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Archiv "Interview mit Christiane Hoffschildt, Präsidentin des Deutschen Bundesverbandes für Logopädie e.V. (dbl): „Eine alternde Bevölkerung wird mehr Logopädie brauchen“" (02.09.2013)

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A 1620 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 35–36

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2. September 2013 handelt werden, dann stimmt da et-

was nicht. Es werden Befunde pa- thologisiert, die einer solchen Be- handlung nicht bedürfen. Da lastet mitunter ein enormer Druck auf den Kinderärzten.

Wann sollte denn mit einer Therapie begonnen werden?

Hoffschildt: In Studien hat sich ge- zeigt: Je früher wir mit einer logo- pädischen Therapie beginnen, desto weniger Behandlungseinheiten be-

nötigen wir. So sind wir auch gerade dabei, dazu noch mehr Evidenz zu schaffen. Wenn ich ein zweijähriges Kind habe, von dem ich weiß, dass sich bei ihm eine Sprachstörung entwickelt, dann würde es der Kran- kenkasse viele Ausgaben ersparen, wenn ich dann schon arbeiten dürf- te. Wenn Kinder erst bei der Schul- eingangsuntersuchung als auffällig registriert werden, ist es in der Regel bereits zu spät. Deren Schul - erfolg ist bereits infrage gestellt.

Wie gehen Sie mit den nach Ihrer Einschätzung unbegründeten Therapieansprüchen um?

Hoffschildt: Ich erlaube mir durch- aus einmal zu sagen: In diesem Fall bedarf es keiner Logopädie. Je bes- ser die interprofessionelle Zusam- menarbeit ist, umso besser kann man auch einmal den Behandlungs- bedarf infrage stellen. Der Deut- sche Bundesverband für Logopädie strebt hier eine Vieraugendiagnostik an. Es gibt zudem regelmäßige Spitzengespräche mit den Berufs- verbänden der Kinder- und Jugend- ärzte, HNO-Ärzte, Phoniater.

Welches Therapiespektrum gibt es jenseits des Kindesalters?

Hoffschildt: Der dbl sieht hier im- mer noch Aufklärungsbedarf. Das Berufsbild des Logopäden hat sich gewandelt, aber es wird immer noch zu sehr mit der Sprachent- wicklung von Kindern oder mit der Stimmtherapie, etwa bei Heiserkeit, assoziiert, vielleicht auch noch mit der Therapie bei Aphasie nach ei- nem Schlaganfall. Eine alternde Bevölkerung wird aber einfach

INTERVIEW

mit Christiane Hoffschildt, Präsidentin des Deutschen Bundesverbandes für Logopädie e.V. (dbl)

Christiane Hoffschildt steht seit 2011 an der Spitze des Deutschen Bundesverbandes für Logopädie. Sie studierte in Heerlen, Niederlande, Logopädie (B.A.). Anschließend absolvierte sie an der Universität Aachen den Studiengang Lehr- und Forschungslogopädie und war ab 2003 als Lehrlogopädin tätig. 2008 eröffnete sie im sauerländischen Arnsberg eine Praxis für Logopädie und Systemische Beratung.

2009 gründete sie ein eigenes Fortbildungsinstitut.

Foto: Eberhard Hahne

„Eine alternde Bevölkerung wird mehr Logopädie brauchen“

Ärzte sollten das ganze Therapiespektrum der Logopädie wahrnehmen, meint die dbl-Präsidentin.

Frau Hoffschildt, oft hört man die Kritik, dass bei Kindern viel zu schnell ein logopädischer Behandlungsbedarf erkannt wird. Zu Recht?

Hoffschildt: Häufig wird gesagt, heute gebe es mehr Sprachstörun- gen als früher – dafür gibt es aber keine Evidenz. Was tatsächlich zu- genommen hat, sind umgebungs - bedingte Sprachauffälligkeiten – durch ein schlechtes Sprachangebot oder Migration. Das ist aber keine Sprachentwicklungsstörung. Diese Differenzierung ist nicht ganz ein- fach, aber es gibt zahlreiche Testver- fahren, um zu entscheiden, wo ein Therapiebedarf wirklich besteht.

