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Archiv "Familiäre adenomatöse Polyposis" (11.04.1991)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Familiäre

adenomatöse Polyposis

Paradigma einer

therapierbaren genetischen Krankheit

Waltraut Friedel' Gabriela Möslein2

Klaus Jaeger 3 Christian Herfarth 2

Peter Propping i

Genetik und Epidemiologie

Die Penetranz des dominanten FAP-Gens beträgt 95 Prozent (3).

Etwa 40 Prozent der Fälle sind spo- radisch; sie sind größtenteils auf Neumutationen zurückzuführen. Die Mutationsrate wird auf 1,3 x 10 -7 veranschlagt.

Die besten epidemiologischen Daten über FAP gibt es aus Däne- mark, wo praktisch alle Polyposis- Familien im Rahmen eines Vor- und Nachsorgeprogrammes erfaßt sind.

Die mittlere jährliche Inzidenz be- trägt dort 1,3 auf eine Million Ein- wohner, die Prävalenz wird auf 1 pro

10 000 Einwohner geschätzt (4).

Gen-Kartierung

Die Grundlage für die Kartie- rung des FAP-Gens war ein kurzer zytogenetischer Fallbericht (5). Bei einem geistig schwer behinderten Patienten wurde eine Deletion im langen Arm von Chromosom 5 (5q13-q32) festgestellt. Der Patient litt zusätzlich an Polyposis coli.

Kopplungsuntersuchungen an FAP- Familien mit DNA-Markern aus die- sem Chromosomenabschnitt bestä- tigten die Lokalisation des FAP- Gens auf 5q21-q22 (6-9).

Inzwischen kennt man zahlrei- che polymorphe DNA-Sonden, die das FAP-Gen flankieren und für ei- ne sogenannte „indirekte Genotyp- analyse" zur Verfügung stehen (Ab- bildung 1). Die Identifizierung des FAP-Gens selbst ist in naher Zu- kunft zu erwarten. Dessen Analyse dürfte auch Bedeutung für unser Verständnis des Kolon-Karzinoms haben. Es wird vermutet, daß das FAP-Gen als Tumor-Supressor wirkt.

Krankheitsbild

Kolon und Rektum:

Charakteristisch für FAP ist das Auftreten von Hunderten von Poly- pen im gesamten Dickdarm, wobei die Dichte der Polypen vom Colon ascendens zum Rektum hin meist zu- nimmt (Abbildung 2). Es handelt sich um Adenome unterschiedlicher Grö- ße (0,3 mm bis 3 cm Durchmesser). Je

größer der Polyp, desto höher das Entartungspotential.

Da die Polypen zu Beginn der Erkrankung nur vereinzelt auftreten und klein sind, verursachen sie zu- nächst keinerlei Symptome. Im wei- teren Verlauf kommt es zu Schleim- und Blutbeimengungen im Stuhl und zu abdominellen Beschwerden.

Wenn diese Symptome auftreten, dann sind die Polypen vielfach be- reits maligne entartet.

Extrakolonische Manifestationen:

Bei einem großen Teil der Poly- posis-Patienten können neben den Dickdarmpolypen verschiedenartige Tumoren an anderen Organen vor- kommen (Tabelle 1). Die Trias aus Polyposis, multiplen Osteomen und Epidermoid-Zysten wird bisher als Gardner-Syndrom bezeichnet. Das Gen für das „Gardner-Syndrom"

liegt im gleichen Chromosomenab- schnitt wie das FAP-Gen; es handelt sich vermutlich um verschiedene Mutationen des gleichen Gens. Der Begriff Gardner-Syndrom sollte des- halb nicht mehr verwendet und durch FAP ersetzt werden (4).

Ophthalmologische Befunde:

Bei etwa 85 Prozent der Perso- nen, die an Polyposis coli erkrankt sind, ist eine Veränderung der Netz- haut nachweisbar (kongenitale Hy- pertrophie des retinalen Pigment-

Institut für Humangenetik (Direktor: Prof.

