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L e b e n s z e i c h e n

Ausflüge mit Spott und Hohn Von Rolf Cantzen

19.12.2021

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2021

Zitator 1:

Mein Sohn, sie essen Dich!

Zitator 2:

Ja, sie essen mich.

Zitatorin:

Mein lieber Sohn, den ich in meinem Leibe getragen habe.

Zitator 2:

Mich essen sie.

Zitator 1:

Ihn essen sie.

Zitator 2:

Erst fressen sie sich drunten mit Sünden voll, bis zum Platzen, und dann genießen sie mich, und gedeihen, und werden sündenfrei, und dick und fett; und Wir werden mager und elend.

Erzählerin:

... Gott Vater, sein Sohn Jesus und Mutter Maria schauen in der Osterwoche 1495 vom Himmel aus dem Papst bei einer feierlichen Messe zu.

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

(2)

„Das Liebeskonzil“ ist eine Dramatisierung des himmlischen Personals mit drastischen Mit- teln: Gott-Vater als debiler Alter, Christus ist auch nicht viel gesünder und besser, Maria als durchtriebene, laszive junge Frau …

Zitatorin:

Dich essen sie.

Zitator 2:

… ohhh … Ich möchte einmal den Spieß umkehren und mich satt essen und sie darben lassen …

Zitatorin:

Mein Gott, mein Sohn vergiss nicht, Du bist unverletzlich, göttlich, unaufzehrbar, in alle Ewigkeit der- selbe.

Zitator 2:

Nehmet hin und esset, das ist mein Leib ...

Erzählerin:

... das kennt jeder gute Christ: Brot wird in Jesu Leib, Wein in Jesu Blut verwandelt. Doch der Papst, der Stellvertreter Gottes auf Erden, widmet in Oskar Panizzas Spott-Satire "Das Liebeskonzil" seine Zeit überwiegend irdischen Dingen: Er gibt sich sexuellen Ausschweifungen hin, betrügt, mordet ge- legentlich …

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff :

Oskar Panizzas „Liebeskonzil“, ein Drama 1894 veröffentlicht, dann direkt beschlagnahmt, in- kriminiert. Der Autor wurde vor Gericht gestellt in München, zu einer harten Einzelhaft verur- teilt und musste ins Schweizer Exil gehen und ist da im Grunde wahnsinnig geworden. Im Grunde hat ihn dieses Buch sein Leben gekostet, glaube ich.

Erzählerin:

Gerd Schwerhoff, Geschichts-Professor in Dresden hat ein dickes Buch geschrieben über die Ge- schichte der Gotteslästerung …

Zitator 2:

Verfluchte Götter. Die Geschichte der Blasphemie.

(3)

Erzählerin:

In dieser Kulturgeschichte geht es um gotteslästerliches Fluchen, um das Schwören – im schlimms- ten Fall „beim Schwanz Gottes“ – um rhetorische Bekräftigungen von Aussagen und um das Ver- spotten vor allem des christlichen Gottesglaubens, wie in Panizzas „Liebeskonzil“.

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Der Skandal lag in dem Grundspott über dieses himmlische Personal, so auf die Bühne zu bringen. Es war immer schon ein Problem.

Erzählerin:

… schon hundert Jahre vorher in Goethes „Faust“. Auch dort kommt Gott Vater auf die Bühne, aber Goethes „Faust“ …

Zitator 1:

… von Zeit zu Zeit seh‘ ich den Alten gern …

Erzählerin:

… spottet nicht so bösartig wie das Stück des Arztes, Psychiaters und Schriftstellers Oskar Panizza.

Bei ihm erscheint Gott Vater als gehässiger Alter, als rachsüchtiger Trottel:

Zitator 1:

Ich will sie ausrotten, diese Scheusale. Will – will – will wieder eine schöne Erde haben mit Tieren im Walde …

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

… bei Panizza sind das alles Witzfiguren geworden. Also, dass er sich da ganz offensiv, auch von einem atheistischen Standpunkt, über die Religion lustig macht, ist ganz klar.

Zitator 1:

Ich will sie zerschmeißen – zertreten – im Mörser meines Zorns – zerschmettern …

Zitatorin:

Nein, nein! Ausrotten geht nicht!

