• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Qualitätssicherung: Nicht im Neandertal beginnen" (07.10.2011)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Qualitätssicherung: Nicht im Neandertal beginnen" (07.10.2011)"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 2070 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 108

|

Heft 40

|

7. Oktober 2011

KOMMENTAR

Prof. Dr. rer. biol. hum. Dieter Hölzel, Tumorregister München

C

hancen und Grenzen der Quali- tätssicherung (QS) sind krank- heitsspezifisch zu betrachten. Beispiel Onkologie: Die Versorgung der Krebs- kranken ist in der Regel sektorüber- greifend, interdisziplinär, lang andau- ernd, teuer und abhängig von vielen Studien, die Handlungsevidenz belegen sollen. Das macht neugierig auf die Qualität im Versorgungsalltag. Inwie- weit entsprechen Leistungen und Er- gebnisse dem aktuellen Forschungs- stand? Erfreulich ist, dass es national

und international gute Krebsregisterda- ten gibt. Die Botschaft: Die notwendi- gen Ressourcen sind in Deutschland verfügbar, die Qualifikation der Ärzte ist hoch. Auch deshalb werden flächende- ckend Spitzenergebnisse erreicht.

Viele glauben: Das kann nicht sein!

Fehl- und Unterversorgung werden von vielschichtigen Interessen kasuistisch belegt und suggerieren Handlungsbe- darf. Auch die Medizin macht mit. Man braucht Patientenzahlen und liebt den Mythos des Besten mit Rangordnun- gen, Spitzenzentren und -leistungen.

Retrospektiv wird belegt, dass Exzel- lenz-Behandlungen sogar biologische Grenzen überwinden, die viele Studien belegen, weil lokale und adjuvante The- rapien nur partiell wirksam sind. Keine noch so perfekte QS kann spiralenför- mig zu immer besseren Ergebnissen führen, Abweichungen sind prüfbedürf- tig. Auch Zentren können statistisch nur Mittelmaß liefern.

Für den Gesetzgeber ist es nahelie- gend, sich herauszuhalten und mit dem SGB V qualitätsgesichertes Handeln vom Gemeinsamen Bundesausschuss belegen zu lassen. Das ist ein Freibrief zur Selbstbedienung. Zuerst ist eine Misstrauenskultur zu schaffen. Alle Fäl- le sind zu kontrollieren, auch wenn mehrere Ärzte Therapieentscheidungen treffen. Mit Sanktionen muss für voll- zählige Erfassung der Daten gesorgt

werden. Jährliche Kontrolle ist unab- dingbar. Das Ergebnis wird selbst kon- trolliert. Man bescheinigt sich, wie bei Brustkrebs (BQS) und demnächst beim kolorektalen Karzinom (AQUA), globale Einmaligkeit, auch ohne einen Beitrag für die scientific community. A priori zu sagen, was erreicht werden soll, was es kostet, ist nicht erforderlich. Schät- zungen, was Abweichungen vom aner- kannten Standard verursachen und wo Prioritäten in der Onkologie zu setzen sind, fordern nur Bedenkenträger.

Wenn es bereits gut ist, umso besser, das garantiert den Erfolg! Das fördert den QS-Hype.

Was aber braucht der Onkologie- standort wirklich? In überschaubaren Regionen sollte eine Infrastruktur exis- tieren, die die Versorgungsträger ver- netzt und ihre Befunde und Behandlun- gen für alle Krebspatienten zusammen- führt, wie es der Nationale Krebsplan vorgibt. Das Ergebnis ist für jeden Pa- tienten ein einfaches Abbild seiner Ver- sorgung, die beurteilbar wird. Auch be- treuende Ärzte im ländlichen Raum wer- den einbezogen. Ein Online-Zugriff auf die Daten der eigenen behandelten Pa- tienten ist notwendig, auch für die On- line-Dokumentation der teuren neuen und der etablierten medikamentösen Therapien, deren Analysen die Auto - nomie der Ärzte erhöhen würden.

