Satzintonation in türkisclien Lesetexten
Von Otto von Essen, Hamburg
Keine menschliche Äußerung ist so unmittelbar Funktion seelischer
Regungen wie die Stimme. In der Stärke und der wechselnden Höhe der
Sprechstimme tritt das seelische Geschehen gleichsam an die Oberfläche,
seelische Spannungsabläufe gewinnen sinnlich wahrnehmbare Gestalt.
Aufeinanderfolgende unterschiedliche Sprechtonhöhen sind innerhalb
des Ausspruchs, der sie trägt, eine unauflösbare Einheit, die innere
Zustände und Vorgänge zum Ausdruck bringt. Darin gerade liegt das
Wesen der Sprech-Melodie gegenüber den einzeln betrachteten Sprech-
Tonhöhen, daß sie Ausdrucksgestalt ist. Weil aber die Sprech¬
melodie Ausdruck seelischen Geschehens ist, so ist sie auch ebenso viel¬
gestaltig wie das seelische Leben selbst.
Dennoch haben sich überall, wo Menschen miteinander reden, gewisse
melodische Formen herausgebildet. Für bestimmte Ausspruchsformen
haben sich innerhalb der engeren menschhchen Verkehrsgemeinschaften
bestimmte Melodisierungstypen eingebürgert, die der psychischen Sphäre,
der sie entstammen, weitgehend entrückt sind; sie sind zu Normen
erstarrt. Damit sind sie aus dem augenblicks- und situationsbedingten
Sprechakte zu einem Bestandteil des permanenten Sprachgebildes
geworden, der ebenso wie Laut, Wertform, Satzbau und Idiomatik
Anspruch darauf hat, von der Sprachforschung in Rechnung gezogen zu
werden. Solche zu Formeln erstarrten, normativen Melodisierungsweisen
fassen wir unter der Bezeichnung Intonation zusammen.
Die Erforschung und Darstehung der Intonation in den einzelnen
Sprachen ist eine theoretisch wie praktisch wichtige, aber noch weithin
vernachlässigte Aufgabe der Sprachwissenschaft — vernachlässigt nicht
deshalb, weil etwa ihre Bedeutung nicht erkannt worden wäre, sondern
weil es zu schwierig war, Sprechtonhöhen mit genügender Sicherheit zu
erfassen, Sprechmelodien zu deuten und darzustellen. Heute, in der Zeit
der magnetelektrischen Schallregistrierung, sind die Haupthindernisse
überwunden. Tonbänder lassen sich beliebig oft wort- und süben weise
abhören; die Sübentöne lassen sich an Hand eines bekannten Vergleichs-
tones — Stimmgabel, Stimmpfeife, Harmonium — identifizieren; sie
lassen sich in sichtbare, dauerhafte Bildkurven umwandeln und gegebe¬
nenfalls messen. Was wir zu lernen haben, ist, die Wesensmerkmale
sprechmelodischer Gestaltungen zu erkennen und Sprechmelodien zu deuten.-'
In sprachlichen Unterrichtswerken findet man, wenn überhaupt, so
nur recht spärliche und unsichere Andeutungen der Intonation, vom
Englischen (seit Aemstbong-Ward und D. Jones) vieUeicht abgesehen.
Von einer Meisterung der Fremdsprache kann aber so lange nicht die
Rede sein, wie es der Lernende nicht versteht, seinen Aussprüchen auch
die landesübliche Intonation zu verleihen. Das gilt, wie für alle Sprachen,
so auch für das Türkische, das nach bisherigen Beobachtungen über eine
recht ausgeprägte und gefestigte Intonation verfügt. Für die wissen¬
schaftliche Durchdringung der Sprache wie auch für die Praxis des
sprachlichen Unterrichts dürfte es von Wert sein, die von türkischen
Sprechern angewendeten sprechmelodischen Formen zu erkennen und
darzustehen.
A. Sprecher und Sprechtexte
Im Interesse meiner eigenen sprachlichen Studien hatte ich einen
jungen Türken, Herrn §inasi Tekm, gebeten, mir eine türkische Erzäh¬
lung aufzuschreiben und den Text zwecks Tonbandaufnahme vor dem
Mikrophon vorzulesen. Herr Tekin kam der Bitte bereitwiUig nach, faßte
ein in seiner Kindheit oft gehörtes Märchen in einfache Ausdrueksformen
und las es völlig unbefangen und flüssig, in zwanglos-natürlicher Sprech¬
weise. Die Aufnahme ist klar und störungsfrei.
§inasi Bey ist aus Bursa gebürtig und dort aufgewachsen ; er hält sich
seit etwa einem Jahre zum Zwecke eines philologischen Studiums in
Hamburg auf.
Ferner liegt ein von Herrn Professor Dr. Mansuroglu (Istanbul) be¬
sprochenes Tonband vor, das eine in der Tageszeitung ,, Dünya" vom
5. Mai 1954 veröffentlichte Erzählung enthält. Die ersten 31 Sätze dieses
Stückes wurden ergänzungsweise für das Studium der Intonation heran¬
gezogen.
Im Verlaufe der Arbeit hatte es sich schließlich noch als notwendig
herausgestellt, auf einige Fragesätze aus den Lesestücken in Rühls
1 Welche Schwierigkeiten die Erforschung der Akzent- imd Tonhöhen¬
verhältnisse bereiten kaim, wird besonders deutlich in folgenden Arbeiten:
Joh. Benzing, Noch einmal die Frage der Betommg im Türkischen, ZDMG
1941, 300—304; K. Gronbech, Der Akzent im Türkischen imd Mongo¬
lischen, ZDMG 1940, 375—390; G. Raquette, The Accent Problem in
Tmkish, Lunds Univ. Arsskrift. N. F. Avd. 1, Bd. 24, Nr. 4; Martti Räsänen,
Zm Lautgeschichte der türkischen Sprachen, Studia orientalia XV (1949),
S. 32—44; Stefan Wurm, Über Akzent-und Tonverhältnisse im Özbeki¬
schen. Ural-Altaische Jahrbücher 1953, 220—242.
Satzintonation in türkischen Lesetexten
Türkischen Sprachproben (Heidelberg 1949) zurückzugreifen, die eben¬
falls Herr Tekin auf Tonband gesprochen hatte.
Herrn Professor Mansuroglu und Herrn §inasi Tekin sei für ihr leb¬
haftes Interesse und ihre freudige Hilfsbereitschaft der verbindlichste Dank ausgesprochen.
TEXT I
(Sprecher: Herr ^inasi Tekin)
1. Ben, ^inasi Tekin, Bursa'da
dogdum.
2. KüQÜkken ninemden dinledigim
bu uzun masall kisaltarak yazdim.
3. Padi§ah kizi ve goban.
4. Bir varmi§ bir yokmu§.
5. Evvel zaman ifinde, kalbur saman ifinde, deve telldl iken pire berber iken, ben anamm babamm be§igini tmgir mingir sallar iken,
6. hir padi§ahin fofc güzel bir ktzi varmi§.
7. Her gören ona ä^ik olurmuf.
8. Ne Qare padi§ah kizi cok hasta
imi§.
9. Padi§ah bütün hekimleri cagirt- mi§.
10. Hif biri hastaliga fare bulamami^.
11. Hastalik gittikge fenala^mi^.
12. Bir gün padi§ah kizina bakmi§, dayanamami^.
13. Fazla aci duymasm diye bir cellät Cagirmi§.
14. Emir vermi§:
15. Kizimi al, götür, ormanda öldür/
16. Oöndegini kanina bvla§tir ve bana getir!
1. Ich, S. T., bin in Bursa geboren.
2. Ich habe diese lange Geschichte,,
die ich, als ich klein war, von
meiner Großmutter gehört habe,
indem ich sie gekürzt habe, auf¬
geschrieben.
3. Die Königstochter und der Hirt.
4. Es war einmal (einst war es,
einst war es nicht).
