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Archiv "Prognostische Bedeutung der MRT bei Bewusstlosigkeit nach Schädel-Hirn-Verletzung" (04.07.2003)

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A1868 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 274. Juli 2003

M

ehrere Vorschläge zur Beurtei- lung der Schwere einer Schä- del-Hirn-Verletzung sind im vergangenen Jahrhundert veröffent- licht worden: Während die Dauer der posttraumatischen Amnesie als der be- ste Gradmesser — „the best yardstick we have“ (3) — in England 1942 be- schrieben wurde, schlugen Tönnis und Loew (14) 1953 in Deutschland eine Einteilung der Schädel-Hirn-Verlet- zungen vor, die die Dauer aller post- traumatischen neurologischen Störun- gen in den Vordergrund stellte. Hier- nach war einem Schädel-Hirn-Trauma Grad I eine Verletzung mit vollständi- ger Rückbildung aller neurologischer Störungen, also Bewusstseinstörungen, Lähmungen et cetera innerhalb von vier Tagen zugeordnet. Grad II bedeu- tete die vollständige Rückbildung aller Symptome innerhalb von drei Wochen.

Grad III bedeutete die Persistenz neu- rologischer Störungen über drei Wo- chen hinaus.

Diese Einteilung ist bis heute an vie- len Krankenhäusern in Deutschland gebräuchlich. Die Hoffnung, in der Frühphase bereits die Prognose mithil- fe bildgebender Verfahren früher und genauer stellen zu können, wurde durch die Computertomographie (CT) nicht erfüllt, da großflächige zerebrale Verletzungen oft überlebt und tödliche Verläufe nach Schädel-Hirn-Trauma bei nur geringen Veränderungen im Computertomogramm häufig beob- achtet wurden (7, 8). Daher hat sich auch eine Einteilung des Schädel-Hirn- Traumas nach CT-Befund (12) nicht allgemein durchsetzen können. Die CT

hat gegenüber dem Kernspintomo- gramm (MRT) den Vorteil, akute Blu- tungen kontrastreicher darzustellen (10), womit es für die Identifizierung operationspflichtiger intrakranieller posttraumatischer Blutungen die bild- gebende Methode der Wahl ist. Das MRT hat jedoch gegenüber der CT nicht nur den Vorteil, Parenchymschä- den, Blutspuren und Ödeme insbeson- dere ab dem zweiten Tag nach dem Trauma besser darzustellen, sondern überhaupt Strukturen der hinteren Schädelgrube abzubilden, die in der CT prinzipiell durch eine Artefaktüberla- gerung weniger zuverlässig erkennbar sind. Nachdem erste Untersuchungsse- rien bestätigten (4, 5), dass mehr als die Hälfte der bewusstlosen Patienten nach Schädel-Hirn-Trauma eine in der CT nicht darstellbare Verletzung des Hirnstammes aufwiesen, wurden syste- matisch bewusstlose Patienten nach Schädel-Hirn-Verletzung im Klinikum der Autoren mittels MRT untersucht.

Prognostische Bedeutung der MRT bei

Bewusstlosigkeit nach Schädel-Hirn-Verletzung

Zusammenfassung

Die Computertomographie (CT) ist zwar die Methode der ersten Wahl zur Identifizierung operationspflichtiger intrakranieller Blutun- gen nach einer Schädel-Hirn-Verletzung, die genauere Darstellung intrazerebraler Verlet- zungsfolgen gelingt allerdings eher mit dem magnetischen Resonanztomogramm (MRT).

