Von Eduaed M. Keokee, Steinhausen (Schweiz)
Das Volk wagt den Fürsten
nicht umzubringen, obwohl es
mutige und starke Männer hat.
Shang Yang^
In tyrannisch geleiteten Staatswesen kommen Aufruhr und Empörung
leicht und häufig vor. Ob das auch für moderne Staaten gilt, in denen eine
totalitäre Regierungsform am Werke ist, mag zweifelhaft sein. Sicher
jedoch ist, daß die Ausbhdung und die Darstellung einer Theorie des Auf¬
ruhrs weder in den erst- noch in den letztgenannten Staaten zu erwarten
ist. Heute neigt man der Ansicht zu, daß es nicht nur ein Widerstandrecht
sondern sogar eine regelrechte Pflicht zur Revolution gibt.
Unserer Ausführung legen wir zwei Staatsformen zugrunde, die —
neben anderen Staatsformen — für das Altertum Chinas wohl bezeugt
sind, eine, die ihr Gepräge von der legistischen Schule erhält und die an¬
dere, die sich auf konfuzianische Gedanken stützt. Es ist bezeichnend,
daß der Gedanke der Revolution mehr konfuzianischem denn legisti-
schem Denken entspricht. Aber die Gründe dürften wohl etwas anderer
Art sein, als man vermuten möchte.
I.
Das Widerstandsrecht gehört als ein durchaus wesentliches Stück in
den Rahmen der Lehre vom Himmelsmandat, die im wesentlichen als
konfuzianisch gilt. Der Bedeutungsakzent liegt in dieser Lehre auf der
Verwaltung und dem Verwalter der Macht, der vom Himmel berufen in
seinem Namen als Himmelssohn das Herrschaftsamt versieht. In der
Theorie vom Recht der Empörung ist der Bedeutungsakzent auf das
Vohi und seinen Anspruch gesetzt. So hat es den Anschein, daß durch das
Recht der Revolution das Recht zu befehlen in sehr eng bemessene
Grenzen gewiesen wird. Auch wird durch dieses Recht der Revolution
auf eine neue Weise die Ansicht bestätigt, daß der Himmelsauftrag an
erster Stelle nicbt der Legitimierung der Macht, auch nicht hirer Be¬
gründung und erst recht nicht ihrer Festigung, sondern vielmehr ihrer
Begrenzung dient. Sodann rückt schon rein äußerlich der chinesische
1 Shang-kün-shu IV, 18, lOv; vgl. Duyvendak, J. J. L., The Book of
Lord Shang, London, 1928, S. 290.
342 Eduaed M. Kecker
I Ausdruck „Ko Ming" als Bezeichnung des revolutionären Vorganges die
Lehre der Revolution in die unmittelbare Nähe der Theorie vom Him-
^ melsmandat, dem sogenannten „Tien Ming".
Für unser Empfinden schwingt in dem Worte Revolution der Gedanke
an das Gewaltsame des revolutionären Gescbehens mit. Der chinesische
Ausdruck ,Ko Ming' als Wiedergabe des Wortes Revolution deutet
dieses Gewaltsame nicht in so betontem Maße an. Die Bezeichnung ,Ko'
bedeutet ursprünglich ,häuten', ,ändern', und der Begriff der Häutung
und der Veränderung scheint nicht notwendig, — unzurecht zu bestehen
—, durch den Gedanken an das Gewaltsame bestimmt zu sein.
Auch gibt das Wort Revolution nicht kund, welcher Zustand eigentlich
mit Hilfe der Revolution geändert, erst recht nicht, welche Form der
Regierung gestürzt und welche an ihre Stelle gesetzt werden soll. Für
den Vorgang der Revolution ist all das obne sonderliche Bedeutung.
Unerläßlich ist nur, wenn schon vom Begriffe der Revolution die Rede
ist, daß ein gewaltsamer Umsturz auch wirklich gemeint sei.
Das ,Ko Ming' als Änderung des Auftrages hingegen zielt seinem Be¬
griff gemäß zunächst auf den unmittelbaren Sturz des Dynasten. Und
wichtig scheint uns zu bemerken, daß es sich hierbei stets um einen
Dynasten handelt, der den Auftrag des Himmels tatsächlich besaß. So-
j dann strebt die Änderung dahin, die Übertragung der Macht zu voh-
' ziehen und zwar in einer Weise, die mit dem Himmelsmandat in vollem
Einklang steht.
Während also der Begriff der Revolution den Umsturz einer Rechts¬
ordnung schlechthin zu bezeichnen pflegt, meint der Begriff ,Ko Ming'
/ als Änderung des Himmelsmandates lediglich die Absetzung des Dyna¬
sten unter gleichzeitiger Wahrung all jener Spielregeln, die eben in der
Theorie vom Himmelsauftrag ausgebildet worden sind.
