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Verhandlungsposition der Schweiz bei neuen Freihandelsabkommen nur leicht betroffen | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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den, um in Verhandlungen andere Zugeständ- nisse einzufordern, weist eine neuere Studie über den schrittweisen Abbau der Importzöl- le für Industriegüter in Kanada (ab 2009) auf einen anderen Aspekt hin:2 Neue Freihandels- abkommen erlauben es Kanada, den Partnern die Nullzölle vertraglich zuzusichern. Zusam- men mit potenziellen Konzessionen in der Landwirtschaft und in zusätzlichen Handels- bereichen ermöglicht dies Kanada weiterhin, attraktive Abkommen abzuschliessen.

Potenzielle Handelspartner unterscheiden sich stark

In unserer Untersuchung haben wir insge- samt die verbleibenden potenziellen Freihan- delspartner der Schweiz betrachtet (siehe Ab- bildung  1). Für die Wirtschaftsstruktur dieser Länder, mit denen die Schweiz bisher noch kein Freihandelsabkommen abgeschlossen hat, re- sultiert ein vielfältiges Bild: Bei Ländern wie Pa- kistan und Myanmar dominiert die Landwirt- schaft, bei anderen die verarbeitende Industrie (Algerien) oder der Dienstleistungssektor (USA).

Auch bei der Marktgrösse ist das Spekt- rum breit: Es reicht vom kleinen Inselstaat

I

n den vergangenen Jahren haben zahlrei- che Länder weltweit autonom Industriezölle abgeschafft. Dabei wurden vor allem die wirt- schaftlichen Argumente diskutiert. In die- sem Artikel beleuchten wir eine Frage, die in der Literatur weniger Aufmerksamkeit erhal- ten hat: die potenziellen Auswirkungen eines einseitigen Zollabbaus für Industriegüter auf die künftige Verhandlungsmacht der Schweiz bei Gesprächen über Freihandelsabkom- men (FHA). Bei einem autonomen Abbau von Importzöllen können diese in Verhandlun- gen über künftige FHA nicht mehr als direk- tes Verhandlungspfand eingesetzt werden. In einer Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) haben wir deshalb die Auswirkungen eines Zollabbaus auf die künf- tige Verhandlungsposition der Schweiz unter- sucht (siehe Kasten).1

Die vorhandene Literatur zu den Auswir- kungen eines einseitigen Zollabbaus auf die Verhandlungsposition zeichnet kein einheitli- ches Bild. Während einige Studien aufzeigen, dass Zollsenkungen spezifisch eingesetzt wer-

Freihandelsabkommen: Verhandlungs­

position nur leicht betroffen

Eine einseitige Zollaufhebung für Industriegüter kann die Position der Schweiz in künf- tigen Verhandlungen über Freihandelsabkommen schwächen. Da die Schweiz bereits über ein grosses Netz an Freihandelsabkommen verfügt und sich alternative Verhand- lungstaktiken anbieten, ist der Effekt jedoch gering.    Koen Berden, Anirudh Shingal, Charlotte Sieber-Gasser

Abstract  Eine Studie des World Trade Institute der Universität Bern hat im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) untersucht, wie sich ein unilateraler Abbau der Importzölle für Industriegüter der Schweiz auf die Verhandlung zukünftiger Freihandelsabkommen auswirken würde. Ak- tuell finden 84 Prozent des Schweizer Güterhandels mit Staaten statt, mit welchen bereits ein FHA besteht, und die Industriezölle sind bereits sehr tief. Aufgrund der derzeit hohen Textil- und Bekleidungszölle sowie der wenigen Spitzenzölle im Luxussegment könnte die Verhandlungsposition der Schweiz mit Staaten wie Indien, Brasilien und Russland geschwächt werden. Gleichzeitig dürften andere Bereiche als alternative Zugeständ- nisse an Bedeutung gewinnen.