(4)

Erzählerin:

… protestiert die nachsichtigere Gottesmutter. Auch warnt sie:

Zitatorin:

Ein bisschen Wollust muss man ihnen gönnen – sonst hängen sie sich am nächsten Baum auf.

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Spott kann man ja so und so verstehen: Es gibt den gutmütigen Spott und es gibt den schar- fen Spott und die Schmähung, der Herabsetzung, nämlich die Kommunikationsakte, die dazu dienen, tatsächlich jemanden anders, ob das Gott ist oder ein Gegenüber, eine Gruppe von Menschen, Juden, Fremde, wie auch immer herabzusetzen.

Zitator 2:

… Schmähung, Kritik, Witz, Beleidigung, Ironie, Herabsetzung, sich lustig machen – über sich selbst, über andere, über die Welt, über Weltanschauungen…

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Hohn ist vielleicht eine andere Modalität als Spott. Also Hohn ist vielleicht noch ein Stück er- barmungsloser, aber tatsächlich ist es sehr schwer, diese einzelnen Modalitäten zu unter- scheiden und auch persönlich eigentlich.

Erzählerin:

… wer eindeutige Definitionen und saubere Abgrenzungen liefern will, läuft Gefahr, die Kontexte zu vergessen – und er langweilt sich und andere bei anstrengenden Definitionsversuchen.

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Es gibt, was herabsetzende Kommunikation angeht, in der Literaturwissenschaft ein sehr breites Bemühen, diese Sachen zu unterscheiden: Humor, Spott, Schmähung. Polemik ist ein anderer Begriff, der etwas neutral daherkommt, aber das ist alles doch sehr schwer …

Erzählerin:

… ebenfalls schwer, weil abhängig vom kulturellen Umfeld und subjektiven Einschätzungen. Span- nender sind Fragen der Bewertung:

Zitator 2:

Welcher Spott ist moralisch akzeptabel oder fair, welcher nicht?

(5)

Zitatorin:

Was ist legal, was verboten, also rechtlich anfechtbar?

Erzählerin:

Panizza landete 1895 für seine Spöttereien für ein Jahr im Kerker: Gotteslästerung! Wegen ähnlicher gotteslästerlicher Vergehen gab es noch in den 1970er und 1980er Jahren viele Verurteilungen – meist allerdings Geldstrafen.

Zitator 1:

Eine ans Kreuz genagelte Froschfigur.

Erzählerin:

Verboten? Erlaubt?

Zitatorin:

Der Ausspruch: Hätte Maria abgetrieben, wär‘ uns viel erspart geblieben?

Erzählerin:

Verboten? Erlaubt?

Zitator 1:

Ein Kruzifix mit Corpus als Toilettenpapierhalter?

Erzählerin:

Was ist von der Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt, was nicht?

Welcher Spott wird toleriert oder sogar als rhetorisches Mittel der Auseinandersetzung gutgehei- ßen…

Zitator 2:

Trunkenbold, mit dem hündischen Blick …

Erzählerin:

Bereits in Homers Illias wird gespottet: Achill macht sich vor den Toren Trojas lustig über den Heer- führer Agamemnon:

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Zitator 2:

Stets doch hast du den Zank nur geliebt, und die Kämpf' und die Schlachten! Wenn du ein Stärkerer bist …

O-Ton Dr. Burkhard Meyer-Sickendiek:

Bei den Griechen ist es Achill, der sich nicht am Kriegsgeschehen beteiligt, wir kennen das aus der Illias, der aber am Rande steht und Agamemnon, den Kriegsherrn verspottet und sagt

„Haha, der größte Kriegsherr aller Zeiten, der sich nicht gegen Hektor wehren kann. Während dann in der christlichen Rhetorik ein ganz anderes Beispiel kommt, nämlich Christus am Kreuz …

Zitator 1:

… die Hohenpriester, die Schriftgelehrten und Ältesten verhöhnten ihn und sagten:

… Er ist doch der König von Israel! Er soll vom Kreuz herabsteigen …

O-Ton Dr. Burkhard Meyer-Sickendiek:

Spott … kann einmal wirklich einmal an eine Grenze geraten, wo man sagt, das darf man nicht mehr sagen, also Jesus am Kreuz verspotten – oder leidende Menschen zu verspotten, das ist natürlich zutiefst unmoralisch …

Erzählerin:

… oder wenigstens unappetitlich.

