• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Diagnostische Blasenpunktion — eine Routinemethode?" (01.06.1978)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Diagnostische Blasenpunktion — eine Routinemethode?" (01.06.1978)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Diagnostische Blasenpunktion eine Routinemethode?

Winfried Straube, Jürgen Sökeland und Peter Brühl

Dem Arzt in der Praxis wird von kli- nischer Seite i"mmer wieder gesagt, für die routinemäßige Uringewin- nung sei allein die Blasenpunktion geeignet. Nur dadurch sei eine ein- wandfreie Aussage über die patho- genetische Bedeutung von im Urin nachgewiesenen Erregern und da- mit über eine bakterielle Infektion der Harnwege möglich.

Ist diese Forderung für die Praxis vertretbar und gerechtfertigt?

Diagnostik von Harninfektionen Die Synopsis: Anamnese, Sympto- matik, klinisches Bild, Leukozyturie und Bakteriurie sind Voraussetzun- gen der Diagnose einer Harninfek- tion. Kein Resultat darf für sich al- lein, jedes muß im Rahmen aller üb- rigen klinischen, radiologischen und klinisch-chemischen Befunde be- wertet werden.

Bei der Frage, ob ein bakteriell ent- zündlicher Befund der Nieren und ableitenden Harnwege vorliegt, müssen die zellulären Bestandteile (Erythrozyten, Leukozyten) genauso sorgsam bewertet werden wie Bak- terien und Eiweiß. Zur Untersu- chung sollte möglichst der frisch ge- lassene konzentrierte (Morgen-)urin verwandt werden, weil verdünnter (hypotoner) Urin unter anderem durch Spontanauflösung geformter Bestandteile (vor allem Erythrozy- ten) und scheinbar geringere Pro- teinurie und Leukozyturie verfälscht werden kann. Mehr als 1 Million Kei- me/mi im Mittelstrahlurin werden nur nach vorheriger Vermehrung derKei- me durch längere Verweildauer des Urins in der Blase gefunden.

Uringewinnung beim Mann

Nach unserer Erfahrung ist beim Mann der korrekt gewonnene Mittal- strahlurin für die Harnuntersuchung

absolut ausreichend. Korrekt heißt nicht zuletzt, daß die Vorhaut bei der Miktion zurückgezogen wird. Ein pathologischer Befund aus dem Mit- telstrahlurin bei Phimose ist nicht verwertbar. Der Mittelstrahlurin soll- te frisch in der Praxis gewonnen werden.

Uringewinnung bei der Frau Bei der Frau erfordert die Gewin- nung des Mittelstrahlurins einen größeren Aufwand. Die Miktion ist durch psychische Hemmungen nicht selten verzögert oder verhin- dert. Das Genitale muß vorher gerei- nigt, die Schamlippen müssen ge- spreizt werden. Verfälschungen des Urinbefundes vor allem bei vagina- lem Fluor sind trotz "Dammhygie- ne" möglich.

Eine Katheterisierung muß unter

"sterilen Bedingungen" vorgenom- men werden. Erfahrungsgemäß sind im allgemeinen nur Urologen und Gynäkologen dafür optimal ausge- rüstet, da eine Katheterisierung bei der Frau nur auf einem Untersu- chungsstuhl erfolgen soll. Der neu auf den Markt gekommene lnvagina- tionskatheter soll die sterile Urinab- nahme erleichtern. Erfahrungen größeren Ausmaßes fehlen zur Zeit.

Uringewinnung

beim Säugling und Kleinkind Beim Säugling und Kleinkind kann nach sorgfältiger Dammhygiene der Harn ohne wesentliche Alteration des Kindes durch Einmalplastikkle- bebeutel gewonnen werden.

Der bakteriologische Befund muß bei dieser Art der Harngewinnung natürlich mit Zurückhaltung beur- teilt werden.

