• Keine Ergebnisse gefunden

Patient mit progredientem Schlaganfall

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Patient mit progredientem Schlaganfall"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Wenn bei einem Schlaganfallpatienten die zunächst konstanten Lähmungserscheinungen zunehmen oder die Symptome fluktuieren, sind dies kritische Ereignisse. Spätestens jetzt heisst es: keine Zeit verlieren und möglichst die nächste «Stroke unit» ansteuern. Mithilfe der zerebralen Bildgebung kann die Ursache ermittelt und eine adäquate Therapie fest- gelegt werden. Auf diese Weise lässt sich bereits dem Untergang geweihtes Hirngewebe oft noch retten.

J Ö R G P H I L I P P S, J OAC H I M R ÖT H E R

Die Progredienz neurologischer Symptome nach einem Hirn- infarkt ist kein seltenes Ereignis. Bei bis zu einem Drittel der Pa- tienten mit einem akuten Schlaganfallpatienten kommt es inner- halb der ersten 72 Stunden zu einer Zunahme von Lähmungen, Sprachstörungen oder einer Verschlechterung der Bewusstseinlage.

Penumbra lässt sich reanimieren

Der proximale Verschluss einer Gehirnarterie kann durch Ver- änderungen der Hämodynamik blutdruckabhängig zu Fluktua- tionen der neurologischen Ausfälle führen. Hier hilft das Verständnis des Penumbra-Konzeptes: Der Infarktkern ist von einem «ischämischen Halbschatten», der sogenannten Penumbra umgeben. Das Gewebe der Penumbra weist noch einen erhaltenen Strukturstoffwechsel bei erloschenem Funk- tionsstoffwechsel auf, das heisst, das Gewebe kann potenziell bei rasch einsetzender Reperfusion vor dem ischämischen Zell- tod bewahrt werden.

Risikogewebe identifizieren

Mit einem multimodalen Schlaganfall-MRT lässt sich bereits in der Akutphase dieses Risikogewebe der Penumbra darstellen (4, 9). Es entspricht weitgehend der Differenz zwischen perfu- sions- und diffusionsgestörtem Hirnareal («DWI/PWI-Mis- match»). Das multimodale Schlaganfall-MRT wird zunehmend zur Auswahl geeigneter Patienten zur Thrombolyse ausserhalb des zugelassenen dreistündigen Zeitfensters eingesetzt (6, 11).

Probleme des multimodalen Schlaganfall-MRT sind in erster Linie die beschränkte Verfügbarkeit des MR-Tomografen als Instrument der Notfalldiagnostik. Alternativ kann auch die Kombination aus Nativ-CCT, CT-Angiografie und CT-Perfu- sionsmessung Aufschluss über das Vorliegen von Risikogewebe geben.

Ein bereits initial grosses Infarktareal mit geringem DWI/PWI- Mismatch, ausgedehnte Infarktfrühzeichen im CCT, ein hyper- denses Mediazeichen als Korrelat eines kompletten Verschlus- ses der A. cerebri media und eine Hyperglykämie gehen mit dem Risiko einer Verschlechterung einher (3, 9, 10, 13, 14).

In jedem Fall sollte der Gefässbefund bekannt sein. Dies ist mit- hilfe der extra- und intrakraniellen doppler- und farbkodierten Duplexsonografie möglich. Gefässverschlüsse und höhergra- dige Stenosen können sofort nachgewiesen werden, sodass dieser Gefässbefund wesentlich mit in die Entscheidung über die weitere Patientenversorgung einfliesst. Bei zweifelhaftem Ultraschallbefund ist eine MR-Angiografie oder eine digitale Subtraktionsangiografie erforderlich. So schnell wie möglich sollte bei embolischen Infarkten eine kardiale Emboliequelle

Patient mit progredientem Schlaganfall

Zuwarten kann Hirngewebe kosten!

ARS MEDICI 10 2007

513

F O R T B I L D U N G

■■

■ Die spezifische Behandlung eines progredienten Hirninfarktes ist ohne Kenntnis der Infarkt- pathogenese nicht möglich.

■■

■ Schlaganfallpatienten mit progredienten neuro- logischen Symptomen sollten auf eine neurologische Schlaganfallstation mit ausgewiesener Schlag- anfallexpertise verlegt werden.

M M M

M e e e e rr rr k k k k ss ss ä ä ä ä tt tt zz zz e e e e

(2)

per transthorakaler und/oder transösophagealer Echokardio- grafie ausgeschlossen werden.

Fazit: Die spezifische Behandlung eines progredienten Hirnin- farkts ist ohne Kenntnis der Infarktpathogenese nicht möglich.

Therapeutische Grundprinzipien

Tritt eine Symptomprogredienz auf, dann besteht in der Regel nur ein enges Zeitfenster, um eine Rückbildung der neu oder verstärkt aufgetretenen Symptome herbeizuführen. In der Post- akutphase gilt ebenso wie in der Akutphase: «Time is brain.»

