Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 43|
28. Oktober 2011 A 2257 halt und Kooperationserfordernisse,einen stufenweisen Einstieg (erst Einbezug von seltenen Erkrankun- gen und Erkrankungen mit nachge- wiesenen Versorgungsdefiziten so- wie Leistungen nach § 115 SGB V) und nicht zuletzt statt umfangrei- cher Vorgaben des G-BA für diesen Bereich dreiseitige Vereinbarungen zwischen KBV, DKG und GKV- Spitzenverband.
Gerhard Baum, DKG-Hauptge- schäftsführer, beurteilte vieles an- ders. So kritisierte er die Forderung, Krankenhäuser müssten beispiels- weise bei der ambulanten Versor- gung von Onkologiepatienten mit Niedergelassenen kooperieren.
Dies werde schon dadurch er- schwert, dass Vertragsärzte derzeit noch mehr als 100 Konkurrenten- klagen gegen Kliniken wegen des
§ 116 b SGB V angestrengt hätten.
Auf die Sorgen der Psychologi- schen Psychotherapeuten ging der Präsident der Bundespsychothera- peutenkammer, Prof. Dr. Rainer Richter, ein. Sie befürchten, dass vor allem psychotherapeutische Praxen verkauft werden, weil in vielen Regionen auf dem Papier Überversorgung herrscht. Richter warnte, aktuelle Bedarfszahlen leg- ten keine Über-, sondern eine Un- terversorgung nahe: Drei Monate durchschnittliche Wartezeit auf ein Erstgespräch und weitere drei Mo- nate Wartezeit bis zur Behandlung seien üblich – „das wäre in anderen Bereichen völlig inakzeptabel“.
Der Gesundheitsökonom Dr. Jür- gen Wasem gab Richter recht: „Das Bild einer statistischen Überversor- gung passt nicht zur Versorgungs- wirklichkeit.“ Wasem empfahl, für die Bedarfsplanung entweder ein aktuelleres Basisjahr zu wählen oder „sich der Mühe zu unterzie- hen, realistische Verhältniszahlen zu generieren“.
Das Argument, erhebliche War- tezeiten entstünden vor allem, weil Psychotherapeuten weniger arbeite- ten als viele Facharztgruppen, ließ Wasem nur bedingt gelten: Dafür gebe es Gründe, zum Beispiel den hohen Frauenanteil und damit den Wunsch nach Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf.
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Sabine Rieser
VERBÄNDEGESPRÄCH
In vielem einig
Ärztliche Organisationen verständigten sich auf Ein - ladung der Bundesärztekammer auf Kernforderungen.
M
it dem Ziel, die Ärzteschaft zusammenzuführen, war Dr.med. Frank Ulrich Montgomery im Juni als Präsident der Bundesärzte- kammer angetreten. Es sei nötig, sich mehr als einmal im Jahr beim Deut- schen Ärztetag abzustimmen, hatte Montgomery gesagt und eine Art
„kleinen Ärztetag“ jeweils im Herbst angeregt. Einen ersten Er- folg auf dem Weg zum geeinten Auftreten nach außen hat er erreicht: Am 20. Oktober beriet der Vorstand der Bundesärz- tekammer gemeinsam mit dem der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und Vertretern von zehn ärzt - lichen Verbänden. Nach zweistündiger sachlicher Diskussion stand eine Re- solution mit gesundheits- politischen For derungen, die von einer großen Mehrheit der Verbände mitgetragen wird (im Wort - laut: www.aerzteblatt.de/112257).
Erstmals unternehme eine Bun- desregierung konkrete Maßnahmen, den zunehmenden Ärztemangel ernsthaft zu bekämpfen, heißt es dar - in zum Versorgungsstrukturgesetz.
Gelobt werden „wirksame Instru- mente für eine spürbare Verbesse- rung der ambulanten Versorgung insbesondere in strukturschwachen Regionen“. Es sei jedoch fraglich, ob sie ausreichten. Die Etablierung einer ambulanten spezialärztlichen Versorgung wird im Grundsatz be- grüßt, die Ausgestaltung jedoch kri- tisiert. Die ärztlichen Verbände und Institutionen fordern, den neuen Ver- sorgungsbereich durch vierseitige Verträge zwischen KBV, DKG, BÄK und GKV-Spitzenverband aus- zugestalten, gleiche Qualifikations- und Qualitätsanforderungen zu erar- beiten und den Geltungsbereich zu- nächst auf seltene Erkrankungen
und nachgewiesene Versorgungsde- fizite einzugrenzen und ihn erst spä- ter zu erweitern. Abgerechnet wer- den sollten die spezialärztlichen Leistungen statt über die Kranken- kassen über die Kassenärztlichen Vereinigungen – eine Forderung, die den Ausschlag dafür gegeben haben dürfte, dass Ulrich Weigeldt vom Deutschen Hausärzteverband und Dr. med. Werner Baumgärtner von Medi Deutschland zwar an dem Treffen teilnahmen, die Resolution aber nicht unterzeichneten. Einmü- tig appellieren die ärztlichen Organi- sationen an den Bundesgesundheits- minister, die GOÄ auf der Basis ei- nes von der BÄK betriebswirtschaft- lich durchkalkulierten Vorschlags zeitnah zu novellieren. Die Substitu- tion ärztlicher Leistungen lehnen die Verbände strikt ab. Sie befürworten stattdessen arztentlastende Regelun- gen einer qualifizierten Delegation.
Bekräftigt wird die Forderung nach einer Streichung der Arzneimittelre- gresse. „Der seit Jahren zu verzeich- nende Machtzuwachs des Gemein- samen Bundesausschusses ist mit ei- ner verstärkten Einflussnahme des Bundesgesundheitsministeriums auf die Arbeit der Selbstverwaltungs- partner verbunden“, heißt es in der Resolution. Die Unterzeichner for- dern zudem, „die Priorisierung me- dizinischer Leistungen öffentlich zu diskutieren.“ Diese Kernforderun- gen unterzeichnet haben neben BÄK und KBV die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizini- schen Fachgesellschaften, der Bun- desverband der Knappschaftsärzte, der Deutsche Ärztinnenbund, die Freie Ärzteschaft, die Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände, der Hartmannbund, der Marburger Bund, der NAV-Virchowbund und der Verband der Leitenden Kranken- hausärzte Deutschlands.
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Heinz Stüwe Initiator und
Moderator: Frank Ulrich Montgomery lud ärztliche Organisationen zum Gespräch.
Foto: dapd