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(1)Ananija Schirakazi — ein armenischer Kosmograph des 7

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Ananija Schirakazi — ein armenischer Kosmograph des 7. Jahrhunderts

Von WiNFRiBD Petri, München

1. Ananija Schirakazi und sein Werk

2. Der Schöpfer und die Elemente 3. Das Empyreum

4. Die sieben Gestirnssphären 5. Die polnahen Sterne 6. Milchstraße und Tierkreis 7. Sonne und Finsternisse 8. Sonnenlauf und Kalender 9. Mond und Planeten 10. Erde und Mensch 11. Literatur

I. Der Verfasser und sein Werk

Armenien, das unter den Artaschessiden (189—1 v. Chr.) das mächtig¬

ste Reich hellenistischen Typs gewesen ist, dessen Herrscher sich ,, König

der Könige" nannten und als Gott verehren ließen, war während der

ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung ein ständiges Streitobjekt

zwischen den beiden Großreichen der Oströmer und der Perser. Im

Jahre 387 kamen vier Fünftel des Landes an Persien und ein Fünftel als

„Klein-Armenien" mit Trapezunt an Byzanz. Im Jahre 554 trennte sich

die armenische Kirche von der oströmischen. Nach zwanzigjährigem

Krieg wurde das Land 591 abermals geteilt. Unter Heraklios wurde

Armenien 628 ein Vasall von Byzanz, aber schon bald darauf, im Jahre

652, dem neuen islamischen Kalifenreieh einverleibt.

Ungeachtet dieser tragischen Zerrissenheit vermochte sich in Armenien

seit der Erfindung eines eigenen Alphabets durch Mesrop Maschtoz (361—

441) eine bedeutende literarische Kultur zu entfalten, die besonders auf

den Gebieten der Philosophie, Geschichtsschreibung und naturwissen-

schaftUchen Enzyklopädie Leistungen aufweist, die den Vergleich mit

zeitgenössischen Arbeiten in griechischer und lateinischer Sprache nicht

zu scheuen brauchen. Bezeichnend für die Gedankenwelt von Esnik

Kochbezi, Mowses Chorenazi, Dawid Anhacht, Egische und Ananija

Schirakazi — um nur die hervorragendsten Namen zu nennen — ist eine

eigentümliche Verbindung christlicher Orthodoxie mit den Konzeptionen

des ausgehenden Hellenismus, der weitgehend neuplatonisch geprägt

war, in der unmittelbaren Nachbarschaft von Mesopotamien und Iran

aber besondere Züge annahm, die teils synkretistisch rezipiert, teils

(2)

270 Winfried Petri

in apologetischer Polemik verworfen wurden, nicht ohne in der offi¬

ziellen Lehrmeinung ihre Spuren zu hinterlassen. Hinzu kommen

Komponenten des eigenen armenischen Substrats, die am deutlichsten

in Etymologie und Mythologie durchschimmern. So sind die am An¬

fang der in armenischer Sprache geschriebenen Literatur stehenden

Werke wertvolle Dokumente des Übergangs von der Antike zum Mittel¬

alter aus vorislamischer Zeit und eine Fundgrube von Realien, die für

die Kultur- und Naturgeschichte des Abend- und des Morgenlandes

gleichermaßen interessant sind.

Ananija Schirakazi (gelegentlich auch: Schirakuni; im folgenden ab¬

gekürzt AS) wurde zu Anfang des 7. Jahrhunderts in dem Dorf Aneank

bei Schirak geboren. Sein früh erwachtes Interesse für die exakten Wissen¬

schaften führte ihn zunächst zu dem Mathematiker Kristosatur und dann

nach Trapezunt in das Haus eines byzantinischen, aber auch mit der

armenischen Literatur wohlvertrauten Gelehrten namens Tychikos

(russisch: Tjuchik. Es fällt auf, daß Tu^'^l die griechische Wiedergabe des

iranischen Zerwan ist, der das Schicksal und die anfangslose Zeit ver¬

körpert. Vgl. Chantepie II, 261 f.), der ihn acht Jahre lang väterlich

betreute und ihm die Schätze seiner reichen Bibliothek zur Verfügung

stellte. AS lernte vorzüglich Griechisch und las mit Feuereifer alles Er¬

reichbare, darunter viele Bücher, die nicht in armenischer Übersetzung

existierten. Nach Rückkehr in die Heimat nahm er eine umfangreiche

Lehrtätigkeit auf. Seine wichtigsten uns erhaltenen Werke behandeln

Kosmographie, Kalenderwesen imd Arithmetik. Seine Tabellen der vier

Grundrechnungsarten gelten als die ältesten ihrer Art in der mathema¬

tischen Weltliteratur. Die Autorschaft etlicher kleinerer Schriften ist

zum Teil umstritten. Man kann oft schwer zwischen Exzerpten und

Originalem unterscheiden. Außerdem ist uns eine Selbstbiographie dieses

vielseitigen und fruchtbaren Gelehrten erhalten.

Um die Herausgabe der Werke ASs in armenischer Sprache hat sich

besonders A. Abeaamjan verdient gemacht. Kürzlich haben im Rahmen

der Arbeiten des Maschtoz-Institutes für alte Handschriften ,, Matena¬

daran" K. S. Tee-Dawtjan und S. S. Aeewschatjana unter dem

Sammeltitel ,,Kosmografija" eine russische Übersetzung folgender

Schriften veröffentlicht: Kosmographie, Üher den Tierkreis, Über die

Bewegung der Sonne in den Tierkreiszeichen, Über die Rotation der Himmel

und Üher Wolken und Vorzeichen. Die Kosmographie enthält nach einem

(nur in der „längeren" Textfassung enthaltenen) Vorwort des Autors

folgende Kapitel: Himmel, Erde, Meer, Gestirne, Bewegungen und Er¬

scheinungen zwischen Himmel und Erde, Milchstraße, Nordsterne, Mond,

Sonne. Die Übersetzer haben ein ausführliches Vorwort und 54 An¬

merkungen beigesteuert. Die folgende Untersuchung stützt sich auf die

(3)

Ananija Schirakazi - ein armenischer Kosmograph des 7. Jaiirhunderts 271

russische Ausgabe, deren Seitenzahlen als .. und deren Anmerkungen

als w. .. zitiert werden.

2. Der Schöpfer und die Elemente

Für AS ist die göttliche Offenbarung in der Heiligen Schrift oberste

Autorität in Glaubensdingen. Da die naturwissenschaftlichen Angaben

in der Bibel aber nur spärlich und verstreut sind, sieht er sich genötigt, als Hauptinformationsquelle hierfür die ,, heidnischen Philosophen"

heranzuziehen, die er in ,,gute" und ,,böse" scheidet, je nachdem, ob

ihre Lehre mit der kirchlichen vereinbar erscheint oder nicht. Er betont

gern den hohen Wahrheitsgehalt der antiken Gelehrsamkeit (p. 62). Als

Christ und Philosoph vertritt er nachdrücklich den Standpunkt, daß

die Welt geschaffen sei und bedient sich hierfür des kosmologischen

Gottesbeweises (p. 37 u. 100). Den Heiden blieb aber das Wesen der

göttlichen Trinität verborgen. Sie sind nur bis zu einem echten Mono¬

theismus vorgedrungen. Die Welt ist als Schöpfung Gottes durchaus gut

und dient in all ihren Zügen dem Wohle des Menschen, der das vor¬

nehmste Geschöpf ist (p. 63). Metaphysischen Dualismus vertritt AS

nicht, was wegen der iranischen Nachbarschaft vermerkt sei. Finstemis

ist nichts weiter als Abwesenheit von Licht und eine ganz natürliche

physikalische Erscheinung, der keine diabolischen Prädikate zukommen.

AS liebt klare, drastische Argumentationen und betont die Bedeutung

der Erfahrung zur Gewinnung weltlicher Kenntnisse (p. 101). Gegen die

Meinung, daß Himmel und Erde ohne Anfang und Ende seien, wendet

er sich mit folgendem Bild: ,,Wenn jemand einen Kreis gezeichnet hat

und ein anderer diesen betrachtet, dann denkt dieser andere, weil er

nicht dabei war, wie der erste den Kreis zeichnete und nicht gesehen hat,

von wo er damit anfing, daß der Kreis keinen Anfang habe" (p. 39).

Von einem Evolutionsprozeß lesen wir bei AS nicht. Wenn man von dem

theologischen Rahmen absieht, bleibt eine recht nüchterne Beschreibung

des Weltgebäudes übrig, so wie es sich einem belesenen Denker jener

Zeit darstellte. Eschatologische Fragen eines Weltuntergangs werden

nicht angeführt. Die Seelen sind eine nichtmaterielle Schöpfung Gottes,

die man den „göttlichen Atem" genannt hat und die ,,nur derjenige

kennt, der sie erschuf" (p. 38). Daher spielen auch sie für die weitere Darstellung keine Rolle.