Dr. med. Peter Propping), Rheinische Fried- rich-Wilhelms-Universität Bonn;

2 Chirurgische Universitätsklinik (Direktor:

Prof. Dr. med. Christian Herfarth), Ruprecht- Karls-Universität Heidelberg;

3 Allgemein- und Abdominal-Chirurgie (Chefarzt: Prof. Dr. med. Klaus Jaeger), Ma- rienhospital. Brühl (Rheinl.)

Die familiäre adenomatöse Polyposis (FAP) ist eine autosomal-domi- nant erbliche Erkrankung, bei der es zum Auftreten von Hunderten von kolorektalen adenomatösen Polypen kommt. Die zunächst asymptoma- tischen Polypen können sich bereits im Kindesalter oder erst sehr viel später manifestieren, wobei der Häufigkeitsgipfel der Erstmanifestation zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr liegt (1, 2). Bei der FAP handelt es sich um eine echte Präkanzerose. 1987 ist der für FAP verantwortli- che Gen-Ort auf dem langen Arm des Chromosoms Nr. 5 kartiert wor- den. Die Polyposis coli ist paradigmatisch für eine erbliche Krankheit geworden, die mit genetischen Methoden präsymptomatisch diagno- stizierbar und chirurgisch therapierbar ist.

, Heft 15, 11. April 1991 (43) A-1261 Dt. Ärztebl. 88

(2)

5

M4 (D5S6)

- Pi227 (D5S37)

- C11p11 (D5S71)

ECB27. (D5S98)

KK5.33 (D5S85)

FAP

YN5.48 (D5S81) MC5.61 (D5S84)

EW5.5 (D5S86)

15.3 15.2 15.1 14 13.3 13.2 13.1 12 11 11.1 11.2 12 13.1 13.2 13.3 14 15 q 21 22 23.1 23.2 23.3 31.1 31.2 31.3 32 33.1 33.2 33.3 34 35.1 35.2 35.3

21cM

1 OcM

5 cM A A V

1 cM

Abbildung 1: Lokali- sierung des FAP- Gens und der für die indirekte Genotyp- analyse verfügbaren DNA-Marker auf Chromosom 5q. Die Entfernung der DNA- Marker zum FAP-Lo- kus ist in CentiMor- gan angegeben (1cM entspricht etwa 1000 Kilobasenpaa- ren beziehungsweise einer Rekombinati- onsrate von 1%)

Abbildung 2: Dickdarmpräparat mit Polypen (Prof. Pfeifer, Bonn) Abbildung 3: Typischer Retinabefund (CHRPE) bei einem FAP-Patienten

epithels, CHRPE). Diese Verände- rung der Netzhaut wird in der Regel zusammen mit dem FAP-Gen ver- erbt (10, 11). Die Sehfähigkeit ist nicht beeinträchtigt. CHRPEs treten bereits im Kleinkindalter auf.

Es gibt vier verschiedene Typen von Veränderungen der Netzhaut:

0

ovale pigmentierte Läsionen;

0 kleine, runde pigmentierte schwarze Flecke; 3® große depig- mentierte Flecke; ® große pigmen- tierte Flecke mit oder ohne Saum (Abbildung 3). In der Allgemeinbe- völkerung findet man solche Verän- derungen selten; sie treten dann meist nur unilateral auf und haben einen Durchmesser von weniger als 0,15 mm. Bei Personen, die das FAP- Gen tragen, sind mehr als fünf Läsio- nen oder mehr als zwei Typen pa- thognomonisch.

Diagnose

Die Diagnose einer FAP wird durch Rektoskopie und histologische

Sicherung der Adenome gestellt. In den beiden größten in der Literatur angegebenen Studien (1, 3) haben alle FAP-Patienten auch Adenome im Rektum.

Nach rektoskopischer Diagnose einer FAP muß unbedingt auch eine Koloskopie durchgeführt werden, um die Verhältnisse im restlichen

Dickdarm (Karzinom?) zu beurtei- len. Vom 20. Lebensjahr an ist bei FAP-Patienten eine Gastroduode- noskopie ebenfalls angezeigt. Mit der Diagnosestellung ergibt sich grundsätzlich die Indikation zur pro- phylaktischen Kolektomie, wobei die operative Therapie in der Regel nach der Pubertät erfolgen sollte.

