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Archiv "Einsatz im Hochland von Guatemala: Gefangen im Teufelskreis von Bildungsarmut und Krankheit" (28.03.2008)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 13⏐⏐28. März 2008 A703

S T A T U S

T

ropische Regenwälder, im fast perfekten Konus bis 4 000 Metern Höhe aufsteigende Vulka- ne, tiefblaue Seen, die von pitto- resken Dörfern umrahmt werden.

Frauen in der traditionellen farben- frohen Tracht, fröhlich lachende und winkende Kinder, bunt bemalte Busse. Dem Besucher, der das erste Mal nach Guatemala reist, stellt sich auf den ersten Blick ein paradie- sisch anmutendes Bild dar.

Für die große Mehrheit der 13 Millionen Einwohner des im Schat- ten der nordamerikanischen Super- macht aufstrebenden Entwicklungs- lands sind die Lebensbedingungen aber nach wie vor sehr schlecht. Die medizinische Versorgung in den großen Städten ist auf exzellentem westlichem Niveau – für die Ober- und Mittelschicht des Landes, die aber lediglich 20 Prozent der Bevöl- kerung ausmachen. Für die übrigen 80 Prozent der Einwohner, die über- wiegend von der Landbevölkerung

gestellt werden, sieht die sozioöko- nomische Statistik jedoch weiterhin katastrophal aus. So hatten zum Bei- spiel im Jahr 2006 in der Provinz Al- ta Verapaz 20 Prozent der Menschen überhaupt keinen Zugang zu medizi- nischer Versorgung bei einer landes- weiten Arztdichte von nur 0,9 je 1 000 Einwohner. 52 Prozent der Gesamtbevölkerung hatten im Haus kein fließendes Wasser, 24 Prozent waren unterernährt, 49 Prozent der Kinder mangelernährt, und nur zehn

Prozent der Familien besaßen eine Renten- oder Krankenversicherung.

Dazu muss man wissen: In Guate- mala herrschte ab 1960 ein Bürger- krieg, der erst 1996 durch die Un- terzeichnung eines Friedensvertrags formell für beendet erklärt wurde.

Zusammen mit John Bodoh fahre ich ins Hochland im Norden. John, ein US-Amerikaner, gründete vor sieben Jahren GSSG (Guatemalan Student Support Group), eine Hilfs- organisation, die als Hauptziel Schülern aus armen, indigenen Fa- milien eine Schulausbildung und ein Studium ermöglicht. Meine Auf- gabe der nächsten Wochen wird vorrangig die Gesundheitsuntersu- chung der Schülerinnen und Schüler sowie die medizinische Unterstüt- zung der Familien sein.

In San Lucas Tolimán arbeiten wir in der clínica mit. Das kleine Missionskrankenhaus wurde vor fast 40 Jahren gegründet, seit sieben Jahren gibt es hier auch endlich ei- nen festangestellten Arzt. Dr. Thun, selbst aus bitterer Armut stammend, kümmert sich Tag für Tag aufop- fernd um die kleine Station mit zehn Betten und betreut etwa 30 bis 50 ambulante Patienten täglich.

Im zwei- bis dreiwöchigen Ab- stand werden die im Umkreis von etwa 30 Kilometern liegenden Berg- dörfer im Rahmen einer „Rolling clinic“ besucht. Für viele arme Landarbeiter oder die Mütter, die Familien versorgen müssen, ist das oft der einzige Zugang zu einer me- dizinischen Betreuung. Zwei Trans-

portkisten mit Basismedikamenten und Verbandsmaterial, ein paar Stühle, Blutzucker- und Blutdruck- messgerät, Stethoskop und Urin- Stix bilden die Ausstattung der Ta- gesambulanz. Die Mehrheit der Patienten leidet an Bronchitiden, EINSATZ IM HOCHLAND VON GUATEMALA

Gefangen im Teufelskreis von Bildungsarmut und Krankheit

Die medizinische Versorgung der Ober- und Mittelschicht in den großen Städten Guatemalas entspricht westlichem Standard. Die Situation der Landbevölkerung ist hingegen katastrophal.

Oft der einzige Zugang zu medizi- nischer Betreuung:

Matthias K. Bern- hard praktiziert in einer spärlich eingerichteten Tagesambulanz.

Er musste die Schule verlassen, um als Tagelöhner Geld für Medikamente, Essen und Pflege der Mutter zu verdienen.

Fotos:privat

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A704 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 13⏐⏐28. März 2008

S T A T U S

Pneumonien, Enteritiden, Hautin- fektionen und sehr häufig an Mus- kelschmerzen und -krämpfen infol- ge der harten körperlichen Arbeit.

Die Tage werden rasch zu Begeg- nungen mit Einzelschicksalen. Da ist Angelique, 31 Jahre alt, mit ihren beiden Söhnen Hans (neun Jahre alt)

und Gustavo (ein Jahr alt). Der Vater verließ die Familie noch vor der Ge- burt des ersten Kindes. Jahre später kam er zurück und vergewaltigte Angelique, die daraufhin mit Gusta- vo schwanger wurde. Hans ent- wickelte eine schwere Epilepsie mit zehn bis 20 Anfällen pro Tag, wo-

durch er die Schule seit zwei Jahren nicht mehr besuchen konnte. Er- schwerend kommt hier die tief ver- wurzelte Überzeugung der Landbe- völkerung hinzu, dass Epileptiker von bösen Dämonen besessen und somit gefährlich sind. Antiepileptika gibt es in Guatemala nur als Import aus den USA oder aus Europa. Die monatlichen Therapiekosten für Hans würden umgerechnet bei etwa 70 Euro liegen – eine unerschwing- liche Summe bei einem Jahresein- kommen der Familie von 500 Euro.