Das wird hinlänglich auch durch die Tatsache erklärt, daß die Lehre
vom Widerstandsrecht in der konfuzianischen Schule geschaffen wird und
dort zur Ausbildung und Darstehung kommt. Für die konfuzianische
Schule erhält das Volk im Rahmen der ganzen Staatsorganisation ein
besonderes Gewicht,
j Das Voht ist das Wichtigste — sagt Menzius — dann kommen die
Götter des Erdbodens und der Feldfrüchte. Der Fürst aber ist das
Unwichtigste^.
Deshalb wird auch das Volkswohl bewußt und ausdrücklich zum Gegen¬
stand eingehender staatspolitischer Erwägungen gemacht. Was Wunder,
1 Meng tsi VII, B, 14, 1; vgl. Legge, J., The Four Books, S. 985; Fbanke,
O., Geschichte des chinesischen Reiches, Bd. I, Berlin, 1930, S. 212; Hae¬
nisch, E. Mencius und Liu Hiang, zwei Vorkämpfer für Moral und Charak¬
ter, Leipzig, 1942, S. 46, Anm. 2.
wenn die Beziehung vom Herrscher zum Volke vielfach im Sinne des
Volkswohls und sehr deutlich zu seinen Gunsten bestimmt wird. „Die
konfuzianische Schule leistete China — sagt Dubs^ — einen unschätz¬
baren Dienst, indem sie die Theorie betonte, daß die Regierung zum
Wohle der Regierten sei, und daß die Gesetze der Sittlichkeit die Re¬
gierenden in höherem Maße binden als das ,törichte Volk'".
Nach konfuzianischem Denken hat der Fürst auf die öffentliche Mei¬
nung des Volkes Rücksicht zu nehmen. Das Empfinden des Volkes wird
ihm zu einer richtungweisenden Norm. Bei Konfuzius steht zu lesen:
Freue Dich über den Fürsten, ,den Vater und die Mutter' des
Volkes. Was vom Volke geliebt wird, das lieben sie auch, und was
vom Vohie verabscheut wird, das verabscheuen sie auch. Das heißt
,Vater und Mutter des VoUces' sein^.
Schon im Shu-king wird überliefert, daß der Fürst dem Volke gegenüber
Vater und Mutter sei. Eine ehrwürdige Forderung klingt bier an, die für
die Regierungsweise des Herrschers gültig und verbindlich ist. Sie ver¬
weist sehr nachdrücklich auf die Pflicht, daß das Wohl des Volkes dem
Fürsten am Herzen liegen müsse, eine Forderung, die sich aus diesem
Vergleich gewissermaßen ableiten läßt. Sie rückt das Interesse des VoUies
so sehr in den Vordergrund, daß nicht irgenein Staatszweck, sondern
das Verhalten des Volkes zum Ausgangspunkt für konkrete Maßnahmen
genommen wird.
Wenn man jene liebt, die vom Volke gehaßt werden, und jene haßt,
die vom Volke geliebt werden, so heißt das, die Gefühle der Menschen
verletzen. Unausbleiblich ist es dann, daß das Unglück über den
hereinbricht, der in dieser Weise handelt*.
Und an anderer Stelle :
Der Meister sprach, wenn die Menge jemand haßt, so mußt du den
Fah untersuchen. Wenn die Menge jemand liebt, so mußt du den
Fall gleichfahs untersuchen*.
Konfuzius will offenbar nicht sagen, es sei alles zu bejahen, was die
Menge tut. Er will aber auch nicht jene stolze Haltung einiger Fürsten
billigen, wie sie später von den Legisten empfohlen wird, eine Haltung
derzufolge alles, was das Volk bewegt, in radikaler Weise abgelehnt wird*.
Zux Deutung des eben zitierten Textes sei hier eine Stelle aus den ,, Ge¬
sprächen" des Konfuzius herangezogen:
1 DuBS, H. H., HsüNTZE, The Moulder of Ancient Confucianism, Lon¬
don, 1927, S. 257. ^ Ta Hio X, 3; vgl. Legge, J., op. cit., S. 336.
ä Ta Hio X, 17; vgl. Legge, J., op. cit., S. 342.
* Lun Yü XV, 27: vgl .Legge, J., op. cit., S. 230
^ Ackerbau und Kriegsdienst sind die einzigen Beschäftigungen die
Shang Yang zulassen will. Vgl. Kap. 6.