5. Zu einer früheren Zeit, als das
Sieb im Stroh war, das Kamel
ein Warenausrufer, der Floh
(noch) Barbier war imd ich
meiner Mutter und meines Vaters Wiege schallend schaukelte.
6. da hatte ein König eino sehr
schöne Tochter.
7. Jeder, der sie sah, verliebte sich in sie.
8. (Was sollte man tun, d. h.)
Leider war die Königstochter sehr krank.
9. Der König ließ alle Ärzte rufen.
10. Kein einziger von ihnen fand ein Mittel gegen die Krankheit.
11. Die Krankheit wmde nach und
nach schlimmer.
12. Eines Tages schaute der König
seine Tochter an; er konnte es
nicht ertragen.
13. Damit sie nicht (noch) mehr
Schmerz erdulde, rief er einen
Henker.
14. Er gab Befehl:
15. Nimm meine Tochter, bringe sie
weg (und) töte sie im Walde!
16. Tränke ihr Hemd mit ihrem Blut
und bringe es mir her !
17. Cellät hasta kizi almi§, ormana götürniü^.
18. Cellät hasta kizi öldürmege kiya- maim§,
19. ve karanltk ormanda hiraktp
saraya dönmü§.
20. Yolda hir geyik avlatni§.
21. Kamm hir gömlege hula§tirmt§.
22. Padi§ah kanh göndegi görmü.f,
Cok aglami§.
23. Hasta kiz ormanda yalnizm%§.
24. Ak§am, olmu§.
25. Bir agacm dihine oturmu§.
26. Ormanm yaninda hir köy varmi^.
27. O köyün koyunlarim genf hir
foban güdermif.
28. Bu Qohan Qok jakirmi§.
29. Ihtiyar hir anactgindan ha§ka
kimsecigi yokmu.§.
30. O ak§am da her zamanki gihi
koyunlari köye getiriyormu§.
31. Koyunlardan biri kiztn yanma
gelmi§, elini yalamaga ha^lamt^.
32. (Ifban ktzi görmii§.
33. In misin cin misin, diye sormu^.
34. Hasta padi§ah kizi cevap vermi§:
35. .Ve inim, ne cinim.
36. Benin gihi insan evlddtyim.
37. foban gene sormu.^:
38. öylese hu saatta burada ne yapi- yorsun?
39. Senin kimsen yokmu?
40. Ktz cevap vermiß : 41. Benhastayim.
42. Beni burada btraktp gittiler.
43. Qoban söyle demi^:
44. Gel, seni evime götüreyim.
17. Der Henker nahm das kranke
Mädchen (und) brachte (es) in
den Wald.
18. Der Henker konnte sich nicht
dazu zwingen, das kranke Mäd¬
chen zu töten.
19. und er ließ (es) im dimklen Walde und kehrte ins Schloß zurück.
20. Auf dem Wege erjagte er einen
Hirsch.
21. Sein Blut schmierte er in ein
Hemd.
22. Der König sah das blutige Hemd (und) weinte sehr.
23. Das kranke Mädchen war allein
im Walde.
24. Es wurde Abend.
25. Sie setzte sich unter einen Baum.
26. Bei dem Walde befand sich ein
Dorf.
27. Die Schafe jenes Dorfes hütete ein junger Hirte.
28. Dieser Hirt war sehr arm.
29. Außer seinem alten Mütterchen hatte er absolut niemanden.
30. An jenem Abend brachte er auch,
wie gewöhnlich, die Schafe ins
Dorf.
31. Eines von den Schafen kam zu
dem Mädchen (und) begann, ihre
Hand zu lecken.
32. Der Hirt erblickte das Mädchen.
33. Bist du ein Geist, bist du ein
Gespenst ? fragte er.
34. Die kranke Königstochter ant¬
wortete :
35. Ich bin weder ein Geist noch ein Gespenst.
36. Ich bin ein Menschenkind wie du.
37. Der Hirt fragte weiter (wieder) :
38. Weim es so ist, was machst du
hier zu dieser Stunde ?
39. Hast du keine Angehörigen ?
40. Das Mädchen antwortete :
41. Ich bin krank.
42. Man hat mich hier im Stich
gelassen und ist fortgegangen.
43. Der Hirt sagte (so) :
44. Komm, ich will dich in mein
Haus bringen.
Satzintonation in türkisclien Lesetexten 97
45. Sonra kurtlara ku§lara yem olur- sun.
46. ^oban hasta ktzi almi§, evine
getirmi?.
47. ^obamn anasi pek sevinmi§.
48. Hemen hasta kizi soyup yikami§, kurulami§.
49. Yaralanna merhem sürmü§.
50. Bir hafta sonra kiz iyile§mi^.
51. Ktz kendisinin bir padifah ktzi
oldugunu Mq söylememi§.
52. Bir gün Qoban kiza sormu§:
53. Benim karim olmak ister misin?
54. kiz da: Olurum, demi§.
55. Bunun üzerinde evlenmi§ler.
56. Bir gün kiz parmagindan Qok
kiymetli yüzügü Qikartp Qobana
vermiß.
57. poban yüzügü §ehirde satmi^.
58. Cepleri para ile dolmu§.
59. Aradan yülar geQmi§.
60. ^obanla padi§ah kizmm üf oglu
olmu?.
61. Padisah ölü sandigt hasta kizmt hi( unutamami§.
62. Her gün rüyasinda görürmü§.
63. Bir gün kiz, babasini Qobanin
yani kocasmin evine yemege Qogir- mis.
64. Yemekten sonra kiz öteki parma- ginda olan yüzügü babastna göster- mif.
65. Padisah yüzügü hemen tantmi§.
66. §a§irip kalmi^.
67. Kizba^indangeQenleribirbir baba- sina anlatmi§.
68. Baba kiz hirbirlerine sarilip agla§- miliar.
45. (Sonst) wirst du nachher den
Wölfen und Vögeln zum Fraß.
46. Der Hirte nahm das Mädchen
(und) brachte es in sein Haus.
47. Die Mutter des Hirten freute sich sehr.
48. Sofort zog sie das kranke Mäd¬
chen aus, wusch es und trocknete es ab.
49. Auf ihre Wunden strich sie Salbe.
50. Eine Woche darauf wurde das
Mädchen besser.
51. Das Mädchen sagte mit keinem
Worte (gar nicht), daß es eine
Königstochter sei.
52. Eines Tages fragte der Hirte das
Mädchen :
53. Willst du meine Frau werden ?
54. Da sagte das Mädchen: Ich will
es werden.
55. Darauf heirateten sie.
56. Eines Tages zog das Mädchen den
sehr wertvollen Ring von ihrem
Finger und gab ihn dem Hirten.
57. Der Hirte verkaufte den Ring in
der Stadt.
58. Seine Taschen waren voll von
Geld.
59. Unterdessen vergingen Jahre.
60. Mit dem Hirten bekam die
Königstochter drei Söhne.
61. Der König konnte seine kranke
Tochter, die er für tot hielt, gar nicht vergessen.
62. Jeden Tag hat er sie in seinem Traum gesehen.
63. Eines Tages forderte das Mäd¬
chen ihren Vater zum Essen in
das Haus des Hirten, das heißt
ihres Maimes.
64. Nach dem Essen zeigte das Mäd¬
chen ihrem Vater den an ihrem
anderen Finger befindlichen Ring.
65. Der König erkannte sofort den
Ring.
66. Er war vollkommen verblüfft.
67. Das Mädchen erzählte ihrem
Vater alles Einzelne, was ihr(em
Haupte) geschehen war.
68. Vater undjTochter umarmten ein¬
ander und weinten miteinander.
7 ZDMG 106/1
69. Padisah emir vermiß:
70. foban ve ihtiyar anasim surayima.
getirinf
71. Onlar benim en iyi dosilarimdir, . demi§.
72. Böylece uzun ytllar hep birlikte ya^ami§lar.
73. Onlar ermi§ muradina.
74. Biz Qikalim kerevetine!
75. Gökten itf elnm düfmü§, bir benim, biri senin, biri da masai anlatamn.
69. Der König befahl:
70. Bringet den Hirten und seine
alte Mutter auf mein Schloß !
