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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Editorial

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Academic year: 2022

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Editorial

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Selbst- und Fremdbild unseres Berufes ist immer noch geprägt vom Psychotherapeuten, der schulen- orientiert 6 bis 8 Patienten am Tag mit weniger schwe- ren Störungen in exakt 50minütigen Therapiestunden über Monate und Jahre hinweg in seiner Praxis ein- zeln behandelt. Dieses Bild kann für einen Teil unse- rer Kollegen zutreffend sein, aber keineswegs für die Gesamtheit. Kolleginnen und Kollegen, die z. B. in einer psychiatrischen oder psychosomatischen Klinik in einem multiprofessionellen Team Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen, Suchterkrankun- gen, chronischen körperlichen Erkrankungen oder hirn- organischen Schäden mit spezifischen Verfahren und Methoden über kürzere Zeiträume in unterschiedli- chen Settings behandeln, sind vermutlich zwar ebenso zahlreich, melden sich in fach- und berufspolitischen Diskussionen aber seltener zu Wort und sind in unse- ren Selbstverwaltungsgremien unterrepräsentiert: Sie wurden, wie es H. Hermes in seinem Beitrag in die- sem Heft ausdrückt, beim Psychotherapeutengesetz vergessen.

Dabei liegt die Zukunft unseres Berufes, zumindest für die „Psychotherapeuten in Ausbildung“ – PiAs, u. a. auch in diesen Tätigkeitsfeldern. Die Versorgungs- strukturen werden sich nach dem GMG ändern, inte- grierte Versorgungskonzepte, in denen niedergelas- sene Psychotherapeuten eng mit anderen Berufs- gruppen in oder in enger Kooperation mit Einrichtun- gen der ambulanten, komplementären und stationä- ren Versorgung Patienten mit schweren psychischen Störungen, mit chronischen körperlichen Erkrankun- gen behandeln, werden an Bedeutung gewinnen. Die psychotherapeutische Versorgung wird sich stärker als bisher am gesamten Bedarf orientieren und dort auch Teil der Kassenleistungen bleiben, die angebotsorien- tierte und -induzierte Psychotherapie wird sich inner- halb der GKV auf einen Kernbereich konzentrieren und ansonsten Teil der individuell finanzierten Gesund- heitsversorgung werden.

Man mag dieser Prognose zustimmen oder nicht, aber wir müssen die Diskussion über die Zukunft der Psychotherapie in unseren Reihen führen, sonst werden andere Akteure des Gesundheitswesens unsere Verortung in den zukünftigen Strukturen vornehmen und uns ihre Lösungen vorgeben.

Die Beiträge des vorliegenden Heftes wollen in die- ser Hinsicht gleich mehrere Denk- und Diskussions- anstöße geben. Der Beitrag von P. Fiedler mahnt die Orientierung der Psychotherapie in Theorie und Pra- xis an den Ressourcen unserer Patienten an und liest sich zugleich als engagiertes Plädoyer für die Behand- lung von schwierigen und nach wie vor schwer zu vermittelnden Patienten mit Persönlichkeitsstörungen.

H. Hermes, ein in der stationären Psychotherapie psy- chiatrischer Patienten in Jahrzehnten erfahrener Kol-

lege, prangert die strukturellen und sozialrechtlichen Missstände an, die einer bedarfsorien- tierten Versorgung im Wege stehen.

M. Schwarz ver- weist auf juristische Probleme bei der Behandlung von Kindern und Ju- gendlichen und die Diskussionsbeiträ- ge von K. Fröhlich

und U. und I. Berns stellen zur Diskussion, ob die pointierte empiristisch-naturwissenschaftliche Positi- on von M. Döpfner zur Wirksamkeit der Psychothera- pie bei Kindern und Jugendlichen „bedarfsorientiert“

oder „akademisch“ ist.

Zurück zur Zukunft unseres Berufes. Sie liegt in den derzeitigen PiAs (gerne übernehme ich diesen Vor- schlag von H. Hermes) und damit in der Ausbil- dung zum Psychologischen Psychotherapeuten bzw. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.

In den meisten unserer Ausbildungsstätten werden nach wie vor PiAs für die niedergelassene Einzel- praxis ausgebildet. Kenntnisse und Fertigkeiten für die Behandlung umschriebener Patientengruppen mit schwierigen Erkrankungen in anderen Settings als der Einzeltherapie werden oftmals nur am Ran- de vermittelt. Es besteht also die Gefahr, dass wir unseren Nachwuchs an einem Bedarf orientiert aus- bilden, der sich unter dem Einfluss der gesellschaft- lichen Entwicklung verändert hat und dem die so oft beschworenen „gewachsenen Strukturen“ noch nicht ausreichend folgen können.

Hier sind die Kammern aufgerufen, auf die verän- derten Versorgungsbedarfe in unserem Gesundheits- wesen hinzuweisen sowie Maßnahmen zur Anpas- sung und Veränderung auch der Ausbildung vorzu- schlagen. Zur Aufgabe der Kammern, das Gesamt- interesse des Berufsstandes wahrzunehmen, gehört auch die Sorge um dessen Fortbestand und damit um den Nachwuchs. Das Land Niedersachsen hat dem Rechnung getragen und den PiAs die Kammer- mitgliedschaft ermöglicht. Wir alle sollten dieses Bespiel in unseren Kammern diskutieren und den PiAs, unseren in naher Zukunft approbierten Kolle- ginnen und Kollegen, in dieser Zeitschrift, dem Or- gan unserer Kammern, den Raum für eigene Beiträ- ge schaffen, in der sie auf ihre besonderen Proble- me und Themen hinweisen können.

Rainer Richter (Hamburg) für den Redaktionsbeirat des Psychotherapeutenjournals Rainer Richter (Hamburg)

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Inhalt

Editorial . . . 1 Artikel . . . 4 Fiedler, P.

Ressourcenorientierte Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen . . . 4 Unterschiedliche Studien mit schwierigen und persönlichkeitsgestörten Patienten machen darauf aufmerksam, dass insbesondere konfrontative Psychotherapiestrategien die auf negative Anteile der Person fokussieren, für eine Ressourcenorientierung wenig geeignet sind. Entsprechend werden als zentrale Elemente einer ressourcen- orientierten Therapie bei Persönlichkeitsstörungen die Beratung und Supervision sowie das systematische Trai- ning von Patienten angesehen.

Hermes, H.

So kann man nicht arbeiten. Psychotherapeuten in der Psychiatrie . . . 13 Bei den sich verschärfenden Verteilungskämpfen im Gesundheitswesen verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen für Psychotherapeuten in der Psychiatrie, zumal sie wegen des derzeitigen rechtlichen Schwebezustandes infolge mangelnder Berücksichtigung beim Psychotherapeutengesetz sowieso einen schweren Stand haben. Aber: Die Psychotherapeuten in der Psychiatrie wollen ihre „verrückte“ Rechtslage verändern.

Schwarz, M.

Ethische und juristische Spezifika bei Psychotherapien von Kindern und Jugendlichen . . . 20 Der Beitrag untersucht rechtliche und ethische Besonderheiten bei der psychotherapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen unter dem Gesichtspunkt der Behandlungseinsicht, der Zustimmung zur Psychothera- pie bei geschiedenen Eltern und der Schweigepflichtsproblematik.

Dokumentation . . . 24 Richter, R.

Frankreich regelt Psychotherapie oder „Touche pas à mon psy“. . . 24 In Frankreich hat ein Gesetzentwurf zur Psychotherapie Nationalversammlung und Senat in erster Lesung pas- siert. Er sieht vor, dass sich alle Personen, die psychotherapeutisch tätig sein wollen und die weder Ärzte, Psycho- logen oder Psychoanalytiker sind, einer staatlichen Überprüfung unterziehen müssen. Die möglichen Folgen für eine europäische Regelung werden diskutiert.

Recht: Aktuell . . . 26 Gerlach, H.

Aktuelles aus der Forschung . . . 30 Ripper, B.

Buchrezensionen . . . 32 Borgmann, G.

Achim Leschinsky (Hrsg.): Ursula Plog: Von einer, die auszog, die Psychiatrie das Zuhören zu lehren . . . 32 Borg-Laufs, M.

Andreas Vossler: Perspektiven der Erziehungsberatung . . . 32

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Zur Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

Stellungnahme zum Artikel von Döpfner „Wie wirksam ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie?“ . . . . 34

Fröhlich-Gildhoff, K. Stellungnahme zum Artikel von Döpfner „Wie wirksam ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie?“ . . . . 38

Berns U. & Berns I. Erwiderung auf die Stellungnahmen von Fröhlich-Gildhoff und Berns & Berns. . . 44

Döpfner, M. Mitteilungen der Psychotherapeutenkammern . . . 48

Bundespsychotherapeutenkammer . . . 48

Baden-Württemberg . . . 57

Bayern . . . 61

Berlin . . . 66

Bremen . . . 70

Hamburg . . . 74

Hessen . . . 78

Niedersachsen . . . 83

Nordrhein-Westfalen . . . 87

Rheinland-Pfalz . . . 93

Schleswig-Holstein . . . 96

Leserbriefe . . . 100

Artikelverzeichnis 2002/2003 . . . 102

Kleinanzeigen/Inserentenverzeichnis . . . 103

Impressum . . . 104

Den Ausgaben der Länder Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind in der Mitte der Zeitschrift Satzungen beigefügt, die die rechtliche Grundlage für die Kammerarbeit darstellen.