Keimzahlbestimmung

..,.. Eine Verunreinigung des Harns durch Bakterien bei der Harngewin-

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ

Als routinemäßige Urinunter- suchung wird im wissen- schaftlichen Schrifttum immer häufiger die Blasenpunktion gefordert. Die Uringewinnung unter standardisierten Bedin- gungen mit Hilfe des Mitlei- strahlurins dürfle jedoch die bessere Methode für die Pra- xis sein. Verunreinigungen lassen sich durch Objektträ- gerkulturen einfach aus- schließen. Der Patient wird durch dieses Vorgehen nicht belastet.

nung beim Mann, bei der Frau und beim Kind kann in der überwiegen- den Anzahl der Fälle durch einfache Keimzahlbestimmung mit Hilfe der Objektträgerkultur ausgeschlossen werden. Dies gilt nicht für Untersu- chungen in der Phase einer bereits laufenden, antibakteriellen Chemo- therapie.

Die Objektträgerkultur erlaubt zu- dem durch die im allgemeinen vor- handenen beiden differenten Kultur- medien eine orientierende Differen- zierung zwischen grampositiven (häufig Verunreinigung) und gram- negativen {eher pathogenen) Kei- men im Urin.

Eine solche Differenzierung ist nur als vorläufig anzusehen und bedarf der bakteriologischen Bestätigung.

..,.. Bei fraglichen Befunden oder bei niedriger Keimzahl ist die Belastung des Patienten durch eine Wiederho- lung der Keimzahlbestimmung ge- ringer als durch andere Verfahren. Der bakteriologische Befund muß im Zusammenhang mit dem zytologi- schen und übrigen Urinbefund (Ei- weiß, eventuell Zylinder) gesehen werden und kann die klinische Dia- gnose bestätigen oder in Frage stellen.

..,.. Eine Bakteriurie bedeutet eben- sowenig schon eine Pyelonephritis, wie eine Bakteriämie mit einer Sep- sis gleichgesetzt werden darf. [>

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 22 vom 1. Junr 1978 1315

(2)

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Blasen pu n kti on

Blasenpunktion

Die suprapubische diagnostische Blasenpunktion erfordert zu ihrer Durchführung eine volle Blase. Die- se kann durch forcierte Diurese, eventuell unterstützt durch ein Di- uretikum, erreicht werden. Schon aus diesem Grund und wegen der Möglichkeit der artefiziellen, iatro- genen Erythrozytenbeimengung ist der Blasenpunktionsurin aus- schließlich zur bakteriologischen Untersuchung geeignet.

Isolierte Leukozyturian können dem Nachweis entgehen, was bei einer abakteriellen Leukozyturie bei Uro- genitaltuberkulose von Bedeutung ist. Erythrozyturian sind nicht ver- wertbar, da sie punktionsbedingt sein können.

~ Durch das Übersehen einer zum Beispiel tumorbedingten Mikrohä- maturie sind schwerwiegende Fehl- entscheidungen möglich.

1000 Keime pro ml Harn Kontamination

Die Untersuchung des Blasenpunk- tionsurins erfaßt darüber hinaus nicht die bakterielle Besiedlung des Harns bei Infektionen der (infravesi- kal gelegenen) unteren Harnwege, wie zum Beispiel bei der Urethritis oder Prostatitis.

Die Meatusstenose der Frau - Ursa- che zystitiseher Beschwerden- wird häufig übersehen.

Der am schwersten wiegende Ein- wand gegen die routinemäßige Bla- senpunktion in der Diagnostik von Harnwegsinfektionen ist aber die Tatsache, daß einem einzigen La- borbefund, der Bakteriurie, fälschli- cherweise die alleinige Entschei- dung bei der Diagnostik eines Krankheitsbildes zugesprochen wird.

Mit der Gewinnung des Harns durch die suprapubische Blasenpunktion kann die Gefahr der sekundären Verunreinigung bei der klassischen

1 Mill. Keime pro ml Harn Akuter Infekt

10 000 Keime pro ml Harn Akuter Infekt

Uringewinnung ausgeschlossen werden. Diese Kontamination wird jedoch, wie bereits geschildert, in den meisten Fällen durch die einfa- che Keimzahlbestimmung im frisch gelassenen Mittelstrahlurin erkannt.