71. Sie sind meine besten Freunde, .sagte er.
72. So lebten sie alle zusammen
lange Jahre.
73. Sie haben ihren Wunsch erreicht.
74. Laßt uns auf die Lagerstatt
steigen !
75. Vom Himmel sind drei Äpfel
gefallen, einer für mich, einer
für dich, einer für den, der die Geschichte erzählt hat.
TEXT II
(Sprecher: Professor Mansuroglu) Babam
1. Yorgam üzerimden attim.
2. Pencerede sabah güne§i piril
piril.
3. Sokakta Qocuk sesleri.
4. Simdi ha^ yollarina bugulu bir
sicakhk inmektedir.
5. AgaQlarm gölgeleri ye^il.
6. Yapraklar hafif rüzgdrla hi^ir
hi§ir kimildar.
7. Dt^ardan babamm sesi:
8. Uyandi mi o herif? diye sordu.
Ö. O herif!
10. Aylardir babam ifin 'o herif ten ba§ka bir ^ey degildim.
11. Anam, ince ve korkak cevap verdi:
12. Uyuyor.
13. Hth, uyuyor!
14. tmaret burast degil mi?
15. Herkes i§ine gitti.
16. Söyle ona, ben artik kazik kadar herifleri besleyemem.
Mein Vater
1. Ich warf die Decke von mir.
2. Am Fenster schimmerte die
Morgensonne.
3. Auf der Straße Kinderstimmen.
4. Jetzt gerade senkt sich auf die
Weinbergwego eine dunstige Hit¬
ze herab.
5. Die Schatten der Bäume sind
grün.
6. Im leichten Wind regen sich die
Blätter rauschend.
7. Von draußen (klang) die Stimme meines Vaters:
8. Ist der Kerl da aufgewacht ?
fragte er.
9. Der Kerl!
10. Seit Monaten war ich für meinen
Vater nichts anderes als ,der
Kerl'.
11. Sanft und ängstlich antwortete
meine Mutter :
12. Er schläft.
13. Ha, er schläft!
14. Das hier ist doch nicht eine
Wohlfahrtsstelle ?
15. Jedermann ist an seine Arbeit
gegangen.
16. Sage ihm, ich karm nicht weiter¬
hin Kerle wie einen (unbeweg¬
lichen) Pflock ernähren.
Satzmtonation in türkischen Lesetexten 99
17. Kendine bir i§ bidsun.
18. Yorgam tekrar ha^tma gektim.
19. ܧüyecek hava yoktu ama, tir tir titriyordum.
20. Di§arda hayat.
21. Insanlar.
22. 7? güf sahibi insanlar.
23. Avare insanlar.
24. Ogullar, babalar, 25. Iyi babalar ...
26. hayirli evldtlar.
27. Anam yorgam yava^ga agti.
28. Ahmet, dedi.
29. Baban, kalksin gitsin, i§ arasm kendine diyor.
30. Kalkum.
31. Giyinmege ba§ladim.
17. Er soll sich eine Arbeit suchen (finden).
18. Ich zog die Decke wieder über
meinen Kopf.
19. Obwohl die Luft nicht kalt war
(werdend war), zitterte ich am
ganzen Leibe (= vibrierend).
20. Draußen war Leben.
21. Menschen.
22. Arbeiter (Sohwerarbeit-Besitzer- Menschen).
23. Herumtreiber (vagabundierende Menschen).
24. Söhne, Väter, 25. Gute Väter ...
26. Brave Kinder.
27. Meine Mutter nahm sanft die
Decke weg.
28. Ahmet, sagte sie.
29. Dein Vater sagt, du sollst auf¬
stehen und gehen, sollst dir
Arbeit suchen.
30. Ich erhob mich.
31. Ich begann, mich anzuziehen.
B. Bearbeitung der Texte
Die Texte wurden nach Abhörung der Bänder transkribiert, und zwar
dreimal in mehrtägigen Abständen. Wiederholung der Transkription ist
deshalb notwendig, weil mit Fehlauffassungen, Ungenauigkeiten und
Schreibfehlern zu rechnen ist ; etwaige Unstimmigkeiten in den verschie¬
denen Niederschriften sind dann durch erneute Überprüfung zu besei¬
tigen, gegebenenfalls zu erklären.
In den Transkriptionen wurde nach abermaligem Abhören die Akzen¬
tuierung vermerkt — wobei unter Akzentuierung die Hervorhebung von
Redeteilen innerhalb eines Ausspruchs verstanden wird. Das Erkennen
der Hervorhebung beruht bekanntlich auf einer Komplexempfindung,
die sich in keiner Weise instrumenteil erfassen und sich nicht messen läßt.
Falsch wäre es, etwa die — physikalisch bequem meßbare — Schall¬
oder Lautstärke der einzelnen Silbenträger als Kriterium des Hervor¬
hebungsgrades zu setzen, da die physikahsch-akustische Intensität kein
Maß für die Hervorbringungsstärke ist. Für die Beurteilung der spreche¬
rischen Hervorhebung (des ,, Nachdrucks") gibt es keine andere Methode als die des Hörens.
Diejenige Silbe, die innerhalb einer rhetorischen Einheit (eines ,, Syn¬
tagmas") als die schwerste wirkt, wurde durch Unterstreichung, im
7'
später hinzugefügten Notenbilde durch größeren, gefüllten Notenkopf
kenntlich gemacht, vgl. Abb. 1.
Um den Tonhöhenverlauf darzustellen, hätte man die Bandaufnahmen
auf Kymographion oder Oszülographen übertragen, also in Büdkurven
umwandeln und diese dann ausmessen können. Das wäre in diesem FaUe
unangebracht; denn eine so gewonnene Tonhöhenkurve gleicht einer
Photographie, die alle Einzelheiten gleichmäßig nebeneinander, ohne
unterschiedliche Bewertung bringt ; sie würde die Erkennung des sprach¬
lichen Intonationsprinzips eher erschweren als fördern. Das Ohr wählt
aus der Fülle der akustischen Erscheinungen aus und wertet, was für den
Verständigungsakt wesentlich ist.
Die gehörsmäßige Erfassung und musikalische Identifizierung von
Spreehtonhöhen ist nicht so schwierig, wie es E. W. Peters [Die Auf¬
fassung der Sprechmelodie, Leipzig 1924) wahrhaben wollte. Das Laufwerk
des Tonbandgeräts läßt sich augenblicklich arretieren, der zuletzt gehörte
SUbenton leicht durch Vergleich mit Stimmgabelton bestimmen. Bei der
Notierung bedient man sich zunächst am besten des konventioneUen
Fünfliniensystems, später, der besseren Ausprägung des Bildes wegen,
eines mehrlinigen Systems, in dem der Schritt von einer Linie zur
nächsten einen Halbtonschritt veranschaulicht. Als Beispiel einer solchen
Notierung sei der erste Satz aus Herrn Tekins Personalangabe angeführt
(Abb. 1).
^
=H — _
—t— V T =
/ ^
w
—
Ben, l§i-nasi Te-kin, Bur-sa'-da do^-dum.
'ben, /i'na:si the'kin, "bu: sada do. ■dum,.
Ich, §inasi Tekin, in Bursa bin geboren.
Abb. 1. Darstellung der Sprechmelodie eines türkischen Ausspruchs.
