DER HEIDELBERGER PAPYRUS DES WAHB
B. MUNABBIH
Von R. G. Khoury, Saarbrücken
Unter über 1000 Dokumenten auf Papyrus, die Schott, Direktor der Port¬
land-Zementwerke Heidelberg und Mannheim 1904 der Heidelberger Uni¬
versitäts-Bibliothek als Schenkung übergab, befanden sich zwei wertvolle
Stücke: eine Traditionsrolle über eschatologische Probleme von Ibn LahVa
und zwei Texte (insgesamt 26 Blätter), die auf Wahb b. Munabbih zurück¬
gehen. Sie stammten aus dem Besitze Reinharts, ehemaliger Dragoman
des kaiserlich deutschen Generalkonsuls in Kairo, der schon 1897 der Uni¬
versitäts-Bibliothek Heidelberg den Ankauf einer großen Anzahl von Pa-
pjrri ermöglicht hatte. Der Text des Ibn Munabbih, der hier allein Gegen¬
stand des Interesses sein soll, besteht aus zwei Teilen : der erste enthält
15 Blätter über die Oeschichte Davids; der zweite 11 Blätter über die
Maggäzi des Propheten Muhammad. (Signatur: PSR 1-52)*.
Bei der Knappheit der zur Verfügung stehenden Zeit wird man auf vieles
verzichten müssen, das aber eine Textausgabe und eine allgemeine Studie
über Ibn Munabbih, die in Vorbereitung sind, beantworten werden. Hier
muß man sich auf eine äußere Beschreibung und auf einige Punkte, den
Inhalt betreffend, beschränken. Als erstes stellt sich die Frage nach dem
Überlieferer, der in beiden Teilen der gleiche ist; nämlich Abü Talha
Muhammad b. Bahr, von dem man nur weiß, daß er ein Schüler des 'Abdal¬
mun'im gewesen sein könnte, auf dessen Autorität er das Magäzistück
zurückführt :
^ lT'W ' ' 0* criJ'^' ij i«*-''' ■'r* bj.*»- JU öJJ» y\ ^ Jt
if.
Diesen selben Isnäd* findet man in der Geschichte Davids ,aber erst ab Blatt
drei, wo Wahb als häufigst letzte Instanz in Erscheinung tritt. Zahlreiche
Indizien, auf die man hier verzichten muß, führen auf Ibn Munabbihs
Qisas al-anbiyä' oder kitäb al-mubtada', in der Überlieferung desselben
'Abdalmun'im, zurück. Unbekannt bleibt der Verfasser des Textes, denn
es heißt: haddatanä A. falha bzw. haddatanl Muhammad b. Bahr Abü
* Jeder Teil endet mit einer Leerseite.
* ab Abü 1-Yäs.
558 R. G. Khotjby
Talha. In der Fülle der gesammelten Isnäde, die sich auf Wahb berufen,
fand sich leider keine Erklärung für dieses Rätsel, das nur die ersten fehlen¬
den Seiten hätten klären können.
Die Datierung geht eindeutig aus der Geschichte Davids hervor: ,,Dü
1-Qi'da" des Jahres 229 der H."*, also ein Jahr nach dem Tode des 'Abdal¬
mun'im. Damit ist dieser Papyrus der ältest datierte literarische Papyrus
in arabischer Sprache. Doch ist die Zeile, in der sich diese Angabe findet,
von einer anderen Hand viel kursiver und weniger schön geschrieben ; man
stößt dabei auf den Namen eines unbekannten 'Ali. Auf jeden Fall scheinen
diese Papyrusblätter vielleicht schon zu jener Zeit die einzig vorhandenen
vom Buche Wahbs oder seines Neffen 'Abdalmun'im gewesen zu sein, an¬
dernfalls hätte man die Datierung o wohl nur einmal, ' und zwar am Anfang D
der ganzen Arbeit und nicht gerade am Anfang der Geschichte Davids
gefunden. Vielleicht hat auch dieser 'Ali, nachdem er nm dieses eine Stück
gefunden hatte, es schnell datiert, da die anderen verlorengegangen oder
zerfressen waren. Alles ist möglich : Allähu a'lam.
Der Magäziteil trägt kein Datum, ist aber von derselben Hand geschrie¬
ben und enthält ähnliche Schreib- und Sprachfehler. Die Schrift ist eine
Abart der kufischen, eckig und klein; diakritische Punkte sind kaum vor¬
handen. Das Stück über die Magäzl ist so gut wie vollständig erhalten.
Doch ist die Tinte auf manchen Seiten, besonders auf der ersten, so verblaßt,
daß die Entzifferung allerhand Schwierigkeiten bereitet. Gertrud M^ila-
m&de war sich der Sache wohl bewußt, wenn sie im ,, Monde Oriental"
(XXVIII, 1934, 20, 11 fif.) schrieb: „The writing is often very indistinct
and sometimes impossible to decipher". Sic hat von den in der oben genann¬
ten Zeitschrift gedruckten zwei ersten Blättern folgendes herausgegeben :
Von der ersten Seite: nur die zwei ersten Zeilen des Isnäd, die ja 1906 schon Becker für sie entziffert hatte.
Von der zweiten Seite fehlen die ersten fünf Zeilen.
Von der vierten Seite fehlen die fünftletzte und die drei letzten Zeilen.
Daneben gibt es zahlreiche Lücken und falsche Lesarten, die sich mit
mehr Ausdauer hätten vermeiden lassen.
Der erste Teil über David bereitet noch mehr Schwierigkeit, da nur Bruch¬
stücke der Blätter vorhanden sind. Das Innere der Blätter ist häufig zer¬
fressen, manchmal fehlt auch die Hälfte der Seiten, oder es sind nur noch
ein paar Anfangszeilen vorhanden mit zerfressenen Rändern bis auf ein, zwei
Wörter. Eine vollständige Rekonstruktion aller Lücken scheint unmöglich,
denn dieser Text hat sehr wenig Ähnlichkeit mit denen anderer Geschichts¬
oder Haditschreiber. Jedoch hat man versucht, soweit es möglich war, der
Sache nachzugehen, um das Meistmögliche herstellen zu körmen.
' August/September 844.
Der Heidelberger Papyrus des Wabb b. Munabbih 559
Nach dieser kurzen Einführung wollen wir uns nun dem Inhalt zuwenden,
und zwar zuerst dem der Geschichte Davids. Sie besteht aus zwei Teilen:
erstens der Entsendung Sauls als König, zweitens der Entsendung Davids
als König. Der erste Teil ist wesentlich kleiner als der zweite und umfaßt
elf Seiten. Er beginnt mit der Beschreibung der Niederlage der Israeliten
gegen die Amalekiter und dem Verlust der Bundeslade ; darauf folgt die Be¬
rufung Sauls dmch den Propheten Samuel. Schließlich der erneute Kampf
gegen die Amalekiter und die Tötung Gohaths durch den jungen David. Der
zweite Teil, der über die Nachfolge durch David berichtet, beginnt ab
Seite II, Zeile 21; dennoch wird, wie wir sahen, schon vorher von ihm er¬
zählt, nämhch in der Episode von David imd Goliath und von Davids Ver¬
folgung dmch Saul. Das erste Blatt beschreibt die Art und Weise, in der
David lebt und regiert, und dient gleichzeitig als Vorbereitung für die Prü¬
fung des Königs und seine Reue, die rund zehn Seiten umfassen. Dann be¬
ginnt Salomo in Erscheinung zu treten: es reihen sich drei Rechtsurteile
aneinander, in denen er die wichtigste Rolle spielt, und von denen nur
eines fast überall in der islamischen Überlieferung inhaltlich bekannt ist.
Darauf folgt die Geschichte der goldenen Kette und des Beginns des
Tempelbaus, und der Text endet mit dem Tode Davids und der Nachfolge
durch Salomo.
Man braucht nicht zu betonen, daß diese Geschichte Davids, obwohl einige
allgemeine Geschichtswerke, wie z. B. die des Tabari oder des Maqdisi
und die Qisas al-anbiyä' des Kisä'i und Ta'labi etc. vorliegen, eine persön¬
liche Note enthält, so daß eine direkte Vergleichung unterbleiben muß.
Alles, was man finden kann, sind einzelne Zitate, die manchmal bei der
Rekonstruktion helfen : hier ein Wort im Tafsir des Tabari, dort ein winzig
kleiner Satz im Kitäb al-mubtada' wal-habar des Maqdisi, oder eine Anek¬
dote, die man auf Wahb oder andere zmückführt usw.*
Wir kommen nun zum Stück der Magäzi, das ebenfalls verschiedene, fest
umrissene Teile enthält. Erstens: das Treffen in al-'Aqaba, das dem zweiten
Treffen des Ibn Hisäm und des Ibn Sa'd entspricht (S. 1-^). Vielleicht war
das erste Treffen im ersten Jahrhundert der H. noch nicht so sicher fest¬
gelegt, so daß Wahb sich erlauben konnte, es überhaupt nicht zu erwähnen.
Wie in anderen Versionen ist al-'Abbäs, der Onkel des Propheten, Zeuge des
Vertrags, den die 72 anwesenden Männer mit Muhammad abschließen.
Zweitens: die Beratung der Qmaischiten in Där an-nadwa (S. 5-7). Hier
wie vorher ist der Beginn selbständig gestaltet und weicht von den anderen
Versionen völlig ab : at-Tufail b. al-Härit schreibt einen Brief an öa'far b.
abl Tälib, in dem er die junge islamische Rehgion lobt. Diesen Brief übergibt
* Inzwischen ist es uns mit Hilfe einer älteren Handschrift gelungen, einen Großteil des Textes zu rekonstruieren.
39 Or.-Tg.
660 R. G. Khodby
er einem gewissen Gazwan, einem Schutzbefohlenen des 'Umar, der ihn
jedoch bei der Ka'ba vergißt, von der er Abschied nehmen wollte. Darauf
folgt die Beratung, nachdem der Inhalt des Briefes Qurais bekannt geworden
war. ÜberaU überrascht der Text dmch Besonderheiten, die sich in keiner
anderen Version wiederfinden. Drittens: die Higra nach Medina und die
Geschichte von Umm Ma'bad und ihrem Schaf, in der rund 10 Verse des
Hassän b. Täbit, manchmal mit einigen Varianten, stehen (S. 7-16). Viertens
der Zug des 'Ali gegen Hat'am (S. 17-21). Dies ist ohne Zweifel der beste und
eigenständigste Teil des Stückes und gehört allein zu den eigentlichen
Magäzi, wie sie bei den zuständigen Autoren niedergeschrieben sind. Den¬
noch findet sich nirgendwo ein Echo solcher Kämpfe, die einmahg in der
Geschichte der Magäzi sind, und die 'Ali erfolgreich gegen die stärksten des
Stammes Hat'am führt, bis er ihr Oberhaupt erschlägt und sie alle zwingt,
zum Islam überzutreten.
Damit endet dieses Stück, das eine Art Mischform von Biographie und
Magäzi darstellt. War das der Grund, daß Wahb weder von den eigentlichen
Sira- noch von den Magäzischreibern beachtet wmde ? Ibn Hiääm, der ihm
ein ganzes Buch, nämlich das wichtige ,, Kitäb at-Tigän" schuldet und
darin fast alles auf Wahbs Autorität mit einem vollen Isnäd zurückführt,
erwähnt seinen Namen in bezug auf die Magäzi in der ganzen Sira nicht,
denn Ibn Ishäq, der auf dem Gebiet der alten Geschichte so sehr von Wahb
abhängig ist, wie das die zahlreichen gesammelten Isnäde bei at-Tabari und
anderen deutlich zeigen, bewahrt diesbezüglich totales Stillschweigen; so
daß Ibn Sa'd, nach dem Vorbild seines Meisters al-Wäqidi, kaum Notiz
von Wahb nimmt. At-fabari verhält sich genau so.
Werm sich aber Ähnhchkeiten in der Überheferung des Ibn Sa'd und
der dieses Textes finden, so bedeutet das längst noch nicht, daß Wahb der
Vertreter solcher Versionen war, sondern daß er, wie zahlreiche andere,
aus denselben Legenden geschöpft hat, die ja schon im ersten, sagen wir
vorsichtiger am Ende des ersten Jahrhunderts der H. festgelegt waren. Daß
er aber von der Nachwelt nicht beachtet wmde, könnte man eher auf die
Tatsache zurückführen, daß er eben nur für seine bibhsche Überlieferung
besonders bekannt war, für die islamische Geschichte aber als Qäss und
nicht als Muhaddit betrachtet wurde und daher unberücksichtigt bheb. Als
Beweis mag das Schweigen aller Bio-Bibhographen gelten, die ihn in bezug
auf die Isrä'iÜyät und die bibhschen Geschichten in höchstem Maße loben
und sich auf seine Autorität berufen. Dennoch verdanken wir diesem Stück
viel, da es uns einerseits klar macht, daß die Prophetenbiographie schon im
ersten Jahrhundert fertig ausgebildet vorlag vmd andererseits uns eine alte
Magäziversion übermittelt, die sonst nirgendwo vorhanden ist. Und dies
wird mit dem Namen des Ibn Munabbih verbunden bleiben, um ihm ein
noch größeres Gewicht in der islamischen Geschichte zu geben.
Der Heidelberger Papyrus des Wahb b. Munabbih 661
Noch ein Wort zur Sprache dieses Papyrus. Man kann sagen, daß es sich
in beiden Teilen um ein sehr gepflegtes Klassisch-Arabisch handelt. Mit
einigen Ausnahmefällen, die man an den Fingern abzählen kann, respektiert
der Autor den Geist der klassischen Schriftsprache. Diese Ausnahmen be¬
schränken sich auf eine Verwechslung zwischen dem d und z (zweimal)
oder den beiden Formen des langen ä. Das letztere wird, wie es im Koran
der Fall ist, nicht durchgängig durch das Ahf bezeichnet, vor allem im
Innern der Wörter. In einigen FäUen erscheinen sogar beide Formen,
jedoch nicht in den Eigennamen. Was die Geschichte Davids besonders
kennzeichnet, ist einerseits das Vorhandensein von einigen, nicht vollständig
zitierten Koran-Versen (Sure II, al-Baqara, Vers 246-48 über die Entsen¬
dung Sauls, Sure 38, Säd, Vers 21-24 über die Geschichte der zwei Gegner,
die David nach seiner sündigen Tat erscheinen, um ihn zu ermahnen und
Sure 21, al-Aubiyä', Vers 78 f.); andererseits sind manche Seiten, voraUem
solche, die die Reue und Klage Davids behandeln, recht Ijrrisch und be¬
sonders schön geschrieben.
Das zweite Stück über die Magäzi ist im Ton weniger lyrisch, abgesehen
von einigen wenigen Stellen zu Beginn. Der Koran ist nur einmal zitiert,
nämlich mit Vers 30 der Sure 8 al-Anfäl über die Ränke der Ungläubigen,
die sie in Där an-nadwa schmiedeten. Auffallend sind hier vielmehr die
Verse, die sich auf 117 in diesen 21 Seiten belaufen und deren Metrum nach
der Lage variiert (Tawil, Ragaz, usw.). Sie besitzen aber keinen sonder¬
lichen Wert, genau wie die des Kitäb at-Tigän oder der Sira des Ibn Hiääm.
In der ganzen Literatur dieser Art tritt der Dichter in den Hintergrund, da
der Autor selbst oder seine Gewährsmänner keine Dichter, sondern eher
Reimschmiede waren, und der Stoff für eine dichterische Ausgestaltung zu
trocken ist. Das bezeugt die Dürre der frühislamischen Zeit mit ihren un¬
begabten Dichtern, der das vielfarbige Leben am Hofe der Umayyaden ein
Ende setzen wird.
BEDEUTUNG DER „RANDZEUGNISSE" (SAMÄ'ÄT)
IN DEN ALTEN ARABISCHEN HANDSCHRIFTEN
Von G. Lecomte, Paris
Aus Anlaß der Untersuehung gewisser Handschriften von Ibn Qutayba's
Werken habe ich mich von der Wichtigkeit der Vorlesungsbemerkungen
überzeugt, die sich am Rande der alten Handschriften befinden.
Heute möchte ich Ihnen einige Bemerkungen über diese ,, Randzeugnisse"
mitteilen, als Einleitung zu einem längeren Artikel, den ich diesem Gegen¬
stand gewidmet habe und der im Bulletin de ITnstitut Fran9ais de Damas
erscheinen soll, sowie zur Ausgabe eines Werkchens von Ibn Qutayba, das
schon zur Veröffentlichung bereit ist.
Es handelt sich um die Handschriften zweier unveröffentlichter Werke
von diesem Verfasser : des Kitäb Garib al-hadit, von dem eine bisher einzige
Handschrift in der Damaszener Zähiriyya erhalten ist, und des Kitäb
Isläh galat Abi 'Ubayd ji garib al-hadit, das ebenfalls in einer Handschrift
der Zähiriyya, und in einer zweiten der Aya Sofya zur Verfügung liegt.
Dieses letzte Werkchen gedenke ich in Beirut herauszugeben.
Diese drei Handschriften wurden alle zwischen 556 und 639 d. H. in Bag¬
dad, Damaskus und Kairo abgeschrieben, und die Wichtigkeit der Rand¬
bemerkungen liegt darin, daß man die Geschichte beider Texte in ihnen
verfolgen kann. Ferner soll bemerkt werden, daß diese Textgeschichte sehr
eng mit der Entwicklung der hanbalitischen Schule in den Hauptstädten
des Morgenlandes, besonders am Gabal Qäsiyün in der Vorstadt von Da¬
maskus verbunden ist.
*
* *
Nachdem der Text des Kitäb Garib al-hadit von Ibn Qutayba's Schüler
'Ubayd Alläh al-Sukkari in Bagdad aufgenommen worden war, wurde er
durch eine Reihe von Traditionsgelehrten überliefert, bis er gegen Mitte
des 6. Jahrhunderts im Kreise des großen hanbalitischen Mystikers 'Abd
al-Qädir al-ÖTli auftauchte.
Gerade in dieser Zeit war die von den Kreuzfahrern vertriebene palesti-
nensische Familie der Maqdisi nach Damaskus ausgewandert und hatte sich
am Abhang des öabal Qäsiyün unter der Leitung ihres Patriarchen, des
Scheichs Abü 'Umar, niedergelassen.