Wir sind mit den Ärzten im Ge- spräch; es gibt eine interdiszipli - näre Leitlinie zur Diagnostik von Sprachentwicklungsstörungen, in der ganz deutlich der Unterschied zwischen Sprachförderbedarf und Sprach therapiebedarf herausgear- beitet worden ist.

Aber auch bei umgebungsbedingten Sprachauffälligkeiten muss man sich doch kümmern.

Hoffschildt: Wir als Verband sagen ganz klar gemeinsam mit den Ärz- ten: Sprachförderung ist keine me- dizinische Leistung, keine GKV- Leistung. Das gehört in den Bil- dungsbereich. Es ist ganz wichtig, dass wir den Ärzten signalisieren, dass wir das nicht pushen und nicht einen Therapiebedarf für jedes Kind anstreben. Sprachentwicklungsstö- rungen gibt es bei acht bis zwölf Prozent eines jeden Jahrgangs, die gehören in eine Therapie. Wenn wir aber sehen, dass 25 bis 30 Prozent der Schulanfänger logopädisch be-

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2. September 2013 A 1621 mehr Logopädie brauchen. Heute

arbeiten Logopäden zunehmend bei Schluckbeschwerden und bei De- menz mit.

In einem frühen Stadium der De- menz kann die Logopädie ganz viel leisten, was die Lebensqualität, was die Teilhabe, die Kommunikations- fähigkeit anbelangt – sowohl beim Betroffenen als auch in seinem Um- feld. Wir können natürlich keine Demenz heilen, aber wir können zumindest dazu beitragen, dass der Abbau langsamer erfolgt, die Kommunikationsfähigkeit erhalten bleibt. Inzwischen reicht das The - rapiespektrum des Logopäden von der Geburt (Lippen-Kiefer-Gaumen- Spalten oder Ernährungsprobleme bei Neugeborenen) bis zum Tod.

Beispielsweise ist die Sterblichkeit bei Apoplex in den ersten 30 Tagen vor allem auf eine Aspirationspneu- monie zurückzuführen. Dort eine gute Schlucktherapie anzubieten, dass es so weit gar nicht erst kommt, ist ein wichtiges Arbeitsfeld.

Auf welchem Evidenzlevel bewegen sich die Logopäden dort?

Hoffschildt: Uns wird ja immer wieder vorgeworfen, wir hätten zu wenig Evidenz. Wir selbst hätten auch gerne mehr Evidenz. Dazu brauchten wir mehr Logopäden mit Hochschulabschluss, damit es mehr deutsche Studien gibt. Bei Parkin- son gibt es im englischsprachigen Raum bereits ein sehr gut erforsch- tes Therapieverfahren. Aber bei uns gibt es dazu noch zu wenig. Daher ist aus dbl-Sicht die Akademisie- rung so wichtig.

Im Vergleich mit anderen Ge- sundheitsfachberufen, etwa mit der Pflege oder mit den Hebammen, ist

die Akademisierung bei den Logo- päden weit vorangeschritten. Wir haben bereits eine Quote von zehn Prozent Akademikern. Und wenn wir die logopädisch arbeitenden Sprachtherapeuten hinzurechnen, sind wir bei 20 Prozent. Der dbl setzt sich für eine ausschließlich grundständige Akademisierung der Logopädie ein. Logopädische Mo- dellstudiengänge werden mittler- weile an sechs Fachhochschulen beziehungsweise Universitäten an- geboten.

