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Archiv "Umweltthema im September – Luftbelastungsindex: Komplexere Aussagen über die Luftqualität" (04.10.1996)

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Die Umweltkarte wird in diesem Monat ergänzt, indem nicht die Luft- belastung durch einen einzigen Schad- stoff dargestellt wird, sondern durch mehrere. Die vorangegangene Erstel- lung eines „Luftgüte-Index“ ermög- licht einen schnellen Überblick zur Gesamtbelastungssituation. Bei dem Luftgüte-Index handelt es

sich nicht um eine bun- deseinheitliche, verbindliche Regelung, sondern um eine sinnvolle Ergänzung bisheri- ger, auf einen Schadstoff be- zogener Auswertungen. Der Grundgedanke kommt aus den angelsächsischen Län- dern. Dort wurde bereits 1972 vom Maryland Depart- ment of Transport ein Index zur Bewertung der Ozonsi- tuation herausgegeben.

1975 wurde ein „air pol- lution index“ in New Jer- sey/USA entwickelt. Die Begründung hierfür ist ame- rikanisch einfach: Man woll- te Laien einen schnell und einfach zu erfassenden Überblick über die Luftqua- litätssituation geben, ohne daß sie Kenntnisse über Grenzwerte haben mußten.

Dieser Index wurde 1977 durch eine „Federal Inter- agency Task Force on Air Quality“ für die gesamte USA angepaßt und für die tägliche Arbeit freigegeben.

In diesen Index wurden die Stoffe Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Stickstoff- dioxid, Ozon und Schweb- staub zur Feststellung der aktuellen Luftqualität ein- bezogen. Um zu einer leicht verständlichen Interpretati- on der Luftqualität zu kom-

men, wurden verschiedene Bewer- tungsklassen von „gut“ bis „gefähr- lich“ gebildet, die täglich in den Medi- en veröffentlicht wurden. Dieser In- dex wurde dann in verschiedenen Staaten weiterbearbeitet und zum Beispiel den metereologischen Ver- hältnissen angepaßt.

Im Prinzip funktionieren aber al- le diese Indizes gleich, da immer eine Beziehung zwischen dem täglichen Meßwert je Schadstoff und dem dazu- gehörenden Grenzwert hergestellt wird. Je näher die beiden Werte zu- sammenliegen, um so ungünstiger die Luftqualität. Dieses Verfahren wird bei der Indexberechnung für alle aus- gewählten Luftschadstoffe gemein- sam durchgeführt. Am Ende steht ein Wert, der sich aus den Verhältnissen von tatsächlicher Luftverschmutzung und jeweiligen Grenzwerten zusam- mensetzt und den man qualitativ-sta- tistisch klassifizieren kann – nach Klassen von „gut“ bis „gefährlich“.

Der Luftbelastungsindex (LBI) berechnet sich aus den jeweils vier höchsten Schadstoffkomponenten von fünf Luftschadstoffen: Ozon, Kohlenmonoxid, Stickstoff- dioxid, Schwefeldioxid und Schwebstaub (siehe Kasten).

Zu jeder Indexberechnung gehört auch eine Bewer- tungsskala. Diese wurde der im Kasten angeführten Lite- ratur entnommen:

lLBI (Luftbelastungs- index) 0 – 0,4 = kaum bela- stet,

l LBI 0,5 – 0,9 = schwach belastet,

lLBI 1,0 – 1,4 = mäßig belastet,

lLBI 1,5 – 1,9 = deut- lich belastet,

l LBI > 2 = erheblich belastet.

Zur Zeit ist eine Ar- beitsgruppe der „VDI-Kom- mission Reinhaltung der Luft“ dabei, in Absprache mit Umweltmedizinern und Ingenieuren eine Verbesse- rung und Vereinheitlichung eines Luftqualitätsindex zu erreichen, da es in manchen Bundesländern „Eigenent- wicklungen“ solcher Indizes gibt, die die direkte Ver- gleichbarkeit untereinander nicht zulassen.