Satzintoiiation in türkischen Lesetexten 101
Für den Gang der Bearbeitung ist diese Notierung notwendig. Natür¬
lich sind die musikalisch bestimmten Tonhöhen nichtssagend, nur das
Verhältnis der Silbentöne zueinander ist von Interesse. Um noch die
Übersichtlichkeit zu erhöhen, empfiehlt sich eine Vereinfachung der
Darstellung. Das Ohr vermittelt nur den Eindruck, daß ein Silbenton
höher oder tiefer als ein anderer ist, nicht wie hoch oder tief er ist, daß
der Ton steigt oder fällt, nicht das Ghssando in seinen musikalisch
bestimmten Endpunkten. Deshalb kann eine vereinfachte Darstellung,
die nur das Wesentliche vor Augen führen will, sich darauf beschränken, in drei bis vier Stufen die Silben als hoch-, mittel- und tieftonig zu veran¬
schaulichen. Steigen und Fallen des Tones lassen sich durch Striche
andeuten. Diejenige Tonhöhe, deren Hervorbringung als für den jewei¬
ligen Sprecher vöhig anstrengungslos empfunden wird, also gleichsam
seine ,, Indifferenztonhöhe", wird als waagerechte Linie dargestellt. Der
in Abb. 1 gezeigte Tonverlauf wird demnach in vereinfachter Form
folgendes Bild gewinnen:
Ben, §inasi Tekin, Bursa'-da dogdum.
Abb. 2. Vereinfachte Daretellxmg der Sprechmelodie (s. Abb. 1).
C. Ergebnisse 1. Aussage
Die Aussage ist die am häufigsten vorkommende Ausspruchsform. Das
Studium der Intonation setzt am besten hier ein, um anschließend die
selteneren Formen der Aufforderung, des Ausrufs und der Fragen zu
behandeln.
Da die melodische Gestaltung eng mit der Hervorhebung der Redeteile
zusammenhängt, muß eine kurze Betrachtung der sprechdynamischen
Verhältnisse vorausgeschickt werden.
Die Hervorhebung kann aus verschiedener Veranlassung erfolgen; sie
kann sein :
a) die Auswirkung eines Rhythmisierungsbedürfnisses,
b) Realisierung eines vom Sprachgebilde her vorgeschriebenen ,, Ak¬
zents", sei es zum Zwecke der Wortunterscheidung (distinktiver Akzent) oder der Grenzanzeige (delimitativer Akzent),
c) Wirkung logischer und emotioneller Vorgänge mit dem Zwecke der
Aufmerksamkeitslenkung: durch Hervorhebung gewisser Teile des Aus-
Spruchs wird der betreffende Begriff in den Vordergrund der Aufmerk¬
samkeit gerückt. Die logisch-emotioneU bedingte Hervorhebung ist also
Redegestaltung und hat mit dem sprachlich gegebenen Akzent nur
insofern zu tun, als sie sich der im Sprachgebilde als Akzentsilben vor¬
geschriebenen Wortteile zur AuffäUigmachung des Gesamtwortes be¬
dient.
Die Töne hervorgehobener Silben sind gewöhnlich stärker und klarer,
meistens auch länger, als die der nichthervorgehobenen, stärker infolge
eines erhöhten Hervorbringungsdruckes, klarer infolge der besseren Aus¬
prägung ihres ,, quasistationären" Anteils im akustischen Schwingungs¬
vorgang. Sie sind deshalb leichter auffaßbar, sicherer identifizierbar als
die Töne nichthervorgehobener Silben. Ihnen folgt das Ohr bei der Auf¬
fassung der Sprechmelodie, sie ,, führen" die Melodie — ein Umstand,
den m. W. zuerst Eduaed Sievees erkannt hat (Rhythmisch-melodische
Studien, Heidelberg 1912) und der ihn veranlaßt hat, die Töne der Hebun¬
gen als Führtönc zu bezeichnen (vgl. auch F. Saean, Deuische Vers¬
kunst, Berlin 1934, S. 233f. ; O. von Essen, Melodien deutscher Dichtung,
Hamburg 1952, S. 3 ff.). Die Führtöne sind die wesentlichen Melodie¬
gestalter.
Sprechmelodie als Ausdruck logisch-emotioneller Vorgänge ist an die
Ganzheitlichkeit des sie tragenden Ausspruchs gebunden. Ein Ausspruch
kann freilich sehr lang sein, aber dann gliedert ihn der Sprechende in
kleinere Emheiten auf, die wir Syntagmen nennen wollen. Das Syn¬
tagma ist der sinnfällige Repräsentant einer Vorstellungseinheit, eines
kleinsten Schrittes im Ablauf des Gesamtgedankens und deshalb auch
erscheinungsmäßig eine kleinste rhetorische Einheit. Die sprechmelo¬
dische Gestalt des Syntagmas soll als melodisches Motiv bezeichnet
werden.
Die melodische Analyse wird sich zunächst mit kurzen, nicht in mehrere
Syntagmen aufgegliederten Aussprüchen befassen, um zuerst das Grund¬
sätzliche der melodischen Gestaltung zu finden. Danach wird es nicht
schwierig sein, das Gestaltungsprinzip komplizierterer Aussprüche zu
erkennen.
Als erstes Beispiel sei Satz 1,11 mitgeteilt:
In diesem Ausspruch verfolgen die Führtöne eine stufenweise abfal¬
lende Richtung; es handelt sich um ein ,, fallendes Stufenmotiv", das in
ahen einfachen Aussagen wiederkehrt, z. B.
Has-ta-'hk git-'tik^e fe"na-la§-mi§.
JL
Satzintonation in türkischen Lesetexten 103
1,25 'Bir a^a'cm di-bi "ne o turmu§.
•
1,26 Or-ma'nm ya-nm 'da bir 'köy "var-mi§.
Bei längeren Aussprüchen, auch wenn sie nicht rhetorisch gegliedert
sind, wird diese Regel oft nicht konsequent angewandt. Das hat seine
physischen Gründe. Der Tonabstieg kann natürlich nicht beliebig fort¬
gesetzt werden, da ja die Stimme ihre Grenzen hat. So kommt es vor,
daß sich mehrere aufeinanderfolgende Führtöne auf gleicher Höhe halten,
wofür der Ausspruch 1,2 ein besonders anschauliches Beispiel stellt :
1,2 Kü-<;ük-'ken ni-nem'den din-le-di-'^im bu u-'zun ma-sa-
kl - sal - ta-'rak "yaz-dim,.
Wenn man eine solche Schwebhaltung aufeinanderfolgender Führtöne
in den Begriff des Fallstufenmotivs einbezieht, läßt sich als erstes Ergeb¬
nis herausstellen :
In allen ungegliederten Aussagen folgen die Töne der her¬
vorgehobenen Silben (,, Führtöne") einer fallenden Richtung.
Dieser Befund entspricht ganz der deutschen Melodisierungsgewohn- heit in einfachen Aussagen.
Obwohl nun die Führtöne die eigentlichen Melodiegestalter sind, so
sind doch die Töne der nichthervorgehobenen Silben, also die ,, Neben¬
töne", keineswegs bedeutungslos für die melodische Bewegung. Auf¬
schlußreich hierfür ist wiederum Satz 1,2 mit seiner ausgeprägten Zick¬
zackfigur. Die Nebentöne fallen hier aus der melodischen Linie der Führ¬
töne nach unten heraus — oder, um dem gefühlsmäßigen Eindruck besser
gerecht zu werden: die Führtöne springen nach oben heraus. Dadurch'
bekommt die Sprechmelodik etwas Hüpfendes und Andringendes. Zum
Vergleich sei daran erinnert, daß die Nebentöne im deutschen aussagen¬
den Ausspruch (Hochsprache) in der Regel in der Linie der Führtön«
bleiben ; nur in einigen mundartlichen und in expressiven Varianten wird
ein Heraustreten der Nebentöne aus der Führtonhnie nach unten oder
oben beobachtet.
Eine Besonderheit zeigen die Nebentöne, die der letzten Hervorhebung
des Ausspruchs folgen. Sie bleiben nicht, wie die übrigen Nebentöne, im
Mittelbereich des Stimmumfangs, sondern fallen in eine Tiefe ab, die die
Empfindung der Gelöstheit aus vorhergehender Spannung vermittelt.
