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Fantastische Freiheit! Fluchtgeschichten in Lutz Seilers Roman Kruso

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Academic year: 2022

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Lutz Seiler: „Kruso“

Prosa – Nachkriegsliteratur bis Gegenwart • Beitrag 16 1von 42

I/D

Fantastische Freiheit!

Fluchtgeschichten in Lutz Seilers Roman „Kruso“

Anne K. Müller, Rottenburg

S

ommer 1989: Die marode DDR liegt in den letzten Zügen, doch auf der Ost- seeinsel Hiddensee leben die Menschen in einer scheinbar ungezwungenen Eigen- welt. Hier treffen sich Festlandsmüde, Intel- lektuelle und Aussteiger, um zumindest für eine Saison der Staatsmacht zu entfliehen.

Auch der trauernde Student Edgar sucht auf Hiddensee Trost. Er freundet sich mit Kruso, dem „Schirmherr des Eilands“ an, der versucht, ihn von seiner ganz eigenen Freiheitsutopie zu überzeugen ...

Ihre Schüler setzen sich mit dem aktuellen Thema „Flucht“ vor dem Hintergrund der ausgehenden DDR auseinander. Sie analy- sieren das Verhalten der Figuren im Zusammenhang mit den zeitgenössischen Ereignissen. Darüber hinaus untersuchen sie die dichte Sprache des Romans und erarbeiten sich im Rahmen von Zusatzauf- gaben intertextuelle Vernetzungen.

Das Wichtigste auf einen Blick Dauer: 12–16 Stunden + LEK

Kompetenzen:

– die Figuren eines Romans charakteri- sieren und ihr Verhalten interpretieren – einen Roman im sozialgeschichtlichen

Zusammenhang analysieren

– textübergreifende Zusammenhänge aufzeigen und deuten

– die sprachliche Gestaltung eines lite- rarischen Textes analysieren

– eigene Themenschwerpunkte aufberei- ten

„Kruso“ – ein Roman über Freundschaft und Freiheit, der 2014 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde.

VORSC

HAU

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2von 42 Lutz Seiler: „Kruso“ Prosa – Nachkriegsliteratur bis Gegenwart • Beitrag 16 I/D

Die Wahl des Themas

„Kruso“ (2014) ist in mehrfacher Hinsicht ein Buch der Superlative: Lutz Seiler erhielt für seinen ersten Roman zahlreiche namhafte Auszeichnungen, darunter den Deutschen Buchpreis und den Ingeborg-Bachmann-Preis. Auf nahezu 500 Seiten gelingt es ihm, eine „sprachliche Magie“

aufrechtzuerhalten, die in weiten Teilen an die semantische Dichte von lyrischen Texten erinnert.

Die geschilderten Lebensausschnitte der beiden Protagonisten sind drastisch und existenziell.

Gleichzeitig gelingt es Seiler jedoch, einfühlsam ihre Begegnung und Identitätssuche in einer als bedroht und bedrohend erfahrenen Welt zu schildern.

Aufgrund dieser Besonderheiten eignet sich „Kruso“ hervorragend für die Behandlung im Unter- richt. Der Roman bietet die Möglichkeit, mit den Schülerinnen und Schülern* die Bedingungen und Möglichkeiten von Freiheit sowie die Suche nach Identität zu behandeln. Dabei kann der zeitgeschichtliche Zusammenhang der ausgehenden DDR einbezogen werden. Darüber hinaus regt der Roman zu einer Auseinandersetzung mit seiner bemerkenswerten sprachlichen Gestal- tung an.

* Im weiteren Verlauf wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit nur „Schüler“ verwendet.

