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Archiv "Diskussion um Xenotransplantate: Tierorgane als trojanische Pferde für Erreger?" (03.08.1998)

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m die Sicherheit von Xeno- transplantaten (Tierorgane) ist eine heftige Debatte ent- standen. Im Wissenschaftsmagazin

„Nature Medicine“ verlangten US- Forscher jüngst ein Moratorium für diese Form der biomedizinischen For- schung. Die Mehrheit der involvierten Forscher sowie die amerikanische Ge- sundheitsbehörde FDA lehnen dieses Ansinnen ab.

„Wir müssen sehr genau die Risiken für die Allgemeinheit be- denken, die durch die mögliche Entstehung neuer Krankheiten gegeben ist, auch wenn wir einen einzelnen durch ein tierisches Organ retten könnten.“ So brachte Prof. Reinhard Kurth, Präsident des Paul-Ehrlich-Insti- tuts (PEI) und kommissarischer Leiter des Robert Koch-Instituts, bei einem Symposium die Debat- te auf den Punkt.

Der Vorteil: Die Xenotrans- plantation verspricht, sollte sie er- folgreich durchführbar sein, nicht nur den Engpaß bei den Organ- spenden zu entlasten. Auch Stoff- wechselfunktionen, die bisher einer Transplantation nicht zugänglich wa- ren, ließen sich wiederherstellen. So ist es bei Tieren gelungen, eine familiäre Hypercholesterinämie zu bessern (Nature Med 1996; 3: 26–27, 48–53) oder im Gehirn fehlende Neurotrans- mitter zu ersetzen (Nature Med 1997;

3: 350–353). Ob die Behandlung lang- fristig und beim Menschen erfolgreich sein wird, ist offen.

Erste klinische Studien haben je- doch bereits begonnen. Im Januar implantierten Bostoner Ärzte einem Epilepsie-Kranken fetale Schweine- hirnzellen. Diese sollen Gamma-Ami- nobuttersäure (GABA) produzieren

und so die unkontrollierte Entladung von Neuronen hemmen. Andere For- scher arbeiten an einer künstlichen Le- ber: In dem Gerät soll das Blut von Pa- tienten mit akutem Leberversagen über Schweinehepatozyten geleitet werden. Sie ersetzen das Organ, bis ein menschlicher Spender gefunden ist.

Nach einer Schätzung von „Na- ture Medicine“ hat die Zahl der klini-

schen Versuche mit Xenotranplanta- ten von 20 in 1994 auf über 100 in 1997 zugenommen. Schon bald könnten insgesamt 1 000 Patienten an klini- schen Versuchen beteiligt sein. Sollten sich irgendwann einmal greifbare Er- folge einstellen, käme die Behandlung für Millionen von Menschen in Frage, heißt es.

Vielen der beteiligten Wissen- schaftler ist jedoch „mulmig zu- mute“, wenn sie an die möglichen Ri- siken der Behandlung denken. Jede Transplantation könnte weitreichen- de Folgen haben, nicht nur für den Pa- tienten und seine Umgebung, sondern für die gesamte Spezies Mensch.

Denn durch eine Xenotransplantati- on könnten Krankheitserreger vom Spender auf den Empfänger übertre- ten. Dies ist bisher noch nicht beob- achtet worden. Die Forscher haben aber bereits einen Namen für diese Krankheiten: Xenozoonosen.

Für Dr. Ralf R. Tönjes von der Abteilung Medizinische Biotechnolo- gie des PEI ist die Gefahr nicht völlig aus der Luft gegriffen. Tönjes bereitet vor allem die denkbare Übertragung von Retroviren vom Schwein auf den Menschen Sorgen. Schweine sind zur Zeit die am häufigsten verwendeten Xenospender. Ihre Organe haben in etwa die gleiche Größe wie beim Menschen. Die Verwandtschaft mit menschlichem Gewebe erscheint ak- zeptabel. (Noch besser wären Paviane geeignet, die aber aus Tierschutzbe- denken und wegen geringer Popula- tionen nicht zur Verfügung stehen.)

Schweine sind als Spender je- doch problematisch, da sie Träger von sogenannten porcinen endo- genen Retroviren (PERV) sind.