Das Problem

der Risikopersonen Da die FAP autosomal-domi- nant erblich ist, haben Kinder und Geschwister eines Patienten a priori ein Risiko von 50 Prozent, ebenfalls das FAP-Gen geerbt zu haben. Dies gilt auch für Kinder und Geschwister

(3)

Restrisiko (%)

0 10 20 30 40 50 60 70 80

Alter (Jahre) 50

40

30

20

10

0

50 benigne; Manifestations- alter 0-39 Jahre

benigne, familiäre Segre- gation

4 benigne; häufiger bei Frauen, hohe Komplikati- onsrate

76-81

▪ Netzhautveränderun gen

■ Zahnanomalien

■ Adenome in Pankreas und Gallenblase 1 Karzinome in Schild-

drüse, Ovarien und Ne- bennieren

Tabelle 1: Extrakolonische Manifestationen (nach 4)

Symptome Häufigkeit Bemerkungen

■ gastro-duodenale Tumoren:

Fundus-Polypen Magen-Adenome

benigne Polypen bei Japanern

(selten bei Europäern 23-56

50 Magen-Karzinome

Duodenal-Adenome Duode nal-Karzinom

0,6

33-47 hohes Entartungsrisiko 1-3

■ Epidermoid-Zysten

■ Osteome der Kiefer- und langen Röhren- knochen

■ Desmoid-Tumoren

85 familiäre Segregation

17 Abbildung 4: Restrisi-

ko für Polyposis coli für einen Verwandten

1. Grades eines Pa- tienten nach dem Al- ter. Je älter eine Risi- koperson wird, die keine Krankheitssym- ptome zeigt, um so geringer ist ihr Rest- risiko, Träger des FAP-Gens zu sein (nach Daten aus 4) eines sporadischen FAP-Falles. Die

Verwandten 1. Grades eines FAP- Patienten werden deshalb als Risiko- personen bezeichnet. Je älter ein Verwandter 1. Grades eines FAP- Patienten geworden ist, ohne er- krankt zu sein, desto geringer ist sein Restrisiko für eine Erkrankung (Ab- bildung 4). Das hohe Erkrankungsri- siko eines Verwandten 1. Grades so- wie die Verfügbarkeit einer effizien- ten chirurgischen Therapie machen ein systematisches Vorsorgepro- gramm dringend erforderlich.

Präsymptomatische Diagnostik

bei Risikopersonen

Rektoskopie:

Risikopersonen sollten vom 10.

bis zum 39. Lebensjahr in zweijähri- gem Abstand einer Rektoskopie un- terzogen werden, gegebenenfalls mit Biopsie von Polypen. In der Alters- gruppe 40 bis 59 Jahre können die Rektoskopie-Intervalle auf 3 bis 5 Jahre ausgedehnt werden. Wenn bei einer Risikoperson die Diagnose Po- lyposis coli gestellt worden ist, ergibt sich die Indikation zur prophylakti- schen chirurgischen Intervention.

Ophthalmologische Untersuchung:

Jede Risikoperson sollte früh- zeitig einmal auf kongenitale Retina- Hypertrophien (CHRPE) untersucht werden. Hierzu muß bekannt sein, ob in der betreffenden Familie die- ser Augenbefund bei FAP-Patienten vorhanden ist. Deshalb müssen alle Merkmalsträger einer Familie oph- thalmologisch untersucht werden.

Weist eine Risikoperson Retina-Hy- pertrophien auf, dann spricht dieser Befund dafür, daß sie das FAP-Gen trägt. Ein negativer Retinabefund bei einer Risikoperson kann nur dann im Sinne eines verminderten Erkrankungsrisikos gewertet wer- den, wenn die FAP-Patienten dieser Familie CHRPEs aufweisen.

Molekulargenetische Untersuchung:

Bei FAP-Patienten sollte zu- nächst immer ein sorgfältiger Famili- enbefund erhoben werden. Mit Hilfe molekulargenetischer Marker kann

in geeigneten Familien eine Kopp- lungsuntersuchung zur Erkennung der FAP-Gen-Träger unter den Risi- kopersonen durchgeführt werden.

FAP-Patienten sollten darauf hingewiesen werden, daß ihre Ge-

schwister und Kinder Risikoperso- nen für die gleiche Krankheit sind.

Die Risikopersonen sollten zunächst

durch einen Humangenetiker bera- ten werden. Dabei kann geklärt wer- den, ob in der gegebenen Familie ei- Dt. Ärztebl. 88, Heft 15, 11. April 1991 (47) A-1265

(4)

ne präsymptomatische Diagnose über indirekte Genotypanalyse mög- lich ist und welche Familienmitglie- der gegebenenfalls untersucht wer- den müssen.