Eine Wiederholung dieser Untersu- chung bei unklarem Befund ist weit weniger aufwendig als die Blasen- punktion.

Im Rahmen der Mosaikdiagnostik der Harninfektion ist aber die Bakte- riurie nur ein Teilbefund. Nur beim Zusammenpassen mehrerer ana- mnestischer, klinisch-chemischer sowie der Laboratoriumsbefunde des Harns läßt sich das Krankheits- bild ausreichend sichern.

Diese Auffassung schließt im Einzel- fall nicht die Behandlung einer iso- lierten signifikanten Bakteriurie bei gleichzeitig bestehenden Risikofak- toren einer Pyelonephritis (zum Bei- spiel Gravidität, Diabetes, Phenace- tinabusus usw.) aus. [>

100 Keime pro ml Harn Akuter Infekt (kurze Verweildauer

des Harns in der Blase)

bei Harnrückstauung

Darstellung 1: Bakteriologische Urinuntersuchung: Mittelstrahlurin

+

Objektträgerkultur

I. Durch Kontamination des Harns mit Keimen der äußeren Harnröhrenmündung finden sich bis zu 1000 Keime pro ml Harn.

II. Bei einem akuten Infekt werden in der Regel 1 Million Keime pro ml Urin gefunden.

111. Bei kurzer Verweildauer des Harns in der Blase. zum Beispiel bei forcierter Diurese oder Pollakisurie finden sich nur 10 000 Keime pro ml im Harn, da sich die Keime in der Blase nicht vermehren konnten. Dadurch kann eine Kontamination vorgetäuscht werden.

IV. Bei einer Harnrückstauung ist ein falsch-negativer Befund glich, da die Keime nicht komplett ausgeschwemmt werden

1316 Heft 22 vom 1. Juni 1978 DEUTSCHES ARZTEBLATT

(3)

Blasenpunktion

Die diagnostische suprapubische Blasenpunktion steht am Ende eines gezielten U ntersuchu ngsganges, wenn dieser keine ausreichende Klärung ermöglicht.

Indikationen sind nach unserer Auf- fassung:

0

wiederholt unterschiedlicher zel- lulärer und bakteriologischer Harn- befund,

f) mehrfach fragliche Ergebnisse der Keimzahlbestimmung, insbe- sondere bei Mischinfektionen, E) klinische Problemfälle mit weitge- hend resistenten Keimen.

Die Blasenpunktion ist jedoch aus methodischen Gründen keine Alter- native für die Praxis, als Routineme- thode ist sie auch wegen der erheb- lichen Wartezeit bis zur erforderli- chen Prallfüllung der Blase nicht einmal realisierbar. Im März 1973 bemerkt Themas A. Stamey - Befü r- worter der Blasenpunktion -: "Ich glaube nicht, daß die suprapubische Blasenpunktion auf die Dauer von Patienten und Ärzten als Standard- methode akzeptiert wird. Bei Kin- dern wird es eher möglich sein."

Im Rahmen der Präventivmedizin ist die Blasenpunktion wegen der Häu- figkeit der geforderten Urinuntersu- chungen bei bestimmten Personen- gruppen ebensowenig vertretbar wie im Rahmen der Pyelonephritis- Langzeitüberwachung mit der Viel- zahl der erforderlichen Einzelpunk- tionen.

Zusammenfassung

Für die routinemäßige Harnuntersu- chung in der Sprechstunde ist der spontane Mittelstrahlurin in der Re- gel ausreichend. Er ist für die bakte- riologische Untersuchung verwert- bar, da eine sekundäre Verunreini- gung in der überwiegenden Zahl der Fälle durch die Keimzahlbestim- mung mit Hilfe der Objektträgerkul- tur erkennbar ist.

.,... Die Blasenpunktion kann auf Ein- zelfälle und nephrologische Spezial-

Darstellung 2:

Technik der Bla- senpunktion

ambulanzen beschränkt werden. Der suprapubische Punktionsurin erlaubt vorwiegend nur eine bakte- riologische Untersuchung. Der Bak- teriurie darf aber die alleinige Ent- scheidung bei der Diagnose einer Harninfektion nicht zugemessen werden.

