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Das jedenfalls ist die Erfahrung von Michaela Sinzinger. Seit 28 Jahren ist sie selbst von dieser Krankheit betroffen. Als sie daraus keinen Hehl mehr macht,

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den Tag zehn bis zwölf Stunden zu funktionieren, den Dauerstress aus- zuhalten und dabei ihre immer wie- derkehrenden Angstattacken vor den Kollegen zu verstecken. „Ich hab mich dann auf der Toilette einge- schlossen und am Waschbecken festgehalten bis die Panikattacke vor- bei war.“ Nach ihrer Rückkehr aus der Klinik soll alles anders werden.

Michaela Sinzinger geht in die Of- fensive und spricht offen über ihren Zusammenbruch und die anschlie- ßende Therapie. „Mein Chef und einige Kollegen haben mich sofort spüren lassen, dass ich mit dieser Krankheit für sie nicht mehr tragbar bin. Mein Chef hat sogar offen ge- sagt, dass er eine, die in der Klap- se war, nicht gebrauchen kann.“

Fortan wird sie von wichtigen Mee- tings ausgeschlossen und nur noch für einfachste Bürotätigkeiten ein- gesetzt. Ihr Chef lässt sie heimlich beobachten und jede ihrer Kaffee- pausen oder Toilettengänge proto- kollieren. Die Situation spitzt sich zu.

Seltsamerweise hat Michaela Sin- zinger in dieser bedrückenden Si-

„ich würde angstPatienten nicht emPfehlen, sich zu outen“

Menschen mit Ängsten und Depressionen haben in Deutschland keine Lobby.

Das jedenfalls ist die Erfahrung von Michaela Sinzinger. Seit 28 Jahren ist sie selbst von dieser Krankheit betroffen. Als sie daraus keinen Hehl mehr macht,

wird sie von ihrem Chef systematisch aus dem Job gemobbt. Heute engagiert sie sich in der von ihr gegründeten Selbsthilfegruppe „Fünfseenland Angsthilfe“.

I

ch treffe Michaela Sinzinger an einem nebelverhangenen Novem- bertag am idyllischen Wörthsee vor den Toren Münchens. Hier hat sie es sich mit ihrem Lebenspartner, seinen zwei erwachsenen Töchtern und ihrer eigenen Tochter seit vier Jahren auf einem alten Bauernhof gemütlich gemacht. Mitten in der Natur – das ist der 49-Jährigen sehr wichtig. Kaum vorstellbar, dass die- ses gemütliche Zuhause für Michae- la Sinzinger lange Zeit das Gefäng-

nis ihrer eigenen Ängste war. Dass sie hier keine Minute allein sein konn- te, ohne in Panik zu geraten. Dass sie aber auf der anderen Seite auch nicht in der Lage war, das Haus zu verlassen, geschweige denn unter Menschen zu gehen. Dass sie nachts oft zitternd, schweißgebadet und mit Herzrasen aufwachte, im siche- ren Glauben, jede Sekunde sterben zu müssen. All dies ist nur schwer vor- stellbar, wenn man dieser vor Akti- vismus sprühenden Powerfrau ge- genübersitzt. Und doch hat Micha- ela Sinzinger ein langes Angstmar- tyrium hinter sich, das 2010 in der Aufhebung ihres Arbeitsvertrags gipfelte.

nach Klinikaufenthalt unerwünscht So weit kommt es, weil sie nach einem längeren Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik nicht län- ger bereit ist, ihre Krankheit vor ih- rem Arbeitgeber geheim zu halten.

Als Eventmanagerin in einem ame- rikanischen Dentalpharmaunterneh- men hatte sie jahrelang versucht, je-

Angstpatientin Michaela Sin- zinger gründete eine Selbsthilfe-

gruppe, um anderen etwas von ihrer Kraft zu geben.

Informationen und Kontakt unter www.

fuenfseenland- angsthilfe.de.

