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er Bausatz kostet etwa 55 Euro und lässt sich von geübten Heim- werkern problemlos selbst zusam- menbasteln. Im wahrsten Sinne des Wortes todsicher soll die Bedienung der„Selbstmordmaschine“ sein, die der australische Arzt und Sterbehilfe-Akti- vist Philip Nitschke Ende Mai bei einer Konferenz in Sydney vorgestellt hat.
Das Gerät stößt Kohlenmonoxid aus und lässt den Benut-
zer nach Angaben des Erfinders fried- lich entschlafen.
Nitschkes bizarrer Sterbeapparat soll unheilbar Kranken helfen, ihr Leben selbstständig zu be- enden. Was aber, wenn der Tod we- gen der Schwere der Erkrankung nicht selbst herbeigeführt werden kann oder der Patient nicht mehr in der Lage ist, seinen Todeswillen
klar zu bekunden? Zu welchem Zeit- punkt dürfen lebenserhaltene Instru- mente abgeschaltet werden, um unnö- tiges Leiden zu verhindern?
Zwei Jahre nach der Entscheidung des niederländischen Parlaments, ärzt- lich gestützte Euthanasie zuzulassen, entbrennt in Deutschland ein weiteres Mal die Debatte über ethische Grenz- fragen zum Ende des menschlichen Lebens. So befasste sich im Mai der 106. Deutsche Ärztetag in Köln mit der palliativmedizinischen Versorgung in Deutschland und sprach sich zudem eindeutig gegen aktive Sterbehilfe aus.
Auch die Ethikenquete des Bundes- tages setzte die Themen Sterbehilfe,
Sterbebegleitung und Palliativmedizin ganz oben auf ihre Agenda. Mitte Juni befasste sich schließlich der Nationale Ethikrat in einem Expertenforum in Berlin mit der sensiblen Problematik.
Privatdozent Dr. Christof Müller- Busch vom Palliativzentrum Berlin- Brandenburg bezeichnete auf dem Fo- rum des Ethikrats die Anerkennung von Patientenautonomie als ein Grundele-
ment medizinischen Handelns. Nach An- sicht des Experten bleibe dennoch die Frage: „Wann sagen wir, dass Behand- lungen bei diesen Menschen sinnlos ge- worden sind, unvernünftig, aus sonstigen Gründen nicht möglich oder nicht indi- ziert?“ Letztlich stünden ethische Hand- lungsprinzipien der modernen Medizin nicht in einer hierarchischen Ordnung, sondern in einem Spannungsfeld mit unterschiedlicher Gewichtung im kon- kreten Fall.
Die Krankengeschichte von Herrn R., die Müller-Busch vortrug, verdeut- licht dies: Herr R. (65), ein ehemaliger Bankkaufmann, befindet sich seit über einem Monat in palliativmedizinischer
Behandlung. Ein Prostata-Karzinom und mehrere Schlaganfälle, die unter anderem zu einer sensorisch-motori- schen Aphasie geführt hatten, wa- ren seiner Einweisung vorangegan- gen. Kommunikation oder gar verbale Willensäußerungen sind seither un- möglich. Herr R. schreit bei jeder pas- siven Bewegung vor Schmerz, während er in Ruhephasen teilnahmslos, gele- gentlich auch lächelnd fernsieht.
Müller Busch: „Wer entscheidet, un- ter welchen Bedingungen oder wann die Erkrankung dieses Menschen einen irreversiblen tödlichen Verlauf genom- men hat? In welcher rechtlichen Grau- zone bewegen wir uns?“ Die Betreuung eines sterbenskranken Menschen sei immer ein sehr individueller und häufig auch anstrengender Prozess für alle Be- teiligten, der Verständnis und Respekt verlange, schließlich aber auch die Be- reitschaft beinhalte, das Sterben und den Tod dieses Menschen mittragen und mitverantworten zu können. Mül- ler-Busch wies darauf hin, dass Palliati- vmedizin einen Orientierungsrahmen biete, der verantwortliche Entscheidun- gen bei aussichtsloser Lebensperspekti- ve ermögliche, ohne dass der Rahmen der rechtlich zulässigen Sterbehilfe ver- lassen werde. „Gezielte Lebensverkür- zung gehört nicht in den Verantwor- tungsbereich der Palliativmedizin“, stellte Müller-Busch klar.
Erleichtert wird Ärzten und An- gehörigen die Entscheidung über Leben und Tod, wenn eine so genannte Patien- tenverfügung vorliegt, die darauf ab- zielt, im Falle der Einwilligungsun- fähigkeit einen selbstbestimmten Um- gang des Betroffenen mit dem eigenen Leben zu garantieren. Die rechtliche Bedeutung von Patientenverfügungen unterstrich zuletzt der Bundesgerichts- hof in seinem Urteil vom 17. März (XII ZB 2/03). Demnach müssten lebens- erhaltende oder -verlängernde Maß- nahmen unterbleiben, wenn dies dem zuvor in Form einer Patientenverfügung geäußerten Willen entspreche. Dies folge aus der Würde des Menschen, die es gebiete, sein in einwilligungsfähi- gem Zustand ausgeübtes Selbstbestim- mungsrecht auch dann noch zu respek- tieren, wenn er zu eigenverantwortli- chem Entscheiden nicht mehr in der La- ge sei, urteilten die Richter.Samir Rabbata P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 2627. Juni 2003 AA1785
Patientenautonomie
Zwischen Fürsorge und Selbstbestimmung
Ärzte, Politiker und Ethikräte suchen in Deutschland nach Ant- worten auf ethische Fragen zum Ende des menschlichen Lebens.
Gezielte Lebensverkürzung gehört nicht in den Verantwortungs-
bereich der Palliativmedizin. Foto: epd