Grenzen der Qualitätssicherung
Qualitätssicherung, Qualitätskontrolle, freiwillige Selbstkontrolle in der Medizin - ein schwieriges und facettenreiches Thema. Es beschäftigt zunehmend die medizinische Wissenschaft und ärztli- che Berufsorganisationen. Einen Überblick über den Stand der Diskussion bot ein Symposium der Robert-Bosch-Stiftung. Auch Organisationsformen der Qualitätssicherung wurden dabei ange- sprochen.
Viele Definitionsversuche, bisher alle nicht recht befriedigend, gibt es, zu erklären, was Qualitätssi- cherung eigentlich ist. Auch das DIN versuchte sich und definiert Qualität als .,Gesamtheit aller Ei- genschaften und Merkmale einer Tätigkeit, die sich auf deren Eig- nung zur Erfüllung gegebener Er- fordernisse beziehen".
Die Sicherung und Verbesserung der Qualität ärztlichen Handeins bedeutet letztlich das Streben nach einem Kompromiß: .,Wissen- schaftliches Streben nach Voll- kommenheit muß mit dem Zwang zur Praktibilität in Einklang ge- bracht werden."
Trotz dieser plausiblen Forderung stößt der Ruf nach Qualitätssiche- rung in der Ärzteschaft wenn nicht auf gänzliche Ablehnung, so doch auf ein sehr breites und unter- schiedliches Meinungsspektrum. Die Ursachen liegen zum Teil in den verschiedenen medizinischen Disziplinen, in manchen ist Quali- tätssicherung möglich, in anderen verbietet sie sich von vornherein.
Die unsichere Haltung und zum Teil recht große Skepsis in der Ärzteschaft ist aber sicherlich auch mit der allgemeinen Verunsi- cherung zu erklären, die aus der aktuellen politischen Diskussion um Maßnahmen zur Kostendämp- fUf1g herrührt, und auch aus der zunehmend kritischeren Einstel- lung der Gerichte ärztlichen Ver- haltensweisen gegenüber, die durch die Zunahme von Haft- pflichtprozessen gekennzeichnet ist.
Es bedarf einer breiten Informa- tionsarbeit innerhalb der Ärzte- schaft, um zu verdeutlichen, daß ..,.. Qualifikation und Qualität Vor- aussetzung und Bestandteil der ärztlichen Berufsausübung sind, ..,.. in der ärztlichen Berufsaus- übung jedoch höchst unterschied- liche Qualifikationen und Qualitä- ten zusammenwirken und
..,.. ärztliches Handeln demnach höchst different der Qualifika- tions- und Qualitätssicherung zu- gänglich und bedürftig ist.
Darauf machte der Hauptge- schäftsführer der Bundesärzte- kammer, Professor J. F. Valrad De- neke, auf einem Symposium auf- merksam, das die Robert-Bosch- Stiftung zum Thema Sicherung der Qualität ärztlichen Handelns, veranstaltete und das internatio- nal recht gut besetzt war. Dabei zeigte sich, daß man insbesondere in den nordamerikanischen Län- dern auf eine lange Tradition zu- rückblicken kann. Es zeigte sich jedoch auch, daß man dort neben erfolgversprechenden Ansätzen auch heute schon funktionierende Teilsysteme installiert, jedoch pro- bate und auch übertragbare Lö- sungen bisher keineswegs gefun- den hat.
Bei aller Bejahung der Qualitätssi- cherung auch in der Bundesrepu- blik trat jedoch - und zu einem Vergleich verleitete die internatio- nale Besetzung dieser Tagung ge- radezu - deutlich zutage, daß sie
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mit erheblichem finanziellen Auf- wand verbunden ist. Es sind weni- ger die Forschungskosten, als die Kosten der Routineeinführung von Maßnahmen zur Qualitätssiche- rung, die in beachtliche Größen- ordnungen aufsteigen. Leider konnte sich die Tagung nicht nä- her damit auseinandersetzen, wie die Finanzierungsprobleme gelöst werden können. Dies verblieb eher im Nebel der Grundsatzdiskus- sion. Mehr oder weniger beiläufig wurde aber über die einzelnen Haushalte der Qualitätssiche- rungsorganisationen der Amerika- ner berichtet, wo es nicht um Hun- derttausende, sondern gleich um Millionen von Dollar geht.
