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«Tristan und Isolde» und Fallschirme

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Academic year: 2022

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In Richard Wagners berühmter Oper «Tris- tan und Isolde» spielt ein Liebestrank eine wichtige Rolle. Nachdem die beiden Pro- tagonisten davon getrunken haben, erklä- ren sie sich ihre Liebe, und am Ende sind beide tot. Wie Gunther Weitz, Lübeck, im

«British Medical Journal» (2003; 327:

1469–1472) darlegt, dürfte es sich medi- zinisch gesehen bei den Auswirkungen des Zaubertranks um ein schweres anti- cholinergisches Syndrom gehandelt haben.

Die Beweisführung ist anhand von Wag- ners Libretto, seiner betörenden Musik und der Symptome stringent. Kurz nach Einnahme der magischen Flüssigkeit:

«Beide, von Schauer erfasst, blicken sich mit höchster Augregung, doch mit starrer Haltung, unverwandt in die Augen…» – Tachykardie, Palpitationen, Flush, Hyper- thermie und verschwommenes Sehen sind die Zeichen einer beginnenden anti- cholinergen Intoxikation. Auch Desorien- tiertheit, Konfusion und Koma kommen wenig später vor (Tristan: Wer naht? … Isolde: Muss ich leben?, sie stürzt ohn- mächtig an seine Brust). Auch die Klagen der nächtlichen Szene im 2. Aufzug sind als Lichtüberempfindlichkeit zu erklären, die Photophobie auf Grund der maxi- malen Mydriase kann bei anticholinerger Vergiftung über Tage andauern. Die Kla- gen, Vorwürfe und Sinnestäuschungen (Tristan!– Ha! – Horch! Er wacht!…) müs- sen also als visuelle und

auditorische Halluzinatio- nen Isoldes gesehen wer- den, bevor sie schliesslich stirbt.

Auch musikalisch ist die Darstellung der Vergiftung bis ins Detail ausgemalt,

tritt doch jedesmal der berühmte Tristan- akkord in Erscheinung, wenn vom Trank und seinen Auswirkungen die Rede (der Gesang) ist. Konsequenterweise erklingt er nicht bei Tristans Tod (der ja an einer Verwundung stirbt und nicht am Liebes-

trank), während er in Isoldes Verglühen noch einmal berührend aufscheint.

Über das Agens im Liebestrank kann nur spekuliert werden. Wagners Quelle (Gott- fried von Strassburg, um 1210) liegt weit zurück, und damals im Mittelalter hatte man mit vielen Kräutern einschlägige Er- fahrungen. Am ehesten in Frage kommen Nachtschattengewächse wie Hyoscyamus niger, Mandragora officinalis oder Datura stramonium, aber diese Frage muss offen bleiben.

Gewiss fehlen einige typische Symptome einer anticholinergen Intoxikation, so etwa trockener Mund, intensiver Durst oder Harnverhaltung, aber dies mag künstleri- schen Rücksichten des Komponisten auf das Genre der Oper (oder vielleicht seiner Unwissenheit oder seinem Desinteresse an den pathophysiologischen Details?) entsprungen sein. Auch sind bei Erwach- senen Vergiftungen mit Nachtschattenge- wächsen an sich innerhalb von 24 bis 48 Stunden selbstlimitierend, der tödliche Ausgang bei Isolde könnte daher rühren, dass sie im 3. Aufzug nochmals einen ver- hängnisvollen Schluck nahm, der dann Delirium und Tod bewirkte. Nachtschatten- alkaloide haben überdies keine bekannte aphrodisierende Wirkung, Richard Wag- ner trägt dem Rechnung, indem er erken- nen lässt, dass sich die beiden schon vor- her zugetan sind. Der Liebestrank musste da also nur eine enthem- mende Wirkung entfalten.

Während die Arbeit von Weitz doch einige anregende Denkanstösse vermitteln kann, verlief ein systematischer Re- view in derselben Ausgabe des BMJ enttäuschend. Gordon C.S. Smith, Cambridge, und Jill P. Pell, Glas- gow, gingen der Frage nach, ob der Einsatz von Fallschirmen Todesfällen und schweren Traumata bei Gefährdung durch die Gravi- tationskraft entgegen wirkt (BMJ 2003;

327: 1459–1461). Sie suchten in den ein-

schlägigen Quellen (Medline, Embase, Cochrane usw.) nach randomisierten, kon- trollierten Studien zur Anwendung von Fallschirmen im freien Fall. Als Outcome waren Tod oder schweres Trauma (Schwe- rescore > 15) definiert. Statis-

tisch sollten aus den Daten der Fallschirm- und Kontroll- gruppen die Odds Ratios mit 95%-Konfidenzintervallen er- rechnet werden sowie Prü- fungen auf Heterogenität und Publikationsbias (Funnel-Plot) mit der Stat-Software, Version 7.0, erfolgen.

Die Autoren fanden jedoch keine einzige randomisierte kontrollierte Studie zur Fall- schirmintervention.

In ihren Schlussfolgerungen halten Smith und Pell daher fest, dass der Fallschirm- einsatz wie so viele andere Interventio- nen, die die Verhütung einer Gesund- heitsgefährdung zum Ziel haben, bisher keiner rigorosen Wirksamkeitsabklärung in randomisierten und kontrollierten Stu- dien unterworfen wurde. Ein derartiges, sich auf blosse Beobachtungsdaten stüt- zendes Gebaren ist von Verfechtern der Evidenz-basierten Medizin (EBM) kritisiert worden. Die Autoren erhoffen sich nun einen Nutzen, von dem wir alle profitieren könnten, wenn die radikalsten Vetreter der EBM eine doppelblinde, randomi- sierte, plazebokontrollierte Crossover-Fall- schirm-Studie organisieren und sich als Teilnehmer zur Verfügung stellen.

Das «British Medical Journal» lässt tradi- tionsgemäss das Jahr jeweils mit einer Doppelnummer ausklingen, die für einmal von den schwerwiegenden Problemen in der Medizin und deren Handhabung im wissenschaftlichen Alltagsbetrieb Abstand nimmt – tongue-in-cheek. ● H.B.

Bewegliche Wissenschaft:

«Tristan und Isolde»

und Fallschirme

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