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Archiv "Eindrücke von der polnischen Medizin: Eine Reise nach Breslau" (30.10.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

BLICK ÜBER DIE GRENZEN

Auf Einladung der Medizi- nischen Akademie in Wroc- law, dem früheren Breslau, besuchte der Tübinger Ana- tom Professor Dr. med. Mi- chael Arnold Mitte letzten Jahres Polen. Im jetzt vorlie- genden Reisebericht schil- dert er die Erfahrungen sei- nes einwöchigen Aufent- haltes in der schlesischen Metropole. Manches davon

F

ür die Medizin gibt es bei all- gemein abnehmendem Inter- esse an einem Hochschulstu- dium noch immer mehr Bewerber als Studienplätze. Um sie bemü- hen sich doppelt so viele weib- liche wie männliche Bewerber.

Letztere werden mit Rücksicht auf das militärische Sanitätswesen bevorzugt zugelassen: Nur die Hälfte der Studienplätze wird an weibliche Bewerber vergeben.

Anders in der Zahnmedizin, wo der Studiengang mit dem der Voll- medizin über weite Strecken iden- tisch ist. Dort stehen neun Stu- dentinnen einem männlichen Kommilitonen gegenüber.

Die Zulassung erfolgt nach einem Bewertungssystem, in dem man günstigstenfalls hundert Punkte erreichen kann. Je nach Ergebnis gibt es zehn Punkte für das Abitur, acht für die Kenntnis einer Fremd- sprache und weitere acht Punkte für ein mindestens neunmonati- ges Praktikum im Krankenhaus.

Pflichtkurse

in Marxismus-Leninismus

Die größte Punktzahl bringt ein landeseinheitlicher Test, in dem neben Fragen zur Physik, Biologie und Chemie auch einige elemen- tare Fragen zur Medizin gestellt werden. In Wroclaw stehen pro Jahr 300 Studienplätze zur Verfü- gung; bis zu 60 Plätze werden an

Eine Reise nach Breslau

dürfte auch für die Diskus- sion in unserem eigenen Land von Interesse sein.

Ausländer vergeben. Auf Dollar- basis können auch Studenten aus der Bundesrepublik Deutschland in Polen studieren.

Die Zulassung erfolgt jährlich. Das erste Studienjahr endet mit einer Prüfung, bei der bis zu 20 Prozent der Kandidaten durchfallen. Eine Wiederholung ist nur in Ausnah- mefällen, etwa bei Krankheit, möglich. Allerdings können sich die durchgefallenen Kandidaten erneut um eine Zulassung zum Studium bewerben. In den weite- ren Prüfungen fallen dann jeweils nur noch etwa fünf Prozent der Studenten durch, doch haben sie dann die Möglichkeit, die Prüfung zu wiederholen.

In der Vorklinik werden die übli- chen naturwissenschaftlichen und medizinischen Grundlagenfä- cher gelehrt. Zusätzlich gibt es Pflichtkurse im Marxismus-Leni- nismus. In der Klinik stehen ne- ben den üblichen Fächern je 120 Stunden Militärsanitätswesen im 4. und 5. Studienjahr auf dem Lehrplan.

Das Unterrichtsvolumen liegt bei 900 Stunden pro Jahr und ent- spricht damit fast genau den in der EG verbindlichen Ausbil- dungsanforderungen. Dem Ab- schlußexamen folgt ein zweijähri- ges Praktikum, in dem die Fächer Innere Medizin, Chirurgie, Pädia- trie und Gynäkologie obligat durchlaufen werden.

Arztverdienste: Geringer als Arbeiterverdienste

Das Einkommen richtet sich in Po- len nach der Bedeutung des je- weiligen Berufes für die Produk- tion. Bergarbeiter gehören der Produktionsgruppe A an und kön- nen bis zum dreifachen des Betra- ges verdienen, den die zur Be- schäftigungsgruppe B („nichtpro- duzierendes Gewerbe") gehören- den Ärzte erhalten.