Bitte beachten Sie auch das Artikelverzeichnis der erschienenen Beiträge am Ende des Heftes.

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Zusammenfassung: Es werden einige diagnos- tische und Stigmatisierungs-Probleme beschrie- ben, die eine ressourcenorientierte Psychothe- rapie bei Persönlichkeitsstörungen erschweren könnten. Da die Persönlichkeit eines Menschen seine wichtigste Ressource darstellt, wird aus- drücklich Zurückhaltung empfohlen: Die Persön- lichkeitsstörungs-Diagnose sollte nur in Ausnah- mefällen und unter Beachtung wichtiger Ein- schränkungen angewendet werden.

Unterschiedliche Studien mit schwierigen und persönlichkeitsgestörten Patienten machen dar- auf aufmerksam, dass insbesondere Psycho- therapiestrategien, die konfrontativ angelegt sind und auf negative Anteile der Person fokussie- ren, für eine Ressourcenorientierung wenig ge- eignet sind. Ressourcenorientierung beinhaltet vielmehr, die Patienten aktiv darin zu unterstüt- zen, die eigenen Stärken kennen zu lernen, um zu Therapeuten ihrer selbst zu werden.

Entsprechend werden als zentrale Elemente ei- ner ressourcenorientierten Therapie bei Persön- lichkeitsstörungen die Beratung und Supervision sowie das systematische Training von Patienten angesehen. Ressourcenorientiert arbeitende Therapeuten begleiten und unterstützen Pati- enten vor allem bei Versuchen, aktiv und selb- ständig wichtige Veränderungen in ihren alltäg- lichen Lebensbezügen von sich aus vorzuneh- men.

In den vergangenen 20 Jahren wird ein einseitig defizitorientiertes Modell psychotherapeutischer Tätigkeit zunehmend kritisiert. Die pointiert vorge- tragene Alternative lautet: Ressourcenorientierung.

Überall scheinen Therapeuten plötzlich ressourcen- orientiert zu arbeiten. Sind das nun lediglich Lip-

penbekenntnisse? Oder vollzieht sich gegenwärtig tatsächlich ein grundlegender Wandel im therapeu- tischen Tun?

Eines ist sicher: Zumindest die Psychotherapie-For- schung spricht bereits seit vielen Jahren eine ressourcenaktivierende Sprache: Therapeuten, die von den bereits vorhandenen Möglichkeiten und Kompetenzen ihrer Patienten ausgehen und die es zudem verstehen, vorhandene Fähigkeiten ge- zielt anzureichern und zu erweitern, sind eindeutig erfolgreicher (Grawe et al., 1994).

Ressourcenorientierung

Ressourcenorientierung bzw. Ressourcenaktivierung meint dabei für die Forscher immer mindestens Zweierlei:

■ Erkennen und Stützen der bereits vorhandenen positiven Seiten und Fähigkeiten eines Patien- ten

■ Anreichern und Erweiterung der vorhandenen Möglichkeiten durch gezielte Vermittlung von neuen Informationen und Bewältigungskom- petenzen

Die positive Wirksamkeit der Ressourcenorientie- rung zeigt sich übrigens nicht nur in Studien zur zielorientiert arbeitenden Verhaltenstherapie, son- dern sie gilt auch für Studien, in denen die Ressourcenorientierung in psychodynamischen und Gesprächspsychotherapien untersucht wurde – zum Beispiel von Forschern in der weltweit organi- sierten Society of Psychotherapy Research (SPR), von denen etwa alle zehn Jahre das Handbook of Psychotherapy and Behavior Change herausgege- ben wird: die Bibel der Psychotherapieforscher (Bergin & Garfield, 1994).

Ressourcenorientierte Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen

Peter Fiedler

Psychologisches Institut Universität Heidelberg

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P. Fiedler

Persönlichkeitsstörung

Die nach Ressourcenorientierung su- chenden Therapieforscher finden und berichten nun aber auch, dass Thera- peuten in der praktischen Therapie- arbeit besondere Schwierigkeiten beim Erkennen und Stützen von Res- sourcen insbesondere bei jenen Pati- enten haben, bei denen die Diagno- se einer Persönlichkeitsstörung ge- rechtfertigt scheint. Das ist möglicher- weise nicht weiter verwunderlich, wenn man das immer mit der Diag- nose einer Persönlichkeitsstörung ver- bundene Stigmatisierungsproblem beachtet, das von Karl Jaspers (1913) bereits vor annähernd einhundert Jah- ren prägnant auf den Punkt gebracht wurde: „Menschlich aber bedeutet die Feststellung des Wesens eines Men- schen, eine Erledigung, die bei nähe- rer Besinnung beleidigend ist und die Kommunikation abbricht.“

Die Feststellung des „Wesens eines Menschen“ und damit auch die Per- sönlichkeitsstörungsdiagnose ist nicht etwa deskriptiv, wie die weitgehend theoriefrei beschreibende Diagnose anderer psychischer Störungen. Sie beinhaltet nämlich zugleich eine Erklä- rung. Zumeist impliziert sie nämlich eine Ursachenzuschreibung. Die Per- son ist „gestört“. In der persönlichkeits- gestörten Person begegnet uns – ob man will oder nicht – ganz offenkun- dig der „Täter“, der ad personam für viele Störungen im sozialen Gefüge verantwortlich zeichnet. Auch viele Schwierigkeiten in der Therapeut-Pa- tient-Beziehung finden auf diese Wei- se eine hochgradig plausible Erklärung.

Doch Vorsicht! Letzteres darf nicht die Grundlage der Entscheidung für oder gegen eine Persönlichkeitsstörungs- diagnose sein. Das wäre eine nicht akzeptierbare zirkuläre Argumentation, in welcher die Eigenarten des aktuellen Auftretens einer Person (Verhal- tensmerkmale in der Behandlung) mit

den Kriterien einer Persönlichkeitsstö- rung (als Traitvariablen) verwechselt werden. Auch bei Postulierung von Zu- sammenhängen zwischen Persönlich- keit und Störungseigenarten der Patien- ten wäre Behutsamkeit angezeigt (z. B.

besteht die vermeintliche Dependenz im Kontext einer Phobie nach erfolgrei- cher Behandlung zumeist nicht mehr).

Persönlichkeit ist Ressource!

Was das gerade angesprochene the- rapeutische Dilemma angeht, so gilt gerade die Negativkonnotation der Person als kontraproduktiv für die Ab- sicht, ressourcenorientiert arbeiten zu wollen. Nach Diagnosestellung sitzt vor uns ein Mensch, dessen ureigenste Ressource, nämlich seine Persönlich- keit, wir gerade qua Diagnose in ein Defizitmodell verwandelt haben, und damit verbunden: viele seiner ihm ei- genen Kompetenzen und Fähigkeiten.

Das blockiert nicht nur die Handlungs- spielräume der Therapeuten, sondern betrifft in gleicher Weise die Patienten.

Nach Vergabe der Persönlichkeits- störungsdiagnose widerfährt auch den Patienten eine grundlegende Bedro- hung ihrer bestehenden oder verblie- benen persönlichen Ressourcen. Das kann für die Betroffenen, so lange kei- ne Perspektiven vorliegen, gelegentlich existenzbedrohliche Ausmaße anneh- men. Kein Wunder, wenn sich viele Patienten selbst gegen eine Persön- lichkeitsdiagnose unterschwellig oder vehement offen zur Wehr setzen oder diese – wie Karl Jaspers es andeutet – als beleidigend oder kränkend erleben.

Vor Diagnosevergabe stehen die Grundrechte des Menschen

Wegen dieses Dilemmas sollte man zu Beginn einer Behandlung gut

darüber nachdenken, ob und wann die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung überhaupt gerechtfertigt scheint. Des- halb möchte ich gern mit einem Punkt beginnen, der von vielen Therapeuten nicht genau beachtet wird und der eine beginnende Therapie bereits früh in eine Sackgasse führen kann. Gera- de wegen der angedeuteten Stigmati- sierungsprobleme darf die Persönlich- keitsstörungsdiagnose nämlich nicht einfach deshalb vergeben werden, wenn oder weil eine Person die Krite- rien einer bestimmten Persönlichkeits- störung erfüllt. Vor Diagnose-Vergabe müssen meines Erachtens mindestens vier wichtigen Voraussetzungen erfüllt sein, bevor von einer Persönlichkeits- störung gesprochen werden darf und sollte. Konkret: Persönlichkeits- störungs-Diagnosen dürfen nur verge- ben werden,

■ wenn die betreffende Person selbst unter ihrer Persönlichkeit leidet, und/oder

■ wenn die betreffende Person we- gen ihrer Persönlichkeitseigenarten ihre existenziellen Verpflichtungen nicht mehr erfüllt (z. B. auf Grund eines erheblich beschränkten psy- chosozialen Funktionsniveaus), was zumeist (und/oder) heißt,

■ wenn die betreffende Person mit Ethik, Recht oder Gesetz in Konflikt geraten ist und deren Probleme mit Persönlichkeitseigenarten begrün- det werden können, und/oder

■ wenn Persönlichkeit(-sstil oder -sstörung) das Risiko der Entwick- lung oder Verschlechterung einer psychischen Störung impliziert: De- pression, Dissoziation, Suizidalität etc.

