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Archiv "Sachverständigenräte: Gute Ideen setzen sich langfristig durch" (10.02.2006)

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A306 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 6⏐⏐10. Februar 2006

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as wissenschaftliche Politikbera- tung leistet,lässt sich unter ande- rem daran ermessen, ob und wie die erarbeiteten Vorschläge umgesetzt werden.An wenigen Beispielen lässt sich zeigen, dass der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen in seiner bald schon zwanzigjährigen Existenz vielfältige An- regungen nicht nur gegeben hat, sondern die von ihm vorgeschlagenen Maßnah- men auch umgesetzt wurden.

Erfolgsbeispiele der Beratung im Gesundheitswesen

Folgende Beispiele sprechen für eine erfolgreiche praktische Politikberatung:

>Neugestaltung der Vergütung von Krankenhausleistungen,

>Notwendigkeit eines Risikostruktur- ausgleichs als Voraussetzung für ei- nen fairen Wettbewerb,

>Wettbewerb durch die Liberalisie- rung des Vertragsrechts,

>Qualitätssicherung in Medizin und Pflege,

>neue Rolle der Prävention im öffent- lichen Bewusstsein,

>besseres Verständnis für die Gesund- heitswirtschaft als personalintensi- ver Wachstumsbranche,

>Integrierte Versorgung und Versor- gungszentren auf der Grundlage des SGB V vom 1. Januar 2004.

Das sind nur ein paar Beispiele für den Erfolg wissenschaftlicher Poli- tikberatung im Gesundheitswesen. Es lässt sich also zeigen, dass den Vor- schlägen Taten folgen; nicht zu bewei- sen ist allerdings ein eindeutiger Ur-

sache-Wirkungs-Zusammenhang und der Beweis, dass ohne die Ratsvor- schläge etwas gänzlich anderes passiert wäre. Der vielleicht wichtigste Bera- tungsstab in der Begutachtung der ge- samtwirtschaftlichen Entwicklung, die

„fünf Weisen“, blieb durch das Emp- fehlungsverbot in seinem Auftrag mit diesem Beurteilungskriterium auf- tragsgemäß erfolglos, es sei denn, eine der von den „fünf Weisen“ genannten Alternativen würde gewählt und als Erfolgskriterium akzeptiert.

Einen großen Beratungserfolg sehe ich persönlich schon dann gegeben, wenn die ausgetretenen Pfade der Wirtschafts- und Gesundheitspolitik verlassen und neue Wege zunächst nur im Rahmen einer experimentellen Kultur modellhaft versucht werden.

Angesichts des Beharrungsvermögens des Status quo, vielfältig verkrusteter Strukturen, des starken Einflusses der Verbände und der Ministerialbürokra- tie und staatlich geschützter Freiräume sind Möglichkeiten zur Veränderung noch immer sehr eingeschränkt. Die Pfadabhängigkeit der Systeme nimmt zu und stärkt diejenigen, die die ge- wachsenen Strukturen noch verstehen.

Oft bleibt die „historische Rationa- lität“ als die letzte Erklärung für viele Besonderheiten des Status quo.

Vor dem Hintergrund des schon aufgrund seiner Komplexität nur be- grenzt reformierbaren Gesundheits- wesens wird deutlich, dass es eine ein- zige rationale Gesundheitspolitik auch durch wissenschaftliche Beratung nicht geben wird. Ärzte, Juristen, Ökono- men, Sozialwissenschaftler oder Inge- nieure haben alle ihre fachspezifische Rationalität. Innerhalb der jeweiligen Fachdisziplin gibt es noch weitere Teil- rationalitäten, sodass es eine übergrei- fende Gesamtrationalität gar nicht ge- ben kann. Hinzu tritt die Rationalität in der Politik, wie sie in der ökonomi- schen Theorie der Politik eindrucks- voll beschrieben wird. Die politische Rationalität spielt in korporatisti- schen Strukturen eine ganz besondere Rolle. Das Eigeninteresse der Betei- ligten, das sich im Eigennutzstreben der Handelnden niederschlägt, kann durchaus zu „neofeudalen Elemen- ten“ (G. Gäfgen) im Gesundheitswe- sen führen.