Bei der indirekten Genotypanaly- se (Kopplungsuntersuchung) wird die Segregation genetischer Marker, die den FAP-Gen-Ort zu beiden Seiten flankieren, im familiären Zusammen- hang untersucht. Aus der Vererbung der elterlichen Markerkombination (Haplotypen) kann auf die Vererbung des FAP-Gens rückgeschlossen wer- den. Aufgrund der Entfernung der

„informativen" genetischen Marker zum FAP-Gen-Ort kann man für Risi- kopersonen berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie das FAP-Gen geerbt haben.

Abbildung 5: Indirekte Genotypanalyse in einer FAP-Familie.

a) (oben) Familienstammbaum. Die an FAP erkrankten Personen sind mit schwarzen Sym- bolen gekennzeichnet. Geburtsjahr (oben) und gegebenenfalls Todesjahr (unten) sind an- gegeben.

b) (links) Aufgrund der DNA-Analyse haben II/1 und 11/4 ein geringes Erkrankungsrisiko (<5 Prozent), denn sie haben von ihrem Vater einen anderen Haplotyp geerbt als ihr kran- ker Bruder 11/3. Der jüngste Bruder 11/5 hat ein hohes Erkrankungsrisiko (etwa 95 Prozent), da er den gleichen väterlichen Haplotyp trägt wie sein an FAP erkrankter Bruder 11/3. Bei 11/2 ist eine Rekombination aufgetreten (1 2).

c) (rechts) Die Tochter hat vom Vater den Haplotyp des gesunden Großvaters geerbt. Ihr Erkrankungsrisiko liegt weit unter 1 Prozent.

Für die molekulargenetische Untersuchung wird eine einmalige Blutprobe benötigt (mit EDTA anti- koaguliertes Vollblut).

Wir haben an zahlreichen Fami- lien molekulargenetische Untersu- chungen durchgeführt. Hier zeigen wir beispielhaft das Ergebnis der in- direkten Genotypanalyse in einer von uns untersuchten Familie (Abbil- dung 5). In einem Zweig der Familie (Abbildung 5b) sind nur die proxima- len DNA-Marker informativ; des- halb verbleibt eine Unsicherheit bei der Schätzung des Restrisikos, die gleich der Rekombinationsrate zwi- chen dem FAP-Lokus und dem nächstgelegenen informativen Mar- kerlokus ist (hier KK5.33 mit etwa fünf Prozent). Aufgrund der DNA- Analyse haben die Brüder II/1 und

11/4 ein Erkrankungsrisiko von etwa fünf Prozent; unter Einbeziehung ih- res Alters verbleibt ein Restrisiko für Polyposis von weniger als 0,5 Pro- zent. Sicherheitshalber sollte auf die rektoskopische Kontrolle noch nicht ganz verzichtet, die Intervalle kön- nen aber auf fünf Jahre verlängert werden. Der jüngste Bruder 11/5 hin- gegen trägt den gleichen Haplotyp wie der kranke Bruder 11/3 und hat

folglich ein hohes Risiko (etwa 95 Prozent) für eine Erkrankung. Er sollte dringend in zweijährigem Ab- stand rektoskopiert werden.

In einem anderen Zweig der Fa- milie sind die DNA-Marker zu bei- den Seiten des FAP-Gens informativ (Abbildung 5c): die 17jährige Tochter hat von ihrem erkrankten Vater den Haplotyp des gesunden Großvaters geerbt; ihr Restrisiko für FAP liegt

(5)

Tabelle 2: Klinischer Verlauf bei unbehandelten FAP-Patienten.

Die Daten sind dem dänischen Polyposis-Register entnommen (14) Stadium der FAP und Patientengruppe mittleres

Alter (Jahre)

Spanne (Jahre)

erste Polypen bei Risikopersonen erste Darmsymptome bei der Patienten- gruppe

Diagnose von FAP bei der Patientengruppe Dickdarmkrebs bei der Patientengruppe Tod an Krebs

16 5-38

2-73

5-73 17-67 26-68 29

33 36 40

Abbildung 6: Schematische Darstellung der verschiedenen Operationsmethoden: a) (links) Totale Kolektomie mit Proktomukosektomie und ileoanaler Pouchbildung (IAP); b) (Mitte) subtotale Kolektomie mit ileorektaler Anastomose (IRA); c) (rechts) totale Proktokolektomie mit terminalem Ileostoma

weit unter einem Prozent. Daher kann die rektoskopische Kontrolle bei ihr auf ein fünfjähriges Intervall verlängert werden. In naher Zukunft dürfte die Genotypanalyse so zuver- lässig sein, daß man diesen Risiko- personen die Rektoskopie ganz er- sparen kann.