Ist nicht wenigstens eine dieser vier Voraussetzungen erfüllt, dürfen oder sollten keine Persönlichkeitsstörungs- diagnosen vergeben werden!

Diese Voraussetzungen finden in den Diagnose-Systemen DSM-IV-TR und

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Ressourcenorientierte Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen

ICD-10 leider immer noch keine hin- reichende Berücksichtigung. Dabei lei- ten sie sich u. a. aus wichtigen Grund- rechten der Menschen her, durch die der individuellen Ausgestaltung der Persönlichkeit großzügige Freiheiten eingeräumt werden (z. B. Artikel 2 Grundgesetz). Eingeschränkt wird das Recht auf Freiheit der Entfaltung der Persönlichkeit lediglich durch weitere gesetzliche Bestimmungen, mit denen zumeist Ethik- und Rechtsverletzungen unterbunden oder gesundheitliche Ri- siken (z. B. Seuchengefahr) einge- schränkt werden sollen (und die üblicherweise in Artikel 104 Grundge- setz ihren Ausgangspunkt nehmen).

Bei Beachtung der genannten Voraus- setzungen darf und kann übrigens nur selten von Persönlichkeitsstörungen gesprochen werden. Möglichst nicht sollten Persönlichkeitsstörungen vor- schnell vergeben werden, wenn sich die Beziehung zum Patienten schwie- rig gestaltet. Ohne mindestens eine dieser vier Voraussetzungen handelt es sich bei auffälligen Personeigenarten lediglich um markante persönliche Stile – mit möglicherweise hohem An- passungswert (Fiedler, 2000a).

Der therapeutische Umgang mit mar- kanten persönlichen Stilen ist also ge- legentlich besser unter der Perspekti- ve von Toleranz oder Tolerierbarkeit abzuhandeln. Denn gerade markante persönliche Stile sind und bleiben in einer ressourcenorientierten Behand- lung besonders beachtenswert, u. a.

weil sie dem Therapeuten wichtige Hilfestellungen bieten, überhaupt ers- te Ansatzpunkte für eine Ressourcen- orientierung zu finden.

Vom schwierigen

Umgang mit markanten persönlichen Stilen

Nun will auch ich nicht die Augen davor verschließen, dass Patienten mit

markanten persönlichen Stilen gele- gentlich schwer zu behandeln sind.

Dennoch gibt es inzwischen einige beachtenswerte Untersuchungen da- zu, warum es einigen Therapeuten besser als anderen gelingt, schwieri- ge, wenig motivierte und widerstän- dige Patienten erfolgreich zu behan- deln. Für die Frage nach der Ressour- cenorientierung, auf die ich mich da- mit langsam zu bewege, gibt es aus diesen Studien einiges Bedenkens- werte zu lernen.

Bei schwer persönlichkeitsgestörten Patienten gibt es erfolgreiche und weniger erfolgreiche Psychotherapeu- ten. Was unterscheidet sie? Dazu möchte ich gern auf Forschungs- ergebnisse verweisen, in denen diese Unterschiede bei einer besonders schwierigen Klientel aufgefallen waren, nämlich in der Behandlung kriminel- ler Menschen mit dissozialer Persön- lichkeitsstörung.

Finden im Gefängnis bzw. Strafvollzug keine psychotherapeutischen Maß- nahmen statt, liegt der mehrjährige Erfolg üblicher Inhaftierungsmaßnah- men nur etwa bei höchstens vierzig Prozent. Gemeint sind hier, wie gesagt, Kriminelle mit dissozialer Persönlich- keitsstörung (zumeist untersucht:

Männer). Nimmt man jene Erfolgs- zahlen, die sich einstellen, wenn pro- fessionelle Behandler sich intensiv mit den Betroffenen in therapeutischen Gesprächen auseinander gesetzt ha- ben, so findet sich bis heute recht konvergent, dass etwa die Hälfte von diesen innerhalb von drei bis fünf Jah- ren nicht wieder rückfällig werden (vgl.

Dolan & Coid, 1993).

Der Mehrgewinn psychotherapeuti- scher Hilfe liegt also bei etwa 10 Pro- zent. Das ist sehr viel, denn: Um die Bedeutung dieser Unterschiede rich- tig einzuschätzen, muss man klar vor Augen haben, das kriminelle Men- schen mit dissozialer Persönlichkeits-

störung der Gesellschaft enorm viel Geld kosten. Mit den eingesparten Kosten für zwei erfolgreich behandel- te Wiederholungstäter könnte man gut ein oder zwei Therapeuten-Stellen fi- nanzieren!

Unterschiedlich erfolg- reiche Therapeuten

Die bisher genannten Zahlen sind je- doch nur Durchschnittswerte. Viel in- teressanter ist die Beobachtung, dass die berichteten Erfolgzahlen der The- rapeuten über Zeitperioden hinweg und regional außerordentlich schwan- ken. Manche psychotherapeutisch ar- beitenden Institutionen bringen es zeit- weilig auf bis zu 60 Prozent Be- handlungserfolg. Das ist beträchtlich, wenn man bedenkt, dass einige ande- re Psychotherapeuten mit ihren Maß- nahmen nur 30 oder 35 Prozent schaf- fen, sonst ergäbe sich allgemein kein Durchschnitt von etwa 50 Prozent.

Und um dies Problem sogleich zu ver- schärfen: Im Vergleich mit jenen 40 Prozent Erfolgen ohne Behandlung schaffen einige Therapeuten offen- sichtlich sogar noch eine Verschlech- terung. In der Forschung nennt man das den Deterioration-Effekt therapeu- tischen Handelns (zu deutsch etwa:

Schadensanreicherungs-Effekt; seit Bergin, 1966). Diese mehr Schaden als Gewinn bringenden Therapeuten vermehren also die Kosten der Gesell- schaft um beträchtliche Summen.

Genau deshalb ist es so wichtig, sich mit den möglichen Ursachen für die- se enormen Erfolgsunterschiede ge- nau auseinander zu setzen. Das ha- ben verschiedene Forschergruppen getan und nach Prädiktoren gesucht (in der Therapie allgemein krimineller Straftäter mit Persönlichkeitsstörungen z. B.: Palmer, 1992; Dolan & Coid, 1993; Meloy, 1995; in der Therapie mit Sexualdelinquenten in Gefängnissen

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P. Fiedler

und in der Forensik z. B.: Garland &

Dougher, 1991; Kear-Colwell & Pollak, 1997; Marshall et al., 1999).

Zunächst wurden zum Beispiel Psy- chotherapeuten der wenig erfolgrei- chen Maßnahmen gefragt, warum ihre Behandlungen so wenig erfolgreich verlaufen. Von den befragten Thera- peuten wurden und werden zumeist

„besonders schwer behandelbare Per- sonen oder Persönlichkeitsstörungen“

als erstes genannt. Als zweites verwei- sen die wenig erfolgreich oder gar schädigenden Therapeuten gern auf die unbefriedigenden bis schlechten Arbeitsbedingungen im Strafvollzug und in der Forensik. Nun, beides wur- de geprüft. Ergebnis: Mit den Persönlichkeitseigenarten oder den Arbeitsbedingungen lassen sich die Erfolgsunterschiede nicht erklären.

Als Weiteres könnte man vermuten, dass es an den Behandlungskonzepten lie- gen könnte, also daran, ob die Psycho- therapeuten zum Beispiel tiefen- psychologisch oder verhaltenstherapeu- tisch orientiert denken und handeln.

Auch diese Hypothese ließ sich nicht bestätigen: Die konzeptuelle Grund- orientierung hatte keinen bedeutsamen Einfluss auf diese Unterschiede.

Die Forscher standen eine Zeitlang wie vor einem Rätsel. Was kann man noch untersuchen? Irgendwann kam eine Forschergruppe auf die Idee, etwas andere Fragen zu stellen. Und mit den neuen Fragen fand man eher zufällig, jedoch recht konvergent einen zentra- len Erfolgsprädiktor, der sich seither wiederholt bestätigt hat (Palmer, 1992;

Dolan & Coid, 1993; Meloy, 1995;

Marshall et al., 1999).

Erfolgreiche Therapeuten

Der Erfolgsprädiktor besagt: Hohe Er- folgszahlen bei den ansonsten

schwierigst zu behandelnden Patien- ten scheinen in erheblichem Ausmaß davon abhängig zu sein, wie sehr ein Therapie-Optimismus von den Thera- peuten in den sozialtherapeutisch mit delinquenten Patienten arbeitenden Einrichtungen nach innen und außen vertreten wird. Kurz: Wenn die Thera- peuten selbst am Erfolg ihrer Tätigkeit zweifeln, sind sie weniger effektiv.