Eine junge Ärztin, die soeben ihr Examen abgelegt hat, erhält für eine Hilfsassistententätigkeit in der Anatomie monatlich 7000 bis 8000 Zloty*). Daneben wird sie versuchen, in einer Klinik ohne Bezahlung zu hospitieren. Das Gehalt eines „regulären" Assi- stenten liegt bei etwa 12 000 Zloty, das eines Professors bei 20 000 Zloty. Emeritierte Professoren (von denen es nur ganz wenige gibt) können noch Forschungs- aufgaben betreuen oder bei Prü- fungen eingesetzt werden und da- mit ihr Einkommen weiter verbes- sern. Selbst ein solcher Verdienst ist, auch bei Berücksichtigung des völlig anderen Preisgefüges in Polen, sehr niedrig. Anderer- seits ist es für den Außenstehen- den schwer, durch das zusätzlich vorhandene Prämiensystem zu blicken, zum Beispiel werden Ärz- te bei der Erteilung von Bezugs- scheinen für Autos bevorzugt und erhalten mehr Benzingutscheine.

Streng geregelt:

Die akademische Laufbahn

Die Medizinische Akademie Wroc- law ist eine autonome Institution mit mehreren Fakultäten und ei- nem eigenen Rektor, der aus dem Kreis der Ordinarien gewählt wird.

Nur wenige erreichen diese höch-

*) Offiziell sind 100 Zloty etwa 3 DM wert, wofür man aber auf dem „schwarzen Markt" rund 500 Zloty eintauschen kann. Billig sind Wohnungen, die bei rund 70 Quadratmeter Fläche für un- gefähr 400 Zloty zu mieten sind. Teuer dagegen ist Fleisch: So kostet ein Ki- logramm etwa 800 Zloty.

Eindrücke von der polnischen Medizin

3244 (24) Heft 44 vom 30. Oktober 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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Manchen Älte- ren unter unse- ren Lesern, die

„damals" noch in Breslau — dem heutigen Wroclaw — stu- diert haben, vielleicht auch heute ein recht vertrauter Anblick: das Anatomische Institut

Foto:

Michael Arnold

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

ste Stufe in der akademischen Hierarchie. An ihrer Basis stehen die Assistenten. Wer entspre- chend qualifiziert ist, kann zum Oberassistenten ernannt werden.

Von ihm wird erwartet, daß er in- nerhalb von acht Jahren promo- viert.

Die nächsthöhere Position ist die eines Adjunkten, der durch Habili- tation zum Dozenten wird und als solcher auf einen Lehrstuhl beru- fen werden kann. Damit ist nicht notwendig eine Professur verbun- den, so daß vielfach Dozenten Kli- niken und Institute leiten.

Im Falle ihrer Bewährung in der Lehre und Wissenschaft können Dozenten nach längerer Zeit zum Extraordinarius ernannt werden und schließlich bei weiter anhal- tenden sehr guten Leistungen zum Ordinarius.

Die Unterschiede zwischen Do- zent, Extraordinarius und Ordina- rius liegen in den Kompetenzen, den akademischen Rechten und

Pflichten, nicht in ihren Funktio- nen in Instituten und Kliniken.

Morphologie nimmt einen hohen Rang ein Es gibt streng voneinander ge- trennte Institute für die makrosko- pische Anatomie und die Histolo- gie/Embryologie. Die personelle und sachliche Ausstattung der In- stitute ist ausreichend, doch gibt es Schwierigkeiten mit allem Ver- brauchsmaterial, das importiert werden muß, und insbesondere mit wissenschaftlicher Literatur aus dem Westen.

Die Lehre nimmt einen hohen Rang ein, auch wenn sich dann im einzelnen die Belastung des Lehr- personals in Grenzen hält. Der hi- stologische Kurs umfaßt zum Bei- spiel acht Wochenstunden und wird in ansprechenden Kurssälen mit guten Mikroskopen durchge- führt. 140 Präparate werden aus- gegeben und bei einer traumhaft guten Betreuung bearbeitet:

Eine Reise nach Breslau

Nach einer ministeriellen Richtli- nie kommt auf zehn Studenten ein Assistent. Zusätzlich zum Kurs gibt es im Sommer eine und im Winter zwei Stunden Vorlesung in Histologie und Embryologie.