Für die große Mehrzahl der fa- miliären Fälle erlaubt die indirekte Genotyp-Diagnostik eine Abschät- zung des Restriskos bei Risikoperso- nen. Bei den Verwandten 1. Grades sporadischer Fälle ist die indirekte Genotyp-Diagnostik prinzipiell nicht möglich, es sei denn, die gezielte Au- genspiegelung führt zum Nachweis von CHRPE bei einer Risikoperson.

In diesem Fall ist die Kopplungspha- se erkennbar.

Notwendigkeit eines Vorsorgeprogramms

Der autosomal-dominante Erb- gang der FAP, die Möglichkeit der frühzeitigen oder präsymptomati- schen Diagnostik und die Verfügbar- keit einer effizienten chirurgischen Therapie einer sonst deletär verlau- fenden Krankheit machen den Auf- bau eines planmäßigen Vorsorgepro- gramms erforderlich. Risikoperso- nen sollten im eigenen Interesse in ein Vorsorgeprogramm übernom-

men werden, das eine eingehende humangenetische Beratung und ge- gebenenfalls eine molekulargeneti- sche Untersuchung sowie eine klini- sche, rektoskopische und ophthal- mologische Untersuchung umfaßt.

Bei der Seltenheit des Krankheitsbil- des und der Vielschichtigkeit der Or- ganmänifestationen erscheint es sinnvoll, die Koordination der erfor- derlichen Untersuchungen in Zen- tren durchzuführen. Diese Zentren, übernehmen die Aufgabe, zu gege- benem Zeitpunkt sowohl die Patien- ten als auch deren Hausärzte über die Fälligkeit einer Untersuchung im Rahmen der Vorsorge hinzuweisen.

Es ist nicht notwendig, die Untersu-

chungen in den Zentren selbst durchzuführen. Um die Effizienz des Vorsorgeprogramms zu gewährlei- sten, sollten die Ergebnisse der aus- wärts durchgeführten Untersuchun- gen dem Koordinationszentrum möglichst bald mitgeteilt werden.

In enger interdisziplinärer Zu- sammenarbeit von Humangeneti- kern, Chirurgen und Ophthalmolo- gen sind wir dabei, ein Vorsorgepro- gramm für Risikopersonen sowie ein Nachsorgeprogramm für FAP-Pa- tienten zu etablieren. Dieses Pro- gramm orientiert sich an den Erfah- rungen anderer Länder und dem lau- fenden europäischen Projekt EU- ROFAP.

Dt. Ärztebl. 88, Heft 15, 11. April 1991 (53) A-1271

(6)

Als ausgesprochen hilfreich hat sich dafür die Gründung der Selbst- hilfegruppe „Familienhilfe Polyposis coli e. V." erwiesen (Vorsitzender H.-J. Pfitzner, Florstädter Straße 20a, 6000 Frankfurt am Main 60). Es finden regelmäßige Treffen statt, bei denen Betroffene Gelegenheit ha- ben, ihre Erfahrungen auszutau- schen und auch medizinische Proble- me anzusprechen.

Therapie

Der klinische Verlauf bei unbe- handelten Patienten und das Durch- schnittsalter der Patienten in ver- schiedenen Stadien der Krankheit ist aus Tabelle 2 ersichtlich.

Bei gesicherter FAP muß die dringende Empfehlung zur prophy- laktischen Entfernung des Kolorek- tums beziehungsweise der befallenen Schleimhaut ausgesprochen werden.

Bei Erwachsenen sollte der Eingriff so bald wie möglich durchgeführt werden. Bei Kindern und Jugendli- chen muß individuell entschieden werden, wobei die Durchführung im Alter von 16 bis 18 Jahren angestrebt werden sollte. Eine maligne Entar- tung vor diesem Alter ist eine Rari- tät, aber bereits ein Fünftel der Pa- tienten hat in der dritten Lebensde- kade ein Karzinom. Komplikationen, in der Regel untere gastrointestinale Blutungen, erzwingen gelegentlich eine chirurgische Intervention.