O-Ton Dr. Burkhard Meyer-Sickendiek:

Spott kann ganz unterschiedlich sein.

Erzählerin:

Der Literaturwissenschaftler Burkhard Meyer-Sickendiek von der FU-Berlin setzt sich in seinen Bü- chern mit Satire, Spott, Ironie und Sarkasmus auseinander. Spottende Satiriker gab es bereits in der Antike …

O-Ton Dr. Burkhard Meyer-Sickendiek:

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… nämlich den Satiriker Horaz und den Satiriker Juvenal. Horaz sagt mit einem Lächeln die Wahrheit. Und Juvenal ist der Satiriker der Empörung.

Erzählerin:

Humoristen sagen mit freundlichem Witz die Wahrheit, Spötter empören sich über Missstände – sol- che Entgegensetzungen setzen den bissigen Spott ab vom wohlwollenden Witz:

Zitator 1:

Freundliches Lachen zusammen mit jemandem …

Erzählerin:

… und auf der anderen Seite …

Zitatorin:

… Spott-Lachen und Ver-lachen, also das Lachen über jemanden oder über etwas.

Zitator 1:

Verbindendes Lachen auf Augenhöhe

Erzählerin:

… andererseits …

Zitatorin:

… herabsetzendes Spotten aus der tatsächlichen oder angemaßten Position des Überlegenen.

Zitator 1:

Der harmlose, humorige Witz verbindet die Menschen …

Zitatorin:

… der boshafte, aggressive, ätzende Spott trennt sie ...

Erzählerin:

… letzterer kann allerdings dennoch erkenntnisfördernd und aufklärerisch wirken. Ein Beispiel: Cover der Satirezeitschrift „Titanic“:

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Zitator 2:

Legales Kiffen + schnelles Internet. So geil wird Ampeldeutschland.

Erzählerin:

Dahinter das Bild eines abgedrehten computerspielenden Kiffers mit einem fetten Joint im Mundwin- kel.

Zitator 1:

Ach du lieber Gott!

Erzählerin:

… diese Aufschrift – groß mit weißer Farbe, direkt an der Straße – tauchte in Berlin auf einer Kirche auf, wurde übertüncht, tauchte wieder auf, übertüncht, jahrelang …

Zitator 1:

Ach du lieber Gott!

Erzählerin:

Gelungener Spott reduziert komplexe Sachverhalte – hier den Gottesglauben – auf etwas Markantes, Knappes:

Zitator 1:

Ach du lieber Gott!

Erzählerin:

… Schluss war mit diesem Spott erst, als die Aufschrift auf der Kirchenwand nicht nur übertüncht, sondern groß mit der Aufschrift „Parken verboten“ ersetzt wurde – eine Art Gegenspott, der dem hartnäckigen Spötter den Platz für seine Aufschriften nahm.

Zitator 1:

Parken verboten!

Erzählerin:

Guter Spott funktioniert durch Komplexitätsreduktion, durch einen kurzen Ausspruch, einen Reim, eine gute Karikatur. Dabei muss es nicht unbedingt elegant und geschmackvoll zugehen. Ein Titanic-

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Cover: Der Papst wird mit offensichtlich gelb-naßgepinkelter Soutane abgebildet. Darunter der Satz:

Zitator 1:

Undichte Stelle im Vatikan gefunden.

Erzählerin:

Oder: Der Papst steht mit hochgehobener Soutane – sorry, dieser Sendeplatz wird redaktionell be treut von „Religion und Kirche“, deshalb der leicht übergewichtige „Klerikal-Spott“ – also: Der Papst steht mit hochgehobener Soutane von in einer Penetration nahelegenden Haltung hinter einem Schaf. Die Schafe blöken:

Zitator 2:

Der Papst kommt.