Indem sich die psychische Spannung löst, fällt auch die im Sprechvor¬
gang mitgehende physische Spannung ab, und die Stimme fällt in ihre
,, Lösungstiefe". Durchweg gleitet der Ton der letzten Silbe in sich noch
etwas ab, wird dabei schnell schwächer und erlischt. Diesem Absinken
in die spannungslösende Tiefe ist ein Signalwert eigen, der uns aus vielen
Sprachen wohlbekannt ist : Der gedankliche Ablauf endet, der -Ausspruch
schließt ab, er ist durch die melodische Abwärtsbewegung in die lösende
Tiefe als abschließend oder terminal charakterisiert.
Durch den Abwärtsschritt der satzschließenden druckschwächeren
Silben erhält aber die letzte schwere Silbe ein besonderes Gewicht; dieser
Eindruck ist im Türkischen nicht anders als im Deutschen und anderen
Sprachen. Der deutsche Sprecher nutzt diese Erscheinung aus, um den
Hauptbegriff seines Ausspruchs, der als Novum in die Reihung der
Gedanken eintritt und den Denkfortschritt bringt, fühlbar herauszu¬
heben. Die so bestimmte Haupthervorhebung wird formal zum Schwer¬
punkt des gesamten Ausspruchs. Es liegt in der Macht des Sprechenden,
wann er diese Haupthervorhebung bringen, d. h. wann er mit dem Sprung
in die Lösungstiefe einsetzen will. In dieser Weise können wir im Deut¬
schen mit gleichen Worten verschiedenen Sinn verbinden:
• •
Ich blei-be im"Hau-se. Ich"blei-be imHau-se.
•
"Ich blei-be im Hau-se.
Dabei ist es für die Position des Schwerpunktes völlig gleichgültig, ob
die schwerpunkttragende Silbe selbst hoch-, mittel- oder tieftonig
genommen wird. Wohl ergeben sich damit verschiedene expressive Wer¬
tungen, verschiedene Gefühlsnuancen, aber die Lage des Schwerpunktes
wird dadurch nicht beeinflußt.
Satzintonation in türkischen Lesetexten 105
Soviel Freiheit in der Verschiebung des Schwerpunktes räumt die
türkische Sprache ihren Sprechern nicht ein; ihre grammatisch-syntak¬
tische Struktur steht dem entgegen. Eine Schwerpunktbildung ist aber
auch in der türkischen Aussage unverkennbar. Nur trifft sie, wie es
scheint, nicht immer auf dasjenige Wort, das nach unserem Denken
das sinnwichtigste sein müßte. Zwar stimmt die Schwerpunkterteilung in
den meisten Fällen mit unserer logischen Bewertung überein, aber doch
nicht immer. Bei der Personalangabe 1,1 nennt sich der Erzähler zu¬
nächst selbst : Ben, §inasi Tekin ... Seine Anwesenheit steht natürlich
außer Frage; sein Name mag nicht jedem bekannt sein, aber er ist doch
zum Verständnis dessen, was erzählt werden soll, unwichtig. Wichtig ist
hingegen die Nennung des Geburtsortes, in dem der Gewährsmann auch
sprechen gelernt hat, also das Wort Bursa. Der Sprechende hebtj^es
deshalb aus der ganzen Wortreihung besonders deutlich heraus, indem
er die Silbe, die ihm seine Sprache als Akzentsilbe vorschreibt, pro-
sodisch auffällig und damit zum Schwerpunkt seiner Aussage macht.
Wie das Intonationsbild (Abb. 1) zeigt, springt auch die Stimme nach
Verlassen der Haupthervorhebung in Bur- in ihre spannunglösende
Tiefe ab. Die Schwerpunktsilbe selbst ist hochtonig. Das ist in unseren
Texten die Regel, aber es muß nicht so sein. Man betrachte 1,11 und
1,26 S. 102f. Weitere Beispiele:
1,6: ...bir ki-zi "var-mi§. 1,48: ... ku-ru"la-mi§^
11,19: tir tir ti - tri - yor - dum.
Verantwortlich für die Keimzeichnung der Schwerpunktposition ist
jedenfalls die in der spannungslosen Stimmtiefe verlaufende Reihe der
schwächeren Silben, die der Schwerpunktsilbe folgen, kürzer gesagt: der
tieftonige Nachlauf.
Einige Aussprüche haben aber keinen Nachlauf. So ist z. B. in 1,42
die Schwerpunktsilbe selbst die letzte Silbe des Ausspruchs überhaupt:
be'ni 'burada hra'kip gitti"ler * * ' * * ^
_—_ __ »v,
1 Weshalb der Sprecher hier das -la- akzentuiert hat, ist nicht feststellbar..
Ebenso in 11,5:
Affa^la'nn gölgele'ri ye"§il. ♦« t««.
In allen solchen Fällen zeigt die Schwerpunktsilbe selbst einen raschen
Tonabfall bis in die Lösungstiefe. Die Regel, daß als Schwerpunkt¬
silbe immer diejenige Akzentsilbe wirkt, der kein gehobener
Silbenton mehr folgt, bleibt also auch hier in Geltung.
Druckschwächere Silben, die der ersten Hebung vorangehen, bezeich¬
nen wir als Vorlauf. Sie liegen meistens in Mittelhöhe, selten, z. B.
1,4: Bir 'varmi§ | bir "yokmu§
in hoher, niemals in tiefer Lage.
Die bisher festgestellte Tonführung: mitteltoniger (selten hochtoniger)
Vorlauf, absteigende Richtung der Führtöne, Schwerpunktbildung durch
geschlossen tieftonigen Nachlauf bzw. rasches Absinken des Schwer¬
punkttones in die spannungslose Tiefe, ist die der terminalen Aus¬
sprüche.
Wird aber ein Ausspruch in mehrere Syntagmen aufgegliedert, so
entstehen nichtterminale Ausspruchsteile, z. B. 1,1:
/ • ■ ^
• •
1,1: Ben, | Si-na-si Te-kin \ 1,27: O köyün ko-yun-la • ri - m [
Sie sind denkinhaltlich noch nicht abgeschlossen; der Angesprochene
weiß, daß die Rede weitergehen soll. Derartige Syntagmen weisen über
sich hinaus auf ein letztes, das den Abschluß bringen soll. Sie sind weiter¬
weisend oder pogredient.
Dem entspricht ihre melodische Gestaltung: sie befriedigt nicht, sie
erhält die im Sprechverlauf erreichte Spannung aufrecht oder verstärkt
sie sogar noch; sie sinkt nicht in die gelöste Stimmtiefe ab, sondern hält
sich am Ausgang des Syntagmas in mittlerer Höhe oder geht spannungs-
verstärkend energisch in die Höhe. Die Belege sind zahheich. Als Bei¬
spiele seien mitgeteilt :
1,5: Ev'vel za'man i^in'de, \ • • « * *^
kal'bur sa'man i^in'de, | » • « * ^ ^
Ii m:m^
Satzintonation in türkischen Lesetexten 107
de'vt tel'ldl i'ken.
pi're ber'ber i'ken
• « • •
y
1,17: Cel'ldt has'ta ki'zi almi§ \
11,22: '!§ 'gü? sahi'bi insan'lar | *••*••*
11,24: 'ogullar, baha'lar.
Bei beiden Sprechern ist also festzustellen, daß sie progrediente
Syntagmen mit kräftigem Anstieg der Stimme ausklingen
lassen. Der Intervallsprung geht im Durchschnitt über 5,5 Halbton¬
stufen.
In den Fähen, wo ein progredientes Syntagma auf hervorgehobener
Silbe ausgeht, übernimmt diese Silbe selbst den Tonanstieg. Der Silben¬
ton gleitet dann rasch über 4 bis 6 Halbtöne aufwärts.
