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Bayreuther, Magdalena: Pferde und Fürsten : repräsentative Reitkunst und Pferdehaltung an fränkischen Höfen (1600–1800)

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Magdalena Bayreuther, Pferde und Fürsten. Repräsentative Reitkunst und Pferdehaltung an fränkischen Höfen (1600–1800) (= Stadt und Region in der Vormoderne, Band 1), Würzburg, Er- gon-Verlag 2014, 536 S.

Was interessieren uns Schabrackenfarben und Zaumzeuginitialen? Was spektakulä- re Dressursprünge und prunkvolle Pferde- palastbauten? Zugegeben, aus geschichts- wissenschaftlicher Perspektive tauchen bei diesen Pferdeobjektverweisen erst einmal Zweifel auf. Die Relevanz der hier zu dis- kutierenden Forschungsrichtung ergibt sich (noch) nicht per se, obwohl die Vor- stöße aus den sogenannten „Animal Stu- dies“ heute längst nicht mehr zu den Rand- phänomenen, sondern zu einer blühenden Forschungslandschaft gehören. Als im 21. Jahrhundert Beheimateten begegnet uns das Pferd allenfalls im Freizeit- und Sport- bereich, ein Leben ohne Pferd ist nicht nur denkbar, sondern die Regel. Umso faszinie- render ist die Vorstellung einer Welt, in der Pferde schlicht überall dabei waren.

Einem Ausschnitt dieser Omnipräsenz der Pferde in der vormodernen Welt wid- met sich das Buch von Magdalena Bay- reuther, das ich anhand von drei Lektüre- beobachtungen vorstellen möchte. Die Au- torin nimmt Reitkunst und Pferdehaltung an ausgewählten fränkischen Höfen des 17.

und 18.  Jahrhunderts in den Blick (Ans- bach, Bayreuth, Bamberg und Würzburg) und fragt nach den Funktionsweisen dieser equinen Praktiken im Kontext repräsenta- tiver Hof- und Herrschaftskonzeptionen.

Bayreuthers Studie zeichnet sich vor allem durch profundes Fachwissen und eine fast unerschöpfliche Materialfülle aus. Das von ihr aus unterschiedlichen Bereichen zusam- mengetragene Material (Marstallinventare, hippologische Fachliteratur, Korresponden-

zen, Baupläne, Realien) ist in seiner Breite (Texte, Bauten, Textilien und andere Objek- te) bislang einzigartig.

Die höfische Pferdekultur der Vormoder- ne ist nicht ein Kuriosum der Geschichte, sondern ein repräsentativer und gleichsam integraler Bestandteil der frühneuzeitlichen Fürstenlebenswelt. Zentrales Anliegen der Arbeit ist es, die an den europäischen Fürs- tenhöfen der Frühen Neuzeit zelebrierte Reit- und Fahrkunst als soziales Distinkti- onsmerkmal herauszuarbeiten. Die Pferde- selektion nach einzigartigen Fellfarben und Mustern, die als klassisch verstandene Reit- kunst und besonders die Dressursprünge der

„Hohen Schule“ verdeutlichen diese Dis- tinktionsleistung eindrücklich: Jahrelange Investitionen in Marställe, Reithäuser, pro- fessionalisiertes Personal und ausgabenge- füllte Rechnungsbücher bezeugen eine Kul- turtechnik, deren ursprünglich militärische Bedeutung kaum mehr auszumachen ist:

Präsentiert wird das Schöne und Edle.

Der Materialvielfalt und -fülle begeg- net die Autorin mit einem von Rainer Diaz- Bone übernommenen Methodenapparat, an den sich auch die Kapiteleinteilung anlehnt: Lebensstilraum, Sozialer Raum, Interdiskursraum. Angestrebt wird dabei ein Dreisprung, der eine diskurstheoretische Erweiterung der Bourdieu’schen Distinkti- onstheorie ermöglichen soll. Mit dem „Le- bensstilraum“ korrespondiert in der hier vorgestellten Untersuchung das Pferd als Status- und Prestigesymbol innerhalb der fürstlichen Hofwelt, mit den „sozialen Räu- men“ die Pferdehaltung und deren soziale und ökonomische Organisation (Marstall- ökonomie, Personalstrukturen, Netzwerke des Pferdeerwerbs) und schließlich wird der nach Diaz-Bone definierte „Interdis- kursraum“ anhand equiner Wissenskatego- rien angegangen, also nach auszumachen-

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Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-0-369073 Erschienen in: Historische Anthropologie ; 24 (2016), 1. - S. 138-139

https://dx.doi.org/10.7788/ha-2016-0108

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Magdalena Bayreuther, Pferde und Fürsten 139 den Diskursformen rund um die Produktion

und Rezeption von hippologischen Trakta- ten, Reitlehrbüchern und der Etablierung eines spezifisch „equinen“ Spezialwissens am Hof. Mit diesem Dreisprung sollen Praktiken, Diskurse über diese Praktiken sowie deren Bedeutung im fürstlich-herr- schaftlichen Kontext erfasst werden. Das abschließende vierte Kapitel ist als kurzer Analyseteil angelegt, um die eröffneten Ha- bitus- und Diskursfelder zusammenzufüh- ren und aufeinander zu beziehen.