Als Rückkopplung gibt es Berichte für jede Einrichtung und für jedes Zen- trum, von der Pathologie bis zur Strah- lentherapie, sowie Vergleiche im Sinne der externen QS. Der autonomen inter- nen QS einer Klinik sind keine Grenzen gesetzt, wenn individuelle – erwünscht oder unerwünscht – Krankheitsverläufe identifizierbar, überprüfbar werden und die eigenen Daten für Erkenntnisgewin- ne auswertbar sind. Die Daten werden begleitend gepflegt, auf Widersprüche geprüft, und das Follow-up wird syste- matisch eingearbeitet. Die weltweite

Erfahrung ist, dass gute Daten perso- nell aufwendig zu pflegen sind und nicht über eine Richtlinie einfach ein- getrieben werden können.

Allerdings ist keine schnelle flä- chendeckende Etablierung zu erwarten.

Es gibt übliche Fortschrittsbremsen:

Menschen mit Sachverstand, Motivati- on, Neugier und Perspektiven stehen nicht in 16 Bundesländern und deren Institutionen bereit, kooperativ 25 bis 35 regionale Krebsregister aufzubauen.

Zudem erhält der Schutz der Daten der

Krebspatienten mehr Gewicht als der Schutz ihrer Interessen. Aber es gibt auch ohne Kontrolle gute Versorgung vor und seit der Zentrenbildung.

Welche Impulse die klinische For- schung erhält, wenn Langzeitergebnis- se zu eigenen Patienten verfügbar und mit zusätzlichen Daten kombinierbar sind, ist leicht über die Literatur aus anderen Nationen nachvollziehbar.

Auch die Frage, warum Spitzenergeb- nisse erreicht werden, ist zu beantwor- ten. Ansatzweise leisten dies bereits ei- nige klinische Krebsregister, die weiter auszubauen sind. Ziel ist der Ausbau zu einem lernenden, effizienten, fehlerre- sistenten Versorgungssystem. Der Weg ist lang und partiell explorativ, etwa bei der Vermittlung der Versorgungsqualität aus der Sicht der Patienten.

Ein Überdenken der QS-Bürokratie ist nicht zu erwarten. Es ist alles geregelt und hat Bestand, wie die Sektsteuer, die 1902 zum Aufbau der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführt wurde. Trotzdem sollte ein Anlass, wie die anstehende QS zum kolorektalen Karzinom, genutzt wer- den, um den tatsächlichen Bedarf am Onkologiestandort Deutschland zu präzi- sieren, zu priorisieren und noch existie- rende Kräfte zu motivieren, den Weg zur Bildungsnation weiter zu beschreiten und mit Selbstbewusstsein darauf zu verweisen, dass wir wirklich nicht im Neandertal beginnen müssten.

QUALITÄTSSICHERUNG

Nicht im Neandertal beginnen

P O L I T I K

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Pilotstudien zur Offenlegung der Leistungsausgaben der Versicherten wurden bereits vor mehr als 30 Jahren bei drei Betriebskrankenkassen in Schwaben (unter Federführung

Diese Gegenüberstellung ist realistisch: Für das Überschreiten der Schwellenwerte müssen bei jeder einzelnen Gebührenposition Begründungen über Schwie- rigkeit der Erbringung

Bei allen heute noch erkennbaren Unsicherheiten in der Qualitätssi- cherung wird man nicht umhin können festzustellen, daß Quali- tätssicherung sein muß, nicht nur wegen der

Soziale - das heißt finanzielle Absicherung - ist eine Voraussetzung für ein erfolgreiches Studium, für WeHerbildung und für die Teilnah- me am kulturellen Leben.. Da diese für

Autoren dieses Beitrags: Gerd Richter: Zentrum für Konfliktforschung (Direktor: Prof. Ralf Zoll) der Philipps-Universität Marburg, AG Bioethik – Klinische Ethik am

Bei der Vorstel- lung des Jahresberichts 1989 der wissenschaftlichen Be- gleitung des Methadon-Pro- jekts sagte Heinemann, Methadon könne für viele Drogenabhängige eine Krük-

Angesichts der Beobachtung, daß zwar 90 Prozent der Pankreastumoren einen Schaden am Chromosom 18 haben, bislang aber nur in der Hälfte der untersuchten Tumoren Defekte an

Ärzte, die menschliche Organe entnehmen, müßten sich zuvor davon überzeugt haben, „daß sich der oder die Betref- fende im Zustand des vollständigen und irreversiblen