Sobald AS sich nun der eigentlichen Kosmographie zuwendet, be¬

treten wir vertrauten Boden mit der Aufzählung der ,,aus Gott ent¬

standenen" (p. 38) vier Elemente, aus denen Himmel, Erde und alles,

was dazwischen ist, geschaffen wurde. Durch ihre Grundeigenschaften

stehen die Elemente paarweise in Beziehung zu einander : Das Feuer ist

trocken und warm, die Luft warm und feucht, das Wasser feucht und

(4)

272 Winfbied Petbi

kühl und die Erde kühl und trocken, womit der Anschluß an die Trocken¬

heit des Feuers hergestellt ist (p. 38). Die Konzeption dieser vier Elemente

als geschlossener Gmppe begegnet uns in der griechischen Philosophie

zuerst bei Empedokles (Diels 31 A 28fF., 37) und wurde von Aristoteles

weiter ausgebaut. Sie ist auch indischem naturphilosophischem Denken

nicht fremd (z.B. im ältesten Vaischeschika : Frauwallner 29) und

findet sich in Armenien schon vor AS bei Esnik und Egische (Tschalojan

135). Die empedokleische Mischungstheorie (Capelle 184) hat AS nicht

weiter verfolgt. Einmal sagt er, daß Gott für die notwendige gleich¬

mäßige Mischung der Elemente sorgt (p. 101). Von atomarer Struktur

der Materie lesen wir nirgends. Unter Erde versteht AS im wesentlichen

den in der Mitte des Weltalls ruhend gedachten Erdkörper. Nur ihm

kommt Raum im eigentlichen Sinne zu. Denn ,,ein Körper muß eine

stabile Position haben. Stabilität (oder: Beständigkeit) hat aber in

erster Linie das, was Raum besitzt. Die drei anderen [Elemente] haben

in entsprechender Weise verteilt ihren Platz außerhalb davon" (p. 38).

Der Schlußabschnitt des Traktats „Über die Bewegung der Himmel"

handelt ,, davon, wie Aristoteles beweist, daß Gott die Ursache [der

Bewegung] der Elemente ist" (p. 107). Hier ist von ewiger kreisförmiger

Bewegung die Rede. Das Wort ,, Element" ist hier, wie auch sonst ge¬

legentlich (p. 71; 77), offenbar im Sinne von „Himmelskörper" gebraucht (Das Griechische c'zoiyz'io'^ konnte bei den Alexandrinern auch ,, Gestalt"

und ,, Tierkreisbild" bedeuten; Pape II, 946).

3. Das Empyreum

Eine Sonderstellung nimmt bei AS das die Welt umgebende Feuer ein,

für das wir hier den Ausdruck ,, Empyreum" verwenden woUen (vgl.

Vezin 6*). Während die eine Hälfte der ,, bösen" Philosophen an eine

unendliche Menge von Welten glaubt und die andere Hälfte von einer

eis- oder kristallartigen Substanz spricht, die etwas anderes sei als Feuer,

Wasser, Luft und Erde (gemeint ist die quinta essentia des Aristoteles,

vgl. DuHEM I, 173), nimmt AS an, daß der ,, kleine Himmel" eingebettet

sei in einen großen oberen Himmel, don die Griechen ,, Äther" und die

Chaldäer ,, dichtes Feuer" genannt haben. Dieses Empyreum bildet die

Grenze des Universums. Es ist: ,, makellos, reines Feuer, das aus nichts

hervorgegangen ist und aus dem nichts hervorgegangen ist, ganz aus sich

selbst. Dieser selbständige, einheitliche Körper, fest, unvergänglich, glatt,

eben, ohne Vertiefungen, allumfassend, ausgedehnt, alles Existierende

in sich einschließend, hält durch seine unzerstörbare Festigkeit die

Elemente der himmlischen Sphären in sich. Sein ungeheurer Kreis, der

alles von außen umfaßt, zeigt deutlich dessen gewaltige, runde, kugel-

(5)

Ananija Schirakazi - ein armenischer Kosmograph des 7. Jahrhunderts 273

förmige Innenseite. Man nennt sie ewig, reine Form, sich drehend mit

kontinuierlicher, unermeßlicher, unvorstellbarer und unsichtbarer Ge¬

schwindigkeit, nur dem Verstände erkennbar" (p. 39; ähnlich p. 100).

Woher hat AS dies Empyreum, für das er sich sowohl auf Griechen wie

auf ,, Chaldäer" beruft ? Schon Philolaos spricht von einem allumfassen¬

den kosmischen Feuer (Diels 44 A 16). Nach einem lateinisch über¬

lieferten Ausspruch schrieb Parmeiiides ihm göttlichen Charakter zu:

... lucis orbem qui cingit caelum quem appellat deum (Diels 28 A 37).

Das gleiche könnte man fast von AS behaupten angesichts der von ihm

gebrauchten überschwänglichen Worte und der Tatsache, daß er immer

wieder mit geradezu fanatischem Eifer auf das ,, dichte Feuer des oberen

Himmels" zu sprechen kommt. Er kennt aber nicht das pythagoreische

Gegenstück zum Empyreum, nämlich das zentrale Urfeuer der eoTia

Diels 44 A 17, Philolaos). Man darf annehmen, daß seine Kenntnis der

Vorsokratiker erheblich durch das Medium der neuplatonischen Tra¬

dition, wie sie im nahen Orient hellenistischer Prägung herrschte,

gefiltert war. Andererseits sind ihm die dualistischen Weltbilder der

altiranischen Religion und ihrer Nachfolger, des reformierten Zoroastris¬

mus und des synkretistischen Manichäismus, sicher nicht fremd gewesen.

Noch während unter dem Sassaniden Schapur um die Mitte des

3. Jahrhunderts die alten Feuertempel wiederhergestellt und neue er¬

richtet wurden, war in der Person des aus altem parthischem Fürsten¬

geschlecht stammenden Mani ein sendungsbewußter Erlösungslehrer

aufgetreten, dessen nachwirkende Bedeutung erst im Laufe der letzten

Jahrzehnte durch Handschriftenfunde in Ägypten und Zentralasien der

Fachwelt bekannt geworden ist. Der armenische Kirchenvater Esnik

widmete sein Lebenswerk zum guten Teil der Bekämpfung des Zoro¬

astrismus und Manichäismus. AS findet scharfe Worte, wenn es um

astrologische Irrlehren geht (p. 51; 54ff'.). Die Astrologie war aber auch

in das Lehrgebäude Manis eingebettet, der sich selbst als Babylonier

bezeichnet (Widengben 31). Vielleicht hat AS mit seinen ,, Chaldäern"

nicht zuletzt die Manichäer im Sinne gehabt. Hören wir, was ein berufe¬

ner Kenner über einen Kernpunkt der manichäischen Lehre zu sagen

weiß:

,,Gott ist 'der Vater des seligen Lichtes'. Als Gott-Vater herrscht er

über das Reich des Lichtes. Zugleich aber verhält es sich so, daß dieses

Reich, das aus Lichterde und Lichtäther besteht, wesensmäßig mit der

Gottheit selbst zusammenfällt. Sie sind identisch, denn das ganze Licht¬

reich macht zugleich den Körper der Gottheit aus. Ferner wird gesagt,

daß dieses Lichtreich nicht von Gott geschaffen, sondern von Ewigkeit

her als ein wahrer Ausdruck seines Wesens absolut und mit ihm ko-

existent ist. Wenn im Lichtreiche auch nur ein Teil erstanden oder ge-

19 ZDMG 114/2

(6)

274 WnsTFRiED Petbi

schaffen wäre, dann könnte ihm nicht der Charakter des Absoluten zu¬

erkannt werden" (Widengren 50).

Setzen wir in diesen Ausführungen ,, Feuer" statt ,, Licht" und

dämpfen wir etwas die anthropomorphe Formulierung vom ,, Körper der

Gottheit", so kommen wir den Prädikaten, die AS seinem Empyreum

beilegt, erstaunlich nahe. Natürlich wurzelt Manis Lichttheologie

wesentlich in dem iranischen Grundmythos (Chantepie II, 216) des

Kampfes zwischen dem personifizierten Feuer Atar und dem Finsternis¬

drachen Azhi Dahaka. AS hat diesen Dualismus gewissermaßen halbiert.

Indem er nur die lichte Seite anerkannte, entschärfte er die Dialektik

des Weltprozesses und fand die Welt eingebettet in eine Entität, die das

ganze materielle Universum durchstrahlt und durch ihre lebenerhaltende Kraft das Werk des Schöpfers fortsetzt.

