf die Bosporus-Brücke in Istanbul. Einheiten des Militärs riegeln die Zugänge auf europäischer und asiatischer Seite ab. Tieffliegende F16-Kampfjets donnern über Istanbul und Ankara. Offene Gefechte zwischen Polizei und Armee in den Straßen der

Hauptstadt. Bei den Putschisten soll es sich um von Fethullah Gülen gesteuerte Aufrührer handeln.

Im Verlauf des Vormittags wird klar: Der Coup des Militärs ist gescheitert.

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O-Ton Erdogan:

„Dieser Aufstand (in diesem Augenblick) ist (für uns) ein Geschenk Gottes.“

Sprecherin:

In der Folge werden 500.000 Menschen Opfer einer beispiellosen Verfolgungsjagd. Darunter viele Anhänger der Bewegung. Entlassen, angeklagt, verhaftet. Wer kann, flieht. Zigtausende Flüchtlinge sind es und eines ihrer Hauptziele ist Deutschland. Nach unseren Recherchen haben hier etwa 23.000 Gülen-Anhänger einen Asylantrag gestellt. 80 Prozent haben politisches Asyl oder Flüchtlingsstatus erhalten. Damit liegt die Anerkennungsquote so hoch wie bei keiner anderen Flüchtlingsgruppe. Eine vormals gesellschaftliche Elite, die hier Schutz sucht.

Einer von ihnen ist der 50-jährige Ayhan, Professor für Turkologie. Seinen richtigen Namen möchte er nicht nennen. Vom türkischen Staat als Gülen-Terrorist eingestuft, floh er Ende 2019 über Athen nach Deutschland. Wir treffen ihn in Göttingen zum Interview auf einer Parkbank.

Ihm wird vorgeworfen auf seinem Handy Bylock installiert zu haben, einen Messenger-Dienst, der funktioniert wie Whatsapp. Als ein Freund von ihm 2016 festgenommen wurde, stieß die Polizei auch auf Ayhans Nummer. Mit der bloßen Nutzung von Bylock ist man Terrorist in der Türkei.

O-Ton Ayhan:

Das ist alles. Das ist alles jetzt Verbrechen. Deswegen bin ich reingekommen. Mein Rechtsanwalt hat gesagt, ich soll nichts sagen. Aber ich habe erzählt, dass ich als kleiner Junge, Jugendlicher diese Schule besucht habe. In dieser Schule gearbeitet habe. Das war blödsinnig. Das Verhör war ein Fehler.

Sprecherin:

Ayhan sitzt wegen Unterstützung einer Terrororganisation monatelang in Untersuchungshaft. Ende 2019 kommt er unerwartet frei. Er beschließt zu fliehen.

Viele kommen hierher so wie Ayhan. Sie stehen untereinander in Kontakt, werden vom deutschen Gülen-Netzwerk unterstützt. Die Neuen gründen zahlreiche neue Initiativen, Medien und Vereine.

Darunter Interessensgruppen ehemaliger Diplomaten, Militärs, Richter und Rechtsanwälte. War die

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Gülen-Bewegung beteiligt am Putsch? Wir fragen Ayhan, ob ihn interessiert, wer Verantwortung trägt.

O-Ton Ayhan:

Natürlich, ich möchte wissen, waren wir dabei? Man kann ja auch wirklich dabei sein, dann hat man einen Fehler gemacht. Kann man sagen. Ehrlichkeit ist nicht leicht. Aber niemand sagt was.

Sprecherin:

Zwei Tage nach dem Putsch erklärte Fetullah Gülen vor Medienvertretern, er habe mit dem Militärcoup nichts zu tun. Gülen vermutet eine Inszenierung Erdogan naher und kemalistischer Militärs. Fünf Jahre später, im Juli dieses Jahres, kommt der Thinktank des Auswärtigen Amtes, die Stiftung Wissenschaft und Politik zu einem anderen Ergebnis. In einem Interview mit der

Bundeszentrale für politische Bildung erklärt der Leiter der Stiftung, Günter Seufert:

Sprecher 2 Zitat:

„Wenn man sich die Beförderungen in den Jahren vor dem Putschversuch anschaut und mit den Offiziersrängen vergleicht, die hauptsächlich in dem Putsch aktiv geworden sind, deutet das klar auf Kreise der Gülen-Bewegung hin.“

Sprecherin:

Der Förderung in Deutschland schadet das nicht. Ein Beispiel aus Essen. 180.000 Euro erhielt der Verein „Erziehung und Bildung ohne Grenzen“ für ein Jugendprojekt. Es sollte um

Radikalisierungsprävention gehen. In der anschließend entstandenen „Handreichung zur praktischen Jugendarbeit“ heißt es:

Sprecherin 3 Zitat:

„Die Religion beschäftigt sich ganzheitlich mit dem Wesen und dem Leben des Menschen. Weltliche Systeme hingegen sind einem ständigen Wandel unterworfen.“

Sprecherin :

Wie viel Demokratie verträgt die Gülen-Bewegung. Der Islamwissenschaftler Florian Volm hat sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt.

