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A2738 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 42½½19. Oktober 2001
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unstsinnige, kenntnisrei- che, oft sogar selbst künstlerisch tätige Fürsti- nen hat es wohl in allen Jahr- hunderten gegeben. Dass de- ren Schätze inzwischen nicht durch Nachlässigkeit der Er- ben, Verkauf, Tausch oder gar Diebstahl unwiederbringlich verloren gingen, sondern wohl behütet auch der Öffentlich- keit zugänglich gemacht wer- den, ist jedoch nicht die Regel.Eine Ausnahme ist die Samm- lung von Markgräfin Sibylla Augusta von Baden-Baden.
Zurzeit werden etwa 1 500 Ke- ramiken und Fayencen sowie 500 Gläser aus ihrer Samm- lung in Schloss Favorite bei Rastatt ausgestellt.
In die Ausstellung inte- griert und erstmals gezeigt werden auch die für „Favori- te“ zurückerworbenen, zum ursprünglichen Bestand gehö- renden Meissner Porzellane aus der Frühzeit der Produkti- on. Der Ankauf der in der Ver- steigerung der markgräflichen Sammlungen 1995 in Baden- Baden erworbenen hundert erlesenen Objekte konnte die Zerstreuung einer in der inter- nationalen „Porzellanwelt“
einmaligen Sammlung verhin- dern. Er wurde zum Anlass dieser in Absprache mit der Denkmalspflege vorgenom- menen, überaus sorgsamen Modernisierung der in den Siebzigerjahren eingerichteten Ausstellung, die sich durch Klarheit und betonte Schlicht- heit in der Raumgestaltung auszeichnet.
Einzigartige Objekte
Da das ursprüngliche Mobiliar der oberen Räume nicht mehr vorhanden ist, gab es viel Platz für die in Gruppen zusam- mengefassten und in schlich- ten Vitrinen präsentierten Sammlungsstücke, die in den nach der Parkseite ausgerich- teten „Monatszimmern“ (ehe- maligen Hofdamen- und Empfangsräumen) zu bewun- dern sind.
Beim (geführten!) Gang durch die Ausstellung wird das Augenmerk des Besuchers im- mer wieder auf die Schwer- punkte gelenkt, zu denen die
blau-weißen chinesischen Por- zellane zählen, die Sibylla Au- gusta um erlesene Kangxi- Porzellane zu bereichern ver- stand. Der Grundstock des Ganzen wurde von der jun- gen Markgräfin bereits in ih- rer böhmischen Heimat ge- legt. Doch stellen die in „Fa- vorite“ gezeigten Kunstkam- mer-Stücke nur einen kleinen Teil der Kostbarkeiten vor, deren glanzvollste Exponate im Badischen Landesmuseum Karlsruhe aufbewahrt werden.
Unter den 33 ausgestellten Vasen, Platten, Tellern, Zier- gefäßen aller Art, die unter Johann Friedrich Böttger an- gefertigt wurden, sind einzig- artige Objekte aus der aller- ersten Meissner-Produktion zu sehen. Dank der Rückkäu- fe können nun auch die Stein- zeuge mit schwarz lustrieren- den Glasuren besichtigt wer- den.
Beim Rundgang durchs
„Porzellanschlösschen“ sollte der Besucher sich nicht auf die
Neupräsentation im zweiten Geschoss beschränken, son- dern auch die Sala terrena und die einzigartig ausgestatteten Prunkräume der Fürstin und ihres Sohnes anschauen. Die für die barocken Maskeraden und Kostümfeste für die mark- gräfliche Familie angefertigten aufwendigen Kleidungsstücke geben eine Ahnung von dem
zeittypischen Repräsentati- onsbedürfnis, der Lust an Ver- kleidung und Selbstdarstel- lung.
Sibylla Augusta von Ba- den-Baden: Wer war sie? Die 1675 in Ratzeburg geborene
Tochter Herzog Julius Franz von Sachsen-Lauenburgs und Maria Augusta von Rhein- Sulzbachs, die damals wegen ihres vom Großvater ererb- ten großen Vermögens als ei- ne der begehrtesten Heirats- kandidatinnen galt, wurde mit 15 Jahren 1690 die Gattin Ludwig Wilhelms von Baden, des „Türkenlouis“, als der er in die Geschichte einging.
Dem jungen Paar war kein allzu ruhiges Leben vergönnt, die Aufenthaltsorte wechsel- ten ständig. Von den acht nach 1690 geborenen Kindern konnten nur zwei die frühen Kinderjahre überleben. Das neunte, Sohn August Georg, kam 1706 in der ein Jahr zuvor fertig gestellten Rastatter Re- sidenz zur Welt. 1707 starb der Markgraf, und Sibylla Augu- sta musste die Regentschaft übernehmen. Im gleichen Jahr wurden Stadt und Schloss von den Franzosen erobert und nie- dergebrannt; doch die kostbare Ausstattung und die Sammlun- gen waren rechtzeitig ausgela- gert und gerettet worden.
Um den schnellen Wieder- aufbau des heruntergekom- menen Landes zu ermögli- chen, beauftragte die Regen- tin den böhmischen Architek- ten Michael Rohrer 1710 un- ter anderem mit dem Bau der Sommerresidenz Favori- te, dem Rathaus in Rastatt,
der Eremitage im
„Favorite“-Park und der Schlosskir- che Heilig Kreuz.
1727 übergab die Landesmut- ter, Bauherrin und Sammlerin ihrem 21-jährigen Sohn die Regentschaft und zog sich auf ihren Witwensitz in Ett- lingen zurück, wo sie 1733 starb. Britta Steiner-Rinneberg Führungen durch das Porzellan- schloss mit Glas und Porzellan- sammlung der Markgräfin bis 15.
November, dienstags bis sonn- tags 9 bis 17 Uhr, Gruppen mit Voranmeldung. Da- nach ist das Schloss bis Ende Februar ge- schlossen. Prospekte und Auskünfte: Tele- fon: 0 72 22/4 12 07.
Schloss Favorite bei Rastatt
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Die Schätze der Markgräfin Sibylla Augusta von Baden-Baden
Schloss Favorite bei Rastatt
Repros: Britta Steiner-Rinneberg