AS glaubt sich mit seiner Konzeption vom Empyreum auch in Über¬

einstimmung mit der kirchlichen Lehre. Als Beleg für die Existenz

zweier Himmel zitiert er das Psalmwort vom ,, Himmel des Himmels"

(Ps. 148, 4). Einen dritten Himmel kennen weder die Philosophen noch

die Kirchenväter (p.42). Ein besonderer Name für das obere, dichte Feuer,

gelegentlich auch als achte Sphäre bezeichnet (s.u.), ist arpi (n. 49) —

offenbar ein armenisches Wort, über das leider keine weitere Auskunft

zu bekommen war. Immerhin sei gestattet, hier an den Namen des

„wunderschönen Ar" zu denken, dessen Mythos von Tod und Auf¬

erstehung im alten Armenien verbreitet war und vermutlich anderen

Sagenkreisen vom vergehenden und wiedererstehenden Leben in der

Natur (Attis — Adonis usw., vgl. auch Baldur) näher steht als christlichem

Gut. Auffälligerweise nennt auch Platon im 10. Buch seines ,, Staat"

den Helden, der im Kampf getötet wurde und, nach 12 Tagen aus dem

Jenseits zurückkehrend, berichtet, was er dort gesehen hat. Er, Sohn des

Armenius. In dessen Erzählung findet sich eine Lichtsäiile, die durch

Himmel und Erde geht und alles zusammenhält (Heath 148 ff.). Es wäre

interessant, den sich hier andeutenden Beziehungen weiter nachzugehen.

4. Die sieben Gestirnssphären

Innerhalb des Empyreums befindet sich der ,, kleine" innere Himmel

mit den Gestirnssphären und der Erde als ruhendem Mittelstück. AS

benutzt für die Sphären gern den Ausdruck ,, Gürtel". Er hält an der

klassischen Siebenzahl fest und referiert in der ,, Kosmographie" als die

von den ersten Kirchenvätern anerkannte Lehre früher Philosophen:

,,Sie sagen, daß es unter dem Feuergewölbe des Himmels 7 in Bewegung

befindliche Sphären gibt, zusammen mit denen sich die Sterne bewegen,

angebracht in ihren Gruppen, einzeln verteilt in verschiedenen Sphären.

Nach ihnen ist solcherart die Anordnung und Bewegung der Sterne. Und

(7)

1^

Ananija Schirakazi - ein armenischer Kosmograph des 7. Jahrhimderts 275

SO bewegen sich alle [Wandeljsterne in rückwärts gewandter, rück¬

läufiger Richtung. Unten unter ihnen befindet sich der Mond in seinem

Gürtel. Über ihm befinden sich in ihren Gürteln die 5 Planeten. Über

ihnen befindet sich in ihrem Gürtel die Sonne, und über ihnen allen be¬

finden sich im oberen Gürtel 7 Fixsterne" (p. 62f.).

Hier haben wir also die 7 Sphären der Wandelsterne imd eine sie um¬

gebende achte Fixsternsphäre, wie sie aus dem vorkopernikanischen

Weltbild geläufig sind. Auffällig ist die Anordmmg der Sonne außerhalb

von Mond- und Planetensphären, die wohl auf Empedokles zurückgeht,

nach dem ,,der Umlauf der Sonne die Umschreibung der Grenze der Welt' '

sei (Capelle 211 zu Diels 31 A 50). Dieser Vorsokratiker, der uns schon

bei den 4 Elementen begegnet ist, war den altarmenischen Philosophen

besonders vertraut (Tschalojan 12; 135). Von pythagoreischen Ein¬

flüssen finden wir bei AS nichts.

In der kleinen Schrift ,,Über die Astronomie", deren Authentizität

bereits von den Übersetzern angezweifelt wird (n. 47), ist das Schema

mit der Sonne als äußerstem Wandelstern in eigenartiger Weise weiter¬

geführt (p. 93f.). Dort werden die Sphären zweimal nacheinander auf¬

gezählt, wobei sich gelegentlich kleine Unstimmigkeiten zeigen. Wir

merken auch an, daß die Zählung der 7 Sphären von außen nach innen

verläuft, wie aus der Numerierung der solaren als fünfter hervorgeht;

die Sphäre des EmpjTcums aber ganz außen wird als achte gerechnet.

Das ist wohl ein Rest des Systems, wo jedem Wandelstern eine eigene

Sphäre zugebilligt wurde (vgl. p. 62).

Die Lokalisierung der Sonne ganz außen, sogar wohl noch außerhalb

der Fixsterne, findet sich bei Anaximandros und Leukippos (Diels

12 A 11; 67 A 1). Allgemein heißt es in dem astronomischen Traktat:

„Diese Gürtel siehst du beständig bei Nacht als Halbkugeln, und bei

Nacht ändern sie sich nicht. Sechs von ihnen erheben sich morgens zu¬

gleich mit der Sonne und gehen [mit der Sonne] bis zum Untergang"

(p. 94). In der ,, Kosmographie" ist die Rede nur von je einer Tag- und

Nachthemisphäre, ohne daß die Sache dadurch wesentlich klarer wird

(s. u.).

Im einzelnen entwirft der Traktat ,,Über die Astronomie" folgendes

Bild: Auf die , .achte Sphäre" stützt sich der ,, abkühlende" Gürtel, die

„himmlische Wohnung dor Kälte". In ihm befinden sich 7 Fixsterne, die

von Natur völlig kalt sind und für die starke Kälte auf hohen Berggipfeln

verantwortlich gemacht werden. Die Kälte dieses Gürtels löscht auch

die vom Empyreum fallenden Funken, die man , .Milchstraße" genannt

hat (s.u.). Dann kommt der ,, brennende" Gürtel, der auch ,, verbindend"

heißt, vielleicht weil er den Übergang zwischen Arpi-Feuer (s.o.) und

Sonne bildet (n. 49). In ihm sind die „kleinen Sterne" zu suchen, und er

19»

L

(8)

276 WiNTBiED Petbi

gilt als der Ort, wo nach Meinung der weisen Väter die Seelen der Glau¬

bensgenossen gesammelt werden. Als dritte folgt die ,, glatte" Sphäre

des „feuchtigkeitsgesättigten" Gürtels mit den 12 Sternbildern des Tier¬

kreises, die in vier Dreiergruppen aufgeteilt werden (Krebs-Löwe-Jung¬

frau sind im Text wohl nur versehentlich ausgelassen; p. 94), in deren

Mitte sich jeweils ,,Arpi" befindet. Es folgen ein „vermischender" Gürtel

mit dem ,, zweiten" Äther und an fünfter Stelle ein Gürtel, der sehr be¬

weglich ist, „weil sich die Sorme darin befindet". Diese beiden Gürtel

werden bei der zweiten Aufzählung konfundiert, wobei noch von

,,2 Sternen um die Sonne" die Rede ist, die ,, sonnetragend" heißen (s.u.).

Die Sonne bekommt ihr Licht — wie es in diesem Zusammenhang heißt —

von den kleinen Sternen des ,, brennenden" Gürtels. Das Licht braucht

13 Tage, um zur Sonne zu gelangen, von der alle Sterne (gemeint sind:

Mond und Planeten) dann ihr Licht empfangen (p. 94). Der sechste

Gürtel heißt „schön", weil sich die Planeten darin befinden. Dies Bei¬

wort läßt an den ,, wunderschönen" Ar des oben erwähnten armenischen

Mythos' denken. Der Mond wird teils dieser, teils der untersten Sphäre

zugeteilt, welche den Äther enthält und Ort der meteorologischen Er¬

scheinungen ist.

Das Wort ,, Äther" gebraucht AS in verschiedenen Bedeutungen.

Einerseits referiert er es als griechische Bezeichnung für das Empyreum

(s.o.). Andererseits will er selbst darunter einen ,, kalten und dichten

Wind" (p. 68) verstanden wissen, der zusammen mit dem Wasserelement

die Feste des natürlichen Himmels bildet und den Erdkörper umschließt

(p. 40). Schließlich kommt noch der „zweite" Äther des ,, vermischenden"

Gürtels. Wie die Bezeichnungen der Sphären andeuten, dient der aus

einem Gemisch von Luft und Wasser in unterschiedlichen Anteilen und

— wir würden sagen — Aggregatzuständen bestehend gedachte Himmel

dazu, die vom Empyreum als alleiniger Quelle von Strahlungsenergie

ausgehende Hitze zu mildern, die extraterrestrischen und meteorologi¬

schen Phänomene zu erklären und den freischwebenden Zustand des

Erdkörpers plausibel zu machen. Die zugrunde liegenden Gedanken

lassen sich unschwer bis auf die Vorsokratiker — und hier wieder be¬

sonders Empedokles — zurückverfolgen.

