A 1494 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 31–32|
5. August 2013 Dabei meine ich nicht so sehr diehäufig beklagte Zunahme der An - glizismen. Das ist nur eine Mode, die wieder verschwinden wird . . . Aus gegebenem Anlass habe ich dieser Tage meiner Frau vorge- schlagen, dass wir unseren Verlo- bungstag in Zukunft als jährlichen
„Tag der partizipativen Entschei- dungsfindung“ (DoPDF) bege- hen. (Ihre Antwort kam prompt, braucht aber hier nicht wiedergege- ben zu werden).
Diesen Schwulst musste ich bei der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung lesen, die allen Ernstes das Folgende empfohlen hat: „Die Er- wartungshaltung des Patienten wird exploriert und dann die Entschei- dung für oder wider . . . im Rahmen einer partizipativen Entscheidungs- findung besprochen, nachdem für den Patienten in nachvollziehbarer Weise ein abwendbar gefährlicher Verlauf ausgeschlossen wur- de.“ Das läuft sogar auch noch un- ter der Vorschlagzeile „Ärztliches
Kommunikationsverhalten“. Dabei ist von Verhalten gar nicht die Re- de, und statt „Ärztliches“ war wohl gemeint „Ärgerliches“!
Können denn Akademiker nicht – oder wollen sie nicht – einfach und klar sagen: „Die Entscheidung für oder wider . . . sollte im Gespräch mit dem Patienten getroffen wer- den.“? Ist so etwas Sorglosigkeit oder gar Unfähigkeit? Helfen wir auf diese Weise den Mitbürgern mit ausländischer Abstammung bei ih- rer Integration? Geben wir so den Schulkindern ein gutes Beispiel?
Und ist es gleichgültig, ob wir rich- tig verstanden werden oder nicht?
Wirklich ernst wird es, wenn Fach- leute selbst Sachverhalte, die zu Rechtsstreiten führen können, nicht mehr eindeutig ausdrücken. Auch dafür ein Beispiel:
Bundesärztekammer und Deutsche Krankenhausgesellschaft haben sich zum Thema Bonuszahlungen für leitende Ärzte auf folgende Emp- fehlung geeinigt: „Finanzielle An-
reize für einzelne Operationen/Ein- griffe oder Leistungen dürfen nicht vereinbart werden, um die Unab- hängigkeit der medizinischen Ent- scheidung zu sichern.“ Der Satz sieht klar und einfach aus, kann aber völlig falsch verstanden wer- den. Das „um zu“ ist fehl am Platze.
Denn: Wenn Anreize nicht mit dem Ziel („um zu“), die Unabhängigkeit zu sichern, vereinbart werden dür- fen – ja, wann dürfen sie denn dann vereinbart werden? Um die Unab- hängigkeit zu gefährden? – Das ist aber nicht gemeint. Warum schreibt man also nicht klipp und klar: „Weil finanzielle Anreize . . . die Unabhän- gigkeit . . . gefährden können, dür- fen sie nicht vereinbart werden.“?
Schon vor Jahrzehnten begannen wir, von der „Sprechenden Medi- zin“ zu reden. Und wo sind wir ge- landet? „Im Rahmen einer partizi- pativen Entscheidungsfindung“! – Tucholsky würde gesagt haben:
Und genauso siehste auch aus.
Günter Burkart, 53347 Alfter
HIV-THERA PIE
Wissenschaftler be- tonen, dass derzeit keine Möglichkeiten bestehen, das hu- mane Immundefi- zienzvirus zu eradi- zieren (DÄ 19/2013:
„Normale Geburt statt Kaiserschnitt“
Leserbrief von Ralph Kästner).
Mutterschaftsrichtlinien dringend überarbeiten
. . . Dass Ärzte erst im Kreißsaal von der HIV-Infektion der Gebä- renden erfahren, ist ein untragbarer Missstand, den wir über die seit 1998 bestehende ehrenamtliche Hotline „HIV und Schwanger- schaft“ der Frauenklinik der Uni- versitätsmedizin Mannheim kon- stant über die Jahre aus dem ge- samten Bundesgebiet erfahren.
Dass 30 Jahre nach der Erstbe- schreibung von HIV, nach Quan- tensprüngen in der Therapieoption der HIV-Infektion . . . und einer im europäischen Vergleich vorbildli- chen Schwangerschaftsvorsorge
auch im Jahr 2013 Schwangere sich ohne HIV-Test und/oder ohne dessen adäquate Dokumentation im Mutterpass zur Geburt im Kreißsaal einfinden und daraus HIV-Infektionen der Neugebore- nen resultieren, ist eine Katastro- phe! . . .
Am 13.09.2007 beschloss der Ge- meinsame Bundesausschuss die folgende Änderung der Mutter- schaftsrichtlinien. Danach soll je- der Schwangeren ein HIV-Antikör- pertest empfohlen werden. Juris- tisch bedeutet das Wörtchen „soll“
im Gegensatz zu der Formulierung
„ist zu empfehlen“, dass es weiter- hin im Ermessen des betreuenden Arztes liegt, ob er den HIV-Test an- bietet. Bereits hier zeigt sich ein erster juristischer Fallstrick. Die Durchführung der Beratung zum HIV-Antikörpertest ist im Mutter- pass zu dokumentieren. Hierzu wurde auf Seite fünf im Mutter- pass, fern der übrigen Infektionsdo- kumentation, vor der Aufklärung zur Zahngesundheit, eine Spalte eingefügt, in der ein Kreuz zu set- zen ist. Allein diese Dokumentati-
onsform der Beratung hält im Schadensfall keiner juristischen Prüfung stand. Festgelegt wurde aber auch, dass die Durchführung und das Ergebnis der HIV-Untersu- chung im Mutterpass nicht doku- mentiert werden. Dies hat zur Fol- ge, dass selbst, wenn der Test durchgeführt wurde, das Testergeb- nis im Kreißsaal nicht ankommt.
Beispielsweise bei einem Facharzt- wechsel, bei einem Ortswechsel und bei Kommunikationsproble- men der Schwangeren hat dies gra- vierende Folgen für das Kind. Auch im Jahr 2012 wurden Neugeborene durch diese Insuffizienz der Mut- terschaftsrichtlinien mit dem HI- Virus infiziert . . . Die aktuellen Mutterschaftsrichtlinien bedürfen dringend einer Überarbeitung, nicht zuletzt um mehr Rechtsklarheit und Rechtssicherheit für alle Beteilig- ten zu schaffen.
Dr. med. Matthias Beichert, Leiter der Sprech- stunde „Infektiologie in Gynäkologie und Geburts- hilfe“ der Frauenklinik der Universitätsmedizin Mannheim, 68167 Mannheim
Dr. med. Bernd Buchholz, Leiter der HIV-Sprech- stunde der Kinderklinik der Universitätsmedizin Mannheim, 68167 Mannheim
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