War dieser Prädiktor gefunden, fand man noch einige weitere Merkmale, die offensichtlich eng mit dem Thera- pie-Erfolg zusammenhängen. Optimis- tische Therapeuten versuchen nämlich nicht primär die Betroffenen zu ver- ändern. Sie versuchen vielmehr – trotz der zum Teil brutalen Kriminalität der Betroffenen – so etwas wie eine Halte- funktion hinzubekommen. Dies versu- chen sie dadurch zu erreichen, dass sie die Kriminellen motivieren, mit ih- nen zusammen auf einer Seite zusam- menzuarbeiten – und das heißt: ge- meinsam gegen widrige Lebensum- stände, gemeinsam gegen zwischen- menschliche Krisen – oder, was häu- fig unter der Überschrift Antiaggres- sivitätstraining angestrebt wird – ge- meinsam mit den Kriminellen gegen kriminelle Handlungen vorzugehen – was etwas anderes ist, als gegen die Person des Straftäters zu arbeiten.

Nicht erfolgreiche Therapeuten

Wenig erfolgreiche und pessimistische Therapeuten hingegen lehnen auffäl- lig häufig „negative Personeigenarten“

ab, schließen nicht gerade selten von Negativ-Handlungen auf den Charak- ter und die Person. Es ist gut nach- vollziehbar, dass sie mit einer solchen Haltung den Eindruck bekommen, in subjektiver Sicht „gegen die Person“

des Patienten arbeiten zu müssen.

Eine der wesentlichen Therapie- strategien dieser Therapeuten liegt in Interventionen, die als „Beziehungs-

arbeit“ beschrieben werden können:

Interaktions-Feedback und Konfronta- tion der Straftäter mit unangemesse- nen Interaktionseigenarten. Mit „kon- frontierender Beziehungsarbeit“ soll offensichtlich die „Einsicht“ der Pati- enten in „Übertragungsprozesse“ und in problematische Interaktionsformen verbessert werden. Entsprechend häu- fig zeigen sich in der Folge diese The- rapeuten wegen der Uneinsichtigkeit vieler Patienten frustriert, weshalb sie gelegentlich von sich aus die Behand- lung beenden.

Ganz im Unterschied dazu nochmals die optimistischen und häufiger erfolg- reichen Therapeuten: Nicht Einsicht der Straftäter in die eigenen Unzuläng- lichkeiten ist das Ziel, sondern die kon- struktive Entwicklung neuer Lebens- perspektiven und Handlungsmuster, die dann systematisch eingeübt wer- den, weil sie hoffen lassen, dass kri- minelle Handlungen zukünftig über- flüssig werden (vgl. auch Stelly &

Jürgen, 2001). Genau das übrigens versteht man unter Ressourcen- orientierter Psychotherapie: Die The- rapeuten als Coach, Trainer oder Su- pervisor von Patienten, vielfach auch noch als Modell für alternative Denk- und Lebensstile (zu dieser Einstellung und Haltung: Marshall et al., 1999;

Heilemann & Fischwasser-von Proeck, 2001; Fiedler, 2004).

Möglichst keine Konfrontation!

Um eine solche innere Einstellung zu erreichen, kann es hilfreich sein, klare Unterscheidungen zwischen der „Per- son des Patienten“ und seinen einzel- nen „unethischen Handlungen“ oder

„problematischen Verhaltensweisen“

vorzunehmen. Die Förderung und Ent- wicklung angemesser und zwischen- menschlich akzeptierbarer Interakti- onsmuster setzt weiter ein gesundes Selbstwertgefühl der Patienten voraus.

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Ressourcenorientierte Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen

Gesundes Selbstwertgefühl lässt sich übrigens, wie wir gleich darlegen wer- den, nicht mittels Konfrontationsstra- tegien aufbauen und entfalten. Schon gar nicht wird dies mit Hinweisen auf persönliche Unzulänglichkeiten von Patienten zu erreichen sein. Voraus- setzung ist vielmehr, dass der Thera- peut ein angemessenes Modell für Wertschätzung abgibt, an dem sich Patienten orientieren können. Selbst- wertschätzung kann sich nur entfalten, wenn Therapeuten ihren Patienten mit Wertschätzung und Respekt begeg- nen.

Therapiestudien sprechen eine ein- deutige Sprache: Therapeuten, die der Person ihrer Patienten wegen ihrer ungünstigen Handlungen ablehnend und skeptisch gegenübertreten, weil ihnen die Trennung von „Person“ und

„Problemverhalten“ nicht gelingt, sind eindeutig weniger erfolgreich (Kear- Colwell & Pollak, 1997). Und Therapie- prozessanalysen zeigen, dass jene Therapeuten eher zu konfrontativen Therapiestrategien neigen, die den Pa- tienten vor allem „wegen ihrer kri- tisierenswerten Personeigenarten“ mit Skepsis und Ablehnung gegenüberste- hen. Damit beginnt ein unglücklicher

„Teufelskreis der therapeutischen Be- ziehung“: Ungünstige Folge konfron- tativer Therapiestrategien ist es, dass sich viele Patienten erst recht einer therapeutischen Einflussnahme ver- schließen, woraufhin sich die Ableh- nung und Skepsis dieser Therapeuten weiter verstärkt (Garland & Dougher, 1991). Dabei wird weiter deutlich:

Schon gar nicht kann man offensicht- lich mit Konfrontationsstrategien das Selbstbewusstsein und die Selbst- wertschätzung erhöhen. Dies gilt auch für Übungen mit dem so genannten

„Heißen Stuhl“, mit denen man insbe- sondere Straftäter im Gefängnis gele- gentlich zu behandeln versucht (Heile- mann & Fischwasser-von Proeck, 2001). Die inzwischen wiederholt ge- fundenen negativen Beziehungen

zwischen Konfrontation und Therapie- verlauf sind der Grund, weshalb sie in einer ressourcenorientierten Therapie inzwischen als kontraindiziert (!) be- trachtet werden – und dies gilt offen- sichtlich in besonderer Weise für (se- xual-)delinquente Patienten im Ge- fängnis und in der forensischen Psy- chiatrie (Marshall et al., 1999; Fiedler, 2004).

Vorzeitiger Therapie- abbruch: fehlende Ressourcen-

orientierung?

Bevor ich jedoch genauer auf die Ressourcenorientierte Therapie einge- he, möchte ich zunächst noch ein an- deres Problem ansprechen, bei dem Therapeuten häufig Zusammenhänge mit Persönlichkeitsstörungen vermu- ten: das Problem des vorzeitigen Therapieabbruchs, also das Drop-out- Phänomen, wie es in der Forschung heißt. Und das, was ich jetzt zum vor- zeitigen Therapieabbruch sagen wer- de, gilt für Therapie allgemein, unab- hängig davon, ob sie von Verhaltens- therapeuten oder psychodynamisch arbeitenden Kolleginnen und Kollegen realisiert wird. Glaubt man nämlich der Forschung, so brechen persönlichkeits- gestörte Patienten häufiger als ande- re eine Behandlung vorzeitig ab (Fied- ler, 2003).

Das Drop-out-Problem gilt, was die Einschätzung solcher Fälle durch die Therapeuten angeht, inzwischen als gut untersucht: z. B. durch Analysen von Krankenakten und Aufzeichnun- gen der Therapeuten, in denen sie Drop-out-Patienten „abschließend“

beurteilen. Seltener liegen Nachbe- fragungen der Patienten vor. Aber es gibt sie vereinzelt. Und wenn man nun beide Seiten einander gegenüberstellt, ergeben sich zumeist zwei völlig un- terschiedliche Richtungen, in denen die Antworten gehen – und ich bezie-

he mich jetzt auf zahlreiche Literatur- hinweise, wie sie im eingangs erwähn- ten Handbook of Psychotherapy and Behavior Change niedergelegt sind (Bergin & Garfield, 1994; für Drop-outs in Gruppen: Fiedler, 1996).

Psychotherapeuten: Psychothera- peuten kommen überproportional häufig zu dem Schluss, dass die Ursa- chen für den Abbruch beim Patienten liegen, also z. B. in seinen Abwehr- haltungen oder in fehlender Einsicht bzw. mangelnder Motivation. Beides wird in den vergangenen Jahren übri- gens zusätzlich begründet mit der Di- agnose oder Vermutung einer Persön- lichkeitsstörung. Mir drängt sich wiede- rum der unangenehme Eindruck auf, als seien „Persönlichkeitsstörungen“

nicht nur Diagnostik und Leitorientie- rung in der Behandlung. Vielmehr wer- den sie offensichtlich als „Erklärungs- hilfe“ für schwierige Therapieentwick- lungen missbraucht. Was man nicht darf, wie ich eingangs dargestellt habe – dies auch nicht unbedacht tun soll- te, wenn man sich einmal die Gründe der Patienten anschaut:

Patienten: Die Antworten der befrag- ten Drop-Out-Patienten fallen näm- lich in aller Regel ebenfalls recht ein- deutig aus. Nur sehen sie die Ursa- chen für den Abbruch nicht bei eige- nen Problemen, sondern bei Proble- men, die sie mit ihren Psychothera- peuten hatten. Die meisten geben an, dass sie von Anfang an oder zuneh- mend Zweifel hinsichtlich der Fach- kompetenz ihrer Therapeuten entwi- ckelt hätten.