Daher ist die Schlaganfallexpertise auch des Pflegepersonals in dieser Situation besonders wichtig, da nur so eine Progredienz unmittelbar festgestellt und durch standardisierte Schlagan- fallskalen engmaschig dokumentiert werden kann.

Jeder Patient mit einem progredienten Hirninfarkt sollte auf einer spezialisierten Schlaganfallstation behandelt werden.

Durch die Behandlung auf einer spezialisierten neurologischen Schlaganfallstation kann die Mortalität bei akuten Hirn- infarkten und Hirnblutungen gesenkt werden (8).

Monitoring ist unabdingbar

Die Basistherapie besteht aus einem kontinuierlichen Monito- ring mit Kontrolle von Blutdruck und Herzfrequenz (invasiv oder nichtinvasiv), Körpertemperatur, Blutzucker, Sauerstoff- sättigung und neurologischem Befund anhand eines standardi- sierten Scores (NIHSS-Score; National Institute of Health Stroke Seale, vgl. Kasten).

Der Blutdruck soll in den ersten Behandlungstagen, bis zur Stabilisierung des neurologischen Befundes, systolisch 140 mmHg und diastolisch 70 mmHg nicht unterschreiten. Ein positiver Effekt höherer Blutdruckwerte unter einer hyper- volämisch-hypertensiven Therapie ist in Einzelfällen, vor allem bei hämodynamischen Infarkten, beschrieben worden und im klinischen Alltag zu beobachten.

Im Folgenden sollen einige spezielle Szenarien bei progredien- ten Herzinfarken anhand von Kasuistiken diskutiert werden.

Paramedianer Pons- infarkt

Ein 50-jähriger Patient kommt aufgrund einer seit zwei Tagen wechselhaft ausgeprägten Halbseitenläh- mung links zur Notauf- nahme. Dort verschlechtert sich der Befund erneut, bei der Aufnahme auf die Schlaganfallstation besteht eine Hemiplegie links und eine internukleäre Ophthal- moplegie rechts. Der systoli- sche Blutdruck liegt stabil bei 160 mmHg.

F O R T B I L D U N G F O R T B I L D U N G

514

ARS MEDICI 10 2007

Abbilddung 1: Diffusions- gewichtetes MRT, frischer Infarkt im Pons, paramedian re Kasten:

National Institute of Health Stroke Scale (NIHSS)

Dieser Score zur Einschätzung des Ausmasses eines Hirn- infarkts besteht aus 15 Fragen beziehungsweise Tests zu Be- wusstsein, Motorik, Sprache usw., zu denen insgesamt bis zu 42 Punkte vergeben werden können. Je höher die Punktzahl, desto ausgedehnter der Infarkt.

Den vollständigen Score finden Sie auf unserer Homepage unter www.allgemeinarzt-online.de, Menüpunkt Service.

(3)

Dopplersonografisch finden sich ausgeprägte atherosklero- tische Wandveränderungen an den Karotiden. An Risikofakto- ren bestehen eine Hypertonie, Hyperlipidämie und ein Nikotin- abusus. Nach ausführlicher dokumentierter Aufklärung wird der Patient mit dem Glykoprotein-IIb/IIIa-Antagonisten Tirofi- ban (Aggrastat®) behandelt. Die Hemiplegie und die Okulomo- torikstörung bilden sich fast komplett zurück. Im MRT wird in der Diffusionsgewichtung ein paramedianer Ponsinfarkt nach- gewiesen (Abbildung 1).

Die (blutdruckunabhängige) Fluktuation des neurologischen Befundes ist auf eine okkludierende Plaque im Bereich eines pontinen Astes der A. basilaris zurückzuführen. Durch die ag- gressive Thrombozytenfunktionshemmung konnte eine Stabi- lisierung der lokalen hämodynamischen Situation erreicht werden.

Paramediane Ponsinfarkte sind durch atherothrombotische Ab- lagerungen an den rechtwinklig abgehenden Rami ad pontem der A. basilaris (Abbildung 2) bedingt (2). Oft beobachtet man einen langsam progredienten Verlauf mit einer «Reifung» des Infarktes und damit einhergehender Zunahme der kontra- lateralen Hemiparese. Die Symptomprogredienz kann durch Plaqueinstabilität oder ödematöse Schwellung zustande kom- men. In der Akutphase ist leitliniengerecht die Thrombolyse im Drei-Stunden-Zeitfenster die Therapie der Wahl. Bei Progre- dienz oder starken Fluktuationen der Schlaganfallsymptome ist bei vermuteter atherothrombotischer Genese eine intensivierte Thrombozytenfunktionshemmung mit der Kombination aus ASS und Clopidogrel (Plavix®) oder eine intravenöse Gabe von Glykoprotein-IIb/IIIa-Antagonisten zu erwägen.