344 Eduard M. Kbokeb
Tsi Kung fragte den Meister und sprach : „Was ist von einem Manne
zu halten, der von allen seinen Nachbarsleuten geliebt wird" ?
Der Meister antwortete: „Man darf ihn deswegen noch nicht für
gut halten." ,,Und wenn alle Leute aus der Nachbarschaft ihn
hassen, wie steht es dann?" — „Man darf ihn darum noch nicht für
hassenswert halten. Viel besser ist es, daß die Guten unter den Nach¬
barsleuten ihn lieben und die Schlechten unter ihnen ihn bassen^."
Es liegt hier durchaus keine schlechtsinnige Ablehnung vor. Aber auch
keine blinde Nachfolge. Die Führerschaft des Fürsten bewährt sich
gerade in seiner geistigen Überlegenheit. Sie offenbart sich darin, daß er
nicht einfachhin am Verhalten des Volkes abliest, was als gut gelten
soh, sondern daß er es in selbständiger Weise herauszufinden sucht.
Yin Wen-tsi, der den Legisten in vielfacher Hinsicht sehr nahesteht^,
geht in der Tat so weit. Ihm gilt als recht und unrecht, was die Masse des
Volkes als solches erachtet. Die Ansicht des Einzelnen, ihr Wahrheits¬
gehalt und ihre ethische Lauterkeit werden an dem Grade der Über¬
einstimmung mit der ahgemeinen Meinung des Volkes gemessen. So ist
das Kriterium der Wahrheit und Güte die Übereinstimmung im Denken
und Tun mit der Masse des Volkes.
Es stände nun nicht im Widerspruch zu diesen Gedanken, läge viel¬
mehr in der gleichen Richtung und auf derselben Linie, wenn Yin
Wen-tsi auf Grund seiner Überzeugung von der Unfehlbarkeit der Mehr¬
zahl und von der Richtigkeit dessen, was die Masse für wahr und gut
hält, eine regelrechte Teilnahme des Volkes an der Regierung forderte.
Diesen praktischen Schluß aus seiner Erkeimtnis zieht er nicht.
Bei Menzius könnte man eine solche Gewährung der Teilnahme an der
Regierung angedeutet sehen, vornehmlich an der Stehe, wo er dem Volke
das Recht zuspricht, über Ämterverteilung und Strafmaßnahmen zu be¬
finden*. Doch geht auch Menzius hierbei nicht weiter als Konfuzius
selbst. Die Willensäußerung des Volkes bedeutet ihm keine regelrechte
Entscheidung, sie dient lediglich dazu, die Aufmerksamkeit des Fürsten
auf die Meinung des Volkes hinzulenken, damit er eben in regelungs-
bodürftigen Fällen die Meinung des Volkes befrage, sich eingehender und
in prüfender Weise mit ihr beschäftige und erst dann gestützt auf die
gesichterte Erkenntnis des betreffenden Falles ein Urteil fälle, das
aber durchaus nicht im Sinne der Willensäußerung des Volkes lauten
muß. Bemerkenswert und im Grunde sehr bedenklich ist nun hier, daß
die Verantwortung auf das Volk abgewälzt wird.
1 Lun-Yü Xin, 24; vgl. Legge, J., op. cit., S. 189.
^ Vgl. Yin Wen-tsi I, S. 9v; Fobke, A., Oeschichte der alten chinesischen
Philosophie, Hamburg, 1927, S. 426; Masson-Oursel op. cit., S. 585.
^ Meng tsi I, B, VII, 4ff.; vgl. Legge, J., op. cit., S. 492.
Wenn alle Leute im Staate sagen, — (so steht bei Menzius zu lesen;
die Worte sind an den Fürsten gerichtet) — er, der Beschuldigte,
verdiene den Tod, so untersuche den Fah. Und findest Du, daß
er den Tod verdient hat, so töte ihn. Aus diesem Grunde heißt es:
Die Leute des Staates haben ihn zu Tode gebracht. Wenn Du so
handelst, kannst Du als ,, Vater und Mutter des Volkes" gelten^.
Trotzdem verfiel man in der konfuzianischen Schule nicht auf den Ge¬
danken, das Recht der Teilnahme an der Regierung in ausgesprochener
Weise auch dem Volke einzuräumen.
Die Legisten würden schon den bloßen Gedanken daran als eine un¬
mögliche Zumutung energisch zurückgewiesen haben:
Man darf das Volk nicht an den ersten Anfängen eines Planes teil¬
nehmen lassen. Wohl sollte man ihm gestatten, an der Freude teil¬
zunehmen über die verwirklichte Vollendung des Plans^.