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O-Ton Florian Volm:

Die Gülen-Bewegung an sich ist sicherlich in der Struktur nicht demokratisch, man weiß auf jeden Fall von einem sehr engen Geflecht von Führungsfiguren innerhalb der Bewegung, die auch sehr stark… ist international, auf nationaler Ebene, wiederum regionale Zuständigkeiten, lokale Zuständigkeiten. Hier gilt es grundsätzlich auch, diesen zu folgen, was diese vorgeben, auch zu machen. Die einzelne Person ist nicht wirklich in der Position, mitzubestimmen, sondern was seit Jahrzehnten vorgegeben wird, ursprünglich durch Gülen initiiert, das sollte auch heut noch nachgelebt werden. Das schließt eben auch ein, dass man keine Fragen stellt, nach der Auflösung dieser Hierarchien.

Sprecherin:

Mehrfach bitten wir die Deutschland-Zentrale in Berlin um ein Gespräch. Wochen später erklärt man uns schriftlich:

Sprecher 2 Zitat:

„Wir bekennen uns zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Demokratie lebt von den Bürgerinnen und Bürgern. Sie sind die Basis der Staatsgewalt. In Wahlen und Bürgerentscheiden sowie durch gesellschaftliches und politisches Engagement, wird die Grundlage für einen

demokratischen Staat gelegt.“

Sprecherin:

Derzeit arbeitet sich die Gülen-Bewegung an Erdogan ab. Sie sieht sich ausschließlich als dessen Opfer. In den sozialen Medien stapeln sich Berichte der Anhänger über die Brüder und Schwestern in den Gefängnissen, über dramatische Fluchterlebnisse und zerstörte Existenzen. In Deutschland wurde kurz nach dem Putschversuch Transparenz versprochen. Ercan Karakoyun, Vorsitzender der Stiftung Dialog und Bildung in Berlin, schrieb als offizieller Sprecher des Netzwerks ein Buch: „Die Gülen-Bewegung, was sie ist, was sie will“. Man habe schon immer offene Türen gehabt, so der Tenor. Nur habe nie jemand gefragt.

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Am Leibniz Institut für Globale und regionale Studien in Hamburg forscht seit zwei Jahren Hakkı Taş zur Gülen-Bewegung, politischen Islam und Identitätspolitik im Nahen Osten. Er sieht das Netzwerk Gülens als eines unter vielen islamistischen Bewegungen in Europa.

O-Ton Hakkı Taş (übersetzt):

Die türkische Diaspora der Gülen-Bewegung in Deutschland ist sehr konservativ, wie andere islamistische Gruppen in Deutschland auch. Islamistisch bedeutet, Gesellschaft und Staat nach islamischen Vorgaben transformieren zu wollen. Gruppen mit dieser Agenda nenne ich islamistisch.

Sprecherin:

Ist die Bewegung demokratisch und wenn nicht, was dann?

O-Ton Hakkı Tas (übersetzt):

Sie hat eine hierarchische Struktur. Ein Führer und seine Anhänger. Verschiedene Organisationsebenen, wie eine Pyramide. In den istişare-Versammlungen ist Raum, die eigenen Angelegenheiten zu diskutieren. Aber am Ende werden Entscheidungen in den Führungsebenen getroffen. Wir haben also informelle und offizielle Strukturen und eine Personenzentrierung. Schwierig, das demokratisch zu nennen. Demokratisch wäre ein Entscheidungssystem von unten nach oben.

Sprecherin:

Wer hat das Sagen im neuen Gülen-Netzwerk in Deutschland? Fragen wir und bitten Hüseyin Karakuş. Er arbeitet bei der Stiftung Dialog und Bildung im Aufsichtsrat. (In Ankara steht er zusammen mit 16 weiteren „Topterroristen“ auf einer „grünen Liste“. Für die Ergreifung der dort Gesuchten setzte Ankara eine Belohnung von insgesamt 3,4 Millionen Euro aus.) Schriftlich teilt man uns mit:

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Sprecher 2 Zitat:

„Die Entscheidungen, die die Vereine und Einrichtungen in Deutschland betreffen, werden lokal von den jeweiligen Vorständen und Mitgliedern getroffen.“

Sprecherin:

Auf ihrer Webseite verspricht die Stiftung, Hizmet verbinde Menschen auf der Grundlage gemeinsamer Werte. Die Basis seien universelle Werte: Toleranz, Chancengerechtigkeit, Meinungsfreiheit sowie Gleichstellung von Mann und Frau.