Erzählerin:

… doppeldeutig-eindeutig, knapp, komplexitätsreduzierend auf die lustfeindliche Kirchmoral und die als schafsdumm erinnernde „Herde der Gläubigen“ abzielend – ein zweifellos boshafter Spott:

O-Ton Tim Wolff:

Nein, wir müssen uns gar nicht anstrengen, um boshaft zu sein. Das Boshafte kommt auch nicht aus uns, als Menschen, sondern eher aus dem Witz, aus dem Witz an sich. Die Komik ist etwas Boshaftes. Der harmloseste Kinderwitz hat ein Opfer.

Erzählerin:

So der Satiriker und einstige Chefredakteur der Zeitschrift „Titanic“, Tim Wolff. Die Satirezeitschrift erlaubt sich spöttisch auch gröbste Geschmacklosigkeiten. Ein Beispiel: Unter dem Tucholsky-Zitat

„Satire darf alles!“ das Foto des herzlich lachenden Ex-Bundespräsidenten Gauck. Daneben die zor- nig über ihre Handtasche hinwegblickende Bundeskanzlerin Angelika Merkel. Darunter der Schrift- zug:

Zitator 2.:

Gauck wichst in Merkels Handtasche.

O-Ton Tim Wolff:

Wenn man sich frech verhält gegenüber einer Respektsperson, dann schrumpft dieses Herr- schaftsverhältnis. Und insofern ist Frechheit schon subversiv. Ob das aber in einem größeren

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Kontext von Satire funktioniert, weiß ich nicht, weil man mit einer besonders groben Frechheit oder Geschmacklosigkeit natürlich auch Leute verstören kann …

Erzählerin:

… aber, so Tim Wolff, Satire und Spott muss ja nicht allen gefallen …

O-Ton Tim Wolff:

Man will - auch bei der "Titanic" nicht - die Mehrheit sein. Und diese Art Satire darf ruhig et- was Kleines, Schmutziges, Nischenhaftes sein, weil so hat man die Berechtigung, sich mit größeren Mitteln gegen die Mehrheitsmeinung zu wehren.

Erzählerin:

Spott – zumal bösartiger, bissiger, geschmackloser, der mit Tabus bricht – sorgt für Distinktion, für Abgrenzung, das Gefühl „besonders“ zu sein.

O-Ton 15: Tim Wolff:

Satire darf auch mal ganz sanft daherkommen.

Erzählerin:

… sanft und trotzdem böse, dazu noch massentauglich – etwa indem Politikern Spitznamen verpasst werden.

Zitator 2:

Dem ehemaligen Bundeskanzler Kohl verpasste die Satirezeitschrift – seine Kopfform gab dazu eini- gen Anlass – den Namen „Birne“ ...

Zitatorin:

… der bärtige ehemalige SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping – Karikaturen unterstützten das – hieß

„Ziege“ …

Zitator 2:

… Bundeskanzlerin Merkel musste lange Zeit mit dem Spitznamen „Kohls Mädchen“ leben …

Erzählerin:

Ein Fernseh-Satire-Magazin nannte den Faschisten und AfD-Politiker Höcke konsequent beim fal- schen Vornamen „Bernd“ und löst damit Heiterkeit aus, auch deshalb, weil in anderen Medien dieser

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falsche Vorname oft unbeabsichtigt Verwendung fand und so manches spöttische Lachen auslöste.

Doch verspottet werden nicht nur Personen …

O-Ton Dr. Burkhard Meyer-Sickendiek:

„Stelle das Laster heraus, aber schone die Person“.

Erzählerin:

… Burkhard Meyer-Sickendiek zitiert hier wieder alte Satire-Theorien …

O-Ton Dr. Burkhard Meyer-Sickendiek:

… und das macht auch den Spott aus, der freundlich ist, weil er dann nicht auf die Person di- rekt bezogen ist, sondern mehr auf das Laster, was dahintersteht.

Erzählerin:

… Spott kritisiert ein „Laster“, also etwas, was als unmoralisch, unrecht oder als falsch und kritikwür- dig angegangen wird.

Zitator 1:

Geh mir aus der Sonne!

Erzählerin:

Diogenes spottet gegen jede Anbiederung an die Herrschenden und Mächtigen. Er lebte im dritten Jahrhundert vor Christus in Athen als ein stadtbekanntes Original. Als Kyniker folgte er einem radika- len Freiheitsideal. Er wollte von Nichts und Niemandem abhängig sein und machte sich über alles und jeden lustig. Er übernachtete in einer Tonne und lebte von dem, was er geschenkt bekam.