Und der gleiche Abschnitt enthält den Satz :
Wer ein großes Werk vohenden wih, holt sich nicht Rat beim ge¬
wöhnlichen Volk*.
Die Gewährung einer direkten Teilnahme des Volkes an der Regierung
kann auch für den Konfuzianer schon deshalb nicht in Frage kommen,
weil eine solche Teilnahme das Gesellschaftsgefüge geändert und so
gegen ein fundamentales Dogma der konfuzianischen Lehre in schwerer
Weise verstoßen hätte, gegen den Bestand der Klassenunterschiede und
vornehmlich gegen das Prärogativ der Adelsschicht, die allein das
Regierungsamt zu versehen sich für berechtigt und befähigt hält.
Man möchte meinen, dem Chinesen der Antike habe an der persönlichen
Teilnahme an der Regierimg nicht viel gelegen, wenn er nur stets und
in jeder Verwaltungsmaßnahme das Wohl des Volkes gewährleistet sah.
Der moderne Mensch hingegen denkt anders. Es scheint, daß das persön¬
liche Mitspracherecht bei der Regelung der öffentlichen Angelegenheiten
zu einem gewissen subjektiven Wohlbefinden des Einzelnen gehört oder
doch gehören sollte, (wenigstens wird das für dernokratische Staats¬
ordnungen zu erwarten sein) ; des Einzelnen sage ich, dessen Gefühl für
soziale Verantwortung gerade heutzutage in einem hohen Grade regsam
ist, — und der ein waches Empfinden für die eigene gemeinschafts-
bezogene Existenz zu haben scheint und vielleicht auch aus diesem
Grunde für den betörenden Einfluß kollektiven Denkens und Strebens
anfällig geworden ist.
1 Meng tsi I, B, VII, 5ff.; vgl. Legge, J., op. cit., S. 493.
" Shang-kün-shu I, 1, lv; vgl. Duyvendak, J. J. L., op. cit., S. 169;
Lun-Yü VIII, 9; Legge, J., op. cit., S. 101.
" Shang-kün-.shu 1. c; Duyvendak, J. J. L., 1. c; Si-ma Ts'ien, Shi ki,
Shang-kün lie chuan 8, B. 68, S. 2r; Duyvendak, J. J. L., op. cit., S. 13.
346 Eduard M. Kboker
Ist nun aber das Wohl der Gemeinschaft nicht garantiert, so erlischt
nach konfuzianischer Lehre das Herrschaftsrecht und auf Seiten der
Untertanen die Pflicht zur Gehorsamsleistung. Auf diese Weise findet
das Widerstandsrecht im chinesischen Denken seine Anerkennung^.
Schon ira Buch der Urkunden ist das Recht zum Aufstand und zur
Absetzung des Dynasten ausgesprochen^. Konfuzius billigt es, wie aus
den Frühhngs- und Herbstannalen ersichtlich ist*. Und Menzius steigert
dieses Recht zu einer Pflicht, ein Gedanke, der auch für unser Empfinden
heute in zunehmendem Maße an Berechtigung gewinnt. Menzius sieht
in der revolutionären Tat eine Pflicht, die die Sippe des Herrschers zu
erfüllen hat. Sün-tsi vertritt die nämliche Ansicht und verteidigt sie*.
In dramatischer Weise kommt dieses Recht im Buche der Urkunden
zum Ausdruck. Ein Hofmann, der die wachsende Macht der Chou
beobachtet, warnt den Shang-Dynasten. Doch dieser beruft sich auf das
Himmelsmandat. Der vom Himmel gegebene Auftrag zu herrschen, so
meint er, bürge auch für sein Leben, seine Zukunft und seinen Thron.
Er weiß noch nicht, daß sein Herrschaftsauftrag durch sein lasterhaftes
Leben verwirkt und entzogen sei. Da steht der Hofmann nicht an, dem
Dynasten seine Verbrechen vorzuwerfen, durch die der Untergang seiner
Dynastie bereits unabwendbar geworden ist*.
Menzius hat später, vielleicht sogar unter dem Eindruck dieses Be¬
richtes, geschrieben:
Weim ein Fürst große Fehler hat, so sollen ihn (die Minister, die zu
seiner Sippe gehören) zurechtweisen; hört er aber nicht auf diese
wiederholten Zurechtweisungen, so sollen sie ihn absetzen*.