Diese haben die Schweine ir- gendwann im Verlauf der Evolu- tion befallen. Als Retroviren konnten sie ihre Gene ins Erbgut ihres Wirtes einschleusen. Tönjes schätzt, daß eine bisher unbe- kannte Zahl von verschiedenen Viren bei jedem Schwein in 30- bis 50facher Ausfertigung in der DNS jeder Zelle vorhanden sind.

Es ist denkbar, daß porcine Retroviren bei einer Xenotrans- plantation „als tückische blinde Passagiere“, wie Tönjes in einem Artikel für „Spektrum der Wis- senschaft“ (Juli 1997) schrieb, in den menschlichen Organismus gelan- gen und dort eine Krankheit auslösen.

Im Labor ist eine Vermehrung von PERV in menschlichen Nierenzellen bereits gelungen (Nature Medicine; 3:

282–286). Die Nierenzellen haben so- gar infektiöse Viruspartikel hergestellt.

„Damit kommt die Übertragung einer direkten Injektion von Viren gleich. Sie könnten sich ungehemmt vermehren und dann auch andere Menschen infizieren“, kommentiert Tönjes. Theoretisch könnten die Vi- ren dann andere Zellen des Empfän- gers infizieren. Wenn dies Keimzellen sind, wäre die Spezies Mensch wohl bald um ein ERV reicher. Auch der A-1895

P O L I T I K MEDIZINREPORT

Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 31–32, 3. August 1998 (23)

Diskussion um Xenotransplantate

Tierorgane als trojanische Pferde für Erreger?

Einer möglichen Heilung für einzelne Patienten müssen die Gefahren für die Allgemeinheit gegenübergestellt werden.

U

Im Verlauf der Evolution wurden die Schweine von porcinen endoge- nen Retroviren befallen. Als typische Vertreter ihrer Klasse konnten sie ihre Gene ins Erbgut ihres Wirtes einschleusen. Foto: Manfred Röhrig

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Mensch ist vermutlich Träger von en- dogenen Retroviren, die bei ihm ebenso wie die PERV beim Schwein keine Krankheit auslösen.

Anders könnte dies aussehen, wenn PERV zum Sprung über die Spe- ziesgrenze ansetzen. Die Chancen, daß sich die Viren im neuen Wirt etablie- ren, werden durch zwei Faktoren be- günstigt: zum einen durch die auch nach Xenotransplantationen nötige im- munsuppressive Behandlung der Pati- enten, zum anderen durch eine gen- technische Konditionierung der Xeno- transplantatzellen, mit der die hyper- akute Abstoßungsreaktion (HAR) verhindert werden soll. Die HAR tritt nur nach Xenotransplantation auf. In- nerhalb weniger Minuten bis Stunden werden die Gefäße des transplantier- ten Organs zerstört. Die HAR beruht auf der Aktivierung des Komplement- systems mit Hilfe von Antikörpern.

Die Antikörper sind bei den Patienten schon vor der Transplantation vorhan- den. Sie binden an spezielle Zucker- reste auf den Endothelzellen des Spenderorgans.

Da es bisher nicht gelungen ist, Schweine ohne dieses Merkmal zu züchten, setzen die Forscher zur Zeit auf genetisch modifizierte Tiere. Sie produzieren auf der Oberfläche ihrer Endothelzellen humane Regulatoren der Komplementaktivierung. Als

„molekulare Tarnkappen“ unter- drücken sie die Aktivierung des menschlichen Komplementsystems.

Gewünschte Wirkung: Die HAR wird unterdrückt. Mögliche Nebenwir- kung: Da das Komplementsystem auch eine wichtige Abwehrlinie gegen virale Infektionen ist, könnten Xeno- zoonosen begünstigt werden.

Diese Bedenken haben dazu ge- führt, daß der Xenotransplantations- forscher Fritz Bach von der Harvard- Universität ein Moratorium fordert.

Alle laufenden Studien sollten ge- stoppt werden, bis eine öffentliche Debatte geführt worden und ein poli- tischer Konsens darüber erreicht ist, unter welchen Bedingungen derartige Versuche überhaupt durchgeführt werden können.

Begründet wird die Forderung nach einem Moratorium mit dem Prinzip des „informed consent“. So wie der Patient vor jeder Behandlung seine Einwilligung erst geben kann,

wenn er über die möglichen Risiken aufgeklärt ist, so könne die Gesell- schaft erst dann der Xenotransplanta- tion zustimmen, wenn sie auf die mög- lichen Risiken aufmerksam gemacht wird. Dies sei notwendig, weil sie von den Folgen der Forschung, Epidemi- en und Pandemien neuer Krankhei- ten betroffen sei.