Sicherlich geben Bewer- tungskriterien für einen In- dex immer Anlaß zur Dis- kussion. Eine Vielzahl von Schadstoffen zur Beurtei- lung der Luftqualität heran-

A-2537 Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 40, 4. Oktober 1996 (35)

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE

Umweltthema im September

Luftbelastungsindex:

Komplexere Aussagen über die Luftqualität

Eine erhebliche Luftbelastung mit Indexwerten weit über zwei wurde im August für die östlichen Landesteile ermittelt. Neben Kraftwerken, oft Verursacher von hohen Schwefeldioxid- und Schwebstaubeinträgen, bedingten Ferneinträge aus den Industriegebieten in Böhmen eine zusätzliche Beeinträchtigung der Luft.

Luftqualitätsindex in Deutschland im August 1996

(Monatsmaximalwerte)

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D

ie Gefahr besteht, daß aus den alten Fehlern nicht gelernt wird und schlechte Lösungen durch noch schlechtere er- setzt werden. Real verdient der deut- sche Arbeiter fast doppelt soviel wie der englische und hat dreimal soviel Urlaub wie der amerikanische. Den- noch ist Deutschland – noch – der zweitgrößte Exporteur der Welt. Des- halb galt bisher die Bundesrepublik als Musterschüler eines guten So- zialmodells. Dieser Erfolg ist beacht- lich, viele beneiden uns darum. Hoher Lebensstandard, gesicherte Arbeits- plätze, stabile Währung und sozialer Friede können als ein Maßstab für die Prosperität von Wirtschaft und Ge- sellschaft gelten. Sollte es wirklich nicht möglich sein, diesen Kurs er- folgreich weiter voranzutreiben?

Vier Millionen Arbeitslose, Ar- beitsplatzexport und mangelnde In- vestitionen werden vor allem den ho- hen Lohnnebenkosten zur Last ge- legt. Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) besteht offenbar die größte Manövriermasse.

Was für die Gesundheit wirklich notwendig ist, bleibt häufig unscharf.

Dies gilt nicht nur für Diagnostik und Therapie, mehr noch für die Handha- bung der Arbeitsunfähigkeit. Hohe Krankenstände sind der Wirtschaft ein Dorn im Auge, die Aufwendun- gen der Unternehmen für Entgelt- fortzahlung im Krankheitsfall erhöh- ten sich von 1970 auf 1993 von 12,5

auf 42,8 Milliarden DM, das Kran- kengeld stieg von 2,3 auf 12,2 Milliar- den DM. Die Lohnfortzahlung ent- spricht vier Prozentpunkten des Bei- tragssatzes zur GKV.

Es lohnt ein Blick auf die Brutto- lohnfortzahlungen der Nachbarlän- der:1 Frankreich: 1. bis 30. Tag 90 Prozent, 31. bis 90. Tag 67 Prozent;

1 Niederlande: 3. bis 42. Tag 100 Prozent (bei Betrieben über 14 Beschäftigte);

1 Spanien: vom 4. bis 15. Tag 60 Prozent;

1 Schweden: führte Karenztage wieder ein, Arbeitnehmer bekommen am 2. und 3. Tag 75 Prozent, danach 14 Tage 90 Prozent.

In den progressiven Niederlan- den soll die gesetzliche Krankenversi- cherung praktisch abgeschafft wer- den, der Arbeitgeber kann sich privat gegen den Krankenstand seiner Mit- arbeiter versichern.

Vordergründige Sozialpolitik

Schlechte Sozialpolitik zeichnet sich dadurch aus, daß sie einfache Dinge kompliziert, billige teuer und Selbstverständliches zum Problem macht. Darin war das Bundesministe- rium für Arbeit und Sozialordnung in den letzten Jahren Weltmeister. Weil die Kosten für die stationäre Pflege in

A-2538 (36) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 40, 4. Oktober 1996

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE/AUFSÄTZE

Lohnfortzahlung im Krankheitsfall

Bestraft werden die Falschen

Karl-Heinz Weber

Wenn die Kassen des Sozialstaates leer sind, ist der Katzenjammer groß. Spenda- ble Wahlgeschenke und Fehlkonstruktionen in der Sozialversicherung führen zu unliebsamem Erwachen und beunruhigen den Bürger. Solidarische Absicherung gegen die Wechselfälle des Lebens stand an der Wiege der deutschen Sozialversi- cherung vor mehr als 100 Jahren. Unter der bürokratischen Eigendynamik großer Institutionen wankt das System, das auf dauerndem Wachstum und Selbstdisziplin von Anbietern und Nachfragern beruht. Beschwichtigend wird von Umbau statt von Abbau des Sozialstaates gesprochen, um die Wahrheit zu vertuschen.

zuziehen erscheint aber sinnvoll, da man nicht mit jedem „Atemzug“ ei- nen einzelnen Schadstoff aufnimmt, sondern alle in der Luft vorhandenen.