Verwendete Daten

Die Studie basiert auf Statistiken über Handelspartner und Handelsabkommen sowie auf Daten zur Tiefe der einzelnen Freihandelsabkommen (FHA) und zu bestehenden tarifären und nicht tarifären Massnahmen. Zusätzlich führten die Auto­

ren ausführliche Gespräche mit politischen Verantwortlichen und anderen wirtschaftspolitischen Akteuren (z. B. Branchen­

verbänden) in der Schweiz, in der EU, in Norwegen, Island, Hongkong und Singapur.

1 Berden et al. (2017).

2 Keohane (1986), Da­

vis (2004) und Limão (2007) sowie Ciuriak und Xiao (2014).

3 Zölle gelten nicht für die am wenigsten ent­

wickelten Länder. Siehe

«Entwicklungsländer APS/GSP» unter Ezv.admin.ch.

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Mauritius bis zu den riesigen Volkswirtschaf- ten Brasilien und USA. Welche Produkte ge- handelt werden, ist je nach Handelspartner ebenfalls unterschiedlich. Dasselbe gilt für die Handelshemmnisse gegenüber Schweizer Wa- ren: Der durchschnittlich angewendete Zoll variiert zwischen 1,6 Prozent (Mauritius) und fast 19 Prozent in Algerien. Stark unterschei- den sich schliesslich auch die Anzahl der be- stehenden FHA der Handelspartner sowie das Ausmass der dabei eingegangenen Verpflich- tungen.

Neben den verbleibenden potenziellen Freihandelspartnern fokussierte die Studie auf Gütergruppen, bei welchen ein autonomer Zollabbau die Verhandlungssituation beein- flussen könnte. Die Analyse führt zu drei Er- kenntnissen: Erstens sind die Schweizer Zöl- le auf Industriegüter bereits sehr niedrig oder sogar null. Zweitens bildet der Textil- und Be- kleidungssektor die wesentlichste Ausnah- me.3 Für mehrere potenzielle FHA-Partner wie

Pakistan, Iran und Moldawien gehören die- se Produkte zu den Kerninteressen. Drittens zeigt sich, dass es zusätzlich Spitzenzölle für wenige Produkte im Industriebereich gibt wie beispielsweise bei verkehrstechnischen Aus- rüstungen oder einzelnen nicht elektrischen Geräten. Diese sind manchmal sehr hoch; die Importe dieser spezifischen Produkte in die Schweiz machen aber einen sehr geringen An- teil aus.

Die noch bestehenden hohen Zölle für die- se wenigen Produkte lassen darauf schliessen, dass Zölle auf Industriegüter in zukünftigen Verhandlungen – trotz weniger verbleibender Verhandlungspartner und des insgesamt tie- fen Zollniveaus – weiterhin eine relevante Ver- handlungsmasse darstellen. So können hohe Zölle auf einzelnen Produkten weiter reichen- de Auswirkungen auf die Produktionskette und die Preise für Endprodukte haben, wenn Zwi- schenprodukte der globalen Wertschöpfungs- ketten betroffen sind. Für eine kleine Zahl von

KEYSTONE

Bei Textilimporten in die Schweiz sind die Zölle hoch. Kleider­

fabrik in Vietnam.

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der Exportindustrie sichern und mit dieser Al- lianz den Widerstand der Branchen brechen, die sich einem verstärkten Wettbewerb durch (Schweizer) Importprodukte gegenübersehen.

Alternative Verhandlungstrümpfe

Potenzielle negative Auswirkungen auf die Verhandlungssituation der Schweiz aufgrund eines autonomen Zollabbaus für Industriegü- ter können möglicherweise durch andere Ver- handlungstrümpfe kompensiert werden. Im Folgenden nehmen wir vier Elemente unter die Lupe:

Gebundene Zollsätze: Bei einem autono- men Zollabbau werden die angewendeten Zollsätze auf null gesetzt, während die bei der WTO eingegangenen Verpflichtungen bezüglich Maximalzölle (diese liegen oft über den angewendeten Zollsätzen) unver- ändert bleiben. Wenn die WTO-Zollsätze höher sind als die wirklich angewendeten Zollsätze, kann das Land letztere jeder- zeit wieder erhöhen, ohne internationale Verpflichtungen zu verletzen. Heute liegen die WTO-Zollsätze der Schweiz insgesamt leicht über den angewendeten Zöllen. Die- se Differenz würde im Fall eines Zollabbaus bedeutend grösser und stellt somit ein al- ternatives Verhandlungselement dar. FHA würden somit den Handelspartnern der Schweiz vertraglich zusichern, dass die an- gewendeten Nullzölle dem FHA-Partner gegenüber nicht mehr angehoben werden können.