Das ist noch milde und sachlich formuliert. An anderer Stelle scheut
sich Menzius nicht, — und hier wird er geradezu erregt, — sogar den
TjTannenmord als erlaubt zu vertreten. Es ist das eine häufig zitierte
Stehe, die keinen Zweifel hinterläßt :
Ist es einem Untertanen erlaubt, seinen Herrscher zu töten ? Menzius
erwiderte: wenn jemand die Menschlichkeit vergewaltigt, so nennt
man ihn einen Banditen. Wenn jemand die Rechtlichkeit ver¬
gewaltigt, so nennt man ihn einen Elenden. Den Elenden und den
Banditen nennt man einen Schurken. Ich habe von der Hinrichtung
eines Schmken Chou gehört. Nicht aber habe ich von der Ermordung
eines Fürsten vernommen'.
1 Ta Hio X, 5; vgl. Legge, J., op. cit., S. 337.
" Dubs, H. H., op. cit., S. 260.
^ Dubs, H. H., op. cit., S. 260.
* Dubs, H. H., op. cit., S. 260.
* Couveeub, S., Chou King, Sien Hsien, 1927, S. 163.
° Meng tsi V, B, 9, 1; vgl. Legge, J., op. cit., S. 847.
' Meng tsi L B, 8, 2ff.; vgl. Legge, J., op. cit., S. 493.
Nun wundern wir uns nicht mehr, wenn Menzius seinen Fürsten zum
Sturz des Lehnsherrn, des angeblichen Himmelssohnes aufruft, durch den
nach konfuzianischer Lehre alles Unheil und alles Unglück herein¬
gebrochen ist.
Wie Wu Wang einst im Zorn auffuhr und den VöUiern des Reiches
den Frieden gab, (indem er die Shang-Dynastie stürzte) so fahre
auch du, o König, im Zorne auf und gib den Völkern des Reiches
den Frieden^.
Und wir ergänzen: indem du der Chou-Dynastie ein Ende bereitest. Man
halte sich vor Augen, daß Menzius zu den Klassikern zählt. Jahrhun¬
dertelang bis in die jüngste Gegenwart hinein hat auch er den Bildungs¬
gang des chinesischen Menschen bestimmt. So begreift man vohauf, daß
der Widerstandsgedanke als woblverbürgtes Wissensgut güt und dem
Gebildeten in China durchaus bekannt ist.
Im Lehrsystem der Konfuzianer ist die Revolution demnach gerecht¬
fertigt, wenn das vom Himmel verliehene Recht zu herrschen, der Him¬
melsauftrag, entzogen ist. Dieses Recht erlischt und ist als erloschen zu
denken, d. h. der Entzug des Himmelsmandates tritt ein, wenn das Ver¬
halten des Himmelssohnes, seine Handlungs- und Regierungsweise mit
der Idee des Himmelssohnes nicht mehr übereinstimmt oder auch, wenn
das Wohl des Volkes nicht mehr faktisch gewährleistet ist.
II.
Wie stellt sich aber das Recht der Revolution im System der Legisten
und insbesondere Shang Yang's dar? Wir stehen die Frage, weil die
Legisten des chinesischen Altertums sich in eingehender Weise mit dem
Rechtsgedanken beschäftigen. Sie sind Rechtspositivisten, denen das
positive Gesetz, das gesetzte Recht des Staates mehr als die Rechtlich¬
keit gilt, mehr als das konfuzianisch geprägte Sittlichkeitsideal.
Das gilt in vorzüglicher Weise von Shang Yang, dem Kanzler von
Ts'in im 4. Jahrhundert v. Chr., der den totalitären Staatsgedanken in
verblüffender Ähnlichkeit mit modernen Staatswesen zu realisieren ent¬
schlossen ist. Als Mittel hierzu dienen ihm das schwer sanktionierte
Gesetz, das Prinzip der Kollektivhaftung, die Aufhebung der Klassen¬
unterschiede, die Nivellierung und Vereinheitlichung der Gesellschaft, die
Militarisierung des Landes, das geschlossene Überwachungs- oder zu¬
treffender gesagt — Spitzelsystem und anderes mehr. Damit haben wir
einige Grundsätze genannt, die im Shang-kün-shu, im ,Buch des Herm
von Shang', enthalten sind. Der Inhalt der Schrift mag wohl auf die
1 Meng tsi I, B, 3, Off.; vgl. Legge, J., op. cit., S. 470; Franke, O.,
op. cit., Bd. I. S. 213. Übersetzung von Franke.
348 Eduard M. Kboker
Gedanken des Fürsten von Shang zurückgehen, wenngleich es ahgemein
erst dem 3. Jahrhundert v. Chr. zugewiesen wird.
