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Er hat in 1 Sam 15 neben einer älteren eine zweite Verwerfungserzählung gefunden^

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SEKTION 3: ALTES TESTAMENT

SEKTIONSLEITER: G. FOHRER, ERLANGEN

SAMUEL UND DIE MARI-„PROPHETEN"

Bemerkungen zu 1 Sam 15:27

Von Diethelm Conrad, Marburg

I

In 1 Sam 15 wird von der Verwerfung Sauls erzählt. Bisher ist man weder

darüber, ob dies Kapitel einheitlich ist, noch darüber, ob es einer bestimm¬

ten Schicht im Komplex der Samuel-Saul-Erzählungen 1 Sam 8-15 an¬

gehört, zu einer übereinstimmenden Meinung gelangt. Zuletzt hat sich

H. Sbebass' mit diesem Problem beschäftigt. Er hat in 1 Sam 15 neben

einer älteren eine zweite Verwerfungserzählung gefunden^. Zu dieser gehören

auch V. 27 f., die im Zusammenhang mit der Verwerfung Sauls von einem

dramatischen Akt berichten. Wir wollen uns jedoch nicht der erneuten lite¬

rarischen Analyse dieses Textes zuwenden, sondern diesen Vorgang be¬

trachten und zu erklären versuchen. V. 27 heißt: ,,Und Samuel wandte sich

zum Gehen. Da ergriff er den Zipfel seines Mantels, so daß er abriß." Darauf

reagiert Samuel (nach dem Wortlaut des jetzt vorliegenden Textes, V. 28):

,, Jahwe reißt heute das Königtum über Israel von dir und gibt es einem

anderen, der besser ist als du."

Dieses Geschehen, das vielfach als Zeichenhandlung aufgefaßt worden

ist^, hat die Exegeten schon immer beschäftigt. Ganz allgemein verweist

man auf 1 Kön 11 :30 ff. Dort zerreißt Ahia von Silo seinen Mantel in 12

Stücke und läßt Jerobeam 10 davon nehmen. Dies symbolisiere, daß Je¬

robeam über zehn Stämme Israels König werden solle. Jedoch läßt sich

diese Handlimg nicht ohne weiteres mit der bei Samuel vergleichen. Bei

dem Handeln Ahias von Silo steht das Symbolhafte von vornherein im Vor¬

dergrund: es ist die nach dem Willen Jahwes ausgeführte, die künftige Tat

Gottes begründende Handlung*, also eine echte Zeichenhandlung, während

sich diejenige zwischen Samuel und Saul - wie es zunächst scheint - recht

• H. Sebbass, 1 Sam 15 als Schlüssel für das Verständnis der sogenarmten

königsfreundlichen Reihe 1 Sam 9:1 - 10:16, 11:1-15 und 13:2 - 14:52, ZAW 78,

1966, S. 148-179.

2 Ibid., S. 154.

ä Vgl. etwa C. Westebmann, Grundformen prophetischer Rede, BEvTh 31,

1960, S. 113 f.

* Vgl. G. Fohbeb, Die symbolischen Handlungen der Propheten, ATANT 25,

1953, S. 78.

(2)

274 Diethelm Conbad

zufällig abspielt. So sah und sieht es auch eine Reihe von Kommentatoren*. -

Eine zweite Gruppe von Auslegern unseres Textes beobachtet sehr richtig,

daß im Vergleich mit 1 Kön II: 30 ff. doch eigentlich Samuel derjenige

sein müßte, der den Mantel des Saul zerreißt. So sagt etwa A. Weisee, daß

es dem Wesen der symbolischen Handlung besser entspräche, wenn Samuel

den Mantel zerrisse". Andere, so I. Hylandee, erklären die Szene ausdrück¬

lich so, daß Samuel den Mantel Sauls gefaßt und zerrissen habe'. - Als

einziger hatte W. Caspari auf die magische Bedeutung des Mantels gewie¬

sen und den Vorgang hier mit dem in 1 Sam 24:5 f . verglichen, wo David

dem Saul einen Zipfel des Mantels abschneidet. Nach der magischen Vor¬

stellung - sagt W. Caspari - verschaffe das Kleid Schutz, und Saul reiße in

Samuels Schutz Gottes ein Loch*. - Neuerdings erklärt auch H. Seebass

den Vorgang zwischen Saul und Samuel so, wie es W. Caspari getan hatte.