Eine erste Lektürebeobachtung setzt bei dieser Grundstruktur des Buches an: In An- betracht des reichhaltigen und vielfältigen Materials, das von Magdalena Bayreu- ther erstmals zusammengestellt wurde, er- scheint das von Diaz-Bone übernomme- ne Schema als zu einfache Ordnungs- und Beschreibungshilfe. Eventuell könnten ge- rade solch materialreiche und praxisnahe Arbeiten mit Ansätzen aus der Praxistheo- rie oder der neueren Wissenschafts- und Technikstudien anhand solcher praxis- fundierten Materialschätze für die histori- sche Forschung noch besser fruchtbar ge- macht werden, um der Leserin die Pferde- welt der Fürsten nicht durch schematische Strukturierung, sondern durch Darstellung der Ambiguitäten der Praxis näher zu brin- gen. Es sind vor allem Phänomene wie die bei Bestattungsprozessionen mitgeführ- ten Trauer- und Freudepferde oder die Na- mensgebungspraktiken, die deutlich wer- den lassen, wie eng Repräsentationen und tatsächliche tierisch-soziale Präsenz in der Frühen Neuzeit zusammengingen.

Die spannende Ausgangslage der Studie ergibt sich daraus, so die zweite Lektüre- beobachtung, dass die Autorin ihren For- schungsgegenstand weder direkt bei den Fürsten noch den Pferden ansetzt, sondern gleichsam beim „fürstlichen Pferdekon- text“. Diese Gegenstandsauswahl ermög- licht erst die Gemengelage, die unterschied- liche, bislang nicht zusammen diskutier- te Themenfelder zusammenzubringen vermag. Hier liegt das Potential der Ar- beit: Die Pferdekulturwelt rückt gleichzei- tig Phänomene wie Hofwirtschaft, Löhne,

Kaufverträge, Diplomatengeschenke, Stall- meister, jüdische Händler, osmanische Sat- telkopien etc. in den Blick. Die ökonomisch- sozialen Wandlungsformen von Kauf, In- vestition und Verbrauch, von Schenken und Tauschen, von Wertschöpfung und -vermin- derung treten in diesen Pferdeökonomien besonders deutlich hervor.

Als dritte Lektürebeobachtung schließ- lich eröffnet diese imposante Arbeit jedoch auch eine Leerstelle: Die Fürsten mit ihren Reithengsten und -wallachen tummeln sich mannigfach am Hof, die Fürstinnen und Stuten dagegen sind fast durchweg abwe- send. Dies liegt selbstverständlich an der Anlage der Arbeit und des dafür selektio- nierten Materials, jedoch wäre es mehr als wünschenswert, diese Leerstelle als Be- fund grundsätzlicher zu problematisieren.

Hier zeigen sich also durchaus Forschungs- reserven für weitere Untersuchungen, die von Bayreuthers Vorarbeiten profitieren können.

Das bildreich und ansprechend gestalte- te Buch von Magdalena Bayreuther führt anschaulich und fundiert vor Augen, dass frühneuzeitliche Fürsten und Pferde nicht nur zusammen untersucht werden können, sondern müssen. Vorstellungen von Adel und fürstlichem Lebensstil wurden über die Farben, Formen und Funktionen der Pfer- de nicht einfach repräsentiert, sondern mit- gestaltet. Besonders anregen sollte der in der Arbeit punktuell erwähnte Wandel der Reitkultur vom mittelalterlichen Turnier- wesen zum Reiten als Kunstform und fürst- lichem Disktinktionsmerkmal im 17. und 18.  Jahrhundert hin zu den neuzeitlichen Pferderennen und zum breiten Reitsport:

Nicht um Aussagen über die Entwicklung des Pferdesports zu treffen, sondern um ein Medium und ein wichtiges Element der Mitgestaltung sozialer, ökonomischer und kulturell-symbolischer Distinktions- und Wandlungsformen in den Blick zu neh- men, die eine besondere Präsenz in der vor- modernen Welt hatten: die Pferde.

Isabelle Schürch (Konstanz)

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