Die Diskussion um die Einführung von Qualitätssicherungsprogram- men in der Bundesrepublik ist demgemäß von der Unsicherheit überlagert, wer denn letztlich all diese Programme, Studien, Unter- suchungen, Verlaufskontrollen bezahlen soll. Und dies zu einer Zeit, in der die Kassen der sozialen Krankenversicherung immer lee- rer werden. Leider blieb diese Fra- ge weitestgehend offen.
Ferner wird man die Befürworter ausgedehnter Programme fragen müssen, was denn Qualitätssiche- rung unter Effizienzüberlegungen überhaupt soll, wenn nicht die Va- lidität, d. h. der Nutzen der Quali- tätssicherung auch im Hinblick auf die Kostendiskussion meßbar sein soll. So lange man also Fra- gen der Finanzierung nicht näher- getreten ist, ist die gewünschte breite Einführung der Qualitätssi- cherung in der Medizin nicht zu erreichen. Qualitätssicherung in absehbarer Zukunft wird sich so- mit auf bereits bekannte Qualitäts- sicherungsprogramme etwa im diagnostischen Bereich beschrän- ken. Und dort zeigt sich, daß es im wesentlichen der Sozialversicher- te selber ist, der über die Kranken- kassen die Kosten von Qualitätssi- cherungsmaßnahmen zu tragen hat!
Kennzeichen der aktuellen bun- desrepublikanischen Diskussion
Ausgabe B DEUTSCHES ARZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 47 vom 26. November 1982 19
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ist im übrigen ein beinahe verbis- sen geführter Streit um Grund- satzfragen, der um so härter wird, jec, mehr der Rand des finanziellen Plafonds sichtbar wird. In den USA und bei unserem holländischen Nachbarn agiert man viel pragma- tischer. Die Diskussion um die Va- lidität, d. h. die Beurteilung der Wertigkeit in qualitativer und quantitativer Hinsicht, zeigt auch die Gefahr, die durch die Anlage von perfektionierten Dokumenta- tionssystemen entsteht. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß
„Datenfriedhöfe" angelegt wer- den. Qualitätssicherung kann zum Selbstzweck werden — ohne Rück- sicht auf die Auswirkungen auf das ärztliche Handeln. Überhaupt
— und dies wurde auf dem Sympo- sium sehr deutlich — ist die Frage der Validität von Qualitätssiche- rungsmaßnahmen ein weites und zum Teil noch recht unbearbeite- tes Feld. Wer Qualitätssicherungs- maßnahmen einführen will, muß sich von vornherein die Frage ge- fallen lassen, wozu dies in allen Konsequenzen letztlich nützlich ist, inwieweit die Auswirkungen positiv meßbar sind, gemessen am Nutzen für den Patienten. Die Er- fahrungen mit den Professional Standard Review Organisations (PSRO) in den USA zeigen dies deutlich. Denn die Wirksamkeit von Qualitätssicherungsprogram- men korreliert mit dem Verhalten der Teilnehmer. Für deren Erfolg ist es wichtig, daß die Ärzte unab- hängig und freiwillig an spezifi- schen, in ihrer Berufsgruppe ver- ankerten Programmen teilneh- men. Daraus läßt sich eine weitere Schwierigkeit der Diskussion in der Bundesrepublik ableiten. Heu- te sind mehr oder weniger gut durchdachte und funktionierende Einzelinitiativen die Regel. So sind Methode und Durchführung der bayerischen Perinatalerhebung modellhaft nahezu auf das gesam- te Bundesgebiet übertragen wor- den. Hier und bei anderen Aktivitä- ten der Qualitätssicherung wird zunehmend schärfer die Frage ak- zentuiert, in welchen organisatori- schen Bahnen und Organisations- formen sich all das vollzieht. Die
Frage nach der Organisationsform stellt sich auch dann, wenn es dar- um geht, unterschiedliche Initiati- ven zu identifizieren, sie zu be- schreiben und voranzutreiben.