Dennoch läßt sich über das Wirkungs- gefüge der einzelnen Schadstoffe im Körper vielfältig diskutieren, ebenso wie über die Bewertung der Indizes mit Hilfe von einfachen qualitativen Klassen.

Ein häufiger Kritikpunkt sollte noch genannt werden: Die Bezie- hungssetzung zum jeweiligen TA- Luft-Wert erscheint nicht sinnvoll, da die Technische Anleitung Luft eine rein anlagenbezogene Verordnung ist und somit kaum auf die „Hinter- grundbelastung“ eingehen kann.

Trotz allem ist die Bewertungsskala aber eine Basis, von der aus man ar- beiten kann. Diskussionen in Fachzei- tungen über den veröffentlichten

„Luftbelastungsindex“ haben zudem die Bemühungen verstärkt, den Index zu vereinheitlichen und zu verbessern.

Prof. Dr. med. Heyo Eckel Prof. Dr. med. Ulrich Hüttemann Dr. rer. nat. Claus Rink

Rückfragen zur Karte: Georisk GmbH, Schloß Tür- nich, 50169 Kerpen, Tel 0 22 37/6 12 22

Rückfragen zum Text: Dr. Claus Rink, Fax 0 22 71/9 17 25, e-mail 100526.2351@compuserve.

com, e-mail: Rink. UDS.enviroreport-@t-online.de

Indexberechnung –Wie aus den Formeln ersichtlich, werden in Deutsch- land drei Arten des Luftbelastungsindex unterschieden (nach Baumüller, J., Kapitel

„Immissionen“, in: VDI [Hrsg.], Stadtkli- ma und Luftreinigung, 1988):

Jahresmittelwert des Schadstoffes Langzeitgrenzwert

des Schadstoffes

= LBI1

] [

(

4 i=1

Langzeitbelastungsindex:

Tagesmittelwert des Schadstoffes VDI-MIK-24-h-Wert

des Schadstoffes

= LBI24

[ ]

(

4 i=1

Tagesbelastungsindex:

98%-Wert des Schadstoffes Kurzzeitgrenzwert

des Schadstoffes

= LBI2

[ ]

(

4 i=1

Kurzzeitbelastungsindex:

(3)

den letzten 15 Jahren ohne angemes- sene Leistungsverbesserung viel mehr als die allgemeinen Lebensko- sten gestiegen waren, mußte eine Pflegeversicherung her. Um deren Kosten zu finanzieren, wurde auch ei- ne Verschärfung der Voraussetzun- gen für die Arbeitsunfähigkeit vorge- sehen.

Der angebliche Mißbrauch soll bekämpft werden durch:

1 Überprüfung der Arbeitsun- fähigkeit schon in den ersten sechs Wochen;

1 Verankerung des Rechts der Arbeitgeber, unmittelbar eine Über- prüfung der Krankmeldung durch die Krankenkassen oder direkt durch den Medizinischen Dienst (MDK) vor- nehmen zu lassen;

1 arztbezogene Stichproben- prüfung durch die Krankenkassen;

1 Konsequenzen gegenüber Ärzten, die leichtfertig krank schrei- ben, beispielsweise durch Verpflich- tung zum Schadenersatz durch den Arbeitgeber;

1 Verpflichtung aller Arbeit- nehmer, die Arbeitsunfähigkeit un- verzüglich zu melden;

1 Recht des Arbeitgebers, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon früher zu verlangen;

1 strengere Anzeigepflichten bei Erkrankungen im Ausland.