Portfolio an Zugeständnissen: Bereits heu- te regeln FHA neben den Zöllen für Indus- trieprodukte eine Reihe weiterer Bereiche wie Landwirtschaftszölle, die regulatori- sche Zusammenarbeit, technische Han- delshemmnisse, gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Massnah- men, Investitionen, Dienstleistungen, Stan- dards und die Wettbewerbspolitik. Zuge- ständnisse in diesen Bereichen könnten die wegfallende Verhandlungsmasse bei den Industriezöllen kompensieren. Ein sol- ches Portfolio wäre ein nützliches Verhand- lungsmittel, weil die nicht tarifären Han- delshemmnisse – beispielsweise technische Abb. 1: Potenzielle FHA­Partner der Schweiz und deren eingegangene

Verpflichtungen in aktuellen FHA

Westafrikanische Wirtschafts­

gemeinschaft (Ecowas)

   Tiefe insgesamt        Dienstleistungen        Geistiges Eigentum        Investitionen         Öffentliche Beschaffungen        Standards        Wettbewerbspolitik

Tiefe der Verpflichtungen Russland, Weissruss­

land und Kasachstan Iran

Sri Lanka

Vietnam Malaysia

Thailand Indonesien Indien

Mercosur Algerien

Ecuador

Mongolei

Myanmar

Pakistan Grossbritannien

Moldawien

Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) Mauritius

USA

0 0,2 0,4 0,6 0,8

DATENBANK DESTA / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Dargestellt ist die Tiefe der Verpflichtungen pro Partner in den von ihnen abge­

schlossenen FHA mit anderen Staaten. Diese variiert je nach Partner und Bereich (0 = Bereich nicht oder kaum abgedeckt in FHA; 1 = weitgehende Verpflichtungen bezüglich Marktzugang).

Exportfirmen der potenziellen Partnerstaaten sind sie möglicherweise sogar das grösste Hin- dernis beim Marktzugang. Aus wirtschaftspoli- tischer Sicht ist zudem zu bedenken: Um bei FHA-Verhandlungen den Rückhalt im eigenen Land zu erhöhen, heben ausländische Regierun- gen zu Hause gerne Verhandlungserfolge her- vor. Damit können sie sich die Unterstützung

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Vorschriften und Sicherheits standards – für Produkte immer noch hoch sind und auch nach einem autonomen Zollabbau den Marktzugang noch erheblich erschwe- ren oder de facto sogar behindern kön- nen. Auch Zugeständnisse beim Zugang für Dienstleistungen und Investitionen bilden attraktive Verhandlungselemente.

Ursprungsregeln: Ursprungsregeln sind fes- ter Bestandteil von FHA. Sie legen für jede Warengruppe fest, ab wann diese als Ur- sprungsware eines bestimmten Landes de- klariert werden kann. Die Forschung zeigt, dass Ursprungsregeln im Zusammenhang mit präferenziellen Zöllen ein bedeuten- des Handelshemmnis darstellen. Bei einer einseitigen Zollaufhebung werden die Ur- sprungsregeln für den Import in die Schweiz weniger wichtig, und die damit verbundenen regulatorischen Anforderungen für Unter- nehmen entfallen teilweise oder ganz. Ur- sprungsregeln sind somit kein alternatives Verhandlungselement.

Efta-Plattform: Die Schweiz verhandelt den Grossteil ihrer FHA im Rahmen der Efta. Das Gewicht der Efta-Länder insgesamt könnte theoretisch in den Verhandlungen zukünf- tiger FHA die wegfallende Verhandlungs- masse aufgrund der abgeschafften Indus- triezölle kompensieren. Allerdings konnten wir keine Hinweise auf gegenseitige Zuge- ständnisse zwischen Efta-Mitgliedsstaaten bei Verhandlungen finden, womit auch die- ses Element keinen alternativen Verhand- lungstrumpf darstellt.