Weiter berichten sie, dass sie auch deshalb die Therapie verlassen hätten, weil sie zunehmend mit versteckten oder sogar offenen Ärgerreaktionen der Therapeuten und mit zum Teil ver- letzenden Hinweisen auf ihre persön- lichen Unzulänglichkeiten „konfron- tiert“ worden seien. Einige Patienten geben sogar an, in der Folge regelrech-

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Ressourcenorientierte Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen

te Unsicherheiten und Ängste vor der weiteren Therapie entwickelt zu ha- ben. Man sollte sich angesichts dieser divergierenden Urteile wirklich einmal ernsthaft folgende Frage stellen:

Haben nun die Thera- peuten Recht oder die Patienten?

Denn auch diese Frage, ob Therapeu- ten oder Patienten Recht haben, lässt sich ansatzweise gut untersuchen.

Insbesondere in Forschungspro- jekten, in denen die Therapien auf Video oder Tonband aufgezeichnet werden, kann man nämlich gut nach- vollziehen, was in den Sitzungen vor dem Therapieabbruch wirklich pas- siert ist. Einige Forschergruppen ha- ben dies gemacht (vgl. zusammen- fassend z. B. Garfield, 1994). Es fin- det sich relativ konstant eine Beob- achtung, die man wiederum als „Teu- felskreis der Beziehungsgestaltung“, diesmal bei drohendem Therapieab- bruch bezeichnen könnte. Einer der Forscher (der Psychoanalytiker Lothstein, der bereits 1978 erste Videoanalysen zu diesem Problem anhand von psychodynamischen The- rapien durchführte), hat diesen Teu- felskreis folgendermaßen beschrie- ben (ganz ähnliche Beobachtungen berichten zuvor: Lieberman, Yalom &

Miles,1973; und später wiederum:

Tracey, 1986; Garfield 1994; was heißt: es gibt das gleiche Problem auch bei Verhaltenstherapeuten):

„Obwohl die Absicht, zu droppen, von Patienten mit Unzufriedenheiten über Konzept, Dauer und geringem per- sönlichen Gewinn begründet wird, beginnen die meisten Therapeuten zunehmend kritisch die psychodyna- mischen Hintergründe eines ange- kündigten Therapie-Abbruchs auszu- leuchten. Sie steigen auf die Be- ziehungsebene und möchten Patien- ten zum Weitermachen motivieren, in dem sie versuchen, ihnen Einsicht in

die vermeintliche Problematik ihrer Abbruch-Absichten zu vermitteln. Die Patienten jedoch, die einen Drop pla- nen, möchten mit dem Therapeuten z.B. über ihre Therapievorbehalte oder auch über Zeitprobleme und nicht über mangelnde Motivation oder über die Psychodynamik ihres Tuns disku- tieren. Da sie sich, wie es in der Sicht der Therapeuten sinnvoll und notwen- dig wäre, nicht auf sich selbst zurück- weisen lassen, werden sie von ihren Therapeuten zunehmend als nicht ein- sichtig, widerständig bis feindselig be- schrieben. Dem wiederum widerset- zen sich die Patienten, womit sich die bei Therapeuten bestehenden Hypo- thesen nur mehr weiter verfestigen“

(Lothstein, 1978, S. 1494f).

Ressourcen-

orientierung: Wie sieht sie konkret aus?

Angesichts dieser – wie gesagt, wie- derholt gemachten – Beobachtungen drängt sich eine insbesondere für die Ressourcenorientierung grundsätzlich wichtige Frage auf: Denn als „Ressour- cenorientierung“ kann man die Nei- gung von Therapeuten nicht bezeich- nen, sich selbst und anderen ungün- stige Therapieentwicklungen und The- rapieabbrüche mit Untugenden der Patienten zu erklären. Ressourcen- orientierung fand und findet sicherlich auch nicht statt, wenn Patienten mit Negativseiten ihrer selbst konfrontiert und verängstigt werden. Zwischen den Zeilen hat sich schon kontinuierlich angedeutet, welche möglichen Kon- sequenzen sich für mich aus dem Ge- sagten für eine Ressourcenorien- tierung in der Psychotherapie ergeben.

Die Kernidee dazu, die ich jetzt unter- breiten und etwas begründen möch- te, geht auf Vorschläge zurück, wie sie bereits seit einigen Jahren von For- schern dazu erarbeitet werden (vgl.

Hörmann & Nestmann, 1986; Nest-

mann, 1997; Fiedler, 2000b). Für ressourcenorientierte Behandlungs- konzepte sind unter anderem folgen- de drei Modelle von zentraler Bedeu- tung, auf die ich abschließend einge- hen möchte:

■ das Empowerment als Zielidee

■ das Co-Therapeuten-Modell als konkreter Handlungsrahmen

■ das Supervisions-Modell als Thera- pieprinzip

Empowerment als Grundlage

Empowerment sieht als Ziel vor, Pati- enten dahingehend zu unterstützen, zu Therapeuten ihrer selbst zu werden (Fiedler, 1981). Dies ist die Kernidee jeder ressourcenorientierten Psycho- therapie. Patienten werden in ihren persönlichen Stärken gestützt und mit wichtigen Informationen und Kompe- tenzen ausgestattet, um aktiv von sich aus Veränderungen in ihren Alltags- beziehungen vorzunehmen. Beratung, Training und Coaching sind dazu die wichtigsten Therapieprinzipien. Psy- chodynamische Übertragungsanaly- sen – wie überhaupt therapeutische Gesprächsstrategien mit dem vorran- gigen Ziel der „Vermittlung von Einsicht in eigene Unzulänglichkeiten“ – wer- den in diesem Zusammenhang als ambivalent angesehen (Fiedler, 2003).

Als kontraindiziert gelten Übertra- gungsdeutungen, wenn sie konfron- tativ eingesetzt werden. Das Gleiche gilt für alle Formen der direkten „Kon- frontation der Patienten mit Unzuläng- lichkeiten und Fehlern“, wie sie zum Beispiel als „Heißer Stuhl“ in verhal- tenstherapeutischen Gruppenpro- grammen mit Straftätern zu finden sind (vgl. die Therapieprozess-Analy- sen zum Wirkungsvergleich von „kon- frontierenden“ vs. „positiv unterstüt- zenden“ Interventionen bei persönlich- keitsgestörten Sexualstraftätern: Mars- hall et al., 1999, S. 40ff).

(11)

P. Fiedler

Beratung und Supervision als Therapieprinzip

Zur Erreichung eines angemessenen Empowerment wird eine direkte Su- pervision und Beratung der Patienten empfohlen. Beratung und Supervision sind gut geeignet, wo es für Patienten darum geht, Veränderungen in alltäg- lichen Lebenskontexten und zwischen- menschlichen Beziehungen vorzuneh- men. „Supervision von Patienten“ mag vielen Therapeuten zunächst befremd- lich erscheinen. Man braucht sich je- doch nur zu vergewärtigen, was ge- schieht, wenn Therapeuten selbst um Hilfe und Rat bei einem Supervisor oder bei Kollegen in der Intervision nachsuchen. Supervision von Psycho- therapeuten erfolgt üblicherweise, um mit besonders komplizierten Problem- lagen im Berufsleben zurecht zu kom- men. Supervision gilt nicht ohne Grund als „Therapieäquivalent“ für Psychothe- rapeuten. Warum sollten nicht auch Patienten von der Supervision eines Psychotherapeuten profitieren?

Coaching und Training

Weniger Probleme sehen die meisten Therapeuten in der Notwendigkeit, mit Patienten zusammen neue Hand- lungsmuster und Kompetenzen direkt einzuüben. Seit den Anfängen der Ver- haltenstherapie jedenfalls gehört das Training sozialer Fertigkeiten zu ihren Kernelementen. Wenn man sich die Indikationsbereiche für Training und Caoching von Patienten genauer an- sieht, wird dies verständlich, geht es doch um die Behandlung von sozialer Unsicherheit, sozialen Ängste und Phobien, Störungen des zwischen- menschlichen Beziehungsverhaltens und Persönlichkeitsstörungen. Training und Coaching gelten denn auch in ei- ner ressourcenorientierten Behand- lung bei Persönlichkeitsstörungen als unverzichtbar.

Es sind nun einmal insbesondere persönlichkeitsgestörte Patienten, die häufig signalisieren, dass die sich nicht selbst ändern möchten, sondern die erwarten, dass sich andere ändern.

