Eine Stärke des Intemats: Zwangloses gemeinsames Aufwachsen,
In der Mittelstufe Salem arbeitet täglich ein Schüler in der Küche,
DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT BILDUNG+ERZIEHUNG
Internat als Stätte der Gemeinschaft
In der Internatsstruktur hat sich ein tiefgreifender Wandel vollzogen, der mit den fundamentalen Verände- rungen korrespondiert, die sich im gesamten gesellschaft- lichen Bereich in den vergan- genen Jahrzehnten vollzogen haben und gegenwärtig noch vollziehen.
Während in der Unterstu- fe die Schülerzahl merklich zurückgegangen ist, erfreut sich das Internat bei Mittel- und Oberstufenschülern gro- ßer Beliebtheit, weil sie häu- fig einen schulischen Neuan- fang suchen. Zudem bietet das Internat — meist in enger Zusammenarbeit mit der Schule — Chancen zur Ent- wicklung spezieller Fähigkei- ten, wobei gerade dem Feld der außerschulischen Bil- dung, wie sie in musischen und sportlichen Neigungs- gruppen verwirklicht wird, ei- ne besondere Bedeutung zu- kommt. Zugleich ergeben sich Möglichkeiten zu einer sinnvollen Freizeitgestaltung.
Besondere Chancen zum schulischen Erfolg sind bei ei- ner sinnvollen Symbiose von Internat und Schule gegeben, vor allem dann, wenn die Prä- fekten zugleich auch als Leh- rer eingesetzt sind.
Das Internat bietet dem jungen Menschen, der seinen begründeten sozialen Stand- punkt sucht, einen Lebens- und Lernbereich für gesell- schaftliche Tugenden, die in einer größeren Gemeinschaft leichter zu erlernen sind als in einer Kleingruppe. So ist das Internat Lernfeld für sinnvol- le Gruppenarbeit, Gesprächs- bereitschaft, kritische Tole- ranz, Rücksichtnahme auf an- dere, Verantwortungsbereit- schaft und freiwilliges Enga- gement. Gerade das partner- schaftliche Zusammenleben ist für den einzelnen wich- tiger als ein noch so gutes theoretisch konzipiertes und organisiertes Erziehungspro- gramm. Denn im Umgang und im ständigen Dialog mit dem Mitmenschen lernt der
junge Mensch zugleich seine eigene Position richtig einzu- schätzen, kommt zur Selbst- erkenntnis, wird mündig. Das an der Gemeinschaft orien- tierte Leben verlangt vom einzelnen das Bemühen um Selbstveranwortlichkeit.
In einem christlichen In- ternat wird der junge Mensch, besonders wenn er von der Familie her kaum mehr als dürftige religiöse Grundlagen mitbringt, ganz bewußt mit dem Glauben konfrontiert, kann er Kirche und kirchliche Praxis konkret erfahren, kann er erkennen, daß eine Synthese von Glau- ben und Kultur, letztlich also eine Synthese von Glauben und Leben möglich ist.
Vor allem im Verhältnis von Internat und Elternhaus hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten ein entscheiden- der Wandel vollzogen: Wäh- rend die Internatserziehung früher oft ganz bewußt von der Familie abgesetzt und isoliert war, vollzieht sich Internatser- ziehung heute in enger Zusam- menarbeit mit und in Ergän- zung zur Familie. Das bedeu- tet in der Praxis, daß auf eine engagierte Teilnahme der Fa- milie am Bildungs- und Ausbil- dungsgang des Jugendlichen größter Wert gelegt wird, da nur so die Zielsetzung des In- ternats in ergänzender Funkti- on zum Elternhaus denkbar und realisierbar ist.
Diese Überlegungen erge- ben, daß die Einrichtung des
Lernen im Heil- und Seeklima
Mit 260 Plätzen hat das Nordsee-Internat in St. Pe- ter-Ording eine überschauba- re Größe. Sein wesentliches Charakteristikum ist die Tat- sache, daß es verbunden ist mit der Realschule der Ge- meinde und dem Nordsee- gymnasium, das pädagogisch als besonders fortschrittlich gilt und das moderne Lehr- mittel wie Schulfernsehen, Sprachlabor und Computer- technik anbietet. Für manche Internatsschüler sind jedoch die klimatischen Verhältnisse die wichtigste Attraktion.
Das alles wird abgerundet durch das vielseitige Angebot des Nordseeinternats zur in- tensiven schulischen Förde- rung und aktiven Freizeitge- staltung. Strandsegeln kann ebenso gewählt werden wie Golf, Sportschießen, Surfen, Reiten und Tennis.
In den sieben nach Alters- stufen und individuellen Be- dürfnissen verschieden ge- stalteten Wohnbereichen achten die Erzieherinnen und Erzieher darauf, daß Selbst- vertrauen und Selbstachtung gestärkt, aber ebenso den Jugendlichen aller Alters- gruppen ihre Verpflichtun- gen der Gemeinschaft gegen- über einsichtig gemacht wer- den
(Nordsee-Internat St. Pe- ter,
Pestalozzistraße 72, W-2252 St. Peter-Ording, Tel: 0 48 63/ 30 00). ❑ Internats mit seinen spezifi-schen Möglichkeiten be- stimmte Arten von Schul- und Lebenshilfe, von sozialer, ethischer und religiöser Orien- tierung besser als andere Ein- richtungen anbieten und lei- sten kann. Internate sollen und wollen Institutionen sein, in denen sich der einzelne, aber auch die Gemeinschaft bewährt — letztlich Stätten, in denen sich der von Eduard Spranger geforderte Erzie- hungsauftrag verwirklicht, wo- nach alle Erziehung nur Hand- reichung zur Selbsterziehung sein kann und jede vernünftige Selbsterziehung nur im Hin- blick auf die Gemeinschaft ih- ren Sinn und ihren Wert hat (Zentralstelle Bildung der deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstr. 163, W-5300 Bonn 1, Tel: 02 28/1 03-0) ❑
Dt. Ärztebl. 88, Heft 23, 6. Juni 1991 (97) A-2109