Es stehen mehrere Operations- methoden zur Auswahl (Abbildung 6):

Sphinktererhaltende, totale Kolektomie mit Proktomukos- ektomie und ileo-analer Pouchbildung (IAP):

Das Innovative dieses Verfah- rens besteht in der Schonung des Analsphinkter-Apparates bei radika- ler Entfernung der befallenen dista- len Rektumschleimhaut. Es ist als Verfahren der Wahl anzusehen. Aus dem terminalen Ileum wird durch Faltung ein Dünndarm-Pouch (Beu- tel) als Ersatzreservoir gebildet (13).

Die Operationsergebnisse sind bei jüngeren Patienten besonders gut, die Komplikationsrate bei richtiger Indikationsstellung vertretbar. Eine erhöhte Stuhlfrequenz muß meist hingenommen werden. Die operier-

ten Patienten können in der Regel ein normales soziales und berufli- ches Leben führen.

Subtotale Kolektomie mit ileo- rektaler Anastomose (IRA):

Manche Autoren sehen die sub- totale Kolektomie mit Ileorektosto- mie bei wenig ausgeprägter Manife- station der Grunderkrankung im Rektum als Methode der ersten Wahl an. Die funktionellen Ergeb- nisse sind mit denen der IAP ver- gleichbar. Die Vorteile liegen in dem geringeren operativen Aufwand und in der niedrigeren Komplikationsra- te. Es ist eine erhöhte Stuhlfrequenz in Kauf zu nehmen. Ein wesentlicher Nachteil besteht jedoch darin, daß befallene Rektumschleimhaut ver- Abbildung 7: Com-

putertomographische Darstellung von Des- moidtumoren

bleibt. Das Verfahren ist nur bei ge- ringem Polypenbefall des Rektums geeignet und erfordert engmaschige rektoskopische Untersuchungen.

Totale Proktokolektomie mit terminalem Ileostoma:

Das Kolon ist bei dieser Metho- de zwar radikal entfernt, das Ileo- stoma stellt jedoch einen offensicht- lichen Nachteil dar. Auch wenn die prominente Anlage des Ileostomas nach Brooke die Morbidität des Ein- griffes gesenkt hat und die Verbesse- rung der Stomaversorgung den Pa- tienten ein weitgehend normales Le- ben erlaubt, bleibt dieses Handicap lebenslang bestehen.

Nachsorge

Nach der chirurgischen Inter- vention sind weiterhin regelmäßige

Untersuchungen der FAP-Patienten im Sinne einer Nachsorge erforder- lich.

Das Neorektum sollte in zwei- jährigem Abstand endoskopisch un- tersucht werden, um die zwar selten auftretenden, aber beschriebenen Polypen im terminalen Ileum recht- zeitig zu entdecken. Wenn als Ope- rationsmethode die IRA gewählt wurde, sollten rektoskopische Unter- suchungen, je nach Befund, etwa in sechsmonatigen Abständen erfolgen und möglichst alle Polypen abgetra- gen werden.

Durch die rechtzeitige Kolekto- mie werden in Zukunft die Kompli- kationen der extrakolonischen Mani- festationen an Bedeutung gewinnen.

FAP-Patienten weisen in einem sehr hohen Prozentsatz auch Adenome im Duodenum und Magen auf, die zum Teil mit einem hohen Entar- tungsrisiko behaftet sind. Bei vor- handenen Adenomen ist eine Ga- stroduodenoskopie in zweijährigem Abstand angezeigt.

Wegen der Häufigkeit endokri- ner Karzinome (Schilddrüse, Neben- nieren, Ovarien) sollten diese Orga- ne auch untersucht werden.

Desmoide stellen ein besonde- res Problem der Nachsorge dar. Es handelt sich hierbei um prinzipiell gutartige bindegewebige Tumoren, die jedoch infiltrativ wachsen (Abbil- dung 7). Wenn die Desmoide im Mesenterium liegen, kann es zu ei- ner Kompression des Dünndarms mit nachfolgendem Ileus kommen.

Aufgrund des Befalls der Mesenteri- alwurzel entziehen sie sich oft einer

(7)

radikalen chirurgischen Therapie.

Eine hochdosierte Tamoxifen-The- rapie (Torimifene) scheint einen hemmenden Effekt auf Desmoide zu haben. Eine Strahlentherapie ist we- gen der Gefährdung des Dünndarms nicht angezeigt.

Prognose

Bei rechtzeitiger Diagnose und Behandlung kann die Entstehung ei- nes Kolon-Karzinoms wirksam ver- hindert werden. Daten aus dem dä- nischen Polyposis-Register belegen,

daß 69 Prozent der Patienten, bei de- nen die Diagnose erst auf Grund von Darmbeschwerden gestellt wurde, bereits ein Adenokarzinom hatten.