Fachwissenschaftliche Orientierung

Inhalt der Lektüre

Sommer 1989: Edgar (Ed), Student und Anfang 20, flieht nach Hiddensee. Gezeichnet durch den Unfalltod seiner Freundin sucht er auf der Insel Trost und Zuflucht. Ed findet eine Anstellung als Tellerwäscher in dem Betriebsferienheim „Zum Klausner“. Dort freundet er sich mit Alexander Krusowitsch (Kruso) an, dem „Schirmherrn“ der Insel. Kruso schart jeden Sommer die Saison- kräfte, die „Esskaas“ um sich. Außerdem versucht er, die „Schiffbrüchigen“, die dem Leben der DDR entkommen wollen, von ihrer Flucht über das Meer abzuhalten. Er verspricht ihnen, sie durch feste Rituale in drei Tagen zu den „Wurzeln der Freiheit“ zu führen. Diese innere Freiheit macht laut Kruso eine Flucht unnötig. Der Grund für sein Handeln ist, dass seine Schwester Sonja bei der Flucht über das Meer starb. Ed wird von Kruso zunehmend in die Umsetzung seiner Frei- heitsutopie miteinbezogen. Ansonsten ist der Alltag im „Klausner“ von der harten Arbeit domi- niert. Die Angestellten bewirtschaften ihre „Arche“ mit gemeinsamen Kräften. Langsam erfahren sie übers Radio von den sich überschlagenden politischen Ereignissen in der DDR. Nach und nach verschwindet die „Besatzung“, bis Ed und Kruso schließlich allein zurückbleiben. Sie versu- chen, mit letzten Kräften den „Klausner“ zu zweit zu betreiben. Kruso verzweifelt über den Verfall der Gemeinschaft und die Infragestellung seiner Utopie. Ed kümmert sich um ihn, doch Kruso ver- fällt immer mehr dem Wahn. Eines Tages verletzt sich Kruso schwer. Sein Vater, ein sowjetischer General, lässt ihn von der Insel holen. Ed erfährt durch das Radio von der Öffnung der Grenzen.

Im „Epilog“ wird berichtet, wie Ed versucht, dem verstorbenen Kruso einen letzten Dienst zu erweisen. Er bemüht sich, den Fluchtweg von Sonja zu rekonstruieren, um ihr eine Gedenkstätte zu errichten. Sonja teilt jedoch das Schicksal vieler übers Meer Geflohener – ihre Überreste wer- den nie gefunden, sie bleibt verschwunden.

Erzählweise und sprachliche Besonderheiten

Die 64 Kapitel des Romans spielen zum größten Teil auf Hiddensee. Erzählte Zeit ist die Som- mer- und Herbstsaison 1989. Erzählt wird aus Eds Sicht in der Er-Perspektive. Die Berichte wer- den von dialogischen Einschüben und Tagebucheinträgen unterbrochen. Im „Epilog“ weiten sich Erzählraum und -zeit. Hier erfährt der Rezipient aus der Ich-Perspektive in sachlich-berich- tendem Ton, wie Ed sein Versprechen einlöst und über den Verbleib von Krusos Schwester recherchiert.

VORSC

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Lutz Seiler: „Kruso“

Prosa – Nachkriegsliteratur bis Gegenwart • Beitrag 16 3von 42

I/D

Es gibt zahlreiche intertextuelle Bezüge in dem Roman. Sie beginnen beim Titel, der auf „Robin- son Crusoe“ anspielt. Wie er ist Kruso ein Gestrandeter, Ed wird sein Gefährte Freitag. Darüber hinaus suchen Ed und Kruso Trost in Georg Trakls expressionistischer Lyrik. Im Kapitel „Die Ver- wandlung“ werden Bezüge zu Franz Kafkas gleichnamiger Erzählung deutlich. Darüber hinaus gibt es Anspielungen auf Musik, Kunst und Religion.

Seilers verdichtete Sprache wechselt zwischen naturalistischen Beschreibungen, lyrischen Anspielungen, innovativen Bildern und fantastischen Elementen. Der Leser schmeckt nahezu den beißenden „blauen Würger“ (S. 165), erschauert vor der Weite des Himmels oder zuckt ange- widert zusammen, wenn der „Lurch“, ein Gebilde aus Schleim, Speiseresten und Haaren, begraben werden soll, um den Boden zu düngen (S. 100 f.).

Zentrale Themen

Was als Arbeitsbeziehung im Abwasch beginnt, mündet in eine innige Männerfreund- schaft. Ed und Kruso verbindet eine außergewöhnliche Beziehung: „Im Ganzen war es mehr als Vertrautheit und mehr als Vertrauen. Im Grunde war es eine gemeinsame Fremdheit, die ihre Freundschaft begründete“ (S. 214). Beide sind geprägt vom Verlusteiner geliebten Person, der ihnen die Gegenwart diktiert. Sie können ihre Vergangenheit zunächst nur verfremdet durch die Rezitation von Trakls Lyrik verbalisieren. Kruso verstrickt sich wegen der Verlusterfahrung immer mehr in eine absurde Ideologie der inneren Freiheit. Ed unterstützt ihn dabei zunächst, emanzipiert sich aber immer weiter davon. Schließlich findet er, im Gegensatz zu sei- nem Freund, handlungsfähig in die Gegenwart zurück.