2. Aufforderung, Ausruf
Die Aufforderungen 1,15, 16, 44, 70, 74; 11,16, 17, 29 und die Ausrufe
11,9, 13 unterscheiden sich in ihrer Tonführung nicht von der der Aus¬
sagen. Durch schnehen Tonabfall in die spannungslose Tiefe der Stimme,
bzw. durch nichtunterbrochene Tieftonigkeit nachlaufender druck¬
schwächerer Süben wirkt auch hier die letzte Hervorhebung als Schwer¬
punkt des ganzen Ausspruchs ; die übrigen Hervorhebungen fallen stufen¬
weise ab ; leichte Silben treten nach unten heraus; ist Vorlauf vorhanden,
so stehen seine Silben in mittlerer Höhe. Progrediente Syntagmen werden
mit auffallendem Tonanstieg in ihrem Ausgang behandelt. Beispiele :
•
« • a •
1,16: Gömle^i'ni kani'na bu'la§tir | * « , , *
ve ba"na getir! • •
11,9: O "herif!
3. Fragen
Deutsche Fragen ohne Interrogativpronomen werden oft als ,, Satz¬
fragen" bezeichnet (Klopft es? Gehst du?), Fragen mit Fragepartikel als , .Wortfragen" (Wer klopft ? Wohin gehst du ?). Diese Unterscheidung
ist im Türkischen nicht anwendbar, da jede Frage normalerweise ein
Fragewort enthält. Wohl aber lassen sich die mit diesen Benennungen
gemeinten Kategorien als Entscheidungs- und Ergänzungsfragen aus¬
einanderhalten. Die Entscheidungsfrage verlangt vom Angeredeten eine
Entscheidung zwischen Bejahung und Verneinung. Im Türkischen ent¬
hält sie das der großen Vokalharmonie unterliegende Fragewort mi. Die
Ergänzungsfrage verlangt die Ergänzung eines fehlenden, durch ein
Fragewort wie ne, ni^in, ka?, kim usw. vertretenen Satzgliedes.
Fragen beider Arten finden sich in unseren Sprechtexten in zu geringer
Zahl, als daß eine Regel daraus zu entnehmen wäre. Es werden deshalb
noch Fragen aus einer anderen Bandaufnahme zur Ergänzung heran¬
gezogen.
a) Entscheidungsfragen (wii-Fragen)
• • •
1,39: Sen' in kim' sen "yokmu? •
1,53: Be'nim ka'nm ol'mak is'ter misin?
11,8: Uyan"di mt o herif?
11,14: l'maret 'burasi "de^il mi?
1,39 bildet einen auffälligen Schwerpunkt in yok-; der Ton springt
sehr hoch heraus (auf g!); die Fragepartikel -mu fällt auf G, also um eine
Oktave.
In 1,53 stößt der Ton der Schwerpunktsilbe -ster wieder scharf nach
oben heraus (g) ; der Nachlauf geht mehr als eine Oktave herunter (A—F).
Die melodische Gestalt 11,8 ist im wesentlichen derjenigen beider
vorigen Fragen gleich: kräftiger Aufwärtssprung in der Schwerpunkt-
Satzmtonation in türkischen Lesetexten 109
sübe (-dt auf g), die Nachlaufsilben (mi o ist kontrahiert zu mo) gehen
um einen Septimenschritt herunter auf A.
11,14 hat den Schwerpunkt in dem einsilbig gesprochenen de^il, dessen
Ton wieder ziemlich hoch hinaufgeht (e). Das nachlaufende mi bleibt in
Mittelhöhe (H), fällt aber dann in sich deutlich ab. Das Bild ist nicht
wesentlich anders als in den vorerwähnten Fragen, wenn auch nicht
ganz so ausgeprägt. Zu berücksichtigen ist, daß in 11,14 eine rhetorische
Frage vorliegt, die dem Siime nach eigentlich als Ausruf gemeint ist:
Wir sind hier ja doch wohl keine Wohlfahrtsversorgung!
Die Ausbeute ist also gering. Die Melodiebilder sind aber — in ihrem
Gegensatz zur deutschen Frageintonation — so auffäUig, daß die Hinzu¬
ziehung weiteren Materials geraten erschien. Andere, ebenfalls von Herrn
Tekin gelieferte Tonbandaufnahmen enthalten die ersten 17 Lesestücke
aus Philipp Rühls Türkischen Sprachproben (Heidelberg 1949, S. 151 bis
164). Es sind daraus 22 Fragen entnommen, darunter 6 Entscheidungs¬
fragen, 11 Ergänzungsfragen, 2 Doppelfragen und 3 Sonderfälle.
Von den 6 Entscheidungsfragen enden 4 mit ausgeprägtem Ton-
abstieg:
1. (Rühl, S. 151): Yunan sizin köyü de yakti mi? ,,Hat der Grieche
euer Dorf auch niedergebrannt ?" In ?/afcit Tonsprung c — ges (verminderte
Quint), m% auf eis und weiter absinkend bis etwa A. Alle dem yakti
vorangehenden Silben auf mittlerer Höhe um eis.
2. (RÜHL, S. 151): Bana anlatabilir misin? ,, Kannst du mir erzählen ?"
-bilir hat Quintensprung A—e, misin Fis—F; alles Vorhergehende auf
Mittelhöhe A.
3. (Rühl, S. 156): Tahsin Beyin evi burasi mt, Efendim? ,,Ist dies das
Haus des Herrn Tahsin, gnädige Frau ?" In burasi geht die Schwerpunkt- silbe diesmal nur um eine Terz aufwärts (H — H — d), djis anschließende
mt (nur m zu verstehen) sinkt auf G ab, Efendim liegt noch tiefer (Fis—
Fis—E).
4. (Rühl, S. 156): Ardtyor musun, kizim? ,, Verstehst du, mein Kind ?"
Anhyor hat Sekundsprung G—G—A, musun auf E—E, kiztm auf F—E.
Die Intervalle sind hier also kleiner als in den vorhergenannten Fragen ;
aber dieser Ausspruch hegt auch im ganzen tiefer; die Frage ist nur
zusätzhch, als rhetorische Floskel gesprochen. Der melodische Verlauf
ist jedoch der gleiche wie bei den übrigen Fragen.
Von diesem Bilde weichen zwei Fragen in auffallender Weise ab. Ein
kleines Mädchen fragt ihren väterlichen Freund :
5. (Rühl, S. 155): Siz her gün ^okolatayla mt kann doyurursunuz?
,, Essen Sie (sättigen Sie den Bauch) jeden Tag Schokolade?"
Die Hausherrin fragt ein junges Mädchen, das sich um die Stelle einer
HausangesteUten bewirbt:
6. (Rühl, S. 156): Seni onun i?in mi gönderdiler? ,,Hat man dich deshalb geschickt ?"
In beiden Fragen steigt der Stimmton im Nachlauf an (in 5. -rursunuz :
Fis—Fis—H = Quart, in 6. -derdiler: G—G—c/e = Quart bis Sext).
Das entspricht ganz dem Tonverlauf unserer deutschen Entscheidungs¬
frage und steht in Gegensatz zu den übrigen türkischen Entscheidungs¬
fragen unseres Gewährsmannes: Den acht Fragen mit fallender stehen
zwei mit steigender Melodie gegenüber. Die fallende Intonation scheint
dem Sprecher also die gewöhnliche zu sein. Uber die Gründe, die in diesen
beiden letzten Fragen zu anderer Gestaltung veranlaßten, kann man sich
nur in Vermutungen ergehen. Die Sätze haben die Form der Entschei¬
dungsfrage, sind aber möglicherweise als progrediente Aussprüche inter¬
pretiert: ,, Schokolade essen Sie natürlich jeden Tag, aber ist es so viel,
daß Sie davon ganz satt werden ?" — ,,Man hat dich also deshalb herge¬
schickt, weil du dich wegen der Dienststelle vorstellen sohst".
b) Ergänzungsfragen
1,38: ' Burada"ne yapiyorsun? •••*»,
Im Gegensatz zu den Entscheidungsfragen bildet diese Ergänzungs¬
frage den Schwerpunkt in der Fragepartikel. Der Ton springt auch hier
energisch nach oben ( Quartsprung) ; im Nachlauf sinkt die Stimme über
c auf F und geht in der letzten Silbe um eine kleine Sext wieder hinauf.
Den RüHLschen Texten entnehmen wir ferner :
•
1. (S. 151): Nerelisin? (Woher bist du ?) • , ^
2. (S. 153): bunlan kim kopardi? (Wer
hat diese gepflückt ?)