Und sie sind – wenn man darauf ein- geht – zumeist hochmotiviert, hinzu- zulernen, um dieses Ziel der aktiven Beeinflussung anderer Menschen end- lich zu erreichen. Und um es endlich einmal klar auf den Punkt zu bringen:

Denn diese Konstellation – nämlich:

Suche nach professionellem Rat, der es möglich macht, andere zu ändern – entspricht genau einer ressour- cenorientierten Supervision, in der wir Therapeuten zusammenkommen, um uns wechselseitig zu beraten, wie wir andere Menschen, in diesem Fall die Patienten, beeinflussen und verändern können.

Schlussbemerkung

Ressourcenorientierung beinhaltet sachliche Lebensberatung, Super- vision und Training von Patientin zur Klärung und Auflösung alltäglicher Krisen und Probleme! Genau des- halb wird die Konfrontation des Pa- tienten mit seinen ungünstigen Persönlichkeitsstilen als wenig hilfrei- che Strategie betrachtet – es sei denn, man meint und realisiert „po- sitive Konfrontation mit den persön- lichen Ressourcen, Kompetenzen und Stärken“. Dagegen wäre nichts einzuwenden.

Empowerment als Ziel, die Patien- tensupervision als Prinzip und das Co-Therapeuten-Modell als konkre- ter Handlungsrahmen zur Aktivie- rung persönlicher und sozialer Res- sourcen bedeutet übrigens kein ek- lektisches Handeln. Empowerment erfordert ein inhaltlich gut begrün- detes therapeutisches Vorgehen.

Zusammenfassend ergibt sich je- doch eine – zwar nur kleine, den- noch hochbedeutsame – Akzent-

verschiebung. Um es etwas pointiert auszudrücken:

Ressourcenorientierte Patienten- supervision und Beratung eröffnen völlig neue Gestaltungsspielräume.

Sie erfordern nämlich und ermögli- chen zugleich die aktive Partizipation des Therapeuten an der Neugestal- tung von Lebenslagen. In einer psy- chotherapeutischen Beratungs- Supervision wird sich sogar, wie immer schon von uns gewünscht, das Machtgefälle verschieben, weg vom kompetenten Behandler persönlicher Probleme hin zum Solidarpartner des Patienten, nämlich im gemeinsamen Kampf gegen widrige Lebensum- stände.

Gelegentlich ist es dann auch gar nicht mehr weit bis hin zum Bild eines Therapeuten, der als kompetenter und fachkundiger Anwalt des Patien- ten im Rahmen einer so genannten sozialen Aktion auftreten könnte – eine Rolle übrigens, die Psychothera- peuten in anderen Behandungs-Kon- texten schon längst und ohne schlech- tes Gewissen als Handlungsmodell ge- wählt haben: bei der Scheidungsme- diation – oder – in Frauenhäusern – oder – zur Unterstützung von Men- schen, die als Arbeitnehmer in Betrie- ben gemobbt oder gebosst werden.

Kurz: Ressourcenorientierte Patienten- beratung und Patientensupervision sollten als weitere neben vielen Psy- chotherapiemethoden auf der Grund- lage einer guten Therapieausbildung zukünftig zwingend dazu gehören!

Und ich bin inzwischen fest davon überzeugt, dass uns erst dann und auf diese Weise ressourcenorientierte Psy- chotherapie ernsthaft gelingen wird.

Und ich hätte jetzt fast vergessen zu sagen, dass das vorgeschlagene Be- ratungs- und Supervisionsmodell übrigens nicht nur für Patienten mit Persönlichkeitsstörungen wichtig und zukunftweisend sein dürfte.

(12)

Ressourcenorientierte Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen

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Prof. Dr. Peter Fiedler Universität Heidelberg Psychologisches Institut Hauptstraße 47 – 51 D – 69120 Heidelberg peter.fiedler@psychologie.uni- heidelberg.de

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So kann man nicht arbeiten.

Psychotherapeuten 1 in der Psychiatrie

Der ungeklärte rechtliche Schwebezustand der Psychotherapeuten in stationären Einrichtungen kostet Geld durch unnötige Doppeluntersuchungen, zeitraubende Absicherungsmechanismen und Demotivierung der Kollegen – aber die notwendigen Veränderungen sind auf den Weg gebracht

Hubert Hermes

Westfälische Klinik Lippstadt

Zusammenfassung: Weil die Auswirkungen des neuen approbierten Heilberufes Psychothera- peut für den Bereich Krankenhaus bei der Ver- abschiedung des Psychotherapeutengesetzes

„vergessen“ worden sind, müssen die Psycho- therapeuten in der Psychiatrie unter uneffizien- ten und entwertenden Bedingungen arbeiten, die sich durch die Einbeziehung in die Vertei- lungskämpfe im Gesundheitswesen zunehmend verschärfen. Die Strukturen in der Psychiatrie, die Entwicklung der Konflikte sowie die notwen- digen Veränderungen in der Personalverordnung Psychiatrie, im Sozialgesetzbuch V und für die Ausbildungsteilnehmer zum Psychotherapeuten werden beschrieben.

Was hatten die Psychologen in der Psychiatrie für Hoffnungen auf das Psychotherapeutengesetz ge- setzt: Nach vielen Jahren ungeklärter Rechtssitua- tion endlich Richtigstellung ihrer Position als einem dem Facharzt gleichgestellten approbierten Heil- beruf! Und wie sieht die Realität aus?

Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir haben für das Psychotherapeutengesetz gekämpft und freuen uns darüber, dass es endlich da ist; weil aber die stationäre Psychotherapie beim Psychothera- peutengesetz schlichtweg – gewollt oder ungewollt – „vergessen“ worden ist, sitzen wir bis heute zwi- schen den Stühlen und in den ruppigen Zeiten der Verteilungskämpfe im Gesundheitswesen schlagen wir manches Mal hart auf.

Strukturen in der Psychiatrie

Für das Verständnis der Praxis sollen einige Infor- mationen über die Strukturen im psychiatrischen Krankenhaus vorangestellt werden:

Nach der 1992 in Kraft getretenen PsychPV, das ist die so genannte Personalverordnung Psychiatrie, sind psychiatrische Krankenhäuser normalerweise in drei große Abteilungen aufgeteilt: die so genannte Ab- teilung für Abhängigkeitserkrankungen, wobei man unterscheiden muss zwischen den Entzugsab- teilungen mit sehr kurzfristigen Behandlungszeiten zwischen 10 und 21 Tagen und den so genannten Reha-Abteilungen für Entwöhnungsbehandlungen von mehreren Monaten (meist in Kostenträgerschaft der Rentenversicherungsträger). Dann gibt es die gerontopsychiatrischen Abteilungen, wo je nach Krankenhaus alle Patienten ab einem Alter zwischen 60 oder 65 Jahren behandelt werden, und zuletzt so genannte allgemeinpsychiatrische Abteilungen, in denen die anderen Hauptgruppen der psychiatri- schen Kliniken behandelt werden: Patienten mit schi- zophrenen Psychosen, schweren Depressionen oder Manien oder bei akuter Selbst- oder Fremdgefähr- dung. Je nach ideologischer oder ökonomischer Ausrichtung haben sich aber auch andere Struktu- ren in Kliniken gebildet: So gibt es teilweise diagnose- spezifische Spezialstationen wie Depressionssta- tionen, Angststationen, Borderlinestationen usw. oder methodenspezifische Stationen wie zum Beispiel Psychotherapiestationen. Andere Kliniken haben im Zuge der so genannten gemeindepsychiatrischen Leitlinien eine Abkehr von den klassischen Definiti- onen vorgenommen und arbeiten „sektorbezogen“, das heißt, alle Patienten aus einem Stadtteil oder 1 Unter Psychotherapeuten werden hier Psychologische

Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichen- psychotherapeuten beiderlei Geschlechts verstanden

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So kann man nicht arbeiten

einer Region kommen ohne Rücksicht auf die Diagnose auf eine Station. So arbeiten dann auch viele kleine psych- iatrische Fachabteilungen an Allgemein- krankenhäusern, die nicht groß genug sind, um die Differenzierungen der oben beschriebenen Form vornehmen zu können. Darüber hinaus ist in den letzten Jahren die Anzahl so genannter Tageskliniken (neu-psychiatrisch „ganz- tags ambulant“), das heißt Behandlung von montags bis freitags acht Stunden lang, erweitert worden, und fast alle Kli- niken habe auch Institutsambulanzen.

Diese sollen sich vorwiegend auf die multiprofessionelle Behandlung Schwerkranker konzentrieren, die sonst mit dem normalen ambulanten psych- iatrisch-psychotherapeutischen Ange- bot nicht erreichbar sind.

Besonders erwähnt werden müssen in diesem Zusammenhang auch die kin- der- und jugendpsychiatrischen Ein- richtungen und die Maßregelvollzugs- einrichtungen, in denen traditioneller- weise überdurchschnittlich viele Psy- chotherapeuten arbeiten und in de- nen Psychotherapeuten manchmal eine besondere Position innehaben.