In einer nur wenige Quadratme- ter großen Hütte am Ortsrand von San Cristóbal besuchen wir Alonzo.

Der 16-jährige Junge wurde bereits mehrere Jahre im GSSG-Programm gefördert, sein Highschool-Ab- schluss steht bevor. Seine Mutter, 35 Jahre alt, leidet seit kurzer Zeit an einer schweren Herzinsuffizienz infolge eines mangels Geld nie operierten Ventrikelseptumdefekts.

Alonzo musste die Schule verlas- sen, um als Tagelöhner etwas Geld für Medikamente, Essen und Pflege der Mutter zu verdienen.

Die Probleme der armen Bevöl- kerung drehen sich so oft im Kreis:

unzureichende Bildung – geringes Einkommen – Erkrankung eines Fa- milienmitglieds – fehlendes Geld für ärztliche Behandlung – Kinder- arbeit – keine weiterführende Bil- dung. Im Ergebnis hat Guatemala eine sehr hohe Analphabetenrate von rund 30 Prozent.

Eine deutsche Pharmafirma zeig- te sich erfreulicherweise bereit, die antikonvulsiven Medikamente für Hans zu spenden. Eine Therapieein- stellung per Postweg von Deutsch- land nach Guatemala gelang, sodass der Junge mittlerweile anfallsfrei ist. Er kann wieder die Schule besu- chen – wenigstens ein Kind, das die Chance hat, dem Teufelskreis der Armut in dem zentralamerikani- schen Land südlich der Halbinsel Yucatán entrinnen zu können.

Weitere Informationen über fi- nanzielle Unterstützungsmöglich- keiten und eine Projektmitarbeit in der Guatemalan Student Support Group sind beim Autor erhältlich.I Dr. med. Matthias K. Bernhard E-Mail: Matthias.Bernhard@

medizin.uni-leipzig.de

RECHTSREPORT

Durchsuchung einer Arztpraxis war unverhältnismäßig

Beruht der Verdacht des Abrechnungsbetrugs gegen eine niedergelassene Ärztin lediglich auf vagen Anhaltspunkten oder bloßen Vermutun- gen, so ist eine Durchsuchung ihrer Praxis un- verhältnismäßig. Das hat das Bundesverfas- sungsgericht entschieden.

Die betreffende Ärztin hatte gegenüber einer Patientin unter anderem Kosten für Ultraschall- untersuchungen in Höhe von rund 75 Euro abge- rechnet. Nach Angaben der Patientin waren die Untersuchungen an dem fraglichen Behand- lungstermin allerdings nicht erbracht worden. Die Ultraschallbilder, auf denen der Patientinnenna- me, Datum und Uhrzeit des Termins aufgedruckt waren, wurden von ihr als Fälschung bezeichnet.

Aufgrund der schriftlichen Strafanzeige ihres Ehemanns leitete die Staatsanwaltschaft ein Er- mittlungsverfahren gegen die Ärztin ein. Das Amtsgericht ordnete die Durchsuchung der Wohn- und Praxisräume an. Dadurch sah die Ärztin ihre Grundrechte aus Artikel 13 Absatz 1 und 2 Grundgesetz und aus Artikel 2 Absatz 1

Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz verletzt. In Artikel 13 Grundgesetz wird die Unverletzlichkeit der Wohnung grund- rechtlich geschützt. Diesem Schutz unterstehen auch beruflich genutzte Räume wie Arztpraxen.

Der besondere Schutz von Ärzten als Berufsge- heimnisträgern gebietet es zudem, die Notwen- digkeit einer Durchsuchung von Geschäfts- und Praxisräumen sorgfältig abzuwägen.

Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb die Durchsuchung als verfassungswidrig einge- stuft. In Anbetracht des relativ geringen vermute- ten Schadens und der Tatsache, dass ein kaum über bloße Vermutungen hinausreichender Tat- bestand vorlag, war sie unzulässig. Die Richter verwiesen darauf, dass bei der Bewertung der Ultraschallbilder die nahe liegende Überlegung nicht angestellt worden sei, Datum und Uhrzeit könnten – wie bei technischen Geräten häufig der Fall – ohne Dazutun der Ärztin falsch einge- stellt oder wiedergegeben worden sein. Schließ- lich sei die korrekte Wiedergabe der Uhrzeit einer Untersuchung keine zentrale Funktion eines Ul- traschallgeräts. (Urteil vom 21. Januar 2008, Az.: 2 BvR 1219/07) RA Barbara Berner

Fast 50 Prozent der Kinder des Hochlands von Guatemala sind nach wie vor mangelernährt.

Blick ins Unge- wisse:Ohne wei- terführende Bildung gibt es kaum Chan- cen, den Teufels- kreis von Armut und Krankheit zu durch- brechen.

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