3. (S. 153): Ya kim guvala doldurdu?
(Aber wer hat es in den Sack ge¬
füllt?)
4. (S. 154): iVe arzu ediyorsunuz? (Was
wünschen Sie ?)
5. (S. 155): Niye boyuna gokolata ye-
mezsiniz? (Weshalb essen Sie nicht
fortwährend Schokolade ?)
... /
• m —
/
y
Satzintonation in türkischen Lesetexten III
^ 6. (S. 156): Nixje bir otomobille
bir apartiman almiyorsun ?
(Weshalb kaufst du nicht , ^
ein Automobil und eine » »»»»« . ««»» » _
. Wohnung?)
7. (S. 156): Ne ist(i)yorsun? (Was willst
du?)
8. (S. 16l): Padi§ah ni?in tahttan indi?
(Warum ist der Padischah vom Thron
gestiegen?) *—*—• •
Die Fragepartikel ist, abgesehen von den beiden letzten Beispielen,
nicht Schwerpunktsträger, aber sie ist in allen Fragen hochtonig. Der
Nachlauf steigt geradlinig oder fallbogenförmig an, und zwar um eine
Terz bis Sext. In 7 Fragen steigt der letzte Silbenton in sich noch merklich
auf. Das Bild ist also dem der Ergänzungsfragen entgegengesetzt: dort
fallende, hier steigende Intonation.
^ ^
Von dieser Regel finden sich zwei Ausnahmen :
•
' " \
9. (S. 152): Ak§ama ne var? (Was ist es
bis zum Abend ?)
10. (S. 155): Ne istersin sana ne alay-
im? (Was willst du, das ich dir
kaufen soh ?)
Die erste dieser Abweichungen ließe sich damit erklären, daß der
ungeduldige Frager nur seine vorher gestellte Frage (Wieviel Uhr ist es ?)
erläutern will: ,,(Ich meine nur) wieviel Zeit es noch bis zum Abend ist" ;
die zweite dürfte als Aufforderung gemeint sein: ,,Nun sag mir, was ich
dir kaufen soll". Es kann sich also sehr wohl um sinnbegründete Varianten
handeln. Jedenfalls stehen hiermit nur zwei fallende Intonationen neun
steigenden gegenüber, so daß für den Sprecher die steigende Melodi¬
sierung als die Regel anzunehmen ist.
Damit stellt sich die melodische Behandlung der Frage bei unseren
türkischen Sprechern in Gegensatz zu der im Deutschen üblichen Frage¬
intonation: die deutsche Entscheidungsfrage hat steigende,
die türkische der beiden Gewährsleute fallende Intonation;
die deutsche Ergänzungsfrage hat fallende, die türkische des
Gewährsmannes (I) steigende Intonation.
Der Befund stimmt nicht überein mit den Angaben von Eduard
Hermann {Probleme der Frage, Nachr. von der Ak. der Wiss. Göttingen,
Philol.-Hist. Kl., 1942, Nr. 4, S. 276), in denen mitgeteih wird, daß das
am Satzende {?) stehende Fragewort mit höherem Ton gesprochen werde :
,,z. B. in: gelir , er ist gekommen'* liegt der Nachdruck auf-Kr, die Stimme
wird dabei gesenkt; in gelir mi? ,ist er gekommen V liegt der Nachdruck
wieder auf -Ur, aber bei mi wird die Stimme gehoben. ... In : gelmi§siniz
,ihr seid gekommen' trägt -mii}- den Druck, bei -siniz wird die Melodie
gesenkt. In: gelmi§ misiniz? ,seid ihr gekommen?' trägt wieder -mie¬
den Druck, aber mit -mi steigt die Melodie, die drei Silben -mi siniz
klingen melodisch höher aus." — Es wird also von der Entscheidungs¬
frage behauptet, daß sie steigende Melodik besitze. Dies läßt sich in
unseren Beispielen allerdings nur in zwei Fällen — die dazu noch Aus¬
nahmen darstellen — belegen; der Anstieg fäht aber auch dort nicht in
die Fragepartikel mi.
c) Doppelfragen
Zwei Doppelfragen, die den RÜHLSchen Texten entstammen, haben
in ihrem zweiten Teile faUende Tonführung; der erste Teil ist einmal
steigend, einmal schwach fallend :
1. (S. 155): ... evli midir, bekdr midir? (sind
sie verheiratet oder Junggesellen ?)
•
•
2. (S. 155): Bebek mi ayi mi? (Eine Puppe
oder einen Teddybär?)
1,33 In misin cin misin? ist im ersten misin steigend (e — f ), im zweiten
Teil springt der Ton von fis in cin auf G in misin. Die Melodiebilder ent-
prechen dem tonalen Verlauf der deutschen Doppelfrage.
d) Nachfrage
Die vom Angesprochenen wiederholte Frage drückt oft Erstaunen,
Überraschung aus, oft ist sie aber auch nur Einleitungsfloskel zu der sich
formenden Antwort — so auch in dem RüHLschen Lesestück S. 152/153,
wo Hoca in seiner Eulenspiegelei die Frage des Bauern, wieweit es noch
bis zum Abend sei, aufgreift :
Ak§ama mi? (Zu Abend ?) * * ./
* gelir, wie auch das folgende gelir mi sind falsch übersetzt, die Formen aind die des Präs. II (Aor.).
Satzintonation in türkischen Lesetexten 113
und danach erst seine schalkhafte Antwort gibt. Der letzte Silbenton
{rm) steigt deutlich von A bis etwa e, also um ca. eine Quint an, geradeso,
wie es in der deutschen Nachfrage üblich ist.
e) Sonderformen
Schließlich seien zwei Fragen erwähnt, die ohne Fragepartikel, nur
in der Form der Aussage stehen. Bei Rühl, S. 155, fragt der Freund das
kleine Mädchen :
Demek sade ona razisin? ** ^
S. 157 erklärt die Hausherrin dem steUensuchenden Mädchen die Arbeit,
die sie als sehr leicht hinstellt :
Buna da hizmetgi demez ya?
(Auch das kann man doch nicht Dienst nennen? — (Lesefehler: hizmetgi
statt hizmetl)
Das sind Fragen, die in der Form der Aussage stehen, wie es im Deut¬
schen ja auch möglich ist (Du bist damit zufrieden ? — Deshalb hat man
dich hergeschickt?). Beide Fragen laufen stark abfallend aus; der
Sprecher hat ihnen also die Melodie der Aussage bzw. seiner unter a)
erwähnten Entscheidungsfragen gegeben.
4. Varianten
Die Sätze 1,20, 21, 22 sprach der Gewährsmaim in folgender Melodi¬
sierung :
Yolda bir geyik avlami§
• • •
Kamm bir gömlege bukt§tinm§ *
Padi§ah .. ?ok afiami§. «« « ^
Jeder Satz repräsentiert einen formal in sich abgeschlossenen Gedan¬
ken. Es wäre also zu erwarten gewesen, daß jeder Ausspruch die Melodik
8 ZDMQ 106/1
der terminalen Aussage aufwiese. Stattdessen läßt jedoch der Sprecher
die Sätze 20 und 21 mit energischem Tonanstieg ausklingen, erst der
letzte Satz verläuft melodisch der Regel gemäß. Eine derartige Gestaltung
ist uns auch in hochdeutscher Sprechweise als rhetorischer Kunstgriff
bekannt: sie hält den Hörer in der Erwartung des Ausspruchsschlusses,
behandelt logisch abgeschlossene Sätze als unfertige Sprecheinheiten
und bindet sie mit dem letzten, abschließenden Motiv zu einer Einheit
höherer Ordnung. Man kann sie als ,, rhetorische Bindung" bezeichnen.
Nicht so deutlich wie die rhetorische Bindung ist die gegensätzliche Melodiebehandlung, die ,, rhetorische Auflösung" (0. von Essen, SprecJie-
rische Ausdrucksgestaltung, Bredow-Institut Hamburg 1953, S. 23—24).