Ganz ohne Frage ist die Organisa- tionsform mit der finanziellen Grundlage eng verknüpft. Also, al- les in allem ein weiter und ungelö- ster Problem- und Fragenkom- plex.
Welcher
organisatorische Rahmen?
Auf der Tagung der Robert-Bosch- Stiftung beriet man auch über die Organisation von Qualitätssiche- rung. Es wurde vorgeschlagen, ei- ne Stiftung zur Finanzierung und Durchführung zu errichten. Diese Stiftung solle Qualitätssiche- rungsmaßnahmen für die ver- schiedenen ärztlichen Berufs- gruppen, über ihre wissenschaftli- chen, beruflichen und standes- rechtlichen Einrichtungen hinweg koordinieren und finanzieren. Ge- dacht ist an eine technische Orga- nisationszentrale, die alle von der Qualitätssicherung Betroffenen zusammenführt, aber über das Or- ganisatorische hinweg in das Methodisch-Medizinisch-Wissen- schaftliche nicht eingreift. Das soll von eigenen „wissenschaftli- chen Leitstellen" erledigt werden.
Bei allen guten Absichten der aus der Wissenschaft kommenden Be- fürworter dieser Organisations- form wird diesen doch die Dyna- mik einer solchen neugeschaffe- nen, zielgerichteten Institution nicht recht bewußt. Sie würde sehr schnell das „Zerrbild einer dirigi- stischen Administrierung des Qua- litätssicherungsgedankens" an- nehmen. Eine eigene Stiftung auf diesem Gebiet wird eine Eigendy- namik entwickeln. Diese ist nicht auf ein harmonisches Ineinander- fügen bestehender Institutionen und Organisationen gerichtet, die ihrerseits der Sache verpflichtet sind, sondern eigener Profilierung durch Dissens und Gegensatz.
Den Befürwortern einer solchen Stiftung sollte ein Blick in die Ver-
bandsgeschichte genügen, um sich zu verdeutlichen, daß damit ihre guten Absichten von vornher- ein zum Scheitern verurteilt sind oder auf einen Weg gelangen, den die oben zitierte PSRO's einschla- gen: Die Ärzte arbeiten höchstens formell mit! Die Initiatoren dieser Idee vergessen somit, daß Quali- tätssicherungsmaßnahmen, sollen sie wirksam sein, nur in Frage kommen, wenn sie im Rahmen ei- ner freiwilligen Selbstkontrolle und der freiwilligen Beteiligung der Ärzteschaft erfolgen.
Bei allen heute noch erkennbaren Unsicherheiten in der Qualitätssi- cherung wird man nicht umhin können festzustellen, daß Quali- tätssicherung sein muß, nicht nur wegen der nicht unerheblichen und sich manchmal überschlagen- den Fortschritte in Wissenschaft und Technik. Man muß freilich auch wissen, daß Qualitätssiche- rung nicht in allen medizinischen Disziplinen realisierbar ist: Die Arzt-Patienten-Beziehung — und dies wird von keinem ernsthaft be- stritten — entzieht sich jeglicher Standardisierung und somit einer mit der Qualitätskontrolle eng ver- bundenen Normierung. Die Quali- tätssicherungsdiskussion, die ge- rade in unserer Zeit geprägt ist durch die leerer werdenden Kas- sen der sozialen Sicherungsinsti- tutionen, trägt aber auch die Ge- fahr in sich, durch ihr immanente Normierungs- und Standardisie- rungsgedanken die Medizin zu majorisieren und sie dirigistischen Eingriffen auszusetzen. Diese Ge- fahr ist besonders groß in einer Zeit knapper werdender Ressour- cen. Maßnahmen zur Qualitätssi- cherung aber aus diesem Grunde abzulehnen ist falsch, man muß sich darum bemühen, den richti- gen Weg einzuschlagen. Die Dis- kussion um die Grenzen der Quali- tätssicherung ist genauso wichtig.
Einen wichtigen Beitrag leistete das Symposium der Robert- Bosch-Stiftung.
Dipl.-Vw. Franz F. Stobrawa Haedenkampstraße 1 5000 Köln 41
20 Heft 47 vom 26. November 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B