Zitator 2:

Diogenes erhält eines Tages Besuch von Alexander dem Großen, als er, vor seiner Tonne faul in der Sonne liegt. Der Souverän ist in Gönnerlaune und gewährt dem Philosophen einen Wunsch.

Zitator 1:

Geh mir aus der Sonne!

Erzählerin:

Sein subversiver Spott ist nicht gegen eine Person gerichtet, sondern gegen den Mächtigen und da- mit gegen das bestehende Herrschaftssystem. Wer die verspottet, die in der sozialen Hierarchie ei-

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ner Gesellschaft unten stehen und verachtet werden, handelt schäbig. Spott gegen die Schwachen ist Hohn. Er ist zynisch. Eine Herrenattitüde. Witzig ist allerdings auch der Spott gegen die angepass- te Wohlanständigkeit braver Bürger, gegen Sitte und Anstand:

Zitator 2:

Diogenes hat in aller Öffentlichkeit Sex mit seiner Geliebten, einer stadtbekannten Prostituierten …

Erzählerin:

… ein Tabubruch. Die Destruktion überlieferter Wertvorstellungen und Lebensorientierungen wird bei ihm zum Programm. Die spöttische Provokation und Subversion sind nicht nur Spaß. Es geht um Kritik:

Zitator 2:

Platon definiert den Menschen als zweibeiniges, federloses Lebewesen. Diogenes wirft ihm ein ge- rupftes Huhn vor die Füße.

Erzählerin:

Laertius berichtet diese Anekdoten über Diogenes. Ähnlich spöttisch waren auch antike Komödien- dichter wie Aristophanes.

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Und früher gab es in der Antike die Präsenzkommunikation. Das Theater war eine Form der Öffentlichkeit, die im Grund genommen alternativlos war und umso wichtiger waren dann auch solche Komödien, wo man sich dann über Neureiche oder seltsame Philosophen lustig machen konnte, tatsächlich, sie verspotten konnte.

Erzählerin:

Mit der Erfindung des Druckens erweiterte sich die Reichweite des Spotts. Das Drucken beschränkte sich nicht auf den Buchdruck. Gedruckt wurden vor allem massenweise Flugblätter und diese ver- spotteten oft andere Personen – etwa den Papst oder andere Verkündigungskonkurrenten, so Gerd Schwerhoff:

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Tatsächlich Einblattdrucke mit Bildern oder ohne, und die waren eigentlich die Medien, die am Anfang des 16. Jahrhunderts gerade in der Reformationszeit die Öffentlichkeit geprägt haben, die Öffentlichkeit im Grunde hergestellt haben.

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Erzählerin:

… und diese Flugblätter waren das ideale Medium für eine Gesellschaft, in der nur wenige Menschen problemlos Lesen konnten. Bilder mit satirisch-spöttischen Zeichnungen etwa über die Renaissance- Päpste, antisemitische über Juden oder klassenkämpferische gegen aufbegehrende Bauern nutzte auch Martin Luther.

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Martin Luther, der erste Meister des Flugblatts und der Flugschrift, der erste Medienstar, wie auch die Kirchenhistoriker geschrieben haben, das Gutenbergzeitalter, der war natürlich auch ein Meister der Polemik, der persönlichen Herabsetzung …

Erzählerin:

… Flugblätter – oft polemisch-spöttische – waren ein Mittel der Massenkommunikation in einer Zeit, in der die Masse der Menschen kaum alphabetisiert war. Gotteslästerungen ahndete man unter- schiedlich – je nach Schwere der Schuld und Stand, mal entschuldigte man sie großzügig …

Zitator 1:

… im Wirtshaus, besoffen, ist dem frommen Mann ein lästerliches Wort herausgerutscht …

Erzählerin:

… dann wieder verhängten Gerichte die Todesstrafe …

Zitator 1:

… oft verbrennen, bei lebendigem Leib. Allein im Paris 80 Hinrichtungen im 2. Drittel des 16. Jahr- hunderts.

