A1824 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 365. September 2008
P O L I T I K
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iele Ärzte scheuen sich, ihren Patienten Leistungen anzubie- ten, die diese aus der eigenen Tasche bezahlen müssen. Andere Ärzte ha- ben kein Problem damit, individuel- le Gesundheitsleistungen (IGeL) zu offerieren. Schon ein Blick in das aktuelle Programm des alljährlich in Köln stattfindenden Deutschen IGeL-Kongresses zeigt, dass Selbst- zahlerleistungen in etlichen Arzt- praxen schon lange zum Alltag gehören. Fast schon schüchtern an- mutende Seminartitel der Vergan- genheit („IGeL – wie sag ich’s dem Patienten?“) sind dort längst nicht mehr zu finden. Stattdessen befasst man sich mit medizinischen Fra- gen. „Umsetzungsthemen sind nach zehn Jahren IGeL praktisch durch“, sagt Kongressveranstalter Oliver Frielingsdorf.Tatsächlich haben Ärzte mit Selbstzahlerleistungen im vergan- genen Jahr erstmals mehr als eine Milliarde Euro umgesetzt. Nach ei- ner Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) wurden 2007 jedem vierten gesetzlich Versi- cherten IGeL-Leistungen in Rech- nung gestellt oder zumindest ange- boten. Dabei geht die Initiative zu IGeL meist vom Arzt aus (67 Pro- zent). Nur ein Drittel der Befragten gibt an, selbst nach privaten Leis- tungen gefragt zu haben.
Gutverdiener im Fokus
Von Interesse waren in diesen Fällen vor allem kosmetische Behandlun- gen und Hautkrebsvorsorgeuntersu- chungen. Letztere ist entsprechend einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses seit dem 1. Juli dieses Jahres Teil der gesetzlichen Krebsfrüherkennung.
Fachärzte offerieren nach der WIdO-Befragung deutlich mehr pri- vate Leistungen als Allgemeinmedi- ziner. Am häufigsten „igeln“ Gynä-
kologen und Hautärzte, an dritter Stelle folgen Augenärzte. Dabei bie- ten Ärzte Patienten mit überdurch- schnittlicher Bildung und höherem Einkommen häufiger Selbstzahler- leistungen an als anderen.
Ärztekammern ahnden Verstöße im Umgang mit IGeL
Nach Angaben des AOK-Instituts haben sich die Ärzte beim Igeln nicht immer korrekt verhalten. In nur 36 Prozent der genannten Fälle ist vor der Behandlung eine schrift- liche Vereinbarung zwischen Arzt und Patient getroffen worden. Für jede sechste erbrachte IGeL-Leis- tung (16 Prozent) stellte der Arzt oder die Ärztin keine Rechnung aus.Vertrag und Rechnung sind beim Igeln jedoch Pflicht.
Für den Präsidenten der Bundes- ärztekammer (BÄK), Prof. Dr.
med. Jörg-Dietrich Hoppe, ist in- korrektes Verhalten nicht akzepta- bel. „Allerdings sagen die WIdO- Zahlen nichts darüber aus, ob diese Ärzte tatsächlich in unseriöser Weise igeln“, gibt Hoppe zu beden- ken. Tatsächlich scheinen IGeL- Angebote das Vertrauensverhältnis von Patienten und Ärzten nicht sonderlich zu stören. Nach einer aktuellen Versichertenbefragung der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung (DÄ, Heft 34–35/2008), hat sich für 84 Prozent der Befragten, die ein IGeL-Angebot erhalten hat- ten, ihr Verhältnis zum Arzt nicht verändert. Nur jeder Zehnte kon- statiert eine Verschlechterung des Verhältnisses als Folge einer IGeL- Offerte.
„Verstoßen Ärzte gegen rechtli- che Vorgaben, wird die Ärztekam- mer aktiv“, sagt Dr. Gerhard Nösser von der Rechtsabteilung der Bundes- ärztekammer. Auffällige Ärzte wür- den gerügt. Denkbar sei sogar, dass das Berufsgericht eingeschaltet wird.
So weit sei es bisher aber noch nicht gekommen.
BÄK-Präsident Hoppe fordert Ärzte dazu auf, Patienten bei Ent- scheidungen für oder gegen IGeL ausreichend Bedenkzeit einzuräu- men. „Nötig ist auch, dass Ärzte ih- re Patienten umfassend über die An- gebote informieren.“ Sie dürften auf keinen Fall Druck auf Patienten aus- üben. Hoppe empfiehlt den Ärztin- nen und Ärzten, sich an den vor zwei Jahren beim 109. Deutschen Ärztetag in Magdeburg beschlosse- nen Vorgaben zum richtigen Um- gang mit IGeL zu orientieren.
An diese Entschließungen knüpft auch eine Patientenbroschüre an, die die Bundesärztekammer in die- sem Frühjahr veröffentlicht hat und die über die Landesärztekammern bezogen werden kann. Sie enthält Informationen darüber, welche Spiel- regeln bei einem Arztbesuch in Sa- chen Selbstzahlerleistungen gelten.
Nun doch keine Positivliste für IGeL
Abstand genommen hat die Bundes- ärztekammer von Überlegungen, ei- ne „Positivliste“ mit IGeL-Leistun- gen zu verfassen. BÄK-Rechtsexper- te Nösser begründet dies mit Abgren- zungsproblemen. Auch müsste eine solche Liste angesichts des medizini- schen Fortschritts permanent fortge- schrieben und aktualisiert werden – nicht zuletzt deshalb, weil Leistun- gen, die nicht in der Liste auftauch- ten, sofort als unseriös eingestuft werden würden, so Nösser. Die BÄK wird stattdessen ihre Informationsan- gebote für Ärzte und Patienten aus- bauen. Neben weiteren Broschüren ist ein Clearing-Verfahren vorgese- hen, über das Patienten und Ärzten Informationen für die Identifikation nützlicher Selbstzahlerleistungen an die Hand gegeben werden sollen. I Samir Rabbata