Naeh Empedokles soll der Himmel aus gefrorener Luft bestanden

haben (Diels 31 A 51: caelum. .. aerem glaciatum), wobei die verfesti¬

gende Macht des Feuers im Spiele war (ib.; vgl. Burnet 237). Bei ihm

findet sich auch der Vergleich des Weltgebäudes mit einem Ei (Diels

31 A 50), dessen Wurzeln sicher noch tiefer liegen. Schon bei den

Orphikern kommt ein Ei des Chronos vor (Diels 1 B 13, vgl. Tannery

95). Der indischen Mythologie ist das Weltenei vollkommen geläufig (vgl.

etwa : Zimmer 44 flF.). Man triflFt es auch bei den alten Chinesen (Needham

(9)

Ananija Schirakazi - ein armenischer Kosmograph des 7. Jahrhunderts 277

217). Besonders interessant ist, daß auch nach den iranischen Zervaniten

die Welt die Gestalt eines Eis hat (Widengren ö3).

AS übernimmt von den „heidnischen Philosophen" das Ei als Gleich¬

nis : ,,So wie sich in der Mitte der kugelförmige Dotter befindet und darum

das Eiweiß, und die Schale alles in sich einschließt, genau so befindet

sich die Erde in der Mitte, und die Luft umgibt sie, und der Himmel

schließt durch sich alles ab" (p. 43). Wir halten fest, daß in diesem

altertümlichen Bilde zwischen nichtfester Luft und festem Himmel

unterschieden wird und daß von Wasser nicht die Rede ist.

In Wirklichkeit spielt auch bei AS das Wasser im Raum oberhalb der

Erde eine wichtige Rolle, zumal die himmlischen Wasser über dem

Firmament bereits altbiblisch sind und zu einem festen Bestandteil der

patristischen Kosmographie wurden (vgl. Duhem II, 494—501 zu

Johannes Philoponus), die sich auf den elohistischen Schöpfungsbericht

stützte (Gen. 1,7). Eine überzeugende Systematisierung der Verteilung

von Luft und Wasser auf die Sphären ist AS nicht gelungen. Am Ende

des astronomischen Traktats referiert er ohne eigene Stellungnahme zwei

Lehrmeinungen, die astrologischer Herkunft sein dürften und keinen

Zusammenhang mit dem Sphärensystem erkennen lassen. Nach der

einen besteht die Erde zu 1 Teil aus Land und zu 11 Teilen aus Meer;

nach der anderen kommen 6 Teile auf den Himmel, 5 Teile auf das Meer

und 1 Teil auf das Land. Das Ganze wird ein ,,Haus" genannt, dessen

insgesamt 12 Teile irgendwie mit den Tierkreiszeichen korrespondieren

(p. 95).

5. Die polnahen Sterne

Während die „Kosmographie" an einer einheitlichen Fixsternsphäre

festhält, sind in dem vermutlich pseudepigraphen Traktat ,,Über die

Astronomie" die nichtwandelnden Objekte in drei Gürtel aufgeteilt (s.o.).

Vielleicht handelt es sich dabei ursprünglich gar nicht um konzentrische

Kugelschalen, sondern um Zonen nach Art der irdischen in dem Sinne,

daß eine Gliederung nach zunehmender Poldistanz beabsichtigt ist.

Danach käme — entsprechend dem chinesischen Zentralpalast des

Himmels (Saussure 159f.) — zunächst die Polgegend, dann ein Gebiet,

wo kleine Sterne und Milchstraße überwiegen und schließlich der den

Himmelsäquator umstreichende Zodiakalgürtel. Aus dem Umstand, daß

es keine weitere Fortsetzung in der südliehen Hemisphäre gibt, könnte

man auf hohes Alter und verhältnismäßig nördhchen Ursprung dieser

Vorstellung schließen. Für die erste Annahme spricht der mythologisch¬

astrologische Textzusammenhang; und die zweite wird durch ASs

Heimatposition und die Angaben über die jährliche Variation der

Tageslänge (s. u.) gestützt.

(10)

278 Winfbied Petbi

Alle Gestirne erhalten nach AS ihr Licht vom Empyreum, um es zur

Erde weiterzugehen. Dabei ist ,, Licht" nicht unbedingt mit ,, Feuer"

identisch, wie die Kälte der polnahen Sterne lehrt. In einem besonderen

Kapitel wendet sich AS überraschend scharf gegen Leute, ,, welche als

Himmelspol Sterne bezeichnen, die sich auf der Stelle drehen, im Osten

nicht auf- und im Westen nicht untergehen, sowie die Sternwagen,

welche, einander gegenüber befindlich, sich wie ein Rad drehen und andere

[Sternjgruppen, die bei ihrer Drehung um sie beständig sichtbar sind"

(p. 69). Nach seiner Meinung sind die Nordsterne ,, sichtbare Zeichen;

denn sie werden beobachtet und besitzen Übereinstimmung (oder:

Gleichlauf) mit dem [nur] dem Verstand zugänglichen Feuergürtel.

Durch ihren Umlauf dienen diese drei sichtbaren [Sterngruppen] den

Seereisen, durch die Kontinente und Inseln verbunden werden" (p. 70).

Die Polemik ASs richtet sich wohl gegen eine Verselbständigung der

Circumpolarsternbewegungen, die er lediglich als Folge und Anzeichen

der Bewegung des Empyreums ansieht. Vielleicht will er auch verhindern,

daß das Wort ,,Por' in einem altertümlichen Sinne als allumfassende

Sphäre verstanden wird, wodurch gleichfalls die dominierende Stellung

des Empyreums leiden könnte. (Diels 88 B 18; Kritias).

Nach einem Thales-Fragment war der Himmelswagen als Navigations¬

hilfe schon den Phöniziern bekannt (Diels 11 A 3 a). Von den beiden

Bärinnen spricht Kritias (Diels 88 B 18) und vielleicht schon Herakleitos

(Diels 22 B 126a; Dual!). Was ist aber unter dem von AS genannten

dritten Sternbilde zu verstehen? Im alten China gab es ein einfaches

schablonenartiges Instrument, mit dom die Polgegend anvisiert wurde.

Seine drei Haupteinschnitte wurden wohl mit markanten Sternen der

beiden Bären und des Drachen in Deckung gebracht (Näheres über die

,,circumpolar constellation template" und Abbildungen bei Needham

336 fi".). Vielleicht ist auch bei AS an Teile des Draco zu denken, ohne

daß eine unmittelbare Entlehnung aus China angenommen werden muß.

6. Milchstraße und Tierkreis

Auch über die ,, sogenannte" (sie! p. 68) Milchstraße hat AS eine

eigene Meinung, die durch seine Konzeption vom Empyreum bestimmt

ist. Zunächst referiert er fremde Auffassungen. Nach einigen ist sie eine

Straße, die alte Fahrspur der Sonne. Dies geht auf die bekannte Phaeton-

Sage zurück (vgl. Diels 41, 10 und 58 B 37 c). Noch törichter ist das

Gerede vom Schleier der Persephone, der Milch Heras und dem Weg,

auf dem Herakles die geraubten Rinder des Geryoneus entlanggetrieben

habe. ,, Einige der ersten Armenier sagten auch, daß in einem strengen

Winter Waagn, der Ahnherr der Armenier, Barscham, dem Ahnherrn der

(11)

Ananija Schirakazi - ein armenischer Kosmograph des 7. Jahrhmiderts 279

Assyrer, Stroh gestohlen habe, weshalb [die Milchstraße] der Über¬

lieferung nach bei uns auch 'die Spur des Strohdiebes' genannt wird"

(p. 69). Dieser Waagn ist nach der armenischen Sage aus den 4 Elementen

entstanden und Sieger in einem Drachenkampf. Seine Person trägt

solare Züge und ist vielleicht mit der des Herakles verwandt (Tschalojan

22). Damit wären mehrere der genannten mythologischen Züge auf

einen gemeinsamen indogermanischen Sagenkreis zurückgeführt. Die

Geschichte vom unterwegs verlorenen Stroh, das den Göttern geraubt

wurde, soll auch bei den Arabern, nicht nur den Griechen und Persern,

vorkommen (n. 36).