Funktionale

Gesundheitspolitik – ein Gebot der Stunde

Die Möglichkeiten einer rationalen Ge- sundheitspolitik sind angesichts der Vielzahl der Fachleute aus den ver- schiedensten Disziplinen von der Sache her also begrenzt. Dennoch wäre es wünschenswert, wenn die verschiede- nen Teilrationalitäten in ein Gesamt- modell eingebracht werden könnten.

Dieser Ansatz sollte nicht nur den inter- disziplinären fachlichen Kontext umfas-

Sachverständigenräte

Gute Ideen setzen sich langfristig durch

Was kann wissenschaftliche Politikberatung leisten? Wo liegen die Grenzen?

P O L I T I K

Foto:Photothek

Prof. Dr. rer. pol. Klaus-Dirk Henke, Professor für Fi- nanzwissenschaft und Gesundheitsökonomie an der Technischen Universität Berlin und seit 1984 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministe- rium der Finanzen, war von 1987 bis 1998 Mitglied des Sachverständigenrates für die Konzertierte Akti- on im Gesundheitswesen, zuletzt als Vorsitzender.

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sen, sondern auch noch politische Ra- tionalitäten einschließen.

Vor diesem Hintergrund wird deut- lich, dass Gesundheitspolitik stets von Interessen geleitet sein wird; dennoch ist eine funktionale Sichtweise im Ge- sundheitswesen unverzichtbar. Die durch die wissenschaftliche Beratung immer wieder eingeforderte Zielorien- tierung hat deutlich an Bedeutung ge- wonnen. Vermeidbare Mortalität und vermeidbare Morbidität sind mehr als Schlagworte aus der Epidemiologie geworden. Disease-Management-Pro- gramme zeigen ebenfalls den Stellen- wert von Gesundheitszielen.

Die Knappheit der Ressourcen tut ein Übriges, noch verstärkt durch man- gelndes Wachstum, hohe Staatsver- schuldung sowie Massenarbeitslosig- keit und die damit verbundene Erosi- on der Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge. Diese Si- tuation löst Rechtfertigungszwänge bei der Verwendung von Mitteln aus, und eine wünschenswerte Allokation der Mittel wird sich mehr und mehr an Zielen ausrichten müssen. Diese Ent- wicklung hin zur Prioritätensetzung wird seitens der Heilberufe bei ihrer Kritik einer Ökonomisierung des Ge- sundheitswesens noch immer nicht richtig eingeschätzt. Durch den seitens der wissenschaftlichen Beratung stets geforderten funktionalen und zielori- entierten Ansatz in der Gesundheits- politik wird die Interessenlage der Be- teiligten und Betroffenen offen gelegt.

Erst durch diese Transparenz wird der erforderliche Soll-Ist-Vergleich er- möglicht. Und diese Gegenüberstel- lung erleichtert wiederum Reform- ansätze.

Neue Umsetzungskultur für die Vorschläge

Gutachterliche Stellungnahmen und Berichte der Sachverständigenräte ha- ben angesichts einer interessengebun- denen Gesundheitspolitik oft nur eine Alibifunktion oder sind oftmals uner- wünscht, eben weil sie Gedanken und Vorschläge enthalten, die nur durch ex- terne Berater virulent werden und das Informationsmonopol („Herrschafts- wissen“) der Verbände und der Ministe-

rialbürokratie einschränken. Ohne wis- senschaftlichen Beistand gäbe es kaum noch visionäre Vorschläge und nur we- nig Anregungen, die über den Status quo hinausgehen.