Kleinere Fallserien haben gezeigt, dass bei geringer Blutungs- rate eine Befundregredienz erreicht werden kann (7). Eine sol- che Therapie stellt einen individuellen Heilversuch dar und sollte nur in Zentren mit grosser Erfahrung bei der Behandlung des akuten Schlaganfalls erfolgen. Die Gabe von Heparin in PTT-wirksamer Dosierung ist nicht erwiesen und wird daher nicht empfohlen.

Progredienter hämodynamischer Infarkt

Ein 74-jähriger Patient entwickelt eine sensomotorische Herni- parese rechts (NIHSS-Score 6). Diese bildet sich nach i.v.- Thrombolyse vollständig zurück. Doppler- und duplexsonogra- fisch zeigt sich eine hochgradige Stenose der linken Arteria carotis interna. Im MRT ist ein hämodynamischer Infarkt im

P P A A T I E N T M I T P R O G R E D I E N T E M S C H L A G A N F A L L T I E N T M I T P R O G R E D I E N T E M S C H L A G A N F A L L

ARS MEDICI 10 2007

515

Abbildung 3a: Diffusionsgewichtetes MRT: Frischer Infarkt im Grenzzonengebiet zwischen A. cerebri media und anterior, verein- bar mit einer hämodynamischen Pathogenese

Abbildung 3b: Kontrastangehobene MR-Angiografie: Hochgradige Stenose der linken Arteria carotis interna am Abgang

Abbildung 2: Schematische Darstellung eines Ramus ad pontem mit atherothrombotischen Wandveränderungen und distalem Verschluss

Abbildung 3c: Duplexsonografie: Hochgradige Stenose am Abgang der linken Arteria carotis interna

(4)

Mediastromgebiet links zu erkennen (Abbildung 3). Prophy- laktisch bekommt der Patient Acetylsalicylsäure. In der zweiten Nacht nach Aufnahme fällt bei einem Blutdruck von 125/70 mmHg beim routinemässigen Erheben des NIHSS-Scores eine leichte, brachiofazial betonte Herniparese auf. Der Blutdruck wird daraufhin sofort kontrolliert über 140 mmHg systolisch gehalten. Im weiteren Verlauf bildet sich die Symptomatik bis auf eine leichte Gesichtsschwäche zurück. Nach einer Woche erfolgte die Karotisendarterektomie der symptomatischen hochgradigen Stenose.

Die Verschlechterung des neurologischen Befundes nach er- folgreicher Thrombolyse ist auf einen nächtlichen relativen Blutdruckabfall mit fokaler zerebraler Minderperfusion zurück- zuführen. Eine hämodynamisch instabile zerebrale Perfusion ist eine häufige Ursache der Infarktprogredienz. Bei Patienten mit hochgradigen, hämodynamisch relevanten Stenosen sollte immer die intrakranielle Kollateralisation geprüft werden. Ist

diese beeinträchtigt, was bei klinischer Fluktuation anzuneh- men ist, so sollten hochnormale Blutdruckwerte angestrebt

werden.

Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de

Interessenlage: Professor Röther ist Mitglied des Advisory Board der Firma MSD Sharp & Dohme GmbH. Er erhielt Vortragshonorare der Firma Boehringer Ingelheim und der Firma Bristol Myers Squibb.

Dr. med. Jörg Philipps Prof. Dr. med. Joachim Röther

Neurologische Klinik Klinikum Minden

D-32427 Minden

Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 18/2006. Die Über- nahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren.

F O R T B I L D U N G F O R T B I L D U N G

516

ARS MEDICI 10 2007

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Schlaganfallstation ist eine spezielle Einrichtung mit der Möglichkeit einer besonders intensiven Betreuung von Patienten mit einem akuten Schlaganfall, die so auf einer normalen

Das US­Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung im Ausland (U.S. Foreign Corrupt Practices Act; FCPA) verbietet eine Zahlung an einen Government Official außerhalb der USA

Eine inhalative NO-Therapie führte bei pulmonaler Hypertonie nach Herztransplantation zu einer selektiven Reduktion des pulmo- nalvaskulären Widerstandes und Verbesserung

Stroke Unit – Fachklinik zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Schlaganfall.. Oftmals funktionieren alltägliche Dinge wie Zähne putzen oder Ankleiden nach

„Ich kann wieder etwas leisten“... die pat ien t en, die einen so genannten erworbenen Hirnschaden haben, erleben eine schwere Beeinträchtigung ihrer gewohnten Identität.

Der HbA1c-Wert zeigte sich nicht nur als geeigneter diabetischer Marker, sondern auch als prädiktiver Wert für das klinische Outcome nach einem Schlaganfall und als Prädiktor für

Progression in Acute Stroke – Value of the Initial NIH Stroke Scale Score on Patient Stratification in Future Trials.. Clinical trial update: neuroprotection against acute

Beim Suchbegriff der Wiedereingliederung sowie der beruflich orientierten Reha, wurde schnell sichtbar, dass Begriffe wie Gesetzgebung (mit dem Sozialgesetzbuch),