Das alles ist nicht neu und gehört seit Jahrzehnten zum Alltag des nie- dergelassenen Kassenarztes. Die Prü- fungsausschüsse der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) sind verpflich- tet, überhöhten Quoten bei den Ärz- ten nachzugehen. Sie beurteilen das Gesamtverhalten des Arztes. Dazu gehören Diagnose- und Therapieum- fang, Arzneimittelverbrauch, Zahl der Krankenhauseinweisungen und natürlich auch Häufigkeit und Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Die dort praktizierten Methoden und Kontrol- len zur Kostendämpfung erwiesen sich anderen Verfahren überlegen, wie die niedrigen Zuwächse im ambu- lanten Bereich zeigen.

Die Bundesregierung hat ein 50- Punkte-Programm zur Verbesserung der Wirtschaftsdaten vorgelegt; die Lohnfortzahlung soll auf 80 Prozent für alle Beschäftigten einschließlich der Beamten reduziert werden. Der dadurch zu erwartende Ärger mit den

Gewerkschaften steht in keinem Ver- hältnis zum Erfolg.

Bei der Definition der Arbeits- unfähigkeit überschneiden sich so- zialmedizinische, ökonomische und ethische Gesichtspunkte wie bei kaum einem anderen Sozialverhalten.

Die Statistiken der Betriebskranken- kassen (BKK) sind dabei besonders aufschlußreich. Im Jahr 1992 war ein Pflichtmitglied der BKK in den west- lichen Bundesländern im Durch- schnitt 24, in den östlichen 15 Tage krank. Die häufigsten Er-

krankungen sind Muskel- und Skeletterkrankungen (32,5 Prozent) sowie Er- krankungen der Atemwe- ge (17 Prozent). Differen- ziert nach den verschiede- nen Berufsgruppen stehen mit jeweils 28 Fehltagen in Westdeutschland die Ver- waltungen und Verkehrs- betriebe an der Spitze, ge- folgt von den Bundesun- ternehmen Bahn und Post mit jeweils 27 Tagen. Diese Unterschiede sind durch rein medizinische Befunde kaum zu erklären. Nicht die medizinische Praxis der Krankschreibung, sondern

die Merkmale und arbeitsrechtlichen Privilegien des öffentlichen Dienstes sind das Problem. Der Staat kann nicht pleite gehen.

Kurzzeit- erkrankungen

Die Krankschreibungen vari- ieren im Wochenverlauf: 34 Prozent beginnen am Montag, und 45,2 Pro- zent enden am Freitag. Diese Zahlen könnten leicht den Eindruck er- wecken, als wäre der „blaue Montag“

besonders beliebt. Dies ist falsch.

Denn gerade die häufigsten Krank- heiten Grippe und Rückenschmerzen entwickeln sich in ein bis zwei Tagen.

Von Freitagnachmittag bis Montag- morgen entstehen sie statistisch zwangsweise häufiger als über Nacht.

Die Entscheidung, ob eine Bagatell- erkrankung vorliegt, fällt gerade bei den häufigen Krankheiten erst nach wenigen Tagen. In der akuten Phase der meisten Krankheiten kann der

Arzt die begehrte Krankmeldung in der Regel nicht verweigern. Der Pra- xisalltag zeigt, daß die Verweigerung der Arbeitsunfähigkeit bei Beginn schwierig, bei der Verlängerung leich- ter wird. Die Hemmschwelle, sich krank zu melden, ist erfahrungs- gemäß größer, als die Arbeit rechtzei- tig wieder aufzunehmen. Merkwürdi- gerweise richten sich Kritik und Ver- dacht auf Mißbrauch aber überwie- gend auf die kurzfristigen Arbeitsun- fähigkeitszeiten, die mit 25 Prozent zu

Buche schlagen. Auch hier muß nach Branchen differenziert werden, bevor alle unter einigen leiden.