Entwicklung in den Konflikt

Seit mehr als 35 Jahren arbeiten Di- plom-Psychologen (heute überwie- gend als Psychologische Psychothera- peuten) in den psychiatrischen Kran- kenhäusern. Sie waren wesentlich daran beteiligt, die jetzt allgemein an- erkannten und etablierten psychothe- rapeutischen Behandlungskonzeptio- nen zu entwickeln. Dabei haben sie auch Leitungsaufgaben übernommen durch Aufstellen von Behandlungsplä- nen und deren jeweilige Umsetzung.

Die Diplom-Psychologen haben über Aufnahme, Behandlung und Entlas- sung von Patienten entschieden, die Dokumentation verantwortet und mit den Krankenkassen korrespondiert. Di-

plom-Psychologen haben selbststän- dig Stationen geleitet und ihnen wur- den auch in fast allen psychiatrischen Krankenhäusern Abteilungen als Lei- tende Psychologen übertragen (Sucht, Rehabilitation, Psychotherapie, Maßre- gelvollzug, Geistig-Behinderte). Dies wurde jahrzehntelang von den Kran- kenhausträgern verantwortet und von den Krankenkassen finanziert.

Durch die zunehmende Ökonomisie- rung, sprich den Kampf um die Kosten, in den auch die Psychotherapeuten un- weigerlich hineingezogen werden, sind neue Konfliktfelder entstanden:

In der Vergangenheit sind in Verfahren vor den Sozialgerichten die Krankenkas- sen einige Male mit ihrer Weigerung zur Übernahme von Krankenhausbehand- lungskosten erfolgreich gewesen, als sie belegen konnten, dass die Behandlung im Krankenhaus nicht von einem Arzt, sondern von einem Diplom-Psycholo- gen geleitet worden war. Diese „Trau- men“ von Betriebsleitungen und Trä- gern führten dann dazu, Vorschriften zu erlassen für die Dokumentationen, dass alles ärztlich geleitet und verantwortet wird (was aber wieder, wenn man al- les nach Vorgabe erledigen will, bei der Menge der Patienten mit einer durch- schnittlichen Behandlungsdauer von 20-25 Tagen gar nicht zu schaffen ist, so dass Psychotherapeuten häufig so genannte „ärztliche“ Tätigkeiten mit übernehmen müssen). Dabei gibt es unseres Wissens bisher kein Gerichts- urteil nach In-Kraft-Treten des Psycho- therapeutengesetzes, das die Übernah- me der Krankenhausbehandlungs- kosten mit der Begründung verweigert, hier habe „nur” ein Psychotherapeut die Behandlung geleitet. Je nach Entschei- dung von Trägern oder Betriebs- bzw.

Abteilungsleitungen soll aber häufig ge- währleistet sein, dass auch kleinste Re- gelungen und Entscheidungen im All- tagsleben auf der Station immer noch ärztlich abgesegnet und mitunterschrie- ben werden. Oder es geht so weit, dass

für eine ausführliche Begründung zur Kostenübernahme gegenüber der Krankenkasse bzw. dem Medizini- schen Dienst der Krankenversicherun- gen (MDK) weder die Unterschrift noch das Dikatzeichen des Psychothe- rapeuten auf dem von ihm verfassten Schreiben erscheinen darf. Und in der Praxis weiter: Darf der Psychothera- peut für den ihm zugewiesenen Pati- enten, den er als Bezugspsychothe- rapeut behandelt, gegenüber der Er- gotherapie unterschreiben, dass der Patient am Hirnleistungstraining teil- nehmen soll, wenn im Formular für die Verordnung nur die „Unterschrift des Arztes“ gefordert wird? Kann er ent- scheiden, wie lange die depressive Patientin mit ihrer Familie zusammen- treffen darf? Es erfordert zeit- und kos- tenaufwändige, völlig sinnlose Doppel- untersuchungen und Absprachen, wenn unsicher bleibt, was der Psycho- therapeut denn nun darf und was nicht, abgesehen von der tief gehen- den Verunsicherung bis hin zu dem Gefühl von Entwertung.

Welchen sinnlosen Irrwitz diese unge- klärte Rechtslage produziert, soll noch einmal ein praktisches Beispiel ver- deutlichen: Um den formalistischen Anspruch der ärztlichen Behandlungs- leitung zu genügen, führt in einer Tagesklinik eine approbierte Psycho- therapeutin mit 12-jähriger Berufser- fahrung eine Gruppentherapie durch, zu deren Ende nun regelmäßig eine Oberärztin (mit deutlich weniger Be- rufserfahrung und sicherlich geringe- ren psychotherapeutischen Kenntnis- sen) am Schluss der Gruppensitzung hinzukommt, damit sie in der anschlie- ßenden von der Psychotherapeutin durchgeführten Dokumentation auch verantwortlich gegenzeichnet (weil man fürchtet, dass der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen da genau drauf schaut und einen forma- len Vorwand für die Empfehlung der Ablehnung der Behandlungskosten fin- den könnte).

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So kann man nicht arbeiten

Zur Personalverordnung Psychiatrie (PsychPV)

Es ist nicht abzustreiten, dass Diplom- Psychologen vor vielen Jahren in die psychiatrischen Kliniken hineingeholt wurden, weil nicht genügend Ärzte be- reit waren, hier zu arbeiten. Das hat sich inzwischen geändert, inzwischen besteht zumindest teilweise eine Kon- kurrenzsituation.

In der PsychPV von 1991 wurde minutengenau vorgegeben, wieviel Personal von welcher Berufsgruppe (Stationsärzte, Krankenpflegepersonal, Oberärzte etc., aber auch Diplom-Psy- chologen) bei einer gewissen Anzahl von Patienten mit bestimmter Art und Schwere der Erkrankungen zur Verfü- gung stehen müsse. Aufgrund dieser Verordnung ist es bis heute überhaupt möglich, einen bestimmten Stellenan- teil für Psychologen in den Kliniken weiter einzufordern. In dieser Verord- nung ist aber auch vorgesehen, dass bis zu einem gewissen Umfang be- stimmte Berufsgruppen gegeneinan- der ausgetauscht werden können, so z. B. Ärzte und Psychologen. Somit gibt es Kliniken, in denen Psychologen auf Ärzte-Stellen „sitzen“ und der Anteil von Psychologen größer ist als in der PsychPV regelhaft vorgesehen, und es gibt Fachkliniken oder Abteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie, die inzwischen Psychologen-„frei“ sind.

Die Aufgabenbeschreibung für Diplom- Psychologen in der PsychPV kann nicht mehr für approbierte Psychologische Psychotherpeuten herangezogen wer- den: Der Psychotherapeut ist kein Heil- Hilfsberuf mehr, er ist vielmehr dem Facharzt gleichzusetzen. Der Diplom- Psychologe in der Ausbildung zum Psy- chologischen Psychotherapeuten ist dem Stationsarzt gleichzusetzen, auch entsprechend zu bezahlen (min- destens aber AiP-Gehalt).

Im Psychotherapeutengesetz ist allein aufgrund des politischen Drucks ärztli-

cher Standesvertreter festgelegt wor- den, dass ärztliche Psychotherapeuten mindestens 40% des ambulanten Versorgungsanteils wahrnehmen kön- nen. Entsprechend müßte die PsychPV im Sinne der Psychologischen Psycho- therapeuten verändert werden:

In psychiatrisch-psychotherapeuti- schen Fachkliniken und Abteilungen ist der approbierte Psychotherapeut mit dem Facharzt, auch Oberarzt bzw. Ab- teilungsleitenden Arzt in einer Grup- pe zusammenzufassen, Ausbildungs- teilnehmer zum Psychotherapeuten in einer Gruppe mit dem Stationsarzt.

Entsprechend der Ärzte-Quote von 40% für ambulante Psychotherapie ist eine Psychologen-Quote von jeweils 40% oder zumindest 33% in diesen beiden Gruppen festzuschreiben.2

Exkurs: Behandlung in der Psychiatrie nur noch als medikamentö- se Krisenintervention?

Auf eine problematische Auswirkung der Sparzwänge in der Psychiatrie, die zunächst sicherlich nachteilig für die Patienten, indirekt aber auch für die Psy- chotherapeuten zu sehen ist, soll in die- sem Zusammenhang noch eingegan- gen werden: Aus vielen Kliniken wird berichtet, dass Medizinische Dienste auffällig viele Kostenübernahmeanträge ablehnen, wenn Patienten nicht psychopharmakologisch, sondern in ers- ter Linie psychotherapeutisch behandelt werden. Indirekt steht dahinter die An- nahme, dass „richtige“ medizinische Behandlung nur mit Medikamenten er- folgen kann: Wenn „Nur reden“ schon reichen sollte, kann der Patient ja nicht so krank sein, dass er noch im Kranken- haus verbleiben müsste. In diesem Zu- sammenhang ist die Gefahr zu sehen, den Patienten gerade deshalb auch Psy- chopharmaka zu verabreichen, um ge- genüber dem Medizinischen Dienst die Schwere der Erkrankung und „richtige“

Behandlung zu belegen, damit dieser

gegenüber der Krankenkasse die Über- nahme der Behandlungskosten befür- wortet. Nachdem die (in der PsychPV für die Behandlung im Psychiatrischen Krankenhaus eigentlich vorgesehenen) Fachabteilungen „Rehabilitative Behand- lung“ sowie „Mittellangfristige Behand- lung“ stillschweigend aus dem Behandlungskatalog der meisten psych- iatrischen Kliniken mit der Begründung herausgedrückt wurden, solche Patien- ten gehörten in Einrichtungen der Me- dizinischen Rehabilitation oder in Hei- me, scheint nun die Strategie darauf hi- nauszulaufen, die Psychotherapie aus der Psychiatrie mit der Begründung her- auszudrängen, diese Behandlungen müßten in Reha-Kliniken stattfinden.