Zitator 2:

… sie essen mich …

Zitator 1:

„Ich habe den Kerl gegessen!“

Erzählerin:

… dafür landete 1535 ein Mann am Galgen. Manchmal ließ man den Delinquenten die Zunge her- ausschneiden …

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O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Also das ist eine Art von Sinnbild in der Bestrafung für den Gotteslästerer, die man häufiger auch abgebildet sieht. Die Zungensünde wird mit der Zungenstrafe sanktioniert.

Erzählerin:

… auch, indem jemand mit der Zunge an den Pranger angenagelt wird.

Zitator 2:

Diese Welt ist die beste aller möglichen …

Erzählerin:

Vor etwa 300 Jahren, im Anschluss an den 30-jährigen Krieg, der die Bevölkerung große Teile Euro- pas fast halbierte, behauptete der optimistische und bei Hofe sehr beliebte Philosoph Leibniz

Zitator 1:

... dass das Universum alle Wünsche der Weisesten übertrifft, und dass es unmöglich ist, die Welt besser zu machen als sie ist …

Erzählerin:

… weil ja der perfekte Schöpfergott die Menschen liebt und logischerweise für sie nichts Unvollkom- menes geschaffen haben kann. „Theodizee“ wird das im Philosophen- und Theologenjargon ge- nannt, die Rechtfertigung Gottes angesichts der Leiden in der Welt.

Zitator 2:

Es ist erwiesen, dass die Dinge nicht anders sein können, als sie sind, denn da alles um eines Zwecks willen geschaffen ist, dient alles notwendigerweise dem besten Zweck.

Erzählerin:

… spottet der Aufklärer Voltaire in seinem Roman „Candide oder der Optimismus“:

Zitator 2:

Bemerken Sie bitte, dass die Nasen geschaffen wurden, um Brillen zu tragen, so haben wir denn auch Brillen. Die Füße wurden sichtlich gemacht, um Schuhe zu tragen; und so haben wir Schuhe, und da die Schweine zum Essen gemacht sind, essen wir das ganze Jahr hindurch Schweinernes.

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Erzählerin:

Absurd zugespitzt lässt Voltaire die Position von Leibniz vertreten.

Zitator 2:

… die Behauptung, es sei alles auf dieser Welt gut eingerichtet, (ist) eine Dummheit; vielmehr müss- te man sagen, dass alles aufs Beste eingerichtet ist."

Erzählerin:

Voltaire schickt seinen Helden Candide durch die Gemetzel der Kriege. Er erlebt das Erdbeben von Lissabon, bei dem Hunderttausende den Tod fanden. Seine Geliebte Kunigunde wird verschleppt und vergewaltigt. Besonders übel spielt „die beste aller möglichen Welten“ Candides Lehrer, dem Leibnizianer Pangloss, mit: Die Inquisition foltert ihn, verbrennt ihn fast, schickt ihn auf die Galeere.

Nur knapp entkommt er dem Galgen.

O-Ton Dr. Burkhard Meyer-Sickendiek:

Voltaire mit seinem „Candide“ bringt dann eben diesen Optimismus der Zeit mit der Realität der Zeit in Kontrast. Dadurch ist natürlich klar, dass so etwas wie Leibniz die Lächerlichkeits- probe nicht besteht mit seiner Vorstellung davon, dass wir in der besten aller möglichen Wel- ten leben.

Erzählerin:

Die „Lächerlichkeitsprobe“ – im 17., 18. Jahrhundert machten sich Dichter und Denker oft Gedanken über Spott und Satire – … diese „Lächerlichkeitsprobe“ schlug der der Earl of Shaftesbury im 17.

Jahrhundert vor, um Ernsthaft-Religiöses von dem zu unterscheiden, was verspottet und verlacht werden kann.

O-Ton Dr. Burkhard Meyer-Sickendiek:

Und alles, was keine Substanz hat, würde auch diese Lächerlichkeitsprobe nicht bestehen und darum ist das immer auch ein Mittel der Kritik.

Erzählerin:

Der Literaturwissenschaftler Burkhard Meyer-Sickendiek. Klare Kriterien für das, was lächerlich ist,

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sind damit nicht gegeben.

Zitator 1:

Recht nützlich ist die Malerei, Wenn etwas Heiligkeit dabei.