Die Vorschläge der Räte müssten stärker als in der Vergangenheit noch deutlicher den zuständigen Institutio- nen und verantwortlichen Personen zu- geordnet werden (um so das so genann- te Assignment-Problem in der Beratung zu überwinden). Staatliche Institutio- nen, Träger der Selbstverwaltung, der Markt bis hin zum selbstverantwortli- chen Individuum wären die Adressa- ten. Auf der Grundlage von Zuständig- keitsprofilen wäre es dann die Aufgabe der Ministerialbürokratie, der Koaliti- onsparteien, des Bundeskabinetts und der Oppositionsparteien, die angekün- digten Stufen einer Gesundheitsreform schrittweise umzusetzen. Dieser Plan müsste zeitlich abgestuft und gestreckt erfolgen, um Erfahrungen im Umset- zungsprozess selbst einbeziehen zu können, Planungssicherheit zu geben und die Umstellung der Bevölkerung auf die neuen Rahmenbedingungen zu erleichtern. Im Umsetzungsprozess er- geben sich durch die Interessen und das Eigennutzstreben der Beteiligten wie- derum neue Aspekte einer ökonomi- schen, juristischen und medizinischen Rationalität.

Nicht zu vergessen sind bei einer Erfolgsbeurteilung der wissenschaftli- chen Beratung der Politik die Medien.

Auch durch sie und durch den Dialog mit den Fachjournalisten und den Sachverständigen ergeben sich erst die erwünschten (und unerwünschten) Wirkungen der Politikberatung. Die- ser Dialog, in den die zu beratenden Politiker natürlich eingeschlossen werden müssen, ist mitbestimmend für den Erfolg der wissenschaftlichen Be- ratung.

Die Akzeptanz von wissenschaft- lichem Sachverstand hängt auch vom Risikoverhalten der Politiker ab und vom jeweiligen Kräfteverhältnis wäh- rend einer Legislaturperiode. Sach- verständige sollten sich dabei nicht an die Politik anpassen, aber schon reali- stische Vorstellungen darüber ent- wickeln, wie es um Erfolgsaussichten steht. Dazu muss der Berater die Triebkräfte, Abläufe des politischen

Handelns und des gesundheitspoliti- schen Willensbildungsprozesses ken- nen und den Reformbedarf realitäts- nah einschätzen. Optimale Lösungen werden oft nicht umzusetzen sein, so- dass Second-best-Lösungen mitge- dacht werden müssen, und zwar so, dass sie einer späteren Verwirklichung von Optimallösungen nicht im Wege stehen.

Trotz all der Umsetzungsprobleme bleibt der wissenschaftlichen Politikbe- ratung die berechtigte Hoffnung, dass ihre Vorschläge langfristig meist doch zum Durchbruch kommen und dass sich gute Ideen und gut durchdachte Vor- schläge im Ideenwettbewerb einer frei- heitlichen Wirtschaftsordnung zwar nur selten spontan, aber letztlich doch von der Sache her durchsetzen werden.

Auf dem Wege zu einer Gutachterindustrie?

Nicht nur im Gesundheitswesen hat die institutionalisierte Beratung in Form von Sachverständigenräten, Kommis- sionen, Beiräten, Gutachten und Bera- tungsagenturen an Bedeutung gewon- nen. Geradezu eine Hochkonjunktur der Politikberatung gibt es im Gesund- heitswesen, wie die Diskussion über die nachhaltige Finanzierung der Gesund- heitsausgaben zeigt.

Ob die Politikberatung zu einer

„fünften Gewalt“ geworden ist und als Nebenregierung gar zu einer Entde- mokratisierung der Politik führt, bleibt angesichts der Überkomplexität dieses Versorgungssystems eine berechtigte Frage. „Wissenschaft als Aufklärerin oder als Magd der Politik“ (W. Link), bedeutet das Verwissenschaftlichung der Politik oder Politisierung der Wis- senschaft? Gibt es angesichts dieser Einschätzung eine optimale Distanz zwischen Beratungsgremium und Poli- tik? Sind die Sachverständigenräte und Wissenschaftlichen Beiräte in Deutsch- land die geeigneten Gremien, die Ra- tionalität der Politik zu erhöhen, oder sollten die Berater nicht im Rahmen einer „job rotation“ ins jeweilige Re- gierungslager überwechseln und von dort aus beraten, wie es in den USA beim Council of Economic Advisers der Fall ist? Prof. Dr. rer. pol. Klaus-Dirk Henke P O L I T I K

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