Sei auch das Motiv in 1 Sam 15:27 anders als in 1 Sam 24:5 f . gewendet, so

sei es doch altertümhch und dürfe daher der alten Uber lief erung nicht

abgesprochen werden*. H. Seebass macht außerdem darauf aufmerksam,

daß J. Lewy dargelegt habe, welche Bedeutung - vor allem auch rechtlicher

Art - der Mantelsaum im Alten Orient haben könne. Nach J. Lewy sym¬

bolisiert der Mantelsaum die Persönlichkeit, die Freiheit und die Rechte

eines Menschen"".

Aber die Erklärungen von W. Caspaki und H. Seebass leiden den gleichen

Mangel wie alle anderen. Denn gerade wenn man berücksichtigt, daß der

Mantelsaum eine gewisse symbohsche oder magische Bedeutung hat, müßte

es eigenthch der Mantel Sauls sein, dem Samuel ein Stück abreißt, wenn

die Zeichenhandlung und die Erklärung dazu in sich verständhch sein soll¬

ten.

II

Der hebräische Text von 1 Sam 15:27 lautet:

iV''»» niDS pm»! ns'?'? '?sisöi2^ 3b»i

rfr— • " I-X • ' VAWT •■ :

,,Und Samuel wandte sich zum Gehen. Da ergriff er seinen Mantelsaum, so

' J. DE Gboot, I Samuel, TeU, 1934, S. 135; R. Kittel in HSAT*, I, 1922,

S. 431; H. Gbessmann, SAT II: 1, S. 60; H. W. Hebtzbebg, Die Samuel¬

bücher, ATD 10, S. 102; vgl. auch G. Fohbeb, Die symbolischen Handlungen,

S. 18 Anm. 23.

• A. Weiseb, 1 Sam 15, ZAW 54, 1936, S. 4.

' I. Hylandeb, Der literarische Samuel-Saul-Komplex (1 Sam 1-15), Dias.

Uppsala 1932, S. 200; so auch S. Goldmann, Samuel, 1951, S. 91.

' W. Casfabi, Samuelbücher, 1926, S. 177 f.

» H. Seebass, ZAW 78, 1966, S. 151 Anm. 8.

1° J. Lewy, RHR 110, 1934, S. 31-33; vgl. auch J. M. Munn-Rankin, Iraq 18,

1956, S. 91 f. und neuerdings H. Petschow in RLA III, S. 318-322 (s. v. Ge¬

wand [saum] im Recht).

(3)

Samuel und die Mari-,,Propheten" 275

daß er abriß". - Dieser Text ist in sieh so verständlich. Bemerkenswert ist, daß hier offen bleibt, wer wessen Mantelsaum ergreift. Dem Stile hebräischer

Prosa gemäß - häufiger Subjektswechsel, ohne daß dies näher bezeichnet

wird - ist es durchaus möglich, daß Saul es ist, der den Mantel Samuels

orgreift.

Dies wird nun ausdrücklich in der Textform gesagt, die die LXX bewahrt

hat. Dort heißt es: xat aTreoTpeij^Ev LajxourjX xb TrpotrcoTtov auTOÜ toü (XTreXOeiiv.

xal IxpaxTjCTEV SaouX xoü TTTSpuytou t?)? SluXolSoi; auTOÜ xal SieppYj^EV auTO.

,,Und Samuel wandte sein Gesicht, um zu gehen. Und Saul bemächtigte

sich seines Mantelsaums und riß ihn ab". - Hier also spielt Saul eine aktive

Rolle und reißt den Mantelsaum des Samuel ab. Auch der masoretische

Text läßt sich so übersetzen. Dazu genügt, daß man - ohne den Text ändern

zu müssen - anstelle des Nifal S?^!?'! das Kal Slp»! liest. Offenbar haben die

Masoreten die Zeichenhandlung nicht mehr verstanden und den Text falsch

vokalisiert.

Für die besondere - teils symbolische, teils magische - Beudetung des

Mantelsaums im Alten Orient liefern uns auch die Briefe aus den Archiven

von Mari zahlreiche Beispiele^^.