Da diese Untersuchung jedoch mit viel höhe- rem zeitlichem und personellem Aufwand verbunden ist, liegen bisher keine Erfahrun- gen aus systematischen Untersuchungsserien vor. Bei 176 Patienten, bewusstlos nach einer Schädel-Hirn-Verletzung, wurde nach einer initialen CT als Verlaufsuntersuchung ein MRT durchgeführt. Die Lokalisation der im MRT gefundenen Verletzungen korrelierte hoch signifikant mit der Letalität, dem Be- handlungsergebnis der Überlebenden und der Dauer der Bewusstlosigkeit. Ohne Hirn- stammverletzung lag die Letalität bei 4,5 Pro-

zent, mit einer Hirnstammverletzung bei 41 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, die Bewusst- losigkeit ohne Behinderung zu überleben, war umso größer, je geringer die Hirnstamm- verletzung war. Sie lag bei 70 Prozent, wenn nur eine Verletzung der Hemisphären vorlag und der Hirnstamm unverletzt war. Dem MRT kommt daher bereits in der Frühphase nach einer Schädel-Hirn-Verletzung eine hohe pro- gnostische Bedeutung zu.

Schlüsselwörter: Schädel-Hirn-Verletzung, Ko- ma, Kernspintomographie, Hirnschaden

Summary

Prognostic Relevance of Magnetic Resonance Imaging in Patients with severe Head Injury Following head injuries, computerized tomo- graphy (CT) is the method of choice to identify intracranial hematomas that require surgery.

Magnetic resonance imaging (MRI) allows for a more detailed depiction of intracerebral lesions.

As it requires much more time and staff, how- ever, there is no experience from systematic series on MRI after head injury as of yet. In 176 patients in coma after head injury a MRI was performed after an initial CT had been obtained. The location of lesions identified with the aid of MRI highly significantly correlated with mortality, outcome of survivors and duration of coma. Without a brain stem injury mortality was 4.5 per cent, it rose to 41 per cent, when the brain stem was affected.

The likelihood to survive posttraumatic coma without a handicap was 70 per cent when only the hemispheres were affected and the brain stem was left intact. MRI is concluded to have a high predictive value in the early phase after head injury.

Key words: head injury, coma, magnetic reso- nance imaging, brain damage

1Klinik für Neurochirurgie (Direktor: Prof. Dr. med. Rai- mund Firsching), Otto-von-Guericke-Universität, Magde- burg

2Klinik für Diagnostische Radiologie (Direktor: Prof. Dr.

med. Wilfried Döhring), Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg

3Institut für Biometrie und Medizinische Informatik (kom- missarischer Direktor: Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Bernd Blobel), Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg

Raimund Firsching

1

Dieter Woischneck

1

Steffen Reissberg

2

Wilfried Döhring

2

Brigitte Peters

3

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Patienten und Methoden

176 Patienten, nach einer Schädel-Hirn- Verletzung in die Klinik für Neurochir- urgie der Universität Magdeburg be- wusstlos eingeliefert, wurden in einer prospektiven Studie nach Zustimmung der örtlichen Ethikkommission unter- sucht. Als bewusstlos, bedeutungsgleich mit komatös, wurden die Patienten ein- gestuft, die nicht in der Lage waren, die Augen zu öffnen und Aufforderungen zu befolgen (2, 6). Es wurden ohne Se- lektion alle konsekutiven Patienten in die Studie aufgenommen, die minde- stens 24 Stunden nach Schädel-Hirn- Verletzung bewusstlos waren, obwohl nur soweit sediert wurde, wie für eine hinlängliche Beatmung erforderlich.

Alle Patienten waren intubiert. Das Al- ter reichte von 1 bis 88 Jahren, median 38 Jahre. Das Verhältnis männlich zu weiblich war 129 : 47. Ursachen der Schädel-Hirn-Verletzung waren:

Autounfall 80 (45 Prozent), Sturz 52 (30 Prozent),

Fahrradunfall 15 (9 Prozent), Motorradunfall 12 (7 Prozent), andere Ursachen 17 (9 Prozent).