Dürfen wir annehmen, daß das vorwerfbare, verwerfliche Verhalten
des Himmelssohnes, sein lasterhaftes Leben und der Verstoß gegen das
Wohl des Volkes auch für den Legisten einen hinreichenden Grund zur
Revolution bedeutet ? Sicherlich hat der Legist andere Maßstäbe als der
Konfuzianer zur Hand, mit denen er gleichsam das Verhalten des Him¬
melssohnes mißt. Die Tugenden, die der Konfuzianer preist und offenbar
für geeignete Kriterien hält, sind in den Augen des Legisten verwerfliche
Eigenschaften. Er nennt sie .Schmarotzer', wörtlich, ,Läuse', und gibt
auf solche Weise zu verstehen, wie verächtlich sie üim sind. Wir lassen
hier einen Schmarotzerkatalog folgen, der überaus deutlich den Gegen¬
satz sichtbar werden läßt, der den Konfuzianer von den Legisten trennt :
Die sechs Schmarotzer(paare) heißen, Etikette und Musiii, das
Buch der Urkunden und das Buch der Lieder, Pflege des Guten und
Tugendhaftigkeit, kindliche Ehrfurcht und brüderliche Gesinnung,
Aufrichtigkeit uD,d Treue, Keuschheit und Bescheidenheit, Güte
und Rechtlichkeit, Verdammung des Krieges und Scham zu
kämpfen. Sind diese zwölf! Dinge vorhanden, so wird es dem Vor¬
gesetzten unmöglich sein, das Volk zur Ackerbautätigkeit und zum
Kampf anzuspornen. Dann gerät der Staat sicher in Armut, so daß
sein Zerfall unausbleiblich ist^.
Shang Yang stellt sich einen Herrscher vor, der nicht der konfuzianischen
Tugend bedarf, um im Amte zu sein. So dürfen wir natürlich in den Tu¬
genden auch keine Voraussetzung erblicken, die den Himmel zur Er¬
teilung des Auftrages bewogen haben könnte und das Amt zu herrschen
sozusagen verlieh.
Wir müssen von den Tugenden als den Kriterien absehen und können
nm jenes eine auch im Lun Yü vertretene gelten lassen, daß nämlich der
Fürst sich aufführe, wie es dem Namen und der Idee des Fürsten gemäß
und entsprechend ist.
^ Shang Yang spricht hier von 6 Sohmarotzerpaaren ; in Wirklichkeit
sind es 8 Paare, also im ganzen 16 Schmarotzer.
" Shang-Kün-shu III, 13, 9r. Vgl. Shang-kün-shu II, 5, Ir; II, 7, 12r;
Fobke, A. Oeschichte der alten chinesischen Philosophie, Hamburg 1927,
S. 455 zählt lediglich 9 Schmarotzer auf: ,,1. Sitte und Musik, 2. Schiking
und Schuking, 3. Pflege des Guten, 4. Kindliche und brüderliche Liebe,
5. Aufrichtigkeit und Treue, 6. Reinheit und Bescheidenheit, 7. Wohlwollen
und Gerechtigkeit, 8. Verdammung des Krieges, 9. Scham zu kämpfen."
Auoh Fobke wäre zu 8 Paaren gekommen, wenn er Nr. 3 als ein Paar und
Nr. 8 und 9 ebenfalls als ein Paar verstanden hätte. Duyvendak, J. J. L.,
op. cit., S. 256, Anm. 2, spricht von 16 Schmarotzern.
Freilich muß bemerkt werden, daß gerade diese Stehe aus den Ge¬
sprächen des Konfuzius umstritten ist. Aethue Waley sieht in ihr eine
Interpolation, die der sogenannten Ming Kia, der dialektischen Schule,
zur Last zu legen wäre. Anderseits empfiehlt sich diese Stelle in unserem
Zusammenhange, weil sie nicht im Widerspruch zu konfuzianischem
Lehrgut steht. Überdies müßte sie im Grunde auch den Legisten sehr
genehm sein, zumal diese das menschliche Verhalten ebenfahs dem Be¬
griffe unterzuordnen d. h. dem Gesetz anzugleichen bestrebt sind.
Während nun die Konfuzianer auf ihren Tugendkatalog verweisen
müssen, um das, was dem Namen und der Idee des Fürsten gemäß ist,
feststellen zu können, wird der Legist vielleicht das Bild eines Fürsten
vor Augen haben, der eben — dem großen Anliegen der Legisten gemäß —
um die Anwendung der Gesetze und ihre Geltungskraft bemüht ist, —
der eher hart und erbarmungslos die Strenge der Gesetze denn Milde
vvalten läßt, damit er nachher beruhigt in die Verborgenheit der taoisti¬
schen Muße zmücktreten könne^. Er mag sich getrost dem ,Wu Wei'
überlassen, da das Gesetz — nach der Auffassung der Legisten — eine
mechanisch allmächtige Wirkungsweise besitzt.