Werden die Arbeitsunfähigkei- ten der GKV nach Krankheitsgrup- pen, Alter und Geschlecht aufgeglie- dert, fanden sich beispielsweise 1990 auf 10 000 männliche Pflichtmitglie- der jährlich 1 682 Fälle von Rücken- schmerzen mit einer mittleren Krank- heitsdauer von 19,19 Tagen. Das Lumbalsyndrom begründet 20 Pro- zent aller Krankmeldungen (und 50 Prozent aller Rentenanträge). Für Grippe lauteten die Zahlen 936 Fälle mit 8,19 Krankheitstagen. Für beide Leiden sind in den überwiegenden Fällen zwei bis drei Tage Bettruhe und einige Schmerztabletten das be- ste Mittel. Genau diese Bettruhe wird durch Karenztage erschwert. Durch den Verwaltungsakt der Arbeitsun- fähigkeitsbescheinigung wird die Krankheit offiziell, die leichteren Krankheiten werden administrativ eher verlängert als verkürzt. Geht der Grippekranke aus Furcht vor Lohn-

A-2539 Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 40, 4. Oktober 1996 (37)

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Arbeitskampf wegen Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall in Schles- wig-Holstein anno 1956: 16 Wochen Streik

Foto: IG Metall – Zentralarchiv –, Frankfurt/Main

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einbußen zum Dienst, steckt er seine Kollegen, geht er zum Arzt, andere Patienten an. Sozialmedizinisch erhe- ben sich schwere Bedenken, wenn über die Verschärfung der ärztlichen Begutachtungskriterien eine Ein- schränkung der Arbeitsunfähigkeit erreicht werden soll.

Zu häufige Kurzzeitkrankschrei- bungen als Fehlverhalten der Ärzte kommen vor, sie fallen den Prüfungs- gremien der Kassenärztlichen Verei- nigung aber sofort auf und sind selte- ner, als angenommen wird. Aus dem Verhalten einiger sollten gesund- heitspolitisch keine falschen Weichen gestellt werden. Statistisch ist der Nachweis leicht, im Einzelfall für ein Regreßverfahren schwer zu führen.

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sind notwendig und müssen als Teil des Behandlungsplanes akzeptiert werden. Sie sind aber nicht geeignet als Grundlage der Sozial- oder Tarif- politik. Das hieße den Richter zum Staatsanwalt machen zu wollen. Für den Arzt bedeutet der Sozialstaat, daß Heilen und Helfen immer mehr überlagert werden von arztfremden bürokratischen Erfordernissen der Institutionen.

Unwirksame Methoden

Betriebe und Gerichte haben dies längst eingesehen. VW macht un- angemeldet Hausbesuche. Der Versi- cherte findet eine Karte im Briefka- sten, „im Rahmen unserer Fürsorge- pflicht“, die Krankenbesuche aus den dreißiger Jahren wurden wieder auf- genommen. Der Krankenstand sank von 8,4 auf 4,8 Prozent. Aber sicher nicht wegen dieser Kontrollen, son- dern aus Angst um den Arbeitsplatz.

Die Stadt Köln zahlt „Anwesenheits- prämien“, die Firma Beiersdorf (Hamburg) bietet Programme zur be- trieblichen Gesundheitsförderung an (Gymnastik, Antistreßseminare, Rau- cherentwöhnung). Die Teilnehmer erhalten jährlich 520 DM, der Kran- kenstand sank freilich nur von 6,5 auf 6,2 Prozent. Bei Opel/Bochum ist der Krankenstand Teil der Tarifbestim- mungen.

Für die Klein- und Mittelbetriebe kommen solche Modelle kaum in Fra-

ge, sie verlangen eine vernünftige Einbindung von Krankheit und Ar- beitsunfähigkeit in die betriebliche Leistungsfähigkeit. Es muß auch be- zweifelt werden, ob schärfere Kon- trollen durch den MDK effizient sind.

Während der ersten sechs Wochen kommt nur etwa jeder 60., danach nur jeder vierte Arbeitsunfähigkeitsfall zur Begutachtung durch den MDK.

Nach der Übertragung der Feststel- lungsaufgaben der Pflegeversiche- rung gingen die Kontrolluntersuchun- gen zur Arbeitsunfähigkeit weiter drastisch zurück. Das Budget des MDK erhöhte sich ohne Berücksich- tigung der Pflegeversicherung von 275 Millionen (1983) auf 595 Millio- nen (1994). Der Krankenstand dage- gen verlief eher gegenläufig: 4,6 Pro- zent in 1982 und 5,1 Prozent in 1992.