Ausnahmslos wurde zunächst bei Aufnahme ein CT angefertigt, das MRT wurde zwischen sechs Stunden und acht Tagen nach Einlieferung bei den noch intubierten Patienten mit Bewusst- seinsstörungen anstelle eines Verlaufs- CTs durchgeführt. Ausgeschlossen wur- den die Patienten, bei denen die MR- Untersuchung wegen Metallimplanta- ten kontraindiziert oder wegen vital be- drohlicher Kreislaufinstabilität zu ge- fährlich erschien oder bei denen der Kernspintomograph aus technischen Gründen nicht zur Verfügung stand. Bei der MR-Untersuchung – 1,5 Tesla, Sie- mens – wurden T1- (TR 462 ms, TE 12 ms) und T2-Sequenzen (TR 5400 ms, TE 99 ms) in transversalen 6-Millime- ter-Schichten ausgewertet. Koronare TIRM-Sequenzen (TR 9999 ms, TE 105 ms, Ti 180 ms) wurden in 4- bis 6-Milli- meter-Schichten und sagittale T2-ge- wichtete Bilder in 3-Millimeter-Schich-

ten ausgewertet. Die Läsionen wurden nicht nach ihrer Größe in cm3, sondern nach der Lokalisation der betroffenen Hirnanteile dokumentiert. Unterschie- den wurden ein- oder beidseitige Läsio- nen in den Großhirnhemisphären, dem Balken, dem Hirnstamm, dem Mesen- Tabelle 1 ´

Statistische Auswertung der MR-Befunde

MR-Befunde gegen: Methode Signifikanztest

Komadauer ANOVA T-Test

Letalität Kreuztabelle Fishers-Exact-Test

GOS der Überlebenden Kreuztabelle Fishers-Exact-Test

Überlebenskurven Kaplan Meier Log-Rank-Test

Signifikanz ab p < 0,05 ANOVA, analysis of variance (Varianzanalyse); GOS, Glasgow outcome scale

Tabelle 2 ´

Behandlungsergebnis in Bezug auf die MR-Befunde

Zerebraler Anzahl Einteilung der MR-Befunde Verstorben Apallischer Schwer Leicht Nicht Mittlere

Verletzungs- (Letalität) Patient behinderte behinderte behinderte Komadauer

grad im MR Patienten Patienten Patienten (Tage)

Grad I 68 von Verletzung ausschließlich supratento- 3 0 4 16 45 2,9

176 riell. Der Hirnstamm weist keine (4,5 %) (= 39 %) Verletzungen auf.

Grad II 38 von Einseitige Verletzung des Hirnstammes 6 0 8 16 8 6,6

176 in beliebiger Höhe mit oder ohne (15,7 %) (= 22 %) zusätzliche Grad-I-Verletzung

Grad III 34 von Beidseitige Verletzung des Mesen- 8 9 13 4 0 12,2

176 cephalon mit oder ohne zusätzliche (23,5 %) (= 19 %) Grad-II-Verletzung

Grad IV 36 von Beidseitige Verletzung des Pons mit 35 0 0 0 0 durch-

176 oder ohne zusätzliche Grad-III- (97,3 %) gehend

(= 20 %) Verletzung bewusstlos

Abbildung 1 a und b: 13-jähriger Junge nach Verkehrsunfall. MRT am 2. Tag nach Unfall:

keine Hirnstammläsion. Komadauer: 3 Tage.

Das Kind überlebt leicht behindert

a a

b b

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cephalon, dem Pons, dem verlängerten Mark und dem Kleinhirn. Dem auswer- tenden Radiologen war der klinische Befund unbekannt. Die Korrelation zwischen MR-Lokalisation der Verlet- zungen, Dauer der Bewusstlosigkeit, Behandlungsergebnis bei den Überle- benden und Letalität wurde statistisch ausgewertet (Tabelle 1).