Aus diesen Beispielen ist zunächst eine an 1 Sam 15:27 anklingende Wen¬

dung herauszugreifen und zu prüfen, ob sie die sich zwischen Saul und Sa-

jmuel abspielende Handlung zu erklären vermag. Es handelt sich um die

\?^endung: ,, jemandes Mantelsaum ergreifen" (qarran subat NN sabätuni),

dio ausdrückt, daß jemand sich politisch unterwirft^^. Wollte man auch

die Wendung ,,da ergriff er den Zipfel seines Mantels ..." in 1 Sam 15:27

so A^erstehen, dann würde dies bedeuten, daß Saul auf die kritischen Be-

meri'cungen des Samuel hin den Mantelsaum des Samuel ergreift und durch

diesf; symbolische Handlung sich ihm politisch unterwirft. Dabei reißt der

Mantelsaum ab, und Samuel kann den Vorgang so deuten, wie dies in unse¬

rem Toxt geschehen ist.

Dieser Erklärungsversuch hat jedoch wenig W^ahrscheinlichkeit für sich.

Einmal wäre es ganz ungewöhnlich, daß sich ein König in dieser Weise

einem Pi'opheten politisch unterwirft. Dafür gibt es auch keine vergleich¬

baren Beispiele. Zum anderen bleibt das Abreißen des Mantelsaums bei Sa¬

muel und seine Deutung auf das Wegnehmen des Königtums von Saul ein

Vorgang, der sowohl der magischen Geladenheit des Mantelsaumcs als

auch seiner sj^mbolischen Bedeutung in keiner Weise gerecht wird. Die Mög¬

lichkeit, daß Bich Saul in der angegebenen Weise dem Samuel politisch

unterworfen hätte, muß also ausscheiden.

" Vgl. schon M. Noth, JSS 1, 1956, S. 328.

" ARM VI 26: 3' f. und 8' f.; XIII 148 :Vs. 8. Vgl. auch aiasiktam rakäsum = ,, einen Vertrag schließen" in den Mari-Briefen. - Dazu vgl. auch Sa 8:23.

(4)

276 Diethelm Conrad

III

Aus Mari bieten sich indes andere Beispiele als Erklärung des zwischen

Saul und Samuel ablaufenden Geschehens an. Zu Recht hat kürzlich

H. Schult darauf hingewiesen, daß wir jetzt drei Belege für die merkwürdige

Sitte haben, daß dem Ekstatiker in Mari Haar und Mantelsaum abgenom¬

men werden^^.

1. ARM VI 45: Bahdi-Lim, der Präfekt des Palastes von Mari, schickt

zusammen mit einem vollständigen Bericht von der Angelegenheit an den

König Haar und Mantelsaum einer Ekstatikerin {muhhütum), welche der

Priester Ahum ihr abgenommen und dem Präfekten übermittelt hatte.

2. ARM XIII 112: Kibri-Dagan der Statthalter von Terqa, 70 km west¬

lieh von Mari, berichtet seinem König Zimrilim von einem zweimaligen

Traum, den ein junger Diener hatte. Darin redet ein Gott davon, daß ein

bestimmtes Haus nicht (wieder)aufgebaut werden solle. Der Diener teilte

dies dem Statthalter mit. Kibri-Dagan berichtet weiter, daß er dem König

den Mantelsaum des Kleides und eine Locke des Haupthaares des Dieners

bringen lasse. Seit jenem Tage sei dieser Diener krank.

3. G. Dossin, RA 42, 1948, S. 128 ff. : Der Beamte Itur-Asdu teilt seinem

König Zimrilim mit, daß ein Mann aus Schakka namens Malik-Dagan zij

ihm gekommen sei. Dieser Mann hatte im Tempel des Gottes Dagan in

Terqa eine Vision, in der er zu Zimrilin gesandt wird, um ihn aufzufordern,

Abgesandte zum Tempel zu schicken, die dem Gott vom Stand der Auscjin-

andersetzungen mit dem Stamm der Benjaminiten berichten sollen. Der

Brief fährt fort: ,,Dies sah jener Mann in seinem Traum (41) und fjagte

es mir. Jetzt nun habe ich an meinen Herrn geschrieben. (43) Mein Herr

möge die Angelegenheit dieses Traumes nachprüfen. (45) Außerdem möge

mein Herr, wenn es ihm beliebt, seinen vollständigen Bericht (41) vor

Dagan erstatten. Auch mögen die Abgesandten meines Herrn (49) ständig

zu Dagan hin (auf dera Wege) sein! Der Mann, der mir diesen Trnum (51)

erzählte, wird ein Tieropfer vor Dagan darbringen, deshalb habe ich ihn

nicht geschickt. (53) Und weil dieser Mann ein Beamter ist, nahm ich sein

Haar und seinen Mantelsaum nicht''^*.