Wir streben als Verband einen Ausbau der interprofessionellen Zu- sammenarbeit an; Arzt und Logo - päde sollten sich als ein therapeuti- sches Team verstehen. In vielen Be- reichen können wir ja auch gar nicht allein diagnostizieren – beispiels- weise muss der Arzt bei der Schluck-

störung oft ein bildgebendes Verfah- ren einsetzen, um die funktionellen Einschränkungen zu erkennen.

Wie hoch ist der Organisationsgrad im Bundesverband für Logopädie?

Hoffschildt: Der Verband zählt rund 12 000 Mitglieder; wir schät- zen, dass circa 80 Prozent der Lo- gopäden Mitglied im Verband sind.

Es gibt leider keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viele Logopä- den am Markt arbeiten. In den Bun- desländern wird die Zulassung nach der Ausbildung durch jeweils unter- schiedliche Stellen registriert, da- nach wird der weitere Berufsweg aber nicht mehr verfolgt. Angestell-

te und Freiberufler sind in gleichem Maße im Verband mit jeweils rund 40 Prozent vertreten, der Rest ver- teilt sich auf Schüler und Rentner.

Wie stellt sich derzeit die Ausbildungssituation dar?

Hoffschildt: Logopädie ist ein ge- schützter Beruf, abgesichert durch das Berufsgesetz. Es gibt etwa 80 Schulen in Deutschland, zum Teil in staatlicher, zum Teil in pri- vater Trägerschaft. Dazu kommen Logopädiestudiengänge, die primär- qualifizierend, additiv oder inte- grierend angeboten werden.

Wie sieht es mit den Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten aus?

Hoffschildt: Die Arbeitsmöglich- keiten nach der Ausbildung würde ich noch als sehr gut bezeichnen.

In den großen Ballungsgebieten könnte es ein wenig eng werden.

Aber überall sonst hat man als Lo- gopäde sehr gute Chancen. Aus meiner Sicht ist es sehr hart, sich direkt selbstständig zu machen.

Der dbl rät den Absolventen, zu- nächst einige Zeit im Angestell- tenverhältnis zu arbeiten, um die für einen selbstständigen Praxis- betrieb nötigen Erfahrungen zu sammeln. Viel verdienen kann man als selbstständiger Logopäde nicht. Es ist fast unmöglich, bei Stundensätzen zwischen 28 und 38 Euro eine Praxis wirtschaftlich zu führen. Jeder Klempner nimmt mehr als das Doppelte für eine Stunde. In Wahlprüfsteinen for- dern wir jetzt 50 Euro für eine 45-minütige Behandlung.

Die schlechte Vergütung führt dazu, dass der Beruf zunehmend unattraktiv wird und Praxen schlie- ßen müssen. Dies gefährdet die flä- chendeckende logopädische Patien- tenversorgung. Unsere Gesellschaft muss sich die Logopädie leisten wollen, denn der Bedarf wird künf- tig weiter steigen.

Vor 100 Jahren führte der Wiener Phoniater Emil Fröschels erstmals den Begriff „Logopädie“

ein. Er verstand hierunter die Sprachheilkunde in Abgrenzung zur Phoniatrie, unter der er die medizinische Stimmheilkunde verstand. 1924 wurde auf seine Initiative hin die Internationale Gesellschaft für Logopädie und Phoniatrie ge- gründet.

Im Oktober 2014 feiert der Deutsche Bundes- verband für Logopädie sein 50-jähriges Jubiläum.

Am 14. Oktober 1964 gründeten Berliner Logo- pädinnen den Berufsverband, damals unter der Bezeichnung Zentralverband für Logopädie. Eine bundesweit verbindliche Ausbildung mit staatli- chem Abschluss und eine bessere Entlohnung waren schon damals zentrale Forderungen.

DOPPELJUBILÄUM 2013/2014

Es ist fast unmöglich, bei Stundensätzen zwischen 28 und 38 Euro eine Praxis wirtschaftlich zu führen.

Das Interview führten Thomas Gerst und Dr. med. Birgit Hibbeler.

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