Lokalisation der

Verletzungsfolgen im MRT

Die statistische Auswertung ergab je nach Lokalisation der posttraumati- schen Veränderungen im MRT hochsig- nifikant unterschiedliche klinische Ver- läufe: Nach der statistischen Korrelati- on der Lokalisation der Verletzungen mit der Letalität und der Dauer der Be- wusstlosigkeit lassen sich vier zerebrale Verletzungsmuster unterscheiden (Ta- belle 2, Abbildung 1– 4).

Die Häufigkeit der Kombination ein- zelner Lokalisationen der Verletzungen mit dem Behandlungsergebnis und der Komadauer ist in Tabelle 2aufgeführt.

Patienten ohne Hirnstammbeteili- gung machten 39 Prozent aus (68 von 176 Patienten).

Damit lag bei der Mehrzahl der Pati- enten eine im MRT nachweisbare Hirn- stammverletzung vor. Die Anzahl der Patienten mit einer Grad-II-, -III- oder - IV-Verletzung betrug jeweils etwa 20 Prozent. Traumatische Kleinhirnblu- tungen fanden sich bei sechs Patienten, die jeweils in vier Fällen bei ausschließ- lich supratentoriellen Begleitverletzun- gen einer Grad-I-Verletzung bezie- hungsweise in zwei Fällen bei eindeuti- ger Hirnstammverletzung einer Grad- II-Verletzung zugeordnet wurden.

Alle Kleinhirnverletzungen wurden überlebt. Bei den höhergradigen Verlet- zungen Grad II bis IV fanden sich bis auf zwei Ausnahmen immer zusätzlich supratentorielle Verletzungen.

Letalität

Insgesamt verstarben 29 Prozent der Pa- tienten innerhalb von sechs Monaten nach der Schädel-Hirn-Verletzung. Die Korrelation der Letalität mit der Lokali- sation der Verletzung war hochsignifi-

kant (Tabelle 2). Ohne Hirnstammver- letzung, lag die Letalität bei 4,5 Prozent, fand sich eine Hirnstammverletzung, lag sie bei 41 Prozent. Kaplan-Meier-Über- lebenskurven für jeden Verletzungsgrad sind in derGrafikdargestellt.

Behandlungsergebnis der Überlebenden

Der neurologische Befund sechs Mona- te nach Unfall wurde ausgewertet. Nur bei Grad-I-Verletzungen fand sich überwiegend (66 Prozent) keine blei- bende neurologische Behinderung. Bei Grad-II-Verletzungen fand sich nur in etwa 21 Prozent keine Behinderung, keiner der Patienten mit einer Grad- III-Verletzung überlebte ohne neurolo- gische Störungen.

Patienten mit Grad-II-Verletzungen überlebten am häufigsten mit leichten Behinderungen. Grad-III-Verletzungen führten in 26 Prozent der Fälle zum apallischen Syndrom zum Zeitpunkt der Entlassung beziehungsweise Verlegung.

Dieses Syndrom wurde ausschließlich in der Folge von Grad-III-Verletzungen beobachtet (Tabelle 2).

Dauer der Bewusstlosigkeit

Die Dauer bis zum Aufwachen aus der Bewusstlosigkeit korrelierte hochsigni- fikant mit der Lokalisation der Hirn- schädigung (Tabelle 2). Ohne Hirn- stammschädigung betrug die mittlere Komadauer 2,9 Tage. Mit beidseitiger Läsion des Pons war kein Patient aus dem Koma erwacht (Tabelle 2). Bei Grad I lag die Komadauer in Tagen bei 2,5, bei Grad II bei 7,8, bei Grad III bei 13,9 und bei Grad IV verstarben 36 von 37 Patienten ohne aus dem Koma zu er- wachen. Ein Patient hat als einziger seit 18 Monaten eine Grad-IV-Verletzung in bewusstlosem Zustand und überlebt, er atmet spontan und suffizient über ein Tracheostoma, kann die Augen jedoch nicht öffnen und reagiert nicht auf An- sprache. Äußerungen, die die Wahrneh- mung seiner Umgebung erkennen ließen, fehlen.