Es läßt sich nicht leugnen, daß hier der Einschlag taoistischen Denkens
in legistisches Gedankengut offenkundig ist. Das positive Gesetz erhält
bei den Legisten eine Wirkkraft, die in der taoistischen Schule eben dem
,,Tao" eigen ist. Aber wie sehr entkleidet aher naturhaft mystischen
Wirkkraft, die dem „Tao" bei Laotsi zugeschrieben wird, erscheint doch
das Gesetz in seiner mechanischen Wirksamkeit !
Die Empörung gegen einen Herrscher, der sozusagen vom Gesetz ver¬
treten wird, ist unwahrscheinlich. Er ist ja, gemessen an der Wirksamkeit
der Gesetze, einfachhin bedeutungslos. Er zählt eigentlich gar nicht.
Sein Tod ändert an dem legalisierten Zustand des Staates nichts. Denn
das Gesetz — so meint der Legist Shang Yang — ersetze den Fürsten auf
eine Weise, die schlechthin als vollkommen anzusprechen ist^.
Der andere Grund zm Revolution wäre die verfehlte Garantie des
Volkswohls. Hier ist aber zu sagen, daß im legistischen Schrifttum von
einem ernsten Bemühen um das Volkswohl keine Rede sein karm, von
einem Volkswohl, das lediglich seiner selbst und nicht mit der Absicht,
die Macht der Mächtigen zu stärken, erstrebt, empfohlen oder doch als
Pflicht des Machtverwalters vertreten wird. Das läßt sich leicht erhärten.
Erinnert sei nur, daß das Volk bei Shang Yang das Betriebskapital des
Fürsten* ist in dem großen Unternehmen Krieg, — daß der Staat zm
Macht gelangt, wenn das Volk schwach ist und in Armut gerät, — ferner
♦
1 Vgl. Shang-kün-shu IV, 18, llr; Duyvendak, J. J. L., op. cit., S. 291.
2 Vgl. Shang-kün-shu IV, 18, lOr; Duyvendak, J. J. L., op.cit., S.291.
^ Vgl. Shang-kün-shu V, 20, 5r; Duyvendak, J. J. L., op. cit., S. 309.
350 Eduard M. Kboker
auch , daß es sehr gefügig und leicht beherrschbar wird, wenn es töricht
bleibt und im Zustand der Unkultiviertheit belassen wird. Auch die Tat¬
sache sei erwähnt, daß es im Staate Ts'in unter Shang Yang keine
Bildungsmöglichkeiten gibt. Diese wenigen Hinweise rechtfertigen nun
dmchaus die Vermutung, daß das Wohl des Volkes keineswegs im Vor¬
dergrunde steht. Wir können uns dieses Allgemeinwohl bei Shang Yang
auch gar nicht vorstellen, da das Volk lediglich dazu dienen soh, dem
Anspruch des Fürsten, seiner politischen Absicht, gefügig zu sein.
Die Absicht des Fürsten, sein gewaltigstes Ziel, ist die politische Vor¬
herrschaft, die Suprematie, ein wahrhaft fürstliches Anliegen! Der
Ruhm, der damit verknüpft ist, kann zu einer Rücksichtslosigkeit ver¬
führen, die jede Form des Aufruhrs und der Empörimg entschuldigen
dürfte. Gleichwohl kann der Gedanke der Revolution auf Grund des ver¬
fehlten Volkswohls gar nicht im Rahmen der legistischen Lehre gedacht
werden und wohl auch nicht gemeint sein, weil eben dieses Volkswohl
von den Denkern der legistischen Schule überhaupt nicht als letzter
Staatszweck ins Auge gefaßt wird. So zeigt es sich, daß auch die zweite
Voraussetzung im legistischen System bedeutungslos ist. Es muß auch so
sein, denn die objektive anonyme Macht der Gesetze garantiert — nach
legistischer Auffassung — die Ordnung, die im Reiche das höchste Gut
des Volkes ist^. Eine Auflehmmg kann sich also sinnvollerweise nicht
gegen den Fürsten richten, der ja in der Verwirklichung des Volkswohls
keine maßgebende Rolle spielt.