Durch Einschaltung zusätzlicher Behörden werden Kosten und Häu- figkeit der Entgeltfortzahlung nicht beeinflußt.

Das Ergebnis dieser Kontrollen kann auch gar nicht überzeugend sein. Erstens aus Gründen des büro- kratischen Selbstläufertums und zweitens, weil die Krankheitsspektren zeitbedingtem Wandel unterliegen.

So melden etwa die BKK einen dra- matischen Anstieg der Fehlzeiten we- gen Rückenschmerzen. Von 1982 bis

1992 stiegen sie von 512 auf mehr als 800 Arbeitsunfähigkeitstage je 100 Mitglieder. Dies ist weniger durch körperliche Überlastung oder falsche Sitzhaltung als durch zunehmende psychosomatische Verspannungen, vielleicht auch durch zu weit gehende Operationsindikationen mit 30 Pro- zent Restbeschwerden bedingt.

Das Arbeitsrecht sollte klare Vorgaben festlegen, welche Abwe- senheitsquoten für die Betriebe noch zumutbar sind. Diese könnten abhän- gig sein von Größe und Gewinn. Es geht nicht an, daß dem Arzt bei Kurz- zeitarbeitslosigkeit Aussagen zuge- mutet werden, die er nach den Zwän- gen medizinischer Diagnostik und Begutachtung gar nicht machen kann.

Schließlich sei daran erinnert, daß Persönlichkeiten, die den Lauf der Geschichte gestaltet haben, über Jah- re „arbeitsunfähig“ waren (Roose- velt, Mitterrand, Schäuble).

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Karl-Heinz Weber Internist/Betriebs-, Sozialmedizin Parkstraße 8

45478 Mülheim/Ruhr

A-2542 (40) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 40, 4. Oktober 1996

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Mit den sechs Gesetzen, die der Deutsche Bundestag am 13. September ver- abschiedet hat, werden wesentliche Teile des Programms „für mehr Wachstum und Beschäftigung“ umgesetzt. Die Bestimmungen treten zum 1. Oktober 1996 und zum 1. Januar 1997 in Kraft. Sowohl die Entgeltfortzahlung als auch die Krankengeldregelung für Arbeitnehmer wurden eingeschränkt: Bei der Ent- geltfortzahlung im Krankheitsfall für gewerbliche Arbeitnehmer und Ange- stellte wird eine Wartezeit von vier Wochen nach der Aufnahme einer neuen Beschäftigung eingeführt. Die Höhe der Entgeltfortzahlung wird auf 80 Prozent des Arbeitsentgelts festgesetzt. Nach Arbeitsunfällen und bei Berufskrankhei- ten bleibt es bei der vollen Entgeltfortzahlung. Der Arbeitnehmer kann den Entgeltausfall vermeiden, indem er sich für je fünf Krankheitstage einen Tag auf den Urlaub anrechnen läßt. Wenn die Entgeltfortzahlung im Tarifvertrag oder im Arbeitsvertrag eigenständig geregelt ist, gilt die für den Arbeitnehmer gün- stigere Regelung. Die jetzt beschlossenen Gesetzesänderungen werden insofern nur dann greifen, wenn die Tarifbestimmungen geändert werden.

Es wird klargestellt, daß Vereinbarungen zur Berücksichtigung von Fehlzei- ten bei der Bemessung der Höhe von Sondervergütungen zulässig sind. Die Sondervergütung darf für jeden krankheitsbedingten Fehltag nur um höchstens ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, gekürzt werden. – Zum 1. Januar wird das Krankengeld um 10 Punkte von 80 auf 70 Prozent des regelmäßigen Bruttoentgelts, aber nicht mehr als 90 Prozent des Nettoentgelts, gesenkt. – Der Bundestag hat erneut den Vermitt- lungsausschuß angerufen. Dabei geht es unter anderem um die Kürzung der Be- zügefortzahlung für Beamte im Krankheitsfall ab 1. Januar 1997. HC

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-2538–2542 [Heft 40]

Einschnitte bei der Lohnfortzahlung

Referenzen

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