Alle Patienten, die bei einer Grad-I- bis -III-Läsion verstarben, waren zwi- A

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Abbildung 2: 20-jähriger Mann nach Ver- kehrsunfall. MRT am zweiten Tag nach Unfall:

einseitige Hirnstammläsion. Komadauer: 7 Tage. Der Patient überlebt leicht behindert.

Abbildung 3: 18-jähriger Mann nach Verkehrs- unfall. MRT vier Tage nach SHT. Komadauer 11 Tage. 12 Monate nach Unfall: Patient mit apal- lischem Syndrom

Abbildung 4: 71-jähriger Patient nach Sturz.

MRT: beidseitige Ponsläsion. Patient verstirbt nach zwei Wochen. Bis zum Tod durchgehend bewusstlos

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schenzeitlich ausnahmslos aus der Be- wusstlosigkeit erwacht. 61 Prozent der Patienten, die 24 Stunden bewusstlos waren, hatten eine Hirnstammschädi- gung. Patienten, die bis zum achten Tag nach dem Unfall nicht aus der Bewusst- losigkeit aufgewacht waren, hatten aus- nahmslos eine Hirnstammverletzung.

Eine Verletzung des Corpus callosum korrelierte nicht mit der Dauer der Be- wusstlosigkeit (Tabelle 2). Die mittlere Komadauer in Tagen beträgt bei Patien- ten ohne kallosale Läsionen 6,3 und mit kallosalen Läsionen 5,6.

Diskussion

Das Verständnis für die Verletzungen des Gehirns ist durch die rasante Ent- wicklung der Bildgebung in den letzten 35 Jahren entscheidend geprägt wor- den. Nachdem epidurale Blutungen mittels CT viel besser als angiogra- phisch nachgewiesen werden konnten und mit der CT auch intrazerebrale posttraumatische Verletzungen darge- stellt werden konnten, stellte sich die Frage, woran sterben bewusstlose Pati- enten in den Fällen, in denen die CT vergleichsweise unauffällig ist. Als Er- klärung wurde das histopathologisch gelegentlich beschriebene Phänomen des „diffusen axonalen Schadens“ (1) angeführt.

Bei einer länger als sechs Stunden anhaltenden Bewusstlosigkeit in Ver- bindung mit einer Computertomogra- phie ohne raumfordernde Blutung wur- de nach dieser Vorstellung grund- sätzlich eine diffuse Hirnschädigung unterstellt (9). Indirekte Anzeichen, zum Beispiel verstrichene mesencepha- le Zisternen oder Furchen dienten zur Unterscheidung unterschiedlicher Schweregrade einer unterstellten diffu- sen Hirnschädigung, die natürlich im Computertomogramm nur vermutet werden konnte, da in der Regel eine hi- stopathologische Bestätigung nicht möglich war.

Die denkbare Möglichkeit, dass ein in der CT grundsätzlich nicht oder kaum darstellbarer Hirnstammschaden ursächlich für Koma und Tod sein könn- te, wie in älteren pathologischen Schrif- ten dargestellt (13), wurde praktisch seit Einführung der CT nicht mehr dis-

kutiert. Hirnstammschäden waren auch in sorgfältigsten Untersuchungen in der CT in weniger als 10 Prozent der Fälle bei bewusstlosen Patienten nachweis- bar (11). Diese Ausblendung des Hirn- stamms hat sich über Jahrzehnte eta- bliert, weil das MRT des bewusstlosen Patienten nur mit großem apparativen, personellen und zeitlichen Aufwand möglich ist. Daher liegen auch kaum Erfahrungsberichte (10) über das frühe MRT nach Schädel-Hirn-Verletzungen vor. Die nun jedoch serienmäßig erho- benen Befunde sind unter zwei Ge- sichtspunkten überraschend: Erstens