Profund – das mitgliedermagazin der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) – ausgabe 1-2/2011

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tuation über Monate hinweg die Kraft, ihrem Chef und den Kollegen Paroli zu bieten. Mit Hilfe einer überaus engagierten Betriebsrätin pocht sie auf ihre Rechte. Doch die sind wenig wert, weil das Arbeits- klima inzwischen längst vergiftet ist. Im April 2010 schließen die Anwälte endlich einen Aufhebungs- vertrag – und erlösen die ehemali- ge Eventmanagerin von ihrem eins- tigen Traumjob. Der Spießrutenlauf durch die Büros, Flure und Kaffee- küchen des Unternehmens hat ein Ende. Michaela Sinzinger ist erleich- tert. Doch die Angst vor der Angst bleibt. „Das ist wie bei einem Alko- holiker. Der muss auch immer mit einem Rückfall rechnen und dage- gen ankämpfen.“

das muster durchbrechen In all den Jahren hat die heute 49- Jährige jede Menge über ihre Krank- heit gelernt. Zum Beispiel, dass sie mit ihren Symptomen nicht alleine ist. Rund 18 Prozent der Deutschen sind davon betroffen. Frauen leiden doppelt so häufig an einer behand- lungsbedürftigen Angsterkrankung wie Männer. Nur ein Bruchteil die- ser Menschen erhält eine optimale Therapie. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: Manche Patienten brin- gen für eine Behandlung nicht die nötige Energie auf, andere werden von ihren Ärzten nicht richtig diag- nostiziert. Michaela Sinzinger da- gegen hat Glück. Ihr Hausarzt ist besonders in den Akutjahren rund um die Uhr für sie da, sie kann ihn im Notfall auch am Wochenende anrufen. Auch während ihres Klinik-

aufenthalts trifft sie auf die richtigen Ansprechpartner und lernt, dass es in ihrem Leben offensichtlich immer jemanden gab, der versucht hat, sie zu dominieren und klein zu hal- ten. Zuerst die Mutter, dann der Ehe- mann, zum Schluss der Chef. „Als mir dieses Muster klar wurde, hatte ich schließlich auch die Kraft, mich daraus zu befreien.“

Viel zu wenig anlaufstellen Nach einem langjährigen Rosen- krieg wird ihre Ehe 2006 geschie- den. Sie zieht mit ihrem neuen Part- ner zusammen. Er ist es auch, der sie in ihrem Vorhaben bestärkt, im März 2010 eine Selbsthilfegruppe für Angstpatienten zu gründen. Zu- vor hatte Michaela Sinzinger selbst über einen längeren Zeitraum hin- weg an den Treffen von Selbsthilfe- gruppen teilgenommen. Aber, so erzählt sie, es besteht ein gewisser Unterschied zwischen den Ängsten von Frauen und Männern. „Männli- che Angstpatienten können oft mit den Ängsten von Frauen nicht adä- quat umgehen. Für eine Frau, die in einer überwiegend von Männern besuchten Selbsthilfegruppe sitzt, kann es schwierig sein, hier Gehör und Verständnis zu finden.“ Anfang 2010 entschließt sich Michaela Sinzinger deshalb eine eigene Grup- pe zu gründen, auch, weil in Herr- sching und Umgebung ein Mangel an solchen Anlaufstellen herrscht.

Sie nennt ihre Selbsthilfe „Fünfseen- land Angsthilfe“. Inzwischen hat die Gruppe 14 Mitglieder, zwei Män- ner und zwölf Frauen. Unter den Teilnehmern sind sowohl Patienten

mit sozialen Ängsten, als auch ehe- malige Suchtkranke, deren Ängste sich in Folge der konsumierten Suchtmittel manifestiert haben. Auch eine altersdepressive Teilnehmerin gehört zum „Kernteam“. „Ich schi- cke niemanden weg. Für viele aus unserer Gruppe ist der Termin der schönste und wichtigste der gan- zen Woche.“

„hier wird ein ungeheures Poten- tial verschenkt“

Die Arbeit in der Selbsthilfe besteht für Michaela Sinzinger nicht nur aus den wöchentlichen Gesprächs- runden, für die sie sich regelmäßig fortbildet. Ein wesentlicher Teil ihrer Tätigkeit besteht auch aus gemein- samen Aktionen, die sie organisiert und die die Teilnehmer aus ihrer Isolation befreien sollen.

Was wünscht sie sich für die Zu- kunft? „Dass Menschen mit Angst- erkrankung eine Lobby haben. Noch würde ich niemandem empfehlen, sich am Arbeitsplatz zu outen. Aber es wäre so einfach, mit diesen Men- schen umzugehen. In jeder Firma sollte bekannt sein, wie man be- troffenen Mitarbeitern helfen kann.

Dann geht eine Panikattacke auch schnell wieder vorbei. Einen Diabe- tiker wirft man ja auch nicht einfach raus, nur weil er ein Handicap hat.

Angstpatienten so wie mich vorzei- tig in die Vollerwerbsrente zu schi- cken, ist ein Wahnsinn, weil unse- rem Land damit so unglaublich viel Potential verloren geht.“

Marion Munke (KVB)

Profund – das mitgliedermagazin der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) – ausgabe 1-2/2011

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