Textilzölle für einige Länder relevant

Insgesamt zeigt die Studie, dass eine Abschaf- fung der verbleibenden Industriezölle die Posi- tion der Schweiz nur in geringem oder sogar vernachlässigbarem Ausmass schwächen wür- de.  84 Prozent des Güterhandels finden mit Staaten statt, mit welchen die Schweiz bereits über ein FHA verfügt (siehe Abbildung 2), und Bei einigen poten­

ziellen Freihandels­

partnern der Schweiz dominiert die Land­

wirtschaft. Reisanbau in Myanmar.

KEYSTONE

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Literatur

Berden, K., et al. (2017). Significance of Autonomous Tariff Dismantling for Future Negotiations of Free Trade Agreements, Studie im Auftrag des Seco.

Ciuriak, D., und Xiao, J. (2014). Should Cana­

da Unilaterally Adopt Global Free Trade?

Commissioned Study, Canadian Council of Chief Executives.

Davis, C. L. (2004). International Institutions and Issue Linkage: Building Support for Agricultural Trade Liberalization, in: Ameri­

can Political Science Review, 98(1), 153–169.

Keohane, R. O. (1986). Reciprocity in Interna­

tional Relations, in: International Organi­

zation,40(1), 1–27.

Limão, N. (2007). Are Preferential Trade Agreements with Non­trade Objectives a Stumbling Block for Multilateral Liberali­

zation?, in: The Review of Economic Stu­

dies, 74(3), 821–855.

die Industriezölle sind bereits sehr tief. Rele- vant wäre ein autonomer Zollabbau hingegen für Verhandlungen mit Ländern, deren Haupt- interesse auf dem Textil- und Bekleidungs- sektor oder den einzelnen Spitzenzöllen liegt – insbesondere aus wirtschaftspolitischer Sicht und unter Berücksichtigung der globalen Wertschöpfungsketten.

Potenzielle zukünftige Handelspartner mit mittlerer bis hoher Sensitivität gegenüber einem einseitigen Zollabbau der Schweiz sind Indien, Brasilien, Malaysia, Vietnam, die Eu- rasische Wirtschaftsunion (EAWU) mit Russ- land als grösstem Staat und eine kleine Rest- gruppe (u. a. mit der Mongolei, Pakistan, dem Iran, Moldawien und Indonesien). Die Rolle

der gebundenen Zölle und das gesamte Port- folio an Zugeständnissen können für die Schweiz eine nützliche alternative Verhand- lungsmasse darstellen.

Koen Berden PhD in Economics, Director of Outreach, World Trade Institute, Universität Bern

Anirudh Shingal PhD in Economics, Senior Research Fellow, World Trade Institute, Bern

Charlotte Sieber-Gasser PhD in Law, Senior Research Fellow und Dozentin, Universität Luzern und Universität St. Gallen

Abb. 2: Gesamthandelsvolumen der Schweiz im Industriebereich nach Partnern

   Anteilsmässiges Handelsvolumen mit FHA­Partnern der Schweiz     

  Anteilsmässiges Handelsvolumen mit potenziellen zukünftigen Verhandlungspartnern    

   Anteilsmässiges Handelsvolumen mit Staaten, für welche bei einer autonomen Zollaufhebung alternative Verhandlungselemente nötig sein könnten, d. h., wo ein einseitiger Abbau die Position der Schweiz schwächen würde

Europäische Union ­28 China (inkl. Hongkong) USA

Japan

Singapur

Vereinigte Ara­ bische Emirate Südkorea Mexiko

Indien

Eurasische Wirt­

schafts­

union

Brasilien übrige VietnamMalaysia Katar

Efta Türkei

übrige Staaten

Kanada

EZV (2016), BERECHNUNGEN WTI (2017) / SECO / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Referenzen

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