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Das Ende der Zinsinsel Schweiz? | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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TIEFZINSEN

10 Die Volkswirtschaft   8–9 / 2021

Vor diesem Hintergrund hat das Staats- sekretariat für Wirtschaft mehrere Studien in Auftrag gegeben, um die Ursachen und Wirkun- gen des Tiefzinsumfelds besser zu verstehen. In diesem Rahmen haben Forschende der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Lausanne (HEC Lausanne) untersucht, weshalb die Zinsen in der Schweiz diesen historischen Tiefstand erreicht haben.3

«Globaler» Zins wird wichtiger

Ein Blick auf die Zinsentwicklung in der Schweiz und einigen anderen entwickelten Volkswirt- schaften zeigt einen generellen Rückgang sowie eine Konvergenz der Realzinsen (siehe Abbildung auf S. 12.). Diese rückläufige Ten- denz wird vor allem auf die Globalisierung der Finanzmärkte der letzten Jahrzehnte zurück- geführt. Aufgrund der Konvergenz der Zins- sätze ist der Begriff des «globalen» Zinssatzes nun durchaus zutreffend. Dieser lässt sich aus dem Durchschnitt der Realzinsen zehnjähriger Staatsanleihen von 16 verschiedenen Industrie- ländern4 errechnen.

Die Unterschiede zwischen den nationalen Zinssätzen und dem globalen Zinssatz ver- schwinden zunehmend. Im Zuge der Globalisie- rung der Finanzmärkte ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, als entwickeltes Land eine Zinsinsel zu sein. Die Schweizer Zinsen können also gar nicht viel tiefer liegen als diejenigen an- derer Länder, da sich alle Zinssätze tendenziell annähern.

Der Rückgang der Realzinsen war in den meisten anderen Ländern ausgeprägter als in der Schweiz. Dieser Unterschied lässt sich nur schwer mit grundlegenden Faktoren wie dem Spar- oder Anlageverhalten in der Schweiz erklären. Eine

D

ie Negativzinsen in Schweizer Franken ge- hören zu den tiefsten weltweit. Tatsächlich waren die nominalen und realen (das heisst:

inflationsbereinigten) Schweizer Zinssätze seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs durchgängig am tiefsten. Daher spricht man auch von der

«schweizerischen Zinsinsel»1. Die realen Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen der Schweiz lagen zwischen 1945 und 2010 nämlich durch- schnittlich jeweils 2,15  Prozentpunkte unter denjenigen von Deutschland.2 Diese tiefen Realzinsen galten als einer der grossen Vorteile einer eigenen Landeswährung und einer un- abhängigen Geldpolitik. Deshalb wurