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P Gefährliches Plazebo?

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ARS MEDICI 92015

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aracetamol kam vor 60 Jahren auf den Markt.

Es steht seit 1977 auf der WHO-Liste der «un- entbehrlichen Medikamente» und gehört zu den weltweit am häufigsten verwendeten Schmerzmit- teln. In der Bevölkerung gilt Paracetamol, zumal es re- zeptfrei erhältlich und auch für Kinder und Schwan- gere erlaubt ist, als eher «harmlos». Dass dies ein Trugschluss ist und das bewährte Medikament – wie alle anderen Substanzen – auch seine Schattenseiten hat, wissen Schmerztherapeuten und Notfallärzte schon lange. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mir bereits vor fast 20 Jahren eine erfahrene Ärztin sagte, sie sei regelrecht genervt vom Harmlos-Image des Paracetamols.

Für die Kollegen in den toxikologischen Notfallzentren ist das Paracetamol ein alter Bekannter: Fast täglich gingen entsprechende Anfragen beim toxikologischen Informationszentrum in Zürich ein, schrieb kürzlich der «Beobachter». Studien bescheinigen dem Para - cetamol ein beträchtliches Schadenspotenzial: Eine Paracetamolüberdosierung ist in den industrialisier- ten Ländern die häufigste Ursache einer Arzneimittel- vergiftung und man schätzt die Anzahl der Patienten in Grossbritannien auf bis zu 90 000 pro Jahr (1).

Ist das Medikament niedrig dosiert und wird es nicht auf Dauer konsumiert, braucht man eine Vergiftung zwar kaum zu fürchten, der Haken am Paracetamol ist jedoch, dass eine Überdosis recht rasch erreicht sein kann. Vielen sei nicht bewusst, dass in sogenannten Erkältungsmitteln häufig ebenfalls Paracetamol ent- halten sei, sodass es rasch zu einer kritischen Tages- dosis bei gleichzeitiger Einnahme der Tabletten kom- men könne, warnt Wolfgang Becker-Brüser, Arzt und Apotheker sowie Chefredaktor der Zeitschrift «arznei-

mittel-telegramm» (2). Zudem machten sich die Sym - ptome einer Leberschädigung infolge einer Paraceta- molüberdosierung mitunter erst nach Tagen bemerk- bar, sodass sie unter Umständen nicht mehr zu beheben seien, so Dr. Frank Martens von der Charité Berlin (2).

In die Schlagzeilen geriet die Substanz im Herbst letz- ten Jahres, als die Autoren zweier Studien einen Zusammenhang zwischen ADHS bei Kindern und dem Paracetamolgebrauch ihrer Mütter während der Schwangerschaft vermuteten (3, 4). Dass diese Stu- dien, wie die Autoren selbst klarstellten, keine Kausa- lität beweisen, sondern nur einen Verdacht nahelegen, ging in der aufgeregten Diskussion unter. Die Verunsi- cherung war so gross, dass sich der Schweizer Apo- thekerverband veranlasst sah, seine Mitglieder einmal mehr daran zu erinnern, dass es eine 100-prozentige Sicherheit nicht gebe, Paracetamol «sporadisch ein- genommen» aber immer noch eine Therapie der Wahl sei (5).

Freilich hätte man die Paracetamoldiskussion nun mit dem Argument «viel Lärm um wenig» vom Tisch wischen können. Immerhin ist die Substanz, vor- schriftsmässig niedrig dosiert und mit der nötigen Sorgfalt verwendet, ein bewährtes Medikament, und die medikamentösen Alternativen sind bekanntermas- sen auch keineswegs harmlos. Zudem nimmt das Paracetamol in allen Schmerzleitlinien einen festen, prominenten Platz ein.

Doch auch sein Status als Schmerzmittel droht nun ins Wanken zu geraten. Bereits letztes Jahr bescheinigte ihm eine Studie mangelnde Wirksamkeit bei Lumb - algien (6), und kürzlich wurde auch seine Wirkung bei Arthroseschmerz als klinisch irrelevant bewertet (7).

Angesichts der Bedenken zum Sicherheitsprofil würde es demnach nicht einmal mehr als «Plazebo» gegen Schmerzen taugen.

Nun werden Stimmen laut, die eine Änderung der einschlägigen Leitlinien fordern. Die Schweizerische Kopfwehgesellschaft hat die Diskussion um das Si- cherheitsprofil des Paracetamols bereits berücksich- tig. In der revidierten 9. Auflage ihrer Therapieempfeh- lungen (8) steht neuerdings unter dem Stichwort «Migräneattacken von geringer Intensität und ohne Behinderung im Alltag»: «Paracetamol aufgrund der neuesten Erkenntnisse (Interaktionen, Nebenwirkun- gen) nur gezielt einsetzen.»

Renate Bonifer

1. Bateman DN et al., Br J Clin Pharmacol 2014; 78(3): 610–618.

2. Süddeutsche Zeitung online vom 12.7.2012

3. Brandlistuen RE et al., Int J Epidemiol 2013; 42(6): 1702–1713.

4. Liew Z et al., JAMA Pediatr 2014; 168(4): 313–320.

5. pharmaSuisse Mailzirkular Nr. 19/2014 vom 5.11.2014 6. William CM et al., Lancet 2014; 384: 1586–1596.

7. Machado GC et al., BMJ 2015; 350:h1225.

8. www.headache.ch

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