In der makroskopischen Anatomie werden 60 Stunden Vorlesungen angeboten, außerdem ein Jahr lang acht Wochenstunden „Pro- sektorium". Es handelt sich dabei um einen Demonstrationskurs, weil nicht genügend Leichen zur Verfügung stehen, um einen wirk- lichen Präparierkurs durchzufüh- ren.

Die Trennung in ein Institut für Hi- stologie/Embryologie und ma- kroskopische Anatomie fördert die wissenschaftliche Beschäfti- gung mit Problemen der makros- kopischen Anatomie. Schwer- punkt der Untersuchungen in Wroclaw ist die Untersuchung von Gefäßvarietäten mit subtilen Techniken, größtenteils an Feten, von denen 2000 auf ihre Aufarbei- tung warten. Für Sammlungs- zwecke werden Herzen und Lun- gen nach einem eigens entwickel- ten Verfahren präpariert, durch das Form, Farbe und Struktur her- vorragend erhalten bleiben.

Zahlreiche Modelle und Moulagen in der Lehrsammlung entspre- chen Vorlagen aus dem Hambur- ger Anatomischen Institut.

Das Klinikum: Veraltet aber gut ausgestattet

Als Kliniken der Medizinischen Akademie dienen noch immer die alten Kliniken der Universität Breslau. Das Bettenvolumen liegt mit etwa 1700 Betten in der Grö- ßenordnung des Tübinger Klini- kums, wobei aber der Personalbe- stand um fast zwei Drittel höher ist.

Wie an anderen Orten gibt es auch in Wroclaw aus der jeweili- gen historischen Entwicklung ge- wachsene Strukturen. So versorgt die von den Anaesthesisten be- Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 44 vom 30. Oktober 1985 (29) 3245

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Eine Reise nach Breslau KURZBERICHTE

treute Intensivstation nicht nur chirurgische, sondern auch inter- nistische Patienten, weil ihr Vor- stand, Professor Aronski, sich frühzeitig mit der Herzschrittma- chertherapie beschäftigte. Er hebt mit Stolz hervor, daß in Wroclaw schon 1964 und damit früher als in der Bundesrepublik Patienten maschinell beatmet wurden.

Auf die Intensivstation kommen nur Fälle, die eine Intensivthera- pie benötigen. Dabei ist der elek- tronische Überwachungsaufwand geringer als in der Bundesrepu- blik, die medikamentöse Betreu- ung aber durchaus vergleichbar.

Leichtere Fälle, bei denen eine Intensivüberwachung ausreicht, werden in der Chirurgie versorgt.

Schwierigkeiten bereitet die Ver- sorgung polytraumatisierter Pa- tienten. Die Universität verfügt bisher über keinen Computerto- mographen, und die Neurochirur- gie ist in einem weit entfernten Krankenhaus untergebracht.

Die ärztliche Betreuung der Pa- tienten ist hervorragend, denn es steht eine große Zahl fachlich hochqualifizierter Ärzte zur Verfü- gung. Da es im polnischen Ge- sundheitswesen keine Möglich- keit zur Privatliquidation gibt, ver- bleiben wissenschaftlich interes- sierte Assistenten über Jahrzehn- te an den Universitätskliniken.

Geplant: Ein Neubau mit 1700 Betten

Ärztlich-medizinisch gut betreut sind auch die Patienten in dem 85- Betten-Institut für Herzchirurgie.

Die mit durchschnittlich 16 Tagen relativ hohe Verweildauer erklärt sich daraus, daß in dem Institut auch die präoperative Diagnostik, wie zum Beispiel die Koronaran- giographie durchgeführt wird. Die Operationskapazität beträgt rund 400 Herz-Lungen-Maschinen pro Jahr. Schwerpunkte liegen beim Klappenersatz und bei der Kor- rektur angeborener Herzfehler.

Die Wartezeit betrug zur Zeit des Besuchs zwei Monate.