Erzählerin:

Der Heilige Antonius, jedenfalls den, den Wilhelm Busch malt und dichtet, hätte die Lächerlichkeits- probe wohl nicht bestanden, darf also verspottet werden: Er liest bei seinem Heiligenschein …

Zitator 1:

Und wie er sich umschaut, der fromme Mann, Schaut ihn ein hübsches Mädchen an.

Erzählerin:

… der Teufel will den frommen Mann in Gestalt eines Mädchens in einem Tüll-Röckchen verführen.

Zitator 1:

Lass ab von mir unsaubrer Geist …

Erzählerin:

… eine Art Exorzismus …

Zitator 1:

Puh! – da sauste mit grossem Rumor Der Satanas durchs Ofenrohr.

Erzählerin:

… stattdessen freundet sich der Heilige Antonius mit einem Schwein an, das die Gottesmutter schließlich zusammen mit ihm in den Himmel einlädt:

Zitatorin:

Willkommen! Gehet ein in Frieden!!

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Hier wird kein Freund vom Freund geschieden.

Erzählerin:

Das spöttische Stückchen landete auf dem Index und wurde in Bayern gerichtlich verboten wegen ...

Zitator 2:

… Herabwürdigung der Religion und Erregung öffentlichen Ärgernisses durch unzüchtige Schriften…

O-Ton Dr. Burkhard Meyer-Sickendiek:

Wilhelm Busch darf man nicht unterschätzen.

Erzählerin:

… es gab immer wieder Ärger – für seine Verleger, auch für die Satirezeitschriften, für die er Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts zeichnete und schrieb. Doch anders als Panizza landete Wilhelm Busch nicht im Kerker.

Zitator 1:

Mein Sohn, sie essen Dich!

Zitatorin:

Mein lieber Sohn … sie essen Dich.

Zitator 2:

Mich essen sie.

Zitator 1:

Ihn essen sie.

Erzählerin:

… meint der zornige Gott-Vater und er ärgert sich über seinen Stellvertreter, den Papst und sein Re- gime und über die ganze Menschheit.

Zitator 1:

Ich will sie ausrotten, diese Scheusale. Will – will – will wieder eine schöne Erde haben mit Tieren im

(18)

Walde …

Erzählerin:

Auf Empfehlung des Teufels einigen sie sich darauf, den Menschen die Syphilis als Strafe zu schi- cken. Für sein "Liebeskonzil" wanderte Panizza in den Knast und starb schließlich – vermutlich we- gen dieser frommen Intervention – in der Psychiatrie.

Zitator 2:

Bringt in Deutschland jemand die Gedankenvorstellungen der Kirche mit dem Humor in näheren Zu- sammenhang, dann finden sich nicht nur etliche Domdechanten, sondern noch mehr Richter, die aus einem politischen Diktaturparagraphen - dem § 166 - herausinterpretieren, was man nur wünscht.

Erzählerin:

Kurt Tucholsky kritisierte die sogenannten "Gotteslästerungsprozesse" Anfang des 20. Jahrhunderts – es waren etwa drei- bis vierhundert jährlich. Den Paragraphen 166 gibt es – in einer seit 1969 ein- geschränkten Form - bis heute.

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Die Kinderfickersekte, ja, ich weiß gar nicht, wie das ausgegangen ist, aber ich würde mal prognostizieren …

Erzählerin:

… es kam in Berlin zur Anzeige, doch das Verfahren gegen einen Blogger wurde eingestellt. Er be- zeichnete die Katholische Kirche als Kinderfickersekte …

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Der Spott und die Kritik liegen nah beieinander, sind oft nicht sehr stark zu trennen. Und diese Bezeichnung Kinderfickersekte kann ja für sich in Anspruch nehmen, sehr zugespitzt und

sehr herabwürdigend aber eben ein Tatbestand, der selber auch ein öffentliches Ärgernis gibt, auf den Punkt zu bringen.

Zitator 2:

Satire darf alles!

(19)

Erzählerin:

… so Tucholsky. Darf Spott alles?

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Im christlichen Kontext ist Blasphemie ein Schmähen von unten nach oben.