Im astronomischen Traktat wird die Milchstraße auch als Himmels¬

wagen (!), Fensteröffnung (oder: Lichtstreif), lange Furche (oder:

Streifen, Saum, Naht), als Wiege und als Aufenthaltsort der Luft be¬

zeichnet (p. 94). AS zitiert ferner die Meinung der ,, guten" Philosophen,

daß die Milchstraße das undeutlich zu uns gelangende Licht vieler ange¬

häufter Sterne sei (p. 69; hierzu Diels 68 A 91 Anaxagoras und Demo¬

kritos, vgl. n. 37). Dies sei aber nur eine Teilwahrheit; denn, so erklärt er,

„wir als Schüler der Kirchenlehrer sagen, daß alles Existierende, das

obere und das untere, miteinander durch Gürtel verknüpft ist. Dies

kommt darin zum Ausdruck, daß Teilchen des dichten Feuers herab¬

fallen und für unseren Blick sichtbar werden. Dies ist auch die wahre

Ursache [der Milchstraße]" (p. 69). Im Traktat heißt es: „[Die Milch¬

straße] ist dichtes Feuer und Flimmern des Lichtes kleiner Sterne. Der

reine Glanz des oberen Feuers wird durch die Bewegung der 7 Gürtel

entstellt, die das Licht des oberen, sich bewegenden Feuers stören

(wörtlich: mischen), dessen Funken erlöschen, nachdem sie bis zum

kimmerischen Gürtel vorgedrungen sind" (p. 94).

In der Schrift „Über Wolken und Vorzeichen" nennt AS die Milch¬

straße einfach eine ,, Anhäufung von Sternen, welche sich wie eine Straße

hinzieht" (p. 113). Danach sagt er: ,,Am Himmel gibt es eine Stelle, die

,, Aufenthaltsplatz" genannt wird. Das ist eine Anhäufung [von Sternen],

die wie eine Wolke aussieht. Sie ist um den Panzer des Krebses gelegen,

und in ihrer Umgebung befinden sich zwei Sterne — einer südlich und

einer westlich —, die 'Waagschalen' heißen" (p. 113). Es soll sich um

schwache Sterne handeln. Vielleicht ist mit dem Sternhaufen die Praesepe

gemeint. Dann könnten die beiden schwachen Sterne S und y Cancri

sein, für die uns allerdings keine Benennung als Waagschalen bekannt

ist. Andererseits kommt die Waage in Zentralasien und dem Kaukasus

als Benennung der Gürtelsterne des Orion vor — im Armenischen unter

dem Namen kscherk (Swjatskij 122). Vielleicht besteht auch eine Ver¬

bindung zwischen dem „Aufenthaltsplatz" und dem vorhin angeführten

Namen der Milchstraße als „Aufenthaltsort" der Luft" ?

(12)

280 Winfried Petri

Sonst geht AS nirgends auf Einzelheiten der Sternbilder ein. In einem

kleinen Traktat „Über den Tierkreis" nennt er die Namen der Zodiakal- zeichen jeweils griechisch, armenisch und persisch (in dieser Reihenfolge).

Der Text ist aber verderbt (n 41) und macht keinen originalen Eindruck

(p. 89—92). An anderer Stelle finden wir Angaben über die Anzahl der

jedem Tierkreisbild zugehörigen Sterne: Widder 16, Stier 12, Zwillinge

12, Krebs 17, Löwe 13, Jungfrau 13, Waage 12, Skorpion 12, Schütze 20,

Stembock 12, Wassermann 31, Fische 17 (p. 96—99). Diese Zahlen

stimmen mit den geläufig tradierten nicht überein. Ihr Wert erscheint

problematisch, solange keine gut bezeugten Parallelen auftauchen.

Wie schon erwähnt, sollen nach Meinung der weisen Väter in dem

Gürtel, der die kleinen Sterne (der Michstraße) enthält, ,,die Seelen der

Menschen leben, in ihm die Seelen unserer Glaubensgenossen gesammelt

werden" (p. 94). Dieser Gedanke des Sammelns der Seelen findet sich

ausgeprägt im Manichäismus. Dort haben wir — natürlich wieder zurück¬

gehend auf noch ältere Vorstellungen — ,,die alte Idee von der Milch¬

straße, die aus den Seelen der Verstorbenen besteht, die unaufhörlich zur

Sphäre der Fixsterne aufsteigen" (Widengren 60) im Zusammenhang

der Lehre von der Befreiung der von den Mächten der Finsternis ver¬

schlungenen Lichtelemente. Dort sind die Tierkreiszeichen an die

Sphaira gebunden, das kosmische Schöpfrad, welches zum Rücktransport

der Lichtsubstanz nach oben dient (Widengren 59; 73). Während AS

nur den Weg des Lichtes zur Erde herab behandelt, den er keineswegs

als böse ansieht, da er der göttlichen Schöpfung gemäß ist, geht es Mani

darum, den umgekehrten, als Erlösung verstandenen Weg des Lichtes

von unten nach oben zu behandeln. Die Exklusivität des ursprünglichen

Lichtortes und die Kontinuität des Lichtwegs ist aber beiden gemeinsam.

7. Sonne und Finsternisse

Zu Anfang des kosmographischen Kapitels über die Sonne sagt AS :

,,Die Substanz der Sonne ist nur dem Schöpfer bekannt. Die vornehmsten

unter den Geschöpfen — die Menschen — erkannten sie nur insofern, daß

sie ein Himmelskörper (ffTOixei^ov; s.o.) ist, dicht, fest, rein, kugelförmig,

vollkommen rund, ohne Runzeln und Windungen, von kalter Natur. Sie

empfängt Wärme und Licht vom Feuergürtel und schickt es in die Luft

herab, wodurch sie die Erde erleuchtet und erwärmt" (p. 77). Anderswo

schildert AS den Lichtweg noch umständlicher: ,,Im oberen Gürtel

befinden sich 7 Fixsterne. Sie sind vollkommen kalt und erscheinen als

Vermittler zwischen Sonne und Feuergewölbe. Durch ihre natürliche

kräftige Kälte mäßigen sie die unvorstellbare Glut des Feuergewölbes

und erweisen damit zugleich der Sonne Hilfe. Die Sonne nimmt [die Glut]

entgegen und sendet sie zu den unteren Gürteln. Durch Vermittlung der

(13)

Ananija Schirakazi - ein armenischer Kosmograph des 7. Jahrhunderts 281

Planeten wird sie auf der Erde verbreitet mit Hilfe von Luft und Licht"

(p. 63).

Die Meinung „zweier Kirchenväter", daß die Sonne selbstleuchtend sei, lehnt AS mit allem Respekt ab und glaubt sich darin mit den ,, guten"

Philosophen und der Mehrheit der Kirchenväter einig. Er wendet sich

auch gegen die ,, bösen" Philosophen, welche lehren, daß die Sonne ihre

Wärme ,, durch die Reibung erhält bei ihrer schnellen Bewegung und

diese [Wärme] durch die Luft verbreitet" (p. 78). Dies gemahnt an

Leukippos, der im Zusammenhang seiner auf eine recht modern an¬

mutende Turbulenztheorie gegründeten Kosmogonie sagt, die Gestirne

kämen durch die Schnelligkeit ihrer Bewegung ins Brennen (Diels

67 A 1).

Für die nichtselbstleuchtende und kalte Natur der Sonne bringt AS

ein Beispiel :, ,Wenn du eine Kristallkugel in die Sonne hältst, so bemerkst du dabei, daß die Kugel selbst völlig kühl ist ; aber der von ihr ausgehende

Strahl ist heißer als das Sonnenlicht. Wohin er fällt, dort zündet er.

Denn vom AuftrefFen ihres Strahls entsteht eine Flamme, obwohl die

[Kugel] selbst von Natur kalt ist. Wisse: genau so ist auch die Sonne"

(p. 77).

Auch dieser Gedanke ist vorsokratisch. Philolaos und Empedokles

sprechen von zwei Sonnen. Die uns sichtbare Sonne sei nur eine Reflexion

des Urfeuers in einem glasartigen Körper (Diels 44 A 19: Philolaos;

31 A 56: Empedokles). Von einer Liwsewwirkung finden wir allerdings

in den Texten nichts (Vgl. aber: Capelle 210f. ; Hbath 117).

Bei Empedokles findet sich bereits mehrfach der Gedanke von zwei

Hemisphären — einer dunklen und einer hellen (s.o. ; u. Diels 31 A 30).

Diese Vorstellung von Tag- und Nachthälften des Himmels lehrt auch

AS (p. 75; 94; 100). Man hat aber den Eindruck, daß er sie nur aus der

Literatur übernommen hat, ohne etwas Rechtes damit anfangen zu

können. Immerhin kann sie als weiterer Hinweis auf empedokleische

Quellen seines Weltbildes gelten.

