Lothar Krimmel: Kostener- stattung und Individuelle Ge- sundheitsleistungen. Neue Chan- cen für Patienten und Ärzte, Deutscher Ärzte-Verlag, Köln, 1998, 432 Seiten, 95 Abbildungen und herausnehmbare Infomate- rialien, broschiert, 98 DM
„Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ Daß Dr.
med. Lothar Krimmel ausge- rechnet dieses Zitat des fran- zösischen Dichters Victor Hugo dem Vorwort seines Buchs vorangestellt hat, mag auf den ersten Blick verwun- dern. Schließlich geht es
„nur“ um die Kostenerstat- tung in der Gesetzlichen Krankenversicherung und um die sogenannten Indivi- duellen Gesundheitsleistun- gen außerhalb derselben.
Erinnert man sich freilich an das gewaltige Getöse, mit dem die gesetzlichen Kran- kenkassen die Vorstellung des IGEL-Katalogs im März die- ses Jahres begleitet (und tor- pediert) haben, läßt sich erah- nen, warum der Autor Victor Hugo bemüht hat. Krimmel, Facharzt für Allgemeinme- dizin und stellvertreten- der Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesver- einigung, hält die Zeit für ge- kommen, der heute vorherr- schenden „Rundum-Versor- gungsmentalität“ innerhalb der Gesetzlichen Kranken- versicherung mit einer Idee entgegenzutreten, die – ob- wohl im Grunde schlicht und wenig spektakulär – das hiesi- ge Gesundheitswesen auf län- gere Sicht nachhaltig verän- dern könnte.
Das „Buch zum Konzept“
geht weit über eine bloße Dar- stellung der Leistungen hin- aus, die nach Auffassung der Kassenärztlichen Bundesver- einigung und der beteiligten ärztlichen Berufsverbände von Patienten nachgefragt werden und von den niederge- lassenen Ärzten außerhalb der GKV-Leistungspflicht er- bracht werden sollen. In ei- nem ausführlichen Grundla- genkapitel erläutert Krimmel Ursachen und Auswirkungen der anhaltenden Finanzmise- re der Gesetzlichen Kranken-
versicherung. Der finanzielle Spielraum der Kassen wird zu- nehmend enger, gleichzeitig wächst in der Bevölkerung aber die Nachfrage nach me- dizinischen Leistungen. Zwi- schen den Stühlen sitzen die Kassenärzte.
Doch auch die gesetzli- chen Krankenkassen stehen
vor einem Dilemma. Sie müs- sen sparen und sich dennoch im Wettbewerb behaupten – nicht nur untereinander, son- dern mit Blick auf die freiwil- lig Versicherten vor allem ge- genüber der privaten Kran- kenversicherung. Dies ge- schieht seit Jahren vor dem Hintergrund eines tiefgreifen-
den gesellschaftlichen Wan- dels, den Krimmel als „Mega- trend Gesundheit“ bezeich- net. Will heißen: Das individu- elle Gut Gesundheit und die daraus resultierende Nachfra- ge nach Gesundheitsleistun- gen haben mit der Kranken- versorgung im klassischen Sinne gebrochen. Statt dessen
etablieren sich zunehmend individuelle Ansprüche, die von den Ärzten zwar be- friedigt, von einer solidari- schen Zwangsversicherung aber nicht mehr gedeckt wer- den können.
Den Ausweg aus dieser Wettbewerbs- und Fort- schrittsfalle sieht der Autor ei-
nerseits in der Leistungsab- grenzung durch den IGEL- Katalog, zum anderen in der Kostenerstattung. Mit Hilfe dieser beiden Instrumente kann die GKV auf ihre eigent- liche Aufgabe (notwendige, ausreichende und wirtschaftli- che Versorgung) zurückge- führt und zugleich den indivi- duellen Bedürfnissen der Pati- enten entsprochen werden.
Das Buch mit dem Unter- titel „Neue Chancen für Pati- enten und Ärzte“ zeigt die Wege dahin auf. Es bietet an der Praxis des Arztes ausge- richtete, konkrete Tips und Anleitungen – bis hin zu Mu- sterinformationen für Patien- ten zum Thema Kostenerstat- tung und einem beigelegten Praxisplakat über individuelle Gesundheitsleistungen zum Aushang im Wartezimmer.
Seinen Praxisbezug doku- mentiert das Buch ferner in einem Anhang, der die Be- sonderheiten der verschiede- nen Fachgruppen berücksich- tigt. Die rund 70 individu- ellen Gesundheitsleistungen sind nicht für jede Grup- pe gleichermaßen relevant.
Krimmel hat deshalb für ins- gesamt zehn Arztgruppen je- weils spezifische IGEL-Kata- loge zusammengestellt. Ge- dacht ist dies als Orientie- rungshilfe.
Das Buch nur den Ärzten als Leitfaden zu empfehlen, die individuelle Gesundheits- leistungen in ihren Praxen anbieten wollen, wäre indes- sen zu kurz gegriffen. Viel- mehr verschafft es dem Leser einen fundierten Überblick über die Entwicklungen in- nerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung. Und es markiert in gewisser Weise einen möglichen Wende- punkt. Der Autor selbst schreibt dazu in seinem Vor- wort: „Wenn zum Ende des 20. Jahrhunderts neue Chan- cen für die Realisierung indi- vidueller Gesundheitsbedürf- nisse eröffnet werden, so er- hebt das vorliegende Buch durchaus den Anspruch, die- se ,Jahrhundertwende in der Medizin‘ unterstützend zu begleiten.“
Josef Maus, Hürth A-1208 (12) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 20, 15. Mai 1998
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