sind Störungen des Hirnstamms ent- scheidend häufiger als bisher nachweis- bar; sie sind bei mehr als 24 Stunden be- wusstlosen Patienten in der Mehrzahl der Fälle zu finden. Zweitens lässt sich zeigen, dass gerade die bisher nicht hin- reichend bekannten Hirnstammschä- den verlaufsbestimmend bezüglich Le- talität, Behandlungsergebnis der Über- lebenden und Dauer der Bewusstlosig- keit sind. Diese Befunde stellen eine Bestätigung der bereits 1953 von Tön- nis und Loew (14) vorgeschlagenen Einteilung der Schädel-Hirn-Verlet-

zungen dar, die sich auf die Korrelation zwischen Schwere der Hirnschädigung und posttraumatischer Dauer der neu- rologischen Störungen bezog. Je länger ein Patient aus der Bewusstlosigkeit nicht erwacht, desto höher die Wahr- scheinlichkeit einer spezifischen Hirn- stammläsion und desto schlechter die Prognose. Neben den klinischen Befun- den, die eine Hirnstammfunktions- störung andeuten, Bewusstlosigkeit, Pupillenstörungen und Streckkrämpfe, haben die evozierten Potenziale eine große prognostische Bedeutung er- langt. Der beidseitige Ausfall der soma- tosensorisch evozierten Po- tenziale zeigt mit hoher Wahr- scheinlichkeit einen tödlichen Verlauf an (7) und scheint nach ersten Erfahrungen häu- fig durch die im MRT sich dar- stellenden Hirnstammschä- den verursacht (4).

Eine beidseitige Läsion des Pons in der MRT war nicht nur in 98 Prozent tödlich, in keinem Fall konnte bisher ein Erwachen aus der Bewusstlo- sigkeit beobachtet werden. Im appallischen Syndrom, also in einem Zustand, indem der Pa- tient zwar die Augen öffnen kann, aber sonst keine Will- kürmotorik oder irgendeine Wahrnehmung seiner Umge- bung andeuten kann, fanden sich überraschende Befunde:

Alle Patienten hatten eine beidseitige Läsion des Mesen- cephalons im frühen MRT.

Von allen Patienten, die im frühen MRT eine beidseitige Läsion des Mesencephalons hatten, entwickelten 50 Pro- zent bis zum Entlassungszeitpunkt das Bild des apallischen Syndroms, welches sich bei einem Teil der Patienten teil- weise zurückbildete. Kein Patient, der nicht eine beidseitige Läsion des Me- sencephalons hatte, entwickelte ein apallisches Syndrom.

In einigen wenigen Fällen zeigte sich, dass die zunächst im frühen Kernspin- tomogramm darstellbaren Mesence- phalonveränderungen, die zum apalli- schen Syndrom geführt hatten, in Ver- laufsuntersuchungen kaum noch dar- stellbar und allenfalls als diskrete Atro- Grafik

Überlebenskurven in Korrelation zur MRT-Klassifikation.

Signifikante Unterschiede im Verlauf der Überlebens- kurven in Korrelation zu den Kategorien der MRT-Klassi- fikation hirnverletzter Patienten (p < 0,001; X: zensierte [überlebende] Patienten 3, 6, 12, 24 und 36 Monate nach Unfall). Rot: Grad-I-Verletzung, nur supratentoriell; blau:

Grad-II-Verletzung, Hirnstamm einseitig; gelb: Grad-III- Verletzung, Mesencephalon beidseitig; grün: Grad-IV- Verletzung, Pons beidseits.

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phie erkennbar waren. Aus diesen Be- obachtungen heraus scheint dem frühen MRT eine besondere Bedeu- tung zukommen.

