Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 50|
13. Dezember 2013 A 2439 BUNDESKUNSTHALLEDas Grauen in Bilder gefasst
300 Werke – Malerei, Plastiken und dokumentarische Fotos – unter - suchen die Bedeutung der Kriegserfahrungen für die Kunstproduktion.
G
eorge Grosz forderte „Bruta- lität! Klarheit, die wehtut!“, während Ernst Ludwig Kirchner notierte: „Ich bin innerlich zerrissen und geimpft nach allen Seiten, aber ich kämpfe, auch das in Kunst aus- zudrücken.“ Radikale Thesen, wie kam es dazu? Auf welche Erfahrun- gen blickten die Künstler zurück?Es waren die Geschehnisse im Ers- ten Weltkrieg, die Grosz und Kirch- ner seelisch so verletzten, dass sie Hilfe in Sanatorien suchen mussten.
Nach dem Krieg hatte sich ihre Sicht auf die Kunst geändert. Das illustriert die Ausstellung „1914.
Die Avantgarden im Kampf“, die die Bundeskunsthalle in Bonn zur- zeit zeigt. 300 Werke untersuchen die Bedeutung der Kriegserfahrun- gen für die Kunstproduktion.
Dabei hatte das Jahrhundert für die Kunst doch so bahnbrechend
begonnen. Grenzüberschreitend wurde kubistisch gearbeitet. Man wagte erste Schritte in die Abstrak- tion und der „Blaue Reiter“
schwelgte im Rausch der Farben.
Dass viele Künstler dann doch frei- willig in den Krieg gegen ihre Freunde zogen, das kann auch diese Schau nur feststellen und nicht ab- schließend erklären. An die Sinn- haftigkeit des Krieges glaubten nicht wenige. Futurist Gino Severi- ni feierte in frühen Bildern den Krieg. Für ihn war er Garant des technischen Fortschritts. Franz Marc war sich sicher, dass der Ge- waltausbruch „Europa reinigen“
werde. 1916 war er tot.
„Kriege scheinen nötig zu sein“, glaubte auch Max Liebermann,
„um den im Frieden wuchernden Materialismus einzudämmen“.
Folglich setzte er die plumpen Pa- rolen des Kaisers in Zeichnungen um. „Jetzt wollen wir sie dreschen“
zeigt einen das Schwert schwin- genden Pickelhauben-Reiter. Auf- seiten der Gegner zeichnete Raoul Dufy harmlose Szenen, deren Titel wie „Schießen Sie als Erste, meine Herren Franzosen!“ ihr propagan- distisches Potenzial verraten. In Wladimir Majakowskis bunten Bil- derbögen kommen die deutschen Soldaten nicht gut weg: Sie werden als tumbe, willfährige Opfer ver- höhnt.
Die zusammenbrechende Welt und den entwurzelten, invaliden Menschen ahnte Ludwig Meidner voraus. Während des Krieges haben dann immer mehr Künstler ver- sucht, das Grauen in Bilder zu fas- sen. Gegenüber Frans Masereels Holzschnitten, die drastische An- klagen sind, wirkt Félix Vallottons naives Mappenwerk „Das ist der Krieg“ eher verharmlosend. Tod und Leid allenthalben – bei Otto Dix, Erich Heckel und Hans Rich- ter, Natalja Gontscharowa und Os- sip Zadkine. In Max Slevogts „Fi- nale“ (1917) ist die Welt ein Fried- hof, an dem ein Kriegsversehrter vorbeihumpelt. Das Martyrium in mehreren Schritten hat Max Beck- mann festgehalten. Fast alle diese Arbeiten sind schwarz-weiß.
Nach dem Krieg konnte nichts mehr so sein wie zuvor, das deutete sich schon 1915 in Zürich an. Dada erklomm die Bühne und protestierte laut gegen den Krieg und auch sonst fast alles. Die meisten Künst- ler verschlug es aber wieder ins Atelier. In Kirchners „Tischgesell- schaft im Sanatorium“ und „Auf- ruhr“ von Grosz scheint hinter den krakeligen Strichen die Verstörung auf. Paul Klee zog sich in rätselhaf- te Fantasieformationen zurück. Un- terdessen ebneten Marcel Duchamp mit seinen Ready-mades und Früh- Surrealist Carlo Carrà radikal Neu- em den Weg.
Es sind weniger die weitgehend vertrauten biografischen wie kunst- historischen Positionen, sondern die vielen kaum bekannten Werke, die Kurator Uwe M. Schneede zu- sammengetragen hat, die diese Schau, die ohne neue, schneidende These auskommt, sehenswert ma-
chen.
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Ulrich Traub
„1914. Die Avantgarden im Kampf“; bis 23. Februar 2014; Bundeskunsthalle Bonn; Information: 0228 9171-200, www.bundeskunsthalle.de; Katalog 39 Euro
Otto Dix, Selbst bildnis als
Mars 1915, Öl auf Leinwand
Foto: Städtische Sammlungen Freital, Schloss Burgk