Von den präsymptomatischerfaßten Trägern des FAP.-Gens hatten dage- gen nur zwei Prozent Krebs (14). Die Verbesserung der Prognose der Po- lyposis-Patienten durch präsympto- matische Diagnose wird durch die dänischen Erfahrungen eindrucks- voll belegt. Durch die Fortschritte der Operationstechniken ist heute auch das Eingriffsrisiko gering, so daß ein FAP-Patient, bei dem die Diagnose vor Auftreten von Darm-

Epidentiologie -

Wissenschaft für die Praxis

Zu dem Beitrag von Prof. Dr. med.

]örg

Michaelis

in

Heft 39/ 1990

l

Eine Ergänzung

In dem ausgezeichneten Beitrag von J. Michaelis ist leider der Aufga- benbereich der Pharmakaepidemio- logie etwas zu kurz gekommen. Phar- makaepidemiologie ist die bevölke- rungsbezogene Beschreibung

...,. der ärztlichen Arzneiverord- nung (nach Fachgebiet, Größe und Lage der Praxis, nach Alter und

"Schule" des verordnenden Arztes), ...,. der Verteilung des Arznei- mittelgebrauchs und -Verbrauchs (nach Alter, Geschlecht, Herkunft und Krankheit beziehungsweise Ein- nahmeanlaß des Patienten oder Ein- nehmenden),

...,. der Einnahmezuverlässigkeit der Patienten,

...,. der erwünschten und uner- wünschten Arzneimittelwirkungen nach der Zulassung und Marktein-

*) Medizinische Informatik und Statistik 73, Springer-Verlag Berlin Beideiberg New York 1991

führung (Phase-IV-Forschung) eines Arzneimittels (von besonderem In- teresse ist die Beobachtung von Be- völkerungsgruppen, die in den ersten drei Phasen der klinischen Prüfung ausgeschlossen waren: Kinder, Schwangere und Alte) und

...,. der qualitativen und quanti- tativen Analyse des Arzneimittelnut- zens und der Arzneimittelrisiken

mit den Methoden der Epidemiologie. Auf das Memoran- dum "Arzneimittelforschung nach der Zulassung" der Arbeitsgruppe

"Therapeutische Forschung"*) der Deutschen Gesellschaft für Medizi- nische Dokumentation, Informatik und Statistik, das in Kürze veröffent- licht wird, weisen wir besonders hin.

Privatdozentin Dr. med. Liselotte von Ferber Forschungsschwerpunkt

Primärmedizinische Versorgung der Universität Düsseldorf Moorenstraße 5

W-4000 Düsseldorf 1 Dr. med. Karl H. Kimbel Övelgönne 92 c

W-2000 Harnburg 52 A-1276 (58) Dt. Ärztebl. 88, Heft 15, 11. April 1991

beschwerden gestellt worden ist, mit sehr guten Therapie-Erfolgen rech- nen kann.

Mit Unterstützung der Deutschen Krebshilfe und des Krebsverbandes Baden-Württem- berg.

Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordern über die Verfasser:

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Peter Propping Direktor des

Instituts für Humangenetik der Universität Bann

Wilhelmstraße 31 · W-5300 Bann 1

DISKUSSION

I

Schlußwort

Die ergänzenden Anmerkungen von Frau PD Dr. von Ferber und Herrn

P!·

Kimbel begrüße ich. Der für das Ubersichtsreferat zur Verfü- gung stehende Raum machte es er- forderlich, . sich auf ausgewählte Aspekte der epidemiologischen For- schung zu beschränken. Hauptziel des Aufsatzes war es, einige grundle- gende methodische Aspekte der Epi- demiologie darzulegen und an ausge- wählten Fragestellungen zu illustrie- ren. Für viele der angesprochenen Bereiche wäre eine ausführlichere Darstellung sinnvoll und angezeigt gewesen. Insofern bin ich dankbar, daß jetzt von Frau von Ferber und Herrn Kimbel darauf hingewiesen wurde, daß sich die Pharmakaepide- miologie nicht nur auf die Frage der Arzneimittelsicherheit beschränkt.

Prof. Dr. med. Jörg Michaelis Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation Klinikum der Universität Langenheckstraße 1 W-6500 Mainz

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