Mit Nachdruck versichert AS, daß Sonne und Mond „große Lichter"

sind, wie die Bibel sagt (Ps. 136, 7). Er versteht diese Größe absolut. Da

Sonne und Mond die ganze Erde gleichmäßig erhellen und stets, auch

bei Auf- und Untergang, unveränderte Abmessungen zeigen, müssen sie

sehr weit entfernt und folglich von ungeheurer Größe sein (p. 84). Ist

schon der Mond größer als die Erde, so übertrifft ihn die Sonne noch

ganz erheblich, da sie noch viel weiter entfernt ist und trotzdem bei einer

Finsternis den Mond um einen schmalen Saum überragt (p. 87). Das

Zustandekommen von Sonnen- und Mondfinsternissen erklärt AS durch¬

aus richtig. Es scheint, daß er einmal selbst eine ringförmig zentrale

Sonnenfinsternis gesehen hat. Gerade solche waren zu seiner Zeit in

(14)

282 WuTFRiED Petbi

Vorderasien verhältnismäßig häufig. In erster Linie ist wohl an diejenige

vom 5. November 644 zu denken, die in Nordpersien und Südarmenien

zentral war (Oppolzer, Bl. 39). Das Datum würde ausgezeichnet zu den

biographischen Angaben stimmen. Eine eigene Arbeit ASs über Soimen-

und Mondfinsternisse ist leider nicht in den kosmographischen Sammel¬

band aufgenommen worden (p. 25).

Wenn die Sonne dem Auge klein erscheint (eine Elle groß), so liegt das

nur an der Entfernung, durch die laut AS nicht nur das Licht, sondern

auch die Sehkraft geschwächt wird (p. 85). Mit „Schwächung der Seh¬

kraft" meint AS wohl speziell die scheinbare Verkleinerung der Gegen¬

stände mit zunehmendem Abstand, womit ja Feinheiten des Bildes ver¬

loren gehen. Diese Probleme der physiologischen Optik und Perspektive

haben ihn offenbar stark interessiert, wenn er sie auch nur qualitativ zu

behandeln vermochte.

Mit verständlicher Schärfe wendet sich AS gegen kultische Verehrung

der Soime, die zu seinen Zeiten sicher noch lebendig war, was bei der

Nähe von Harran in Nordmesopotamien, einer Stätte besonders beharr¬

licher Verehrung der Astralgötter (Widengren 16), nicht verwundert.

Mondkult scheint weniger im Schwange gewesen zu sein. Nur einmal

lesen wir von heidnischen Berichten über ,, Magier", „die durch Zauberei

den Mond auf die Erde herunterkommen lassen" (p. 55). Bei Erklärung

der Mondfinsternisse braucht AS das Bild, wie die Strahlen der Sonne

,, gleichsam aus einem geöffneten Rachen" (p. 87) den Mond treffen. Das

ist eine eigentümliche, aber sicher rein zufällige Umkehrung der alt¬

nordischen Vorstellung von den Finsterniswölfen, die das Licht ver¬

schlingen (vgl. Reuter 292).

8. Sonnenlauf und Kalender

Über die mittlere jährliche (scheinbare) Bewegung der Sonne ist AS

gut unterrichtet, wie aus zahlreichen Hinweisen in seinen Schriften

hervorgeht. Zur Veranschaulichung des dem täglichen Himmelsum¬

schwung entgegen gerichteten Sonnenlaufs übernimmt er von den

Philosophen folgendes Gleichnis : Wenn eine Ameise auf einem Mühlstein

entlangläuft, dessen Drehsinn ihrem Umlaufsinn entgegen gerichtet ist,

so scheint sie sich rückwärts zu bewegen (da der Mühlstein sich schneller

dreht), obwohl sie ständig vorankommt. Dies Bild war nicht nur im

klassischen Altertum bekannt, sondern ist auch aus China bezeugt

(Needham 214; weitere Stellen zum Himmel als Mühle bei Reutek

239ff.). AS nimmt es aber nur als erste Näherung und meint, daß alle

Wandelsterne — also auch Sonne imd Mond, für die es nicht zutrifft —

nach Lehre der Alten, die er sich zu eigen macht, eigentlich Schleifen

(15)

Ananija Schirakazi - ein armenischer Kosmograph des 7. Jahrhunderts 283

am Himmel beschreiben „wie ein auf glattem Boden in Gang gesetzter

Kreisel" (p. 80). Es sieht nicbt so aus, als ob AS sich näher mit Bahn¬

rechnung beschäftigt hätte. Sein praktisches Interesse galt mehr dem

Kalenderwoscn .

Zwei Schriften über das Osterfest und die Theorie des Kalenders sind

leider ,, mangels besonderen Interesses" nicht in den kosmographischen

Sammelband aufgenommen worden (p. 25), wohl aber ein Traktat ,,Über

die Bewegung der Sonne in den Sternbildern des Tierkreises und den

7 Gürteln, die sie in einer Tagzeit von 365 Tagen und 3 Stunden vollendet"

(p. 96—99). Dort ist die Zeit, die die Somie in jedem Tierkreiszeichen

verweilt, zu „30 Tagen, 5 Stunden und 4 Minuten" = „365 Tagstunden

imd 4 Minuten" angegeben. Hierbei handelt es sich nicht um unsere

Stunden und Minuten, sondern, wie die Nachrechnung ergibt, die

t3l)ersetzer aber nicht vermerkt haben, um Doppelstunden (ä 120™),

die in 16 ,, Minuten" (ä 7,5°») geteilt sind.

Während die Doppelstunden seit den Babyloniern bekannt sind (vgl.

Ginzel I, 122) und sich besonders in der astrologischen Praxis lange

gehalten haben, ist die „Minuten"teilung ungewöhnlich. Eine gewisse

Parallele bietet vielleicht die chinesische Unterteilung der Doppelstunde in 8 k'o (ä 15"") (Ginzel I, 465). In Indien ist das Octal-System für

Längenmaße gebräuchlich (Kiepel 331); bei Zeitmaßen wird nur

gelegentlich von einer Unterteilung des prärf.a (wörtlich : Atemzug ; ä 4^)

in 8 und wieder 8 Einheiten berichtet (Ginzel I, 340 n. 1).

Nach Umwandlung in unsere heutigen Einheiten ergibt sich: AS

rechnet mit dem gewöhnlichen Julianischen Jahr zu 365'i 6^, wonach die

Sonne in jedem Tierkreiszeichen 30<i 10^ 30™ verweilt. Die weiteren

Daten des Traktats haben wir — unter Fortlassung aller astrologischen

Angaben — in einer Tabelle zusammengefaßt.

Datum des Sonnenointritts Tagstunden/ Zeiehen und

(christlich) (jüdisch) Nachtstunden Stemzahl

März 20 [Oh Nacht] ,, Sohaltmonat" 4 12/12 Widder 16

April 21 101 Tag lar 1 13/11 Stier 12

Mai 20 8>i Nacht [Siwan] 1 14/10 Zwillinge 12

Juni 20 6h Tag Tamus 1 15/ 9 Krebs 17

Juli 19 24h Nacht Aw 1 14/10 Löwe 13

Aug. 19 2h Tag Hon 1 13/11 Jungfrau 13

Sep. 18 12h Tag Tschrin 1 12/12 Waage 12

Okt. 19 10h Nacht Machschrwan 1 11/13 Skorpion 12

Nov. 17 7h Morg. Kas -chew 1 10/14 Schütze 20

Dez. 17 6h Nacht Tibet 3 9/15 Steinbook 12

Jan. 19 4h Tag Sehbat 4 10/14 Wassermann 31

Febr. 17 2h Nacht Adar 4 11/13 Fische 17

(16)

284 WiNTRiED Petri

Die sohematische Zuordnung des jüdischen Mondjahres zum Sonnenjahr

ist überraschend und verwirrend. Einige hebräische Monatsnamen sind

auch korrumpiert (HJlOH f. ViVs; TUipHH f . •'iBfn ; MaxlupBaH f. ■p2>ma;

KacxeB f. i"?D3 ; CHBaH scheint in der Vorlage zu fehlen). Der erste Monat

kann nur Nisan sein. Im Text steht ohne Nennung eines Namens einfach

„Schaltmonat". Deshalb haben die Übersetzer an Adar II gedacht

(n. 52), der aber nur in jüdischen Schaltjahren zu 383—385 Tagen auf¬

tritt. Der „eigentliche Schaltmonat" (Ginzel II, 86) ist immer Adar I,

der am Ende der Liste steht. In gewöhnlichen Jahren hat er 29 und in

Schaltjahren 30 Tage. Immerhin liegt eine mittlere Jahreslänge von

365'! 6h auch dem gebräuchlichen jüdischen Tekupha-Schaltzyklus zu¬

grunde, der zur Zeit ASs längst eingeführt war (Ginzel II, 96; 70).