Parallelen zur Gentechnik- Debatte der 70er Jahre

Auch in Deutschland wird eine öf- fentliche Debatte gefordert. Prof. Eve- Marie Engels, die an der Universität Tübingen Ethik in den Biowissen- schaften lehrt, hob auf dem PEI-Sym- posium hervor, daß sich für sie die Fra- ge stelle, „ob die Xenotransplantation mit den Grundprinzipien der medizini- schen Ethik, den Prinzipien der Hei- lung von Krankheiten und der Scha- densvermeidung, der Autonomie und der Gerechtigkeit vereinbar ist“. Auch tierethische Aspekte könnten die Xe- notransplantation in Frage stellen.

In den USA will man von derarti- gen Bedenken nichts wissen. Zwar wurden im Oktober 1997 kurzzeitig

alle klinischen Versuche mit Verwen- dung von Schweinematerial gestoppt.

Da aber noch bei keinem Patienten ei- ne Übertragung von Schweineviren nachgewiesen werden konnte, erlaub- te die FDA bald, daß einzelne Studien fortgesetzt werden.

Viele US-Forscher fühlen sich an die Debatte um die ökologischen Konsequenzen der Gentechnik aus den 70er Jahren erinnert. Damals wurde ein Moratorium erlassen, das die Forschung nur behinderte, aber keinen wesentlichen Beitrag zur Si- cherheit leistete. Gänzlich liberalisiert ist die Xenotransplantation aber auch in den USA nicht. Im Januar dieses Jahres überarbeitete die FDA ihre Richtlinien zur Xenotransplantation.

Die hygienischen Anforderungen der Tierhaltung sollen verschärft werden.

Die Tiere dürfen nicht an Krank- heiten leiden, die für Menschen an- steckend sind. Geplant ist ein Natio- nales Register aller Empfänger von Xenotransplantaten. Gewebeproben sollen für spätere Untersuchungen eingefroren werden. Außerdem ist ein nationales Beratergremium geplant, das die weitere Entwicklung überwa- chen soll. Rüdiger Meyer

A-1896

P O L I T I K MEDIZINREPORT

(24) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 31–32, 3. August 1998

Die Kirchen zur Xenotransplantation

In einer gemeinsamen Stellungnahme haben die katholische und die evangelische Kirche die wichtigsten Gesichtspunkte zur ethischen Beur- teilung der Xenotransplantation dargestellt. Diese als „Diskussionsbeitrag“

bezeichnete Schrift wurde von einer im Auftrag des Kirchenamtes der Evan- gelischen Kirche in Deutschland und dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz eingesetzten Arbeitsgruppe verfaßt.

Nach Auffassung der Kirchen könnte die Xenotransplantation durchaus medizinische Vorteile bringen. So bestünde die Möglichkeit, wegen der Resi- stenz tierischer Organe gegen Hepatitis-Erreger bei Lebertransplantationen das Auftreten dieser Krankheit zu vermeiden. Als Chance der Xenotrans- plantation sehen die Kirchen auch die „Überwindung des ethisch verwerf- lichen Handels mit Spenderorganen“. Diesen Chancen stünden jedoch eine Reihe von Risiken gegenüber. Die Bereitschaft zur Organspende könnte wei- ter sinken, wenn Tierorgane in unbegrenzter Zahl zur Verfügung stünden. Die Schrift weist auch auf den Konflikt zwischen dem Lebensrecht des Menschen und dem Lebensrecht von Tieren hin. Wegen der nicht unerheblichen Risiken hält die Kommission eine Xenotransplantation nur dann für ethisch gerecht- fertigt, wenn alle Risiken von unabhängigen Instanzen (Ethikkommissionen) als vertretbar eingestuft wurden. Die Einführung dieser medizinischen Tech- nik müsse außerdem ständig kontrolliert werden, „damit sich die Grenze zwi- schen Heilversuch und Versuch am Menschen nicht verwischt“.

Gegen eine weitere Erforschung der Xenotransplantation wendet sich Dr. med. Wiltrud Kernstock-Jörns, Berlin, in einem im Anhang der Schrift

abgedruckten „abweichenden Votum“. Kli

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