Die Anamnese, die Klinik, die radio- logischen und klinisch-chemischen Befunde und der übrige Urinbefund (Leukozytu rie, Proteinurie) sind glei- chermaßen zu berücksichtigen.

Der Arzt in Klinik und Praxis kann von dem Gefühl befreit werden, nicht sachgerecht zu untersuchen, wenn er unter dem Druck der Zeit bei einer Vielzahl von Patienten im diagnostischen Alltag "nur" den spontan gelassenen Mittelstrahlurin untersucht.

Folgende Voraussetzungen müssen dabei erfüllt sein:

0

Der Mittelstrahlurin soll einwand- frei gewonnen werden.

f) Die Untersuchung des frischen Harns muß unter standardtsferten Bedingungen (standardisiertes Se- diment oder Nativurin, Gesichtsfeld oder Kammerzählung) erfolgen.

E) Der Bakteriennachweis muß stets mit einer Keimzahlbestimmung überprüft werden.

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Freier Raum zur Punktion

I

~

I

I I

I I

lc __ _

"""--- '

\

\ I I I I I (

... __

0

Jede zweifelhafte Bakteriurie muß kontrolliert werden.

0

Eine Leukozyturie oder Hämat- urie darf nicht vernachlässigt wer- den.

Literatur

Kunz, H. H., Sieberth, H. G., Freiberg, J., Pulve- rer, G., und Schneider, F. J.: Zur Bedeutung der Blasenpunktion für den sicheren Nachweis einer Bakteriurie, Dtsch. med. Wschr. 100 (1975) 2252 - Höffler, D.: Mittelstrahlurin dia- gnostisch tatsächlich unbrauchbar?, Medical Tribune Nr. 23 (1977) 38-Brühl, P.: Fragen aus der Praxis: Keimzahlbestimmung aus Mittel- strahlurin, Dtsch. med. Wschr. 100 (1975) 1614 -Held, E.: Urinstatus, Proteinurie, Nierenfunk- tionsprüfungen: Diagnostik und Bewertung, Internist 17 (1976) 67-Eigler. J., und Marge!, W.: Möglichkeiten und Bedeutung bakteriolo- gischer Diagnostik in der Nephrologie, Inter- nist 17 (1976) 77-Loew, H.: Die Indikation zur Blasenpunktion für den Nachweis von Harn- wegsinfektionen, Urologe B 14 (1974) 89

Anschriften der Verfasser: Professor Dr. W. Straube Urelogische Klinik des Marienhospitals Hospitalstraße 24 4300 Essen-Altenessen Professor Dr. J. Sökeland Urelogische Klinik Westfalendamm 4600 Dortmund Professor Dr. P. Brühl Urelogische Universitätsklinik 5300 Sonn-Venusberg

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 22 vom 1. Juni 1978 1317

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

[r]

Die Nutzung des Werks wird erleichtert durch Beispiele, Tabellen, Graphiken, Checklisten, Zusammenfassungen, um dem Anliegen gerecht zu werden, ein Buch aus der Praxis für die

Kohlenwasserstoffe, C13-C23, n-alkane, isoalkane, cyclische, <0,03% aromatische:. Spezies :

Holländische Emissionsmessungen leiten von einer Reduktion des Milch- harnstoffgehalts um 1 mg pro 100 ml Milch eine Minderung der Ammoniakemissionen von 2,5 Prozent ab.. 15 bis 25

ƒ Bei einer gegebenen Indikation für eine systemische Antibiotikatherapie bei EHEC-Patienten wird eine Behandlung mit einem Carbapenem empfohlen; die Indikation kann entstehen durch

[r]

8 des Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB) können Anleger, die vor der Veröffentlichung des Nachtrages eine auf den Erwerb eines Anteils an dem Investmentvermögen (MIG GmbH &

Die Kündigung des Abonnements ist mit einer Frist von zwei Monaten zum Ablauf des Abonnements möglich und schriftlich an den Verlag zu richten. Die Abonnementsgebühren werden