Erzählerin:

… so das Blasphemie-Experte Gerd Schwerhoff. Spott, auch gotteslästerlicher, ist die Waffe der Schwachen.

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Der Machtlosen, der vielleicht mit Esprit und Geist behafteten, aber nicht mit Reichtum und Ämtern behafteten gegen „die da oben“, die man mit den Mitteln der Machtlosen bekämpfen muss, mit dem Wort, eine Waffe mit der die weniger Mächtigen gegen die Mächtigen kämpfen – mit der die Ordnung ein bisschen angegriffen wird und nicht die Kirche, sondern auch der Staat …

Zitator 2:

Satire darf alles, …

Erzählerin:

… wenn sie die Schwächeren schützt und die Stärkeren, die Mächtigen, die Reichen, die Etablierten spottend angreift. Spott gegen die gesellschaftlich Schwachen ist Hohn, ein sich Lustig-Machen über die Schwachen, über diejenigen, die politisch, gesellschaftlich, kulturell unter Druck stehen, diskrimi- niert werden, die Rassismus erfahren ...

Zitator 2:

Ein als Muslim erkennbarer Mann – auf dem Kopf eine als Turban erkennbare Bombe …

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Bei den Mohamed-Karikaturen hat eine Zeitungsredaktion ja aufgefordert, Karikaturisten, sie sollten mal Mohamed zeichnen, wie sie ihn sehen und die Rahmung war: Wir testen mal die Toleranz der Muslime.

Erzählerin:

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Rechtspopulistische, rassistische Kreise auf der einen, religiöse Fanatiker auf der anderen Seite heizten den Konflikt an. Viele Tote – bereits bevor die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo von Terroristen attackiert wurde.

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Das ist ein ganz dezidiert linkes Magazin, was sich auf die Fahnen geschrieben hat, die klei- nen Leute gegen die großen Hanseln zu verteidigen.

Erzählerin:

Charlie Hebdo hatte die Karikaturen abgedruckt. Es ging ihnen um Meinungsfreiheit. Bedroht sahen sie diese von Fanatikern. Auch moderate Muslime, die entschieden die freie Meinungsäußerung be- fürworteten, kritisierten das …

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

… die Muslime sagen, wir sind sowieso die marginalisierte, kolonialisierte Gesellschaft, also die Muslime in Frankreich, auch in England schon vorher bei der Rushdie-

Auseinandersetzung und jetzt trampeln die noch auf unserer Religion herum. Es wird – zuge- spitzt – als eine Herrenattitüde angesehen, die Blasphemie.

Zitator 2:

Darf Satire alles?

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Den Papst dürft ihr schmähen, aber Mohamed nicht. Da stellt man natürlich auch Hierarchien her, die problematisch sind.

Erzählerin:

… meint der Kriminalitätshistoriker Gerd Schwerhoff:

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Also es führt, glaube ich, tatsächlich kein Weg an einem zunächst einmal prinzipiell unbeding- ten Schutz der freien Meinungsäußerung, der auch spöttische Äußerungen einschließt, – also da führt kein Weg dran vorbei, glaube ich.

Zitator 2:

(21)

Satire darf alles!?

O-Ton Prof. Dr. Gerd Schwerhoff:

Gleichwohl muss man diese Sensibilitäten natürlich mitreflektieren und sehen, dass also oft dann schon sozial – auch von der Geschichte schon marginalisierte – Gruppen sich dadurch noch einmal diskriminiert fühlen. Und damit muss man umgehen.

Zitator 2:

Spott darf alles …

Erzählerin:

… vielleicht dann, wenn sie gesellschaftliche Hierarchien mitreflektiert auch ohne besondere Rück- sicht vor diversen Empfindlichkeiten.

Zitator 1:

Mein Sohn, sie essen Dich!

Zitatorin:

Mein lieber Sohn … sie essen Dich.

Zitator 2:

Mich essen sie.

Zitator 1:

Ich habe den Kerl gegessen.

Erzählerin:

Dieser letzte Satz hat den Autor das Leben gekostet. Spott ist gefährlich!

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Thomas Otten: Das hängt damit zusammen, dass die Quellen aus der Zeit ohnehin schwierig zu interpretieren sind, beispielsweise eine frühe Synagoge aus der Antike, die man