Wie bereits angedeutet wurde, übernimmt das Gesetz im Gedanken¬
kreis der Legisten die Funktion des Fürsten selbst, ersetzt ihn so tadellos,
daß die Qualitäten des Herrschers, gleichviel wie gut und vorzüglich oder
wie gering und schwach sie sind, auf den Verlauf und den glücklichen
Fortgang der Regierung keinen Einfluß nehmen. Es wäre also theoretisch
gesprochen eigentlich nur die Auflehnung gegen das Gesetz aber nicht
eine solche gegen den Fürsten denkbar. Da nun aber dem Gesetz eine
so vollkommene Wirkungsweise zugedacht wird, und da es ferner in
seiner Anonymität, in seiner Unbestechlichkeit, jeder Willkür enthoben
ist, entfallen die wichtigsten Voraussetzungen, die für das revolutionäre
Geschehen entscheidend und ausschlaggebend sind. Man wird also sagen
müssen, es sei im System der Legisten für ein Widerstandsrecht kein
Raum.
In der Tat faßt Shang Yang die Möglichkeit eines revolutionären Vor¬
ganges nicht ins Auge. Er stellt sich einen Herrscher vor, der den Durch¬
schnittsmenschen in keiner Weise übertrifft, der weder Tugend noch
Wissen in überragendem Maße besitzt, der seine Befehlsmacht keineswegs
* Vgl. Shang-kün-shu II, 7, llv; Duyvendak, J. J. L., op. cit., S. 232.
auf die Überlegenheit stützen kann, — einen Herrscher, der auch an Mut
und Kraft seinen Leuten nicht überlegen ist, — und den das Vohi doch in
seiner Herrschaftsstehung beläßt. Hören wir Shang Yang selbst:
Das Volk wagt nicht ihn umzubringen, obwohl es mutige und kräftige
Männer hat. Obwohl es zahlreich ist, nimmt es sich docb nicht
heraus, seinen Herrscher zu überwältigen Selbst wenn Strafen
verhängt werden, zürnt das Volk nicht, eben weh das Gesetz in
Geltung ist!.
1 Shang-kün-shu IV, 18, lOv; vgl. Duyvendak, J. J. L., op. cit., S. 290.
Basic Sanskrit?
Von Manfbed Mayehofeb, Graz
Durch die Güte Dr. V. Raghavans (Madras) wurde mir dieser Tage
ein aus seiner Feder stammender Kongreßbericht zugänglich, der im
Westen sonst wenig bekannt sein dürfte und wohl eine kurze Inhalts¬
angabe an dieser Stelle verdient. Es handelt sich um einen Bericht der
,, Classical Sanskrit Section" der ,,15th All-India Oriental Conference",
Bombay 5.—7. November 1949 (unter dem Vorsitz von Dr. Raghavan),
in welcher das Problem eines „Simplified Sanskrit" als Voraussetzung
für eine Einführung des Sanskrit als lingua franca Indiens durch einen
Vortrag des Präsidenten erläutert und im weiteren durch eine Diskus¬
sion erwogen wurde. Das genannte Problem ist für Indien, indem man
um ein sprachliches Fundament des wiedergewonnenen politischen Svaräj
ringt, von brennender tagespolitischer Wichtigkeit, auch heute noch, da
man eine sanskrithafte Hoch-Hindi („an indirect victory for Sanskrit",
Raghavan a. a. 0., S. 30) zur Landessprache von Indien erkoren hat. Es
zeigt sich aber auch jedem europäischen Forscher, der mn die Sprachge¬
schichte des Altindischen bemüht ist, als ein Problem von besonderem Reiz.
Der Gedanke eines solchen „simplified" oder ,, basic" Sanskrit ist
nicht erst heute geboren worden. Die ganze Geschichte des Altindischen
steht naturgemäß unter dem Vorzeichen eines solchen simplifying, das
sich in der Entwicklung vom Vedischen zum Sanskrit, noch mehr in der
vom Sanskrit zum buddhistischen und jinistischen Misch-Sanskrit
kundtut^. S. K. Chätteeji berichtet in einer Broschüre über das In¬
dische Sprachenproblem (Oxford 1945), daß ein gewisses Basic Sanskrit
bereits seine praktische Erprobung bestanden habe^. Und auch innerhalb
der altindischen Literatur kann Raghavan (S. 35) auf solche Verein¬
fachungstendenzen hinweisen : so nennt er den beschränkten Wortschatz
erzählender Werke (wie des Pancatantra), die „basic tongue" einiger
Puränas u. a. m.
Der einzige Versuch, ein solches vereinfachtes Sanskrit systematisch
zu schaffen, rührt jedoch von einem Deutschen her. Otto Scheadbe,
damals Direktor der Adyar-Bibliotbek, hat in einer Vorlesungsreihe
(Madras 1909) konkrete Vorschläge hierzu gegeben, die nun von indischer
1 R. C. Majumdab (bei Raghavan S. 34); Raghavan S. 34—35.
^ . . . I have seen Arya Samaj preachers from the Punjab speaking
simple Sanskrit listened to by Bengal audiences in public squares and
understood generally ...