Der Pflegebereich im Herzinstitut, das in der alten Chirurgischen Kli- nik von Mikulicz-Radecki aufge- baut wurde, ist überaltert: Säle mit bis zu 30 Patienten, mangel- hafte Sanitäreinrichtungen und ein archaischer Essenstransport senken den Pflegekomfort weit unter den bundesrepublikani- schen Standard.

Diese Mängel und die zusätz- lichen in Funktionsbereichen sol- len mit einem Neubau des Klini- kums abgestellt werden. Vorgese- hen ist, auf 95 000 Quadratmetern 1700 Betten unterzubringen, die von 5400 Bediensteten betreut werden sollen, davon ein Drittel Hilfspersonal. Beeindruckend hoch ist die vorgesehene Kapazi- tät für die poliklinische Behand- lung: 1800 Patienten pro Tag. Die Lehrkapazität wird mit 320 Stu- denten pro Jahr in der jetzigen Größenordnung bleiben. 95 000 Quadratmeter erscheinen auf An- hieb sehr viel. Im einzelnen ergibt sich aber, daß darin auch Flächen für Versorgungs-, Sozial- und zen- trale Sterilisationseinrichtungen enthalten sind, ja teilweise sogar Wohnungen, so daß auf die ein- zelnen Spezialgebiete schließlich nur bescheidene Flächen entfal- len.

Die Planung ist so gut wie abge- schlossen, das Bauvorhaben könnte also theoretisch in Angriff genommen werden — aber: Es fehlt das Geld. So ist im Augen- blick noch offen, wann das Klini- kum gebaut wird und auch, ob entsprechend den vorliegenden Plänen. Aber neben Liebenswür- digkeit und Gastfreundschaft zeichnen sich die polnischen Kol- legen durch einen großen Opti- mismus aus: Ohne ihn wäre das Leben dort noch schwerer, als es ohnehin schon ist.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Michael Arnold Österbergstraße 3

7400 Tübingen 1

Allergien

Umwelteinflüsse umstritten

Die rund 500 Pädiater aus dem ge- samten Bundesgebiet und West- Berlin, die sich zur Jahrestagung des Berufsverbandes der Kinder- ärzte in Bremen versammelt hat- ten, hielten sich mit eindeutigen Aussagen über die gesundheits- schädigenden Auswirkungen der Luftverschmutzung zurück; sie verlangten vielmehr finanzielle Mittel, um die Ursachenforschung allergischer Erkrankungen voran- zutreiben.

So gab es auch bei dieser Konfe- renz Mitte Juni keine Klärung über den Zusammenhang zwi- schen Pseudo-Krupp und Luftver- schmutzung. „Die Politiker for- dern Ergebnisse, sind aber nicht bereit, eine Mark dafür auszuge- ben", hatte Professor Dr. Dieter Palitzsch aus Gelnhausen beklagt.

Falls nicht bald Gelder für weitere Studien bereitgestellt würden, werde es auch in den nächsten Jahren keine anerkannten Ergeb- nisse geben.

Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Allergien, Krupp-Syn- drom und Luftverschmutzung", die anläßlich der Jahrestagung der Kinderärzte veranstaltet wur- de, hatten zahlreiche Ärzte Zwei- fel an dem direkten Zusammen- hang zwischen Luftverschmut- zung und Atemwegserkrankun- gen geäußert. „Wir beschränken uns vielleicht zu sehr auf Schad- stoffe der Umwelt", sagte der Bo- chumer Privatdozent Dr. Ulrich Wahn und machte vor allem auf die Belastung vieler Kinder durch ihre rauchenden Eltern aufmerk- sam. Dazu wurde eine Münchner Untersuchung zitiert, wonach im Urin von solchen Säuglingen, die zum „Mitrauchen" gezwungen wurden, bereits nach Ablauf von 20 Minuten Nikotinabbaustoffe in einer stärkeren Konzentration als bei den Rauchern selbst gefun- den wurden.

3246 (30) Heft 44 vom 30. Oktober 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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