Hier treffen Sparzwängen bei den Kran- kenkassen manchmal mit den Interes- sen bestimmter biologisch orientierter und/oder standespolitisch motivierter Ärzte zusammen, die Psychotherapeu- ten im Krankenhaus möglichst weiter in untergeordneter Position halten oder aus der Psychiatrie herausdrängen wol- len.3 Es gibt – wie schon gesagt – psy- chiatrische Abteilungen, die „Psycholo- gen-frei“ sind.4 Solche Entwicklungen bzw. Konstellationen entsprechen dem heute üblichen Kurzfrist-Denken, scha- den aber mit Sicherheit dem Kranken- haus auf längere Dauer, denn: Was wün- schen sich die Patienten in der Psychia- trie? Da gibt es klare Erkenntnisse: Sie wünschen sich qualifizierte Fachleute, die freundlich und verständnisvoll mit

2 Die sicherlich von manchen Kollegen gewünschte Forderung von 50% Psy- chotherapeuten lässt sich aus fachlicher Sicht nicht aufrecht erhalten: Zum einen spielt bei der Gerontopsychiatrie und der Sucht-Entgiftung die somatische Be- handlung eine dominierende Rolle, zum anderen müssen mehr Ärzte da sein, um Bereitschaftsdienste abzudecken, in dem ja häufig auch somatische Behand- lung im Vordergrund steht.

3 Der Verfasser möchte betonen, dass er persönlich während seiner langen Tätig- keit in der Psychiatrie mit den meisten Psychiatern kollegial und zufrieden stel- lend zusammengearbeitet hat, manches Mal besser als mit einigen Berufskollegen.

(17)

H. Hermes

ihnen zusammen ihre Schwierigkeiten und Probleme bearbeiten und mit ih- nen gemeinsam nach Lösungen su- chen. Und was ist das anderes als Psy- chotherapie, die sich doch definitions- gemäß als „Klärung und Bewältigung im Rahmen einer guten Beziehung“ zusam- menfassen lässt? Wenn sich die Psych- iatrie wieder auf „Pillen geben und ab- warten“ reduzieren lässt, wird sie ihren mit unendlicher Mühe in den letzten 10 Jahren langsam verbesserten Ruf wieder verlieren und nicht ganz zu Unrecht wieder in den Ruch der „Anstalt“ zurück- fallen, wo man in erster Linie „mit Medi- kamenten vollgepumpt“ wird.

Aber: Leider sind inzwischen auch viele Psychotherapeuten in der Psychiatrie einen großen Teil ihrer Zeit mit Papier- krieg – sprich: Dokumentationsver- pflichtungen – beschäftigt, dass sie nur noch wenig Zeit für ihre originären Aufgaben als Diagnostiker und Be- handler haben. Hintergrund: Die Behandlungszahlen in den psychiatri- schen Kliniken sind in den letzten 10 Jahren dramatisch gestiegen, die Verweildauern drastisch gesunken, der Personalschlüssel ist jedoch gleich geblieben (und sinkt derzeit aufgrund der Einfrierung der Budgets jährlich um ca. 4%), während sich der bürokrati- sche Aufwand vervielfacht hat.

Das „Psychiatrische Jahr” in der Ausbildung zum Psychotherapeuten

ist ja – bekanntlich nach heftigen Aus- einandersetzungen – mit der Begrün- dung in das Psychotherapeutengesetz aufgenommen worden, in der Psychi- atrie würden völlig andere Krankheits- bilder behandelt, als ein niedergelas- sener Psychotherapeut sie in seiner Praxis normalerweise sehen würde.

Und es wäre wichtig, dass sich der Psy- chotherapeut auch in Behandlung und Umgang mit diesen schweren psychi- schen Störungen auskennt. Da ist sicherlich etwas Wahres dran. Patien- ten in der Psychiatrie sind in der Regel keine Menschen, die fünf bis zwölf Monate auf einen Therapieplatz war- ten können und dann mit einer oder einigen psychotherapeutischen Sitzun- gen pro Woche adäquat zu behandeln wären, es sind in der Regel Akutfälle oder schwer chronische Erkrankte.

Die oben dargestellte, vielleicht etwas ermüdende Beschreibung der Struktu- ren im Psychiatrischen Krankenhaus macht aber deutlich, wie unterschied- lich der Arbeits- und Ausbildungsplatz für den PiA = „Psychotherapeut in Aus- bildung“ sein kann, der frisch nach der Uni in dieses medizinische Großsystem hineingeworfen wird und natürlich überhaupt keinen Überblick hat. Wir ver- wenden den Begriff PiA = „Psychothe- rapeut in Ausbildung“ in bewusster Ab- grenzung zum häufig benutzten PiP =

„Psychologe im Praktikum“, damit die oft ganz selbstverständliche Abspeisung der jungen Kollegen mit einem Praktikanten- geld nicht indirekt gerechtfertigt wird (s.

auch weiter unten zum Thema Bezah- lung). Und da es nun auch keine ver- bindlichen Vorgaben gibt, wo und wie lange der PiA seine Ausbildung in der Psychiatrie machen soll, so bleibt es den medizinischen Entscheidungsträgern im Krankenhaus – das sind in der Regel Leitende Ärzte oder Abteilungsleitende Ärzte – überlassen, wo und wie sie den

jeweiligen PiA einsetzen. So kann es vor- kommen, dass jemand das ganze Jahr hindurch überwiegend in diagnosti- schen Projekten für chronisch Sucht- kranke arbeitet, nur Tests und Gruppen- therapie bei Depressiven macht, in der Gerontopsychiatrie Diagnostik und Ge- dächtnisprogramme für Alzheimerpa- tienten durchführt oder in der Ambu- lanz Zeit fordernde Patienten behandelt, um die sich der Psychiater nicht küm- mern kann oder will (z. B. histrionische Patienten). Aber überall dort, wo ein erheblicher Arztmangel besteht, kom- men die PiAs in denen des Stationsarz- tes vergleichbare Positionen: sie führen Aufnahmen mit Diagnosestellung durch, formulieren Kostenanträge an die Kran- kenkassen, schreiben Verlaufsberichte und Arztberichte (so genannte „Epikri- sen“), sind somit praktisch für die ge- samte Behandlung zuständig.

Während in Ausbildungsgängen, die sich in den 80-er und 90-er Jahren gebildet hatten, die Kollegen zum Teil drei Jahre in der Psychiatrie verblieben und dann auch zwischen den Abtei- lungen wechselten, bleibt der PiA heu- te in dem nur einen Jahr häufig oft auf einer bestimmten Position und hat auch selbst vielfach kein großes Inter- esse an einem Wechsel. Es dauert nämlich seine Zeit, bis man sich mit dem System arrangiert hat. Und dann ist man ganz froh, auf dieser unters- ten Position der akademischen Hier- archie einigermaßen akzeptiert und in Ruhe gelassen zu werden. Und man weiß ja auch, dass man in spätestens einem Jahr wieder weg ist.

Dies widerspricht meines Erachtens völlig dem ursprünglichen Ziel der Ausbildungsrichtlinie des „psychiatri- schen Jahres“ und den wirklichen In- teressen der PiAs: Nach wie vor hätte der PiA in den meisten psychiatrischen Kliniken eine hervorragende Gelegen- heit, die unterschiedlichsten schweren Erkrankungen kennen zu lernen, was ihm für seine weitere psychotherapeu- 4 Die Hoffnung, dass durch einen Psychia-

ter-Mangel in den Kliniken sich die Situa- tion der Klinik-Psychotherapeuten verbes- sern wird, bleibt nach den Erfahrungen in der Vergangenheit trügerisch: Solange keine eindeutigen gesetzlichen Regelun- gen für Psychotherapeuten in Kliniken festgeschrieben sind, „darf“ bei Ärzte- mangel der Psychotherapeut die Arbeit machen, und wenn ein Arzt zur Verfü- gung steht, wird der Psychotherapeut bei nächster Gelegenheit wieder ausge- tauscht oder muss in die zweite Reihe zurückgehen (Es gibt aber auch – weni- ge – positive Ausnahmen!). Es ist nicht zu vergessen, dass es fast überall noch immer Ärzte sind, die über Einstellungen von Psychotherapeuten und ihre Stellung in der Klinik entscheiden.

Referenzen

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