Von ungleicher Länge der Jahreszeiten erfahren wir nichts. Aus den

— stark abgerundeten — Angaben über die Variation der natürlichen

Tageslänge (in 24- Stunden-Teilung, nicht in Doppelstunden!) folgt ein©

geographische Breite von -f 41" 21', wenn man 15 Stunden als Maximum

für die Sommersonnenwende selbst annimmt und nicht als Mittelwert

über einen Monat. Der Unterschied ist aber nicht wesentlich. Auf jeden

Fall werden wir in den Raum Trapezunt-Tiflis geführt und nicht nach

Mesopotamien oder Alexandria, wie bei kritikloser Übernahme fremden

Materials nicht verwunderlich wäre. Die Sternzahl der Tierkreisbilder

wurde schon früher kurz besprochen.

9. Mond und Planeten

AS vermeidet es, sich über die Substanz des Mondes festzulegen, da

sie — ebenso wie die der Sonne (s.o.) — nur dem Schöpfer bekannt sei.

Nach den „Alten" ist der Mond dicht, fest, rein und kugelförmig. Seine

Oberfläche ist nicht glatt, wie die mit dem Auge erkennbaren Flecken

zeigen, welche nach einer den Kirchenvätern bekannten Meinung auch

eine Spiegelung der Gebilde auf der Erdoberfläche sein können (p. 72).

Mit der Mehrheit der Kirchenväter (und vielen Vorsokratikern : Diels

III s.v. oeXyivt]) nimmt AS — bei zwei entgegenstehenden Meinungen —

an, daß der Mond kein Eigenlicht hat (p. 71). Über Phasen und Finster¬

nisse ist er gut unterrichtet (p. 75; 87). Wenn es heißt, daß der Mond im

Westen aufgehe (p. 92), so ist sicher der heliakische Untergang gemeint,

wobei das Neulicht abends im Westen beobachtet wird. Ebbe und Flut

bringt er mit den Mondphasen zusammen, kennt sie aber nur vom

Hörensagen. Er berichtet darüber im Anschluß an Phänomene, die den

„feuchten Charakter" der Mondes bekunden sollen (p. 74).

Kometen und Meteore erwähnt AS nirgends. Die eigentlichen Planeten

spielen in der ,, Kosmographie" nur eine Nebenrolle. Sie werden nicht

(17)

Ananija Schirakazi - ein armenischer Kosmograph des 7. Jahrhunderts 285

nur in der von den Wochentagen her geläufigen Reihenfolge angeführt

(p.91), sondern auch (p. 53f.): Mars, Merkur, Jupiter, Venus, Saturn.

Die ptolemäische Reihenfolge hegegnet uns nirgends. Unmittelbar im

Anschluß an die Planeten spricht AS noch von zwei Sternen, deren Be¬

deutung unklar ist. Die betreffende Stelle lautet :

,, Bezüglich des Sterns Zhamadüak sagt man, daß er Ordnung unter

sie (die Sterne) bringt und die Grundlage des ganzen Weltgebäudes

ist. — Hinsichtlich des Sterns Masarowt sagt man: Wenn er den

Himmel durchschneidet (kulminiert?) und ganz von Glorie erfüllt ist,

das heißt wenn mit ihm zusammen gute Sterne zu sehen sind, dann

wird, wer in jener Stunde geboren wird, unbedingt als König herrschen"

(p. 54).

Bei dem zuerst genannten Stern könnte man wegen seines funda¬

mentalen Charakters an den Polarstern denken, wie schon die Über¬

setzer getan haben. Aber auch sie können den Namen nicht erklären

(n. 25), der uns einen recht indo-iranischen Eindruck macht. Der zweite

Name geht, wie die Übersetzer richtig vermuten (n. 26), sicher auf das

Hebräische zurück (Hiob 38, 32: riinj»; vgl. 2. Reg. 23,5: Hi'?«). Die

Bedeutung des hebräischen Wortes ist umstritten (siehe Gesenius 412.)

Etymologisch scheint uns die Verbindung mit dem arabischen Wort für

die Mondstationen (JjlH) zwingend zu sein. Sachlich muß aber etwas

anderes dahinterstecken.

Bei der Beschreibung der Sphären war die Rede von den beiden

,, Sternen um die Sonne", die auch die ,, Sonnetragenden" heißen und

sich in der gleichen Sphäre befinden wie die Sonne selbst (p. 94). Wir

haben also bei AS außer Sonne, Mond und den 5 eigentlichen Planeten

noch 2 weitere ,, Sterne", deren Bedeutung offensichtlich verschollen ist.

Nun ist in der indischen und der ihr folgenden tibetischen Astronomie

und -logie eine Neunzahl von Planeten wohlbekannt, indem noch die

beiden Mondknoten Rahu und Ketu hinzugezählt werden (Kiefel 141).

In dem Religionssystem des Kalatschakra spielen sie sogar eine dominie¬

rende Rolle. Hierüber wird einmal gesondert zu handeln sein. An dieser

Stelle sei aber die Vermutung ausgesprochen, daß eine der Wurzeln der

Nachrichten ASs von den beiden zusätzlichen Himmelskörpern, die im

Zusammenhang mit den bekannten Planeten und der Sonnensphäre

genannt werden, auf indischem Boden zu suchen ist, sofern nicht gar eine

gemeinsame Entlehnung aus noch unbekannter,, vielleicht iranischer,

Quelle in Betracht kommt. Im übrigen könnte die Formulierung von den

,,zwei Sternen um die Sonne" auf den visuellen Eindruek zweier Neben¬

sonnen zurückgehen, der jenen eifrigen Beobachtern himmlischer „Vor¬

zeichen" sicher nicht entgangen ist.

(18)

286 WnsTPBiBD Petri

10. Erde und Mensch

Was AS über die Erde schreibt, ist unbefriedigend, zum Teil wider¬

sprüchlich und hat schon zu Kontroversen Anlaß gegeben (p. 9), weil

zwischen all den Zitaten aus weltlicher und geistlicher Literatur der

eigene Standpunkt des Autors im Dunkel bleibt. Immerhin scheint AS

persönhch überzeugt gewesen zu sein, daß die Erde kugelförmig ist und,

wie schon sein Vorgänger Egische lehrte (p. 19), in einem Gleichgewichts¬

zustande schwebt, der sowohl durch die Schnelhgkeit des Himmels

Umschwungs wie auch durch einen die Erde von unten her stützenden

Luftwirbel aufrechterhalten sein soll (p. 43). Das Psalmwort, wonach die

Erde auf Wasser gestützt ist (Ps. 24, 2), macht AS große Schwierigkeiten,

aus denen er sich nur mit dem Hinweis auf die göttliche Allmacht heraus¬

windet (p. 4.5). Solcher Fälle gibt es in der ,, Kosmographie" mehrere.

Über die Vorstellung von der Erde als Ei(dotter) war schon gesprochen.

Ein besonderes heikles Problem war die Existenz von Antipoden. Die

heidnischen Philosophen bejahten sie, weil der Sonnenschein auch dann

einen Zweck erfüllen müsse, wenn bei uns Nacht ist. Dem hält AS ent¬

gegen, daß es schon auf unserer Hemisphäre große Flächen gibt, wo die

Sonne ,, nutzlos" scheint (p. 45). Nach Propheten, Bibel und Kirchen¬

lehrern gibt es keine Antipoden. Dabei beruft AS sich noch auf ein be¬

sonderes Erlebnis :

„Als ich eines Morgens in der Kapelle des heiligen Eugen betete und

meine Gedanken von diesen Fragen absorbiert waren, übermannte mich

der Schlaf. Mir war, als sähe ich, wie die Sonne beim Aufgang sich neigte

und auf die Erde herabkam. Ich warf mich ihr entgegen und schloß sie

in meine Arme. Es war ein bartloser, goldlockiger Jüngling, dessen

Lippen mit Gold gesalbt waren. Er war in weiße, strahlende Gewänder

gekleidet, und aus seinem Munde kam ein blendendes Licht. Ich sagte zu

ihm: 'Schon lange wollte ich von dir ein Wort hören. Wohlan, verkünde

mir nun, wem du Licht gibst, wenn du dich vor uns verbirgst. Gibt es

andere Wesen unter dem Grunde der Erde oder nicht?' Er sagte: 'Es

gibt keine. Aber ich leuchte unbelebten Bergen, Schluchten und Höhlen'."

(p. 46)

AS erzählte den Traum seinem Lehrer Tychik und erhielt den milden

Vorwurf: „Warum hast du mich nicht gefragt ?". Tychik verwies auf den

Hiob-Kommentar des Amphilochos, woraufhin AS seine Loyalität

gegenüber der Kirchenlehre nochmals beteuerte.