Sie besteht darin, daß der Sprechende ein inhaltlich progredientes Syn¬
tagma melodisch terminal gestaltet — ebenfalls eine Redefigur, die bei
geschickter Verwendung auffassungserleichtemd und eindrucksvoll sein
kann.
Im Text 1,48 hehit es:
Hemen hasta kizi soyup yikami§ * • ^ ^ ^
kurulami§. • « • ♦ • •
-*-v-
Allerdings stellt kurulamt§ schon für sich allein einen formal abge¬
schlossenen Satz dar, aber beide Teile sind doch eng genug miteinander
verknüpft, so daß sie eine gedankliche Einheit bilden können. Hätte der
Erzähler nicht in yikami§ Schwerpunkt und tieftonigen Nachlauf
gebracht, so wäre der erste Teh progredient und somit die Einheit her¬
gestellt gewesen. Er hat es anders gewollt : mit yikami§ schließt der Aus¬
spruch, mit ku- hebt ein neuer an, der ebenfalls einen eigenen Schwer¬
punkt ausbUdet. So entstehen zwei selbständige melodische Figuren.
Da die rhetorische Auflösung an keiner anderen SteUe vorkommt,
während die progrediente Gestaltung auch bei grammatisch abgeschlos¬
senen Sätzen häufig ist, darf man annehmen, daß sie bei den Sprechern
nicht beliebt, vielleicht ihnen überhaupt ungewohnt ist.
D. Zusammenfassung
Aus Transkriptionen türkischer Tonbandaufnahmen wurde folgendes
festgesteht : a) Aussagesatz
1. Die Töne hervorgehobener Silben (Führtöne) folgen einander in
absteigender Richtung.
2. Die Töne nichthervorgehobener Silben (Nebentöne) treten aus der
Linie der Führtöne nach unten heraus.
Satzintonation in türkischen Lesetexten 115
3. Leichte Silben vor der ersten Hervorhebung (Vorlauf) sind meistens
mittel-, selten hochtonig.
4. Druckschwächere Silben nach der letzten Hervorhebung (Nachlauf)
verlaufen in der spannungslosen Stimmtiefe. Durch die Tieftonigkeit des
Nachlaufs erhält die letzte Hervorhebung besonderes Gewicht und wird
melodisch als Schwerpunkt der Aussage charakterisiert. Ist kein Nach¬
laufvorhanden, so fällt der Ton der Haupthervorhebung in sich rasch ab.
5. Die unter 1. bis 4. genannten Merkmale sind Kennzeichen der
terminalen (abschließenden) Melodik; progrediente Syntagmen (weiter¬
weisende Sprecheinheiten) laufen mit mittlerem, hohem oder aufwärts¬
gleitendem Stimmton aus.
b) Aufforderung, Ausruf
Aufforderungen und Ausrufe unterscheiden sich sprechmelodisch nicht
von der terminalen Aussage.
c) Fragesätze
1. Entscheidungsfragen laufen mit sinkendem Stimmton aus.
2. Ergänzungsfragen laufen mit steigendem Stimmton aus.
3. In Doppehragen läuft die erste Frage steigend oder schwach fallend,
die zweite tieffaUend aus.
d) Varianten
1. Formal abgeschlossene Sätze können, wenn sie gedanklich eng mit¬
einander verknüpft sind, melodisch als progrediente Redeteile behandelt
werden ; sie laufen dann mit ansteigender Stimme aus, bis der letzte Satz
der Gruppe mit terminaler Tonführung schließt (Rhetorische Bindung).
2. Ob die rhetorische Auflösung, d. h. die melodisch terminale Behand¬
lung inhaltlich weiterweisender Satzteile, als Redefigur vorkommt, ist
aus einem einzigen, unsicheren Beispiel nicht zu ersehen.
Die von den Gewährsleuten gesprochenen türkischen Aussagen,
Aufforderungen und Ausrufe zeigen in ihrer melodischen Gestaltung
weitgehende Ähnlichkeit mit der hochdeutschen Intonation. Abweichend
wurden die Nebentöne behandelt, die sich nicht, wie in hochdeutscher
Sprechweise, in der Linie der Führtöne hielten, sondern in der Regel
nach unten ausfielen.
Die Fragen hatten in der Mehrzahl einen der hochdeutschen Frage¬
intonation entgegengesetzten Melodieverlauf, waren in der Regel (8 gegen
2) fallend, im Deutschen steigend ; Ergänzungsfragen waren in der Regel
(9 gegen 2) steigend, im Deutschen fallend.
8*
Man wird sich davor hüten müssen, aus diesen Befunden voreihge
Schlüsse auf die Allgemeingeltung türkischer Melodisierungsweisen zu
ziehen. Jede empirisch gegebene sprecherische Gestaltung ist die mehr
oder weniger treffende Erfühung sprachlich-konventioneller Normen,
stets der Variierung durch die äußere und innere Sprechsituation unter¬
worfen. Deshalb läßt sich eine endgültige Intonationslehre erst dann
aufstehen, wenn in allen Teilen des Sprachgebietes sehr viel Material ge¬
sammelt, sehr viel Einzelarbeit geleistet worden ist.
r
Uber den Ursprung und die Funktion der Vokal¬
harmonie in den ural-altaiishen Sprachen
Von JiBi Kbamsky, Prag
Die Volialharmonie ist eines der hervorstechendsten und charakte¬
ristischsten Merkmale der ural-altaischen Sprachen. Allerdings findet sie
sich auch mehr oder weniger ausgeprägt auch in vielen Sprachen anderer
Sprachgruppen, z. B. in einigen afrikanischen* und amerikanischen^
Sprachen. Geographisch ging die Ausdehnung der Vokalharmonie seiner¬
zeit mit der Ausdehnung der Agglutination Hand in Hand. Sie umfaßte
ein weit größeres Gebiet als das der heutigen ural-altaischen Sprachen,
wobei die Ausdehnung der Agglutination viel größer war. So weist^ z. B.
die sumerische Sprache einerseits gewisse altaische, turko-tatarische
(z. B. die Agglutination und die Tendenz zur Vokalharmonie), anderseits
gewisse indoeuropäische Züge auf (z. B. beim Fürwort).
Von den Arbeiten, die das Problem der Vokalharmonie von verschiede¬
nen Gesichtspunkten aus behandeln, suchen nur wenige eine Lösung auf
breiterer Grundlage. Ein Merkmal von so großer Bedeutung, wie es die
Vokalharmonie darstellt, muß jedoch möglichst von allen Gesichts¬
punkten aus, die eine Sprache betreffen, behandelt werden. Es geht hier
nicht nur um ein phonetisches, phonologisches oder morphologisches
Problem, sondern um ein Problem, das ahe diese Fragen umfaßt. Wir über¬
sehen dabei nicht, daß der synchronische Standpunkt für die Erklärung
dieser sprachlichen Besonderheit nicht genügt, daß wir uns vielmehr
bemühen müssen, dieses Problem auch diachronisch zu lösen. Mit Hilfe
der synchronischen Methode können wir nur die Existenz der Vokal¬
harmonie feststellen und ihre Funktion bestimmen, nicht aber ihr Ent¬
stehen, noch auch ihre Ursache. Wenn die bestehenden Werke über die
Vokalharmonie das Pioblem nicht in seiner ganzen Breite und Tiefe
behandeln, liegt der Grund hierfür zumeist in der Einseitigkeit des
* Vgl. Julius Nämeth: Die türkisch-mongolische Hypothese, ZDMG 66,
1912, S. 556.
* Vgl. Hazel Spotts : Voruel Harmony and Consonant Sequences in Maza-
hua (Otomi), UAL, Bd. 19, 1953, No. 4, S. 253—258. H. I. Uldall: Maidu
Phonetics, UAL, Bd. 20, No. 1, S. 8—16.
' Vgl. B. Hroznt? : Histoire de l'Asie anterieure de l'Inde et de la Crete, Prag 1947, S. 85.