Geht es vordergründig um die Beziehung von Ed und Kruso, so bilden Flucht und Ver- schwindenden Hintergrund aller Geschehnisse. Bereits Eds Weggang nach Hiddensee wird ausgelöst durch das Verschwinden seiner Geliebten G., die bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Krusos Alltag wird von den ständig kommenden und wieder verschwindenden „Schiffbrü- chigen“ dominiert. Er versucht, ihnen durch bestimmte Rituale zu einer „inneren Freiheit“ zu ver- helfen. Darüber hinaus wird im Radio von der Massenflucht aus der DDR berichtet. Die politi- schen Ereignisse spiegeln sich im Mikrokosmos des „Klausners“ wider, da die Besatzung ebenfalls in den Westen flieht. Im Epilog wird das Thema von Flucht und Verschwinden erneut aufgegriffen, indem Ed versucht, Informationen über den Verbleib von Sonja zu erhalten. Sie bleibt allerdings verschollen.

Didaktisch-methodische Überlegungen

Voraussetzungen der Lerngruppe und Organisation des Leseprozesses

Die Unterrichtsreihe sollte mit einer leistungsstarken Lerngruppe der Kursstufe durchgeführt wer- den, da die Sprache und der große Textumfang dem Rezipienten einiges abverlangen. Der Ein- heit liegt die Taschenbuchausgabe des Romans zugrunde:

Seiler, Lutz:Kruso. Erste Auflage. Berlin: Suhrkamp Verlag 2015. ISBN: 978-3-518-46630-8.

Preis: 10,99 Euro.

Die Schüler lesen den Roman vor Beginn der Unterrichtsreihe selbstständig zu Hause. Idealer- weise stehen ihnen dafür einige unterrichtsfreie Tage zur Verfügung. Sie bearbeiten lesebeglei- tend die erste Aufgabe von M 1.

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Lutz Seiler: „Kruso“

Prosa – Nachkriegsliteratur bis Gegenwart • Beitrag 16 5von 42

I/D

Schematische Verlaufsübersicht

Fantastische Freiheit!

Fluchtgeschichten in Lutz Seilers Roman „Kruso“

Stunden 1/2

Ich verstehe es so… – Lesearten diskutieren und Themen benennen M 1 Stunden 3/4

Der „Klausner“ – Figurenkonstellation der „Arche“ M 2, M 3

Stunden 5/6

Reif für die Insel – Hiddensee als Ort der fragilen Freiheit M 4–M 6 Stunden 7/8

Ed und Kruso – Analyse einer komplexen Beziehung M 7

Stunden 9/10

„Wut“ und „Wucht“ – die verdichtete Sprache des Romans M 8 Stunden 11/12

„Keine Gewalt!“ – Der politische Kontext M 9, M 10

Stunden 13/14

Vom Verschwinden und Vergessen – die Fluchtthematik als roter Faden M 11, M 12 Stunden 15/16

Do it yourself! – Einen eigenen Text verfassen M 13

Minimalplan

Bei Zeitmangel kann in den Stunden 1/2 auf die Gruppenarbeit verzichtet werden.

Dadurch reduziert sich die Doppel- auf eine Einzelstunde. Außerdem können die Stunden 5/6 entfallen. Die Doppelstunde 11/12 kann auf eine Einzelstunde verkürzt werden, indem lediglich M 9 zur Anwendung kommt und auf M 10 verzichtet wird.

Dadurch reduziert sich die Einheit auf 12 Unterrichtsstunden.

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10von 42 Lutz Seiler: „Kruso“ Prosa – Nachkriegsliteratur bis Gegenwart • Beitrag 16 I/D

M 1

„Kruso“ – 12 Thesen zu einem „großen Roman“

Ergreifend, genial oder zäh? Sie haben sich durch die Lektüre von „Kruso“ eine erste Mei- nung über Lutz Seilers Roman gebildet. Diskutieren Sie nun über Skurriles, Überlesenes und Fragwürdiges.

Aufgaben

1. Lektürebegleitend: Wählen Sie drei bis fünf der oben stehenden Aussagen und Thesen.

Machen Sie sich während der Lektüre des Romans Notizen dazu.

2. Nach der Lektüre: Führen Sie eine Table-Talk-Runde zu den Aussagen durch. Gehen Sie dabei folgendermaßen vor:

a) Bilden Sie Vierergruppen. Schneiden Sie die Kärtchen aus.

Legen Sie sie verdeckt in die Mitte Ihres Tisches.

b) Nun zieht ein Mitglied Ihrer Gruppe ein Kärtchen. Diese Per- son liest die These vor und bezieht Stellung zu der Aussage.

Beziehen Sie sich dabei auf den Roman.

c) Diskutieren Sie in der Gruppe, wie Sie den Ausspruch verste- hen. Nehmen Sie Bezug auf Ihre Notizen der Hausaufgabe.

d) Wiederholen Sie die Schritte b und c, bis alle Kärtchen weg sind. Bereiten Sie sich darauf vor, Ihre Argumente zu einer These dem Plenum vorzutragen.

Hiddensee: Ort der Ent- grenzung, Ort der Begren- zung.

Reden ist Silber, Schwei- gen ist Gold!? In Bezug auf

„Violas“ Neuigkeiten trifft das nicht zu.

Ed und Kruso. Gemeinsam einsam. Gemeinsam zwei- sam. Es liegt Liebe in der Luft.

Stralsunder, Kali, Kiwi, Blauer Würger – so heißt hier der Sprit der Freiheit.

„Ihre Seele steckt fest im Armaturenbrett, sie ist Hi- Fi-ertaubt oder verdampft in einem Herd von Bosch.“

(S. 359) – Krusos Ansichten über den Verbraucher

Die „heilige“ Suppe: Auch das Betriebsferienheim

„Zum Klausner“ kommt ohne Religion nicht aus.

Speiche, der scheinbar Unscheinbare, hat das letzte Wort!

„Ach Alterchen“ (S. 121):

Der Fuchs ist ein wichtiger Vertrauter von Ed.

„Du siehst nur, wie dieses fette Braun nach allen Sei- ten Wellen schlägt …“

(S. 209): Das „fette Braun“

sorgt für Eds Befreiung.

Krusos Alltag wird von seiner Schwester Sonja dominiert.

Das Quietschen des Eimers (S. 336) zeigt Eds Verrat.

Eds Paradiesapfel ist die Zwiebel.

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Lutz Seiler: „Kruso“

Prosa – Nachkriegsliteratur bis Gegenwart • Beitrag 16 13von 42

I/D

M 2

Die Insel Hiddensee – rettender Hafen für Gestrandete

Das Foto „Fischeputzen“ ist eine authentische Aufnahme von einer Saisonkraft auf Hidden- see in den 1980er-Jahren.

Fischeputzen für die „Stranddistel“ in Neuendorf

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Aufgabe

Notieren Sie auf den Linien Adjektive, die Ihnen zu der Fotografie einfallen.

Foto: Lutz Hofmann 1985. Aus: Hiddensee. Inselgeschichten aus einer anderen Zeit. Hg: Marion Magas. Berlin 2008. S. 32

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Lutz Seiler: „Kruso“

Prosa – Nachkriegsliteratur bis Gegenwart • Beitrag 16 19von 42

I/D

M 5

Jenseits von Eden – „Dat Paradies up Hiddensee“

Ort der Träume und der großen Freiheit oder doch jenseits von Eden? Michael Baade bringt die Situation auf Hiddensee in seinem mundartlichen Gedicht auf den Punkt.

Michael Baade

Dat Paradies up Hiddensee (2005)

Wi swemmen in Adamskostüm we linggen in Evaskostüm in de Sünn FKK heet uns Banner

Över uns wacht der Lüchtturm op de Türmspitz linggen

de bewaffneten Organe op Luhr dat we nich eeten söllt

von de Früchte von den Erkenntnisboom un röver swemmen

no dat anner Öwer

Aus: Baade, Michael: Sturmkinder …. Auf Hiddensee und anderen Inseln – Lyrik und Prosa. Rostock: Ingo Koch Verlag 2006. © Michael Baade

Aufgaben

1. Übertragen Sie das Gedicht ins Hochdeutsche.

2. Setzen Sie sich kritisch damit auseinander, welche Rolle die Insel in „Kruso“

spielt. Beziehen Sie dabei die Aussagen des Gedichts mit ein.

M 6

Krusos Hiddensee – nur Fiktion oder auch Realität?

Im Roman baut Kruso eine gesamte Infrastruktur für die sogenannten „Schiffbrüchigen“ auf.

Ist das alles nur Fiktion oder beruht der Roman auf einer wahren Begebenheit?

Aufgabe

Führen Sie eine Recherche über Hiddensee zur Zeit der 80er-Jahre durch. Beantworten Sie dabei folgende Fragen: Was von der im Roman geschilderten Inselwirklichkeit lässt sich his- torisch zurückverfolgen? Wer war Aljoscha Rompe?

Mögliche Quellen für Ihre Recherche:

– www.zeit.de/2014/35/lutz-seiler-kruso-hiddensee

– http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/139852/index.html

– Apelt, Andreas H. und Klauss, Cornelia (Hg.): Hiddensee. Die Insel der Anderen.

Geschichten von Zeitzeugen. Halle: Mitteldeutscher Verlag 2012. S. 111–122.

Der Leuchtturm Dornbusch auf Hiddensee

© Gerhard Giebener/pixelio

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26von 42 Lutz Seiler: „Kruso“ Prosa – Nachkriegsliteratur bis Gegenwart • Beitrag 16 I/D

M 8

„Wimmelnder Schaum“ – die sprachliche Wucht des Romans

Der Roman „Kruso“ fasziniert viele Leser durch seine „magische Sprache“. Entdecken Sie heute die sprachliche Raffinesse der Insektenjagd-Szene!

Auszug aus „Die Verwandlung“

„Bei Schluckauf hält man die Luft an, hebt den Arm und so weiter. Aber C. zuckte ja nur noch und brachte keinen einzigen Ton mehr heraus. Deshalb war es ein Notfall, würde ich sagen.“

„Ein Notfall?“

„Ja, als griffe sie nach dem nächstbesten Rettungsanker.“

Sein Fuchs stöhnte leise.

„Ich sagte, jemand denkt wohl sehr an dich. Ich meine, ich war vollkommen hilflos. ‚Ja- hck‘, sagte sie und zog mich vors Bett. Um meine Füße ein Geräusch wie von tausend fres- senden Raupen, aber langsam versickerte die Flut, und nach und nach wurde es still, und irgendwann war da nur noch C., ihr leises Schmatzen, wirklich leise, nur das, sonst nichts.

Alles war sanft um mich her, weich wie Samt, und plötzlich, keine Ahnung – plötzlich konnte ich es. Plötzlich konnte ich ihr in die Augen sehen dabei.“

Ed schwieg.

Das Meer hatte wieder begonnen zu atmen, mit seinem dunklen Grund und den leisen Obertönen. Es war jetzt fast kühl. Ed sah C. Seine Hand auf ihrem Kopf. Ihre Augen, ihre hohe, ver- schwitzte, irgendwie eiförmige Stirn und ihre Haare, mit denen sie nichts machte, nichts anderes als seine Schenkel zu streicheln, nichts anderes als ihn anzuschließen an ihren Stromkreis. Ein paar Haarspitzen blieben haften an seinem Schwanz und über- nahmen die Versorgung. Ein feiner Schwindel, als hätte sie ihn angehoben, ganz leicht, über die Grenze.

„Diese Käfer, Ed ...“

„Ich glaube, es war der einzige Weg, ich meine, in diesem Moment ...“

„ ... haben dich verwandelt, oder?“

Aus: Seiler, Lutz: Kruso. 2. Auflage. Berlin: Suhrkamp 2015. S. 212 f. © Suhrkamp Verlag Berlin 2014

Aufgaben

1. Hören Sie das Kapitel „Die Verwandlung“. Machen Sie sich dabei Notizen zu der angekreuzten Frage:

❏Welche sprachlichen Bilder werden verwendet?

❏Wie wird durch die Verwendung der Sprache die Wirklichkeit gestaltet?

❏Welche Anspielungen beinhaltet der Text? Was erzielen sie?

2. Bilden Sie eine Gruppe mit zwei Mitschülern, die die beiden anderen Fragen bearbeitet haben. Tauschen Sie Ihre Ergebnisse aus.

3. Analysieren und interpretieren Sie den oben abgedruckten Schluss des Kapitels. Knüp- fen Sie dabei an Ihre Ergebnisse aus der vorangegangenen Aufgabe an.

Ed teilt sich sein Zimmer seit dem ersten Tag mit zahlreichen Kakerlaken.

© thinkstock/iStockphoto

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