ASs Schriften enthalten noch mancherlei über sublunare, irdische

Erscheinungen, wie die Verdunstung des Meerwassers durch Wind tmd

die Entstehung von Blitz und Donner. Erwähnt seien wenigstens noch

die vielen Vorzeichen, welche in dem unterschiedlichen Zustand der

Atmosphäre und den dadurch bedingten Sichtverhältnissen der Himmels-

(19)

Ananija Schirakazi - ein armenischer Kosmograph des 7. Jahrhunderts 287

körper zum Ausdruck kommen sollen (p. 73; 108 fF.). AS erkannte wohl

auch eine Art Mundan-Astrologie an, wie die Listen der Zuordnung von

Planeten tmd Tierkreiszeichen zu Elementen, Winden, Ländern usw.

zeigen, auch wenn sie nur referierend gehalten sind (p. 52fif. ; 91 f. ; 95 ff.).

Seine entschiedene Gegnerschaft galt der Nativitäts-Astrologie und dem

astralen Schicksalswahn, die mit der göttlichen Allmacht und der

menschlichen Willensfreiheit unvereinbar sind (p. 56; 59).

Jedenfalls war AS kein Enzyklopädist und Polyhistor des rein abend¬

ländischen Typs. Was ihn interessant macht, sind nicht die Lesefrüchte

aus der hellenistischen und patristischen Literatur, sondern das sich

gelegentlich abzeichnende Milieu — im wörthchen Sinne eine Mischung —

von vorsokratischer, insbesondere empedokleischer, Weltbetrachttmg

und iranischen Grundkonzeptionen wie der Verabsolutierung des

Empyreums, die wir als ,, halbierten Dualismus" gekennzeichnet haben

nnd die in die Nähe des Manichäismus weisen. Bei der Spärlichkeit von

zugänglichem Quellenmaterial aus dem byzantinisch-iranischen Grenz¬

gebiet in der Zeit immittelbar vor dem Arabersturm sind solche Zeugnisse

von besonderem kulturhistorischem Werte.

An einer Stelle verläßt AS völlig den Boden des klassischen und

christlichen Denkens. Sie lautet: ,,Die Luft ist kühl und das Licht

ein Teil des Sonnenfeuers ; dank diesen beiden feinen und losen Elementen wird die Erde, unter Vermittlung des Meerwassers, zur lebenschaffenden

Ursache der Pflanzen und Baumgeschlechter, der beweglichen Arten

beseelter Tiere, aller Kriech- und Landtiere, der Vögel und Fische, der

Raub- und [zahmen] Tiere, des Schwindens und Wachsens, des Ver¬

gehens des Körpers, der Fülle und des Mangels an Gehirn (MOsr; kann

auch ,, Verstand" bedeuten) bei Tieren und Menschen, aber auch des

Blutes und der Atmung —■ Entstehen und Vergehen. Denn Entstehen

ist der Anfang des Vergehens, und Vergehen seinerseits ist der Anfang

des Entstehens; und aus diesem unvergänglichen Widerspruch erlangt

die Welt Ewigkeit" (p. 63).

Dieser Gedanke der kausalen Verknüpfung von Entstehen und Ver¬

gehen in einem endlosen unpersönlichen Weltprozeß ist rein indisch,

wenn ihm auch frühe griechische Denker wie Herakleitos nahegekommen

sind (vgl. Diels 22 A 1 und 22 B 62). Er hat seinen klassischen Ausdruck

gefunden in dem altbuddhistischen Satz von der bedingten Entstehung

{paticca-samuppäda, vgl. Nyanatiloka 162 ff.), derdie successive Bedingt¬

heit von Geburt und Tod ausspricht, ohne freilich eine naive Seelen¬

wanderung zu behaupten. Auf christlichem Boden konnte eine solche

Lehre niemals Anerkennung finden, und der Sturm des Islam, den AS

noch erlebt hat, setzte auch ihren Ausstrahlungen in Iran und Armenien

ein Ende.

(20)

288 WiNTBiED Petri, Ananija Schirakazi

11. Literatur

Ananija Schirakazi, Kosmografija. Übersetzung aus dem Altarmenischen,

Vorwort und Anmerkungen von K. S. Tbr-Dawtjan und S. S. Arewschat-

jana. Verlag der Akademie der Armenisohen Sozialistischen Sowjet-

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F. K. Ginzel, Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie.

Bd. 1 u. 2. Leipzig 1906 u. 1911.

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W. Kirfel, Die Kosmographie der Inder. Boim u. Leipzig 1920.

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Th. V. Oppolzer, Canon der Finsternisse. Wien 1887.

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L. DE Saussure, Les origines de l'astronomie chinoise. Nachdruck Paris o.J.

D. O. Swjatskij, Abriß der Geschichte der Astronomie im alten Rußland.

Teil 1. In: Historisch-astronomische Untersuchungen, Bd. 7. Hrsg.:

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G. Widengren, Mani und der ManicJiäismus. Stuttgart 1961.

H. Zimmer, Maya, der indische Mythos. Stuttgart u. Berlin 1936.

(21)

Drei moderne Texte zum persischen „Wettreden"

übersetzt von Feitz Meiee

Mit Anmerkungen von Richaed Geamlich

Vorbemerkimg des Übersetzers: Tm Jabre 1959, in Persien, wurde ioh

aufmerksam auf eine Arbeit von Muhammad Öa'fab-i Mahöüb über das

„Wettreden" in der persischen Zeitschrift Suhan, Jg. 9, 1337/1958, Nr. 6,

S. 530—35, Nr. 7, 631—37, Nr. 8, 779—86. Beim Wettreden (suhanivari)

handelt es sich um Veranstaltungen einer besonderen Gilde, die sich aus

Angehörigen der verschiedensten Berufe zusammensetzt, aber ursprünglich

oder wenigstens in einer bestimmten Phase ihrer Entwicklung eine Art

Bildungsausschuß von 17 (nach andern 44) Berufsgilden dargestellt zu haben

scheint. Die Rednergilde hieß offiziell , .Affiliation der Perser" (süsila-i 'A^am) oder , .Armut der Perser" (Faqr-i 'Agam) und umfaßte eine Hierarchie von sieben Graden, deren obersten ein , .Vorsteher" (naqlb) bekleidete. In jeder größeren Stadt gab es solche Gilden. Die Oberaufsicht über sämtliche

Rednergilden im Lande, aber nieht nur über sie, führte zur Qägärenzeit ein

,, Generalvorsteher" (naqlb ul-mamalik), der selbst nicht Mitglied zu sein brauchte, aber doeh auoh die Interessen seiner Schützlinge vertreten konnte.

Das einzelne Mitglied der Gilde, das sonst seinem Beruf nachging, schlug nun

zu gegebener Zeit in einem Kaffeehaus eine Bühne auf und versuchte vor

versanunelter Zuhörerschar mit einem andem Mitglied in einen Rodewett-

kampf zu treten. Während des Duells verlangte der eine dem andem die

einzelnen Kleidungsstücke, die er trug, ab, und dieser hatte sie durch einen

antwortenden Redevortrag wieder zurüekzugewiimen. Die Reden bestanden

in Gedichten und in metrischen Tcvtyr) (bahr-i tavnl). Die Vorgänge wären im

einzelnen noeh genauer zu erfassen, als das in der folgenden Abhandlung ge¬

sehehen ist, aber es ist das bleibende Verdienst von Muhammad Öa'fab-i

Mahöüb, die ersten eingehenden Informationen über die nurunehr ganz oder

fast ganz ausgestorbene Übung gesammelt und den Blick der Forscher darauf

gelenkt zu baben. 1958 veranstaltete die ,, Gesellschaft der Freunde des

Wortes" (anguman-i düstdärän-i suhan) im Gästehaus der Universität

Teheran ein künstliches Wettreden. Man baute die herkömmliehe Bühne

(sardam), und nach einer einführenden Erklärung von Mahöüb lieferten sich

ein Mahdi Hägg 'Ali Akbari und ein ungenannter Jüngerer eine Redesehlacht

alten Stils (Mitteilung und Lichtbild des Podiums mit den beiden Partnern

in Suhan 9, 1337, Nr. 7, S. 715). Die Einrichtung hat große volkskundliche,

soziologische und literarisehe Bedeutung und weist Berühnmgspunkte auf

mit den Sängerwettstreiten in der Türkei, über die Hellmut Ritteb auf

Grund eines Aufsatzes von Fuat Köpbülü in Orientalia I (tstanbuler Mit¬

teilungen, Heft I, Istanbul 1933) gehandelt hat; in Persien geht es aber nur

um Rede, nicht um Musik.

Da die Zeitschrift Suhan nicht überall gelesen wird und auch Forscher, die

des Persisohen nicht mächtig sind, mit der Sitte bekannt gemacht werden

sollten, hielt ich es für richtig, den Aufsatz zu übersetzen. Herr Mahöüb war

so freundlich, mir Fragen zu beantworten, imd brachte auch einige Ver¬

besserungen zu seinem Aufsatz an, so daß die Übersetzung, so wörtlich sie sonst 20 ZDMG 114/2

Referenzen

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