Eine Unterscheidung primärer Hirn- stammverletzungen, die unmittelbar zum Zeitpunkt des Traumas als Kontu- sion entstehen, von sekundären, die nach einer supratentoriellen Drucker- höhung infolge Einklemmung entste- hen, ist mit den hier ermittelten Befun- den nicht möglich. In zwei Einzelfällen mit epiduralen Hämatomen und freiem Interwall mit sekundärer Einklemmung stellten sich die tödlichen Hirnstamm- verletzungen als Ödem und schließlich Nekrose dar, es fehlten Blutspuren der Hirnstammverletzungen. In diesen Fäl- len handelte es sich zweifelsfrei um se- kundäre Veränderungen. Diesen selte- nen Befunden steht die Mehrzahl der Hirnstammverletzungen gegenüber, die Einblutungen aufwiesen. Bei diesen Pa- tienten scheint eine primäre Hirn- stammkontusion wahrscheinlich, weil sie Verläufe mit initialer Bewusstlosig- keit aufwiesen.

Da frische Blutungen sich in den er- sten Stunden nicht kontrastreich im MRT darstellen, können die MR-Un- tersuchungen besonders ab dem dritten Tag nach Unfall empfohlen werden.

Klinischer Nutzen

In der akuten Neurotraumatologie bleibt die Computertomographie zu- nächst das Bildgebungsverfahren der ersten Wahl, da es am besten und schnellsten geeignet ist, operations- pflichtige Blutungen zu identifizieren.

In einer Verlaufsbeurteilung kommt je- doch der Kernspintomographie eine zu- nehmende Bedeutung zu, da es durch die präzisere Darstellung des Hirnge- webes von weitaus größerer prognosti- scher Bedeutung ist. Somit lässt sich der Verlauf zu einem frühen Zeitpunkt an- hand des MR-Befundes mit hoher Ge- nauigkeit abschätzen (5).

Diese Arbeit wurde durch das Bundesministerium für Bil- dung, Forschung und Technologie gefördert. Sie ist Herrn Prof. Frowein zur Vollendung des 80. Lebensjahres gewid- met.

Manuskript eingereicht: 12. 12. 2002, revidierte Fassung angenommen: 19. 3. 2002

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2003; 100: A 1868–1874 [Heft 27]

Literatur

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Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Raimund Firsching Klinik für Neurochirurgie der Universität Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Leipziger Straße 44

39120 Magdeburg

E-Mail: neurochirurgie@uni-magdeburg.de

Eine Koloskopie ab dem 55. Lebens- jahr zählt seit Oktober 2002 im Ab- stand von zehn Jahren zur gesetzlichen Krebsvorsorgeleistung. Eine Kolosko- pie macht nur Sinn, wenn der Darm durch entsprechende Maßnahmen ge- reinigt ist, in der Regel durch Abführ- maßnahmen und Trinken einer isoto- nen Elektrolytlösung.

Die Autoren berichten über drei Pa- tienten, die im Rahmen der Darmvor- bereitung mit vier Liter Golytely eine massive Hyponatriämie entwickelten in Verbindung mit Übelkeit, Erbre- chen, Kopfschmerzen und einer ver- mehrten Flüssigkeitszufuhr.

Bei zwei der drei Patienten lag ein terminales Nierenversagen der Elek- trolytentgleisung zugrunde. Primär führt die Kolonlavage mit isotoner Elektrolytlösung nicht zu einer Ände- rung der Natriumkonzentration im Se-

rum, bei gestörter Nierenfunktion kann es jedoch zu einer massiven Ent- gleisung im Sinne einer Hypo-, aber auch einer Hypernatriämie kommen, deren Erkennung durch die üblichen sedierenden Maßnahmen verzögert werden kann.

w Ayus J C, Levine, R, Arieff A I: Fatal dysnatraemia caused by elective coloscopy. BMJ 2003; 326: 382–384.

Dr. J. C. Ayus, Department of Medicine University of Te- xas Health Sciences Center San Antonio, TX 78284, USA, E-Mail: carlosayus@yahoo.com

Tödliche Dysnatriämie nach elektiver Koloskopie

Referiert

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