O-Ton Umut Ali Öksüz:

Das sind ja alles Schlüsselwörter, die ohnehin in unserer Gesellschaft sehr gut ankommen.

Die kommen bei Förderanträgen gut an, die kommen bei der Politik gut an. Das sind ja Wörter, wäre man ja blöd, wenn man die nicht öffentlich platzieren würde.

Sprecherin:

Auch Erol hat den Alltag anders erlebt:

O-Ton Erol Ünal:

Man setzt eben solche moderne Begriffe, um diesen liberalen Schein nach außen zu bewahren. Da steckt eine bestimmte Taktik dahinter. Anders kommt man ja an die

Öffentlichkeit nicht heran. Man hat in Deutschland eine öffentliche Sicht auf den Islam, man will ja zeigen, wir sind anders als die anderen konservativen Gemeinden. Ganz liberal, wir fördern die Pluralität. Wir sind für Gleichheit. Wir sind für Gleichheit von Mann und Frau. Wir sind für Individualismus, damit knüpft man an die Öffentlichkeit an, die deutschen Behörden schauen sich die äußere Fassade an, fördern sie, aber dahinter steckt eben eine ganz andere Ideologie. Die man nur sehen kann, wenn man auch an diesen Dingen teilgenommen hat.

Sprecherin:

Vor unseren Augen und von der deutschen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen erfolgt der Ausbau der eigenen Strukturen in den Bereichen Humanitäre Hilfe und internationale Jugendarbeit. So genehmigte das Land NRW in den vergangenen zwei Jahren fünf Jugendfahrten nach Afrika in die dortige Gülen-Struktur. Das Sozialministerium förderte sie mit insgesamt 135.000 Euro.

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Umut Ali Öksüz ist heute Religionspädagoge und arbeitet an der Universität Münster, als Leiter eines Forschungsprojekts zur Gülen-Bewegung.

O-Ton Umut Ali Öksüz:

Ich denke, dass die Bewegung auf jeden Fall überleben wird, weil es einfach so viele engagierte Mitglieder gibt, die das Ganze immer wieder neu beleben werden. Und immer wieder mit neuen Ideen, mit neuen Techniken und Innovationen in ihren eigenen Strukturen.

Man wird immer wieder versuchen an Stellen heranzugehen, wo andere … nicht hingehen.

Von daher sind das wirkliche Überlebenskämpfer in diesem Kontext. Weil es immer wieder Anfragen geben wird, wo man eben Partner braucht, wo man eben Menschen aus türkischer Kultur braucht, oder vielleicht Menschen, die sich nach außen hin mit Religion beschäftigen.

Die Mehrheitsgesellschaft sagt ja immer, wir haben keine Alternative, sie sind die einzigen, die kommen, siehe „House of One“.

Sprecherin:

Steuergeld für Projekte sieht er jedoch kritisch.

O-Ton Umut Ali Öksüz :

Ich kann Förderer teilweise verstehen, weil man sagt, man hat hunderte Anträge auf dem Tisch und man kann sich nicht mit jeder Institution beschäftigen. Trotzdem finde ich, man muss genauer hinschauen und sagen, mit welchen Strukturen wollen wir eigentlich zusammenarbeiten, ohne dass Kinder und Jugendliche gefährdet werden.

Sprecherin:

Erol Ünal mit seinem älteren Bruder ein Buch über die Zeit bei den Brüdern geschrieben und so das Erlebte aufgearbeitet.

O-Ton Erol Ünal:

Man will ja zeigen, wir sind anders als die anderen konservativen Gemeinden. Ganz liberal, wir fördern die Pluralität. Wir sind für Gleichheit. Wir sind für Gleichheit von Mann und Frau.

Wir sind für Individualismus, damit knüpft man an die Öffentlichkeit an, die deutschen Behörden schauen sich die äußere Fassade an, fördern sie, aber dahinter steckt eben eine

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ganz andere Ideologie. Die man nur sehen kann, wenn man auch an diesen Dingen teilgenommen hat. Oder eben an den Schriften Gülens.

Sprecherin:

Demokratie, Menschenrechte, Individualität – nur leere Worte? Klar ist: Auch fünf Jahre nach dem Putschversuch beantwortet die Bewegung keine Fragen zu ihren internen Strukturen. Personal, Geldflüsse und Verantwortungen bleiben weiter unklar.

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