In den ersten beiden Texten werden also einer Ekstatikerin ('muhhütum),

bzw. einem jungen Diener, Haar und Mantelsaum abgenommen und dem

König zusammen mit einem Bericht zugeschickt. Im ersten Text erfahren

wir nicht, was die Ekstatikerin zu sagen hatte, im zweiten hören wir, daß

" H. Schult, ZDPV 82, 1966, S. 232. - Vgl. jedoch unten den Diskussions¬

beitrag von Prof. W. VON Soden.

" Übersetzung nach W. von Soden, WdO I, 1950, S. '398 f. Vgl. jedoch auoh G. Dossin, RA 42, 1948, S. 128 ff.

(5)

Samuel und die Mari-„Propheten" 277

ein junger Diener aufgrund eines zweimaligen Traumes den Befehl eines

Gottes, wohl Dagans, an den König weitergibt, ein bestimmtes Haus nicht

(wieder)aufzubauen. Im dritten Text ergeht ebenfalls eine dmch Traum er¬

langte Aufforderung an den König, diesmal politischen Inhalts. Der Über¬

bringer der Aufforderung kann hier aber Haar und Mantelsaum behalten

und zum Opfern in den Tempel des Gottes Dagan in Terqa zurückkehren.

In allen drei Fällen wird die ,, prophetische" Aufforderung an den König,

etwas zu tun, durch einen hohen Beamten des Königs entgegengenommen

und an diesen zur Prüfung weitergeleitet.

Wie ist dies Faktum zu interpretieren, welche Rolle spielen Haar und

Mantelsaum? Auch in den anderen Texten aus Mari, in denen von einer

prophetischen Botschaft die Rede ist, wird diese an den König weiter-

gegeben^*. Dabei scheinen in allen Fällen diejenigen, die die Botschaft

bringen, den Behörden bekannt oder gewissen höheren Standes zu sein,

bzw. eine feste Funktion in einem der Tempel zu habend*. Aut jeden Fall

wird aber auch deren Botschaft zur Prüfung weitergeleitct. Im zitierten

Text 3 tritt Malik-Dagan, ein Mann aus Schakka aiif, aus der Provinz also

und wenig bekannt. Jedoch wird hier ausdrücklich gesagt, daß diesem Mann

Haar und Mantelsaum nicht genommen worden sind, weil er ein awilum

Jw kallu ist. G. Dossin übersetzt dies mit ,,weil dieser Mann ein Funktionär,

ein Beamter ist"^'. A. Malamat liest an dieser Stelle awilum su tdk-lu =

,,weil dieser Mann vertrauenswürdig ist"**. D. h. also, MalUc-Dagan, der

aus Schakka, aus der Provinz stammende und wenig bekannte Mann, kann

Haar und Mantelsaum während der Zeit der Prüfung seines prophetischen

Traumes behalten, weil er als Beamter bereits in einer Beziehung zum König

steht, oder weil er auf andere Weise als vertrauenswürdig ausgewiesen ist.

Dagegen ist der junge Diener von Text 2 völlig unbekannt. Zudem hat

suhärum in Mari immer die Bedeutung ,, Diener, Abhängiger, Mensch in

untergeordneter Stellung"^', und auch eine muhhütum wie die Ekstatikerin

in Text 1 dürfte von niederer sozialer Stellung^* und unbekannt gewesen

" ARM II 90, III 40, III 78, A 1121 (A. Lods üi Studies in OT Prophecy,

Festschr. Robmson, 1950, S. 103 f.), ARM XIII 23, XIII 113, XIII 114.

1« So auch A. Malamat, Suppl. VT XV, S. 210 f., 226. - In ARM XIII 113

und 114 treten auf ein „awilum" , ©in ,, Freier", und eine aSäat awilim, also die

„Frau eines Fr©i©n" !

" G. Dossin, RA 42, 1948, S. 128 f.; ebenso M. Noth, JSS 1, 1956, S. 328.

IS A. Malamat, Suppl. VT XV, S. 225 mit Anm. 2. - W. von Sodbn liest,

WdO I, 1950, S. 398 f., awilum Su qal,-lu - „weü dieser Mann von geringer Her¬

kunft ist".

" Vgl. CAD 16, s. V., S. 232 ff. Gegen A. Malamat, Suppl. VT. XV, S. 222 ff., der ,, Jüngling" übersetzt.

Ibid., S. 210.

21 Or.-Tg.

(6)

278 Diethelm Conrad

sein^^ Diesen beiden Personen, dem Diener und der Ekstatikerin, werden

Haar und Mantelsaum genommen und zusammen mit dem Bericht zur

Prüfung an den König geschickt, während die ,, Standespersonen" diese be¬

halten können (Text 3).

Die Deutung, daß mit dem Abschneiden des Mantelsaumes eine Verfü¬

gungsgewalt über den betroffenen Menschen gewonnen wird, ist unbestrit¬

ten^^. Da auch fiir das Haar gilt, daß es die eigene Person symbolisiert^^,

geht das Abschneiden des Haares dem des Mantelsaums ganz parallel^*.

Außerdem ist die Stirnlocke das Zeichen des Freien, dem Sklaven wird

der halbe Kopf rasiert, das Abschneiden von Haar und Bart bedeutet eine

entehrende Strafe (etwa bei einem Verleumder, Codex Hammurabi § 127).

Das Haar hat auch hier nicht ausschheßlich magische Bedeutung, sondem

nmdann, wenn es zum Schadenzauber oder zum Exorzismus gebraucht wird^*.

Nach all dem dürfte die bereits von G. Dossin vorgetragene Interpreta¬

tion richtig seüi^*, daß das Abschneiden von Haar und Mantelsaum bei den

unbekannten Propheten in Mari eine gewisse Schutzhandlung des Königs

und des Staates darstellt, eine Schutzhandlung gegen solche, die aus fal¬

schen Beweggründen, mit behaupteten Träumen und falscher Botschaft

zum König kommen, die also in betrügerischer Absicht ihre Träume vor¬

bringen. Nicht daß mit dem Abschneiden von Haar und Mantelsaum die

betroffenen Personen schon als ,, falsche Propheten" bezeichnet würden, es

wird aber der Verdacht auf falsche Prophetie geäußert. Stellt sich dieser

Verdacht naoh eingehender Prüfung als richtig heraus, dann hat der König

mit Haar und Mantelsaum Pfänder in der Hand, die sich gegen ihren Be¬

sitzer gebrauchen lassen. Mit dem Haar kann nach magischem Verständnis

ein Schadenzauber gegen den angerichtet werden, von dem es stammt. Auf

jeden Fall bedeutet der abgetrennte Mantelsaum die Entmachtung und Ent¬

rechtung dieser Person. In der Zwischenzeit - bis die Prüfung abgeschlossen

ist - ist der Prophet in der Gewalt der staatlichen Organe, die damit die

Ruhe und Ordnung im Staate wahren^'.

" So sagt A. Malamat, ibid., S. 212 mit Anm. 1, daß em. muhhüni im Gegen¬

satz zum äpilum keinen Zugang zum Palast hatte.

22 M. Noth, JSS 1, 1956, S. 328; G. Dossm, RA 42, 1948, S. 134; A. Malamat,

Suppl. VT XV, S. 225; auoh schon J. Lewy, RHR 110, 1934, S. 32.

2^ Vgl. J. Henninger, Zur Frage des Haaropfers bei den Semiten, Die Wiener

Sehlde der Völkerkunde, Festschr. 1956, S. 368 mit Anm. 89.

" Während M. Noth, JSS 1, 1956, S. 328, sagt, daß es sich bei dieser sym¬

bohschen oder magischen Handlung um zwei paraUele Vorgänge handelt, von

denen im Grimde eüier genügt, betont A. Malamat, Suppl. VT XV, S. 225 Anm.

3, daß diese Vorgänge untrennbar zusammengehören (vgl. jedoch ARM X 8!).

" Vgl. J. Lewy, RHR 110, 1934, S. 32; J. Henninger, Haaropfer, S. 362.

2« G. Dossin, RA 42, 1948, S. 133 f.

" So auch A. Malamat, Suppl. VT XV, S. 226 f. Abzulehnen ist seine Auf-

(7)

Samuel imd die Mari-„Propheten" 279

Das Abschneiden von Haar und Mantelsaum des Propheten drückt also

ein Mißtrauen derer aus, die die Gottesbotschaft empfangen haben, äußert

den Verdacht auf falsche Prophetie, die ja immer ein Problem darstellt,

und gibt dem Staat Verfügungsgewalt über den Propheten.

IV

Diese Beispiele aus Mari dürfen jetzt sicher zm Erklärung der Szene in

1 Sam 15:27 herangezogen werden.

Auch in Israel ist die Symbohk des Mantelsaums bekannt. Das zeigt die

Erzählung 1 Sam 24. Dort schneidet David den Mantelsaum Sauls ab und

nimmt damit an Saul einen Akt der Entrechtung vor^'. Aber auch die Er¬

zählung 2 Sam 10 weist in diese Richtung. Den Männern einer Beileids¬

gesandtschaft Davids zu dem Ammoniterkönig Hanun werden jeweils der

halbe Bart und die Kleider bis ans Gesäß (also auch der Saum) weggeschnit¬

ten (V. 4). Offensichtlich - der Text sagt das sogar selber aus (V. 5) - war

das für jene Boten eine große Entehrung und Beschimpfung. Es wird aber

auch gesagt (V. 3), daß die Berater des Königs, die Ammoniterfürsten,

fürchten, die Boten seien Spione. Der König und die Fürsten glauben also

nicht an den ehrlichen Auftrag der Boten, und durch die entehrende Be¬

handlung werden die Boten Davids als falsche Boten bezeichnet.

Weiterhin haben auch in Israel König und Staat eine Aufsicht über ihre

Propheten ausgeübt. Sowohl A. Malamat als auch L. Delekat (bei

H. Schult) haben darauf im Zusammenhang mit dem Mari-Brauch des

Abschneidens von Haar und Mantelsaum mit Recht hingewiesen^': So

wird Micha ben Jimla, 1 Kön 22:26-28, von Ahab gefangengesetzt, bis sich

die Wahrheit seiner Botschaft herausgestellt hat^".

Wiederholt sind schon die Gemeinsamkeiten, die es zwischen dem Pro¬

phetismus in Mari und in Israel gibt, dargestellt worden; aber auch die

Unterschiede sind nicht zu übersehen^^. Deshalb darf Samuel nicht ohne

weiteres mit einem Mari-Propheten gleichgesetzt werden, selbst wenn wir

fassung, daß Haar und Mantelsaum als Beweise für die Existenz des Visionärs vor dem König gelten, wenn z. B. der Visionär nicht vor dem König erscheinen

könne, und daß sie zur Bekräftigung der Botschaft dienen. Dazu müßton Haar

und Mantelsaum freiwillig gegeben sein. Es hat aber nicht den Anschein, daß

das so war, vgl. auch Text 3!

" So schon J. Lewy, RHR 110, 1934, S. 31 ff.; M. Noth, JSS 1, 1956, S. 329.

29 A. Malamat, Suppl. VT XV, S. 227; L. Delekat bei H. Schult, ZDPV 82,

1966, S. 232 Anm. 27.

""8. dazu zuletzt E. Wübthwein, Zur Komposition von 1 Reg 22:1-38, Festschr. L. Rost 1967, BZAW 105, S. 245-254, bes. S. 251 f.

'1 Zuletzt C. Westebmann, Die Mari-Briefe und die Prophetie in Israel, in:

Forschung am alten Testament, ThB 24, 1964, S. 175 fF.

(8)

280 Diethelm Conrad

die Szene in 1 Sam 15:27 durch die Beispiele aus Mari zu erklären versuchen.

Die Botschaft, die Samuel im Namen Jahwes gegen Saul vorträgt, ist von

tiefem religiösem Ernst. Samuel greift gegenüber Saul - wie H. Wildbeegeb aufgezeigt hat^^ - deshalb ein, weil Saul das Gottesrecht verletzt und eigene

Wege zu gehen begonnen hatte. Die Interpellationen Samuels scheinen Saul

nicht gepaßt zu haben. Saul benutzt zu ihrer Abwehr die Mittel, die König

und Staat - wie in Mari - seit eh und je gegenüber ihren Propheten gehabt

haben. Er reißt dem Propheten den Mantelsaum ab, entehrt und entmachtet

ihn auf diese Weise. Ja, vielleicht kann man sagen, daß er ihn seiner Amts¬

würde entkleidete. Zumindest bringt er ihn unter staatliche Aufsicht und

in staatliche Verfügungsgewalt. Saul versucht - offensichtlich mit Erfolg -,

den lästigen Mahner damit zum Schweigen zu bringen.

Der jetzige Kontext der Erzählung von der Verwerfung Sauls stammt aus

prophetischen Kreisen, denen Samuel natürlich in durchweg hellem Licht

erscheinen mußte. Trotzdem schimmert in 1 Sam 15:27 eine alte Tradititon

durch. Das Geschehen dort ist nicht so zufällig, wie es zunächst den An¬

schein hatte. Samuel wird - wie die Parallelen aus Mari gezeigt haben -

dmoh Saul der falschen Prophetie verdächtigt und entehrt. Es wird über¬

prüft, ob die Botschaft, die Samuel vorzubringen hat, wahre und voll¬

mächtige Botschaft ist. Und vielleicht ist es dieses Geschehen, welches der

Grund für den Bruch zwischen Samuel und Saul gewesen ist.

* «

*

Prof. W. VON Sodbn hat in der Diskussion darauf aufmerksam gemacht,

daß es drei weitere Briefe gibt, die von Haar und Mantelsaum reden. Es

sind dies die Briefe ARM X 8:21 ff., 50:29 ff. und 81:16 ff. aus dem - vor¬

läufig nur in Keilschrift vorliegenden - Band der Frauenbriefe. Danach

scheint das Einschicken von Haar und Mantelsaum ein nicht gerade seltener

Vorgang gewesen zu sein.

^2 H. WiLDBEROER, Samuel und die Entstehung des israelitischen Königtums, ThZ 13, 1957, S. 465 f.

(9)

DIE IMMANUEL-PERIKOPE IM LICHTE NEUERER VERÖFFENTLICHUNGEN

Von Johann Jakob Stamm, Bern

Wenn* ieh es wage, meinen früheren Arbeiten zu dieser Perikope^ eine

weitere anzufügen, so bestimmt mich dabei nicht die Frage nach der Person

des Immanuel und der seiner Mutter. Es geht mir nicht darum, gegenüber

anderen Meinungen^ den eigenen Standpunkt einmal mehr zu verteidigen,

so sehr ich nach wie vor geneigt bin, die 'almä mit der Frau des Propheten

und den Immanuel mit einem seiner Söhne gleichzusetzen^. Worauf es mir

jetzt jedoch ankommt, ist zu prüfen, ob Jesaja in 7,10-17 dem König Ahas

entweder nur Heil ankündigt oder nur Unheil oder beides zugleich. Dieses

Problem ist durch die folgenden vier Aufsätze aus den letzten Jahren erneut

in den Vordergrund gerückt worden :

1. Hans Gottlieb, Amos und Jerusalem (VT 17, 1967, S. 430-463, be¬

sonders S. 442 ff.),

2. A. H. S. Günnewig, Heil- und Unheilsverkündigung in Jes. VII (VT 15,

1965, S. 27-34),

3. Theodor Lescow, Das Geburtsmotiv in den messianischen Weissagun¬

gen bei Jesaja und Micha (ZAW 79, 1967, S. 172-207, besonders S. 172-

180),

4. William McKane, The Interpretation of Isaiah VII 14-25 (VT 17, 1967,

S. 208-219).

Wenn man diese Arbeiten nach sachhchen Gesichtspunkten ordnet, so

gehören Nr. 1 (Gottlieb) und Nr. 4 (McKane) zusammen, da sie beide im

Text nur Heilszusage finden. Ihnen steht Nr. 3 (Lescow) entgegen, für den

♦ Umschrift des Hebräischen nach ZAW.

1 Die letzte davon mit dem Titel : „Die Immanuel-Weissagung und die Escha¬

tologie des Jesaja" erschien in der Theol. Zeitschr. 16, 1960, S. 439-455. Hier sind S. 439 Anm. 1 meine früheren Arbeiten genannt.

2 Zur neueren Literatur vgl. Joseph Coppens, L'interprötation dTs. VII, 14,

ä la lumiere des Stüdes Ies plus röcentes (Lex tua veritas. Festschrift für Hubert

Junker, Trier 1961, S. 31-45) und Geobg Fohbeb, Zehn Jahre Literatur zur

alttestamentlichen Prophetie, 1951-1960 (Theol. Rdsch. 28, 1962, S. 69-72).

' So zuletzt auoh Hebbebt Donneb, Israel unter den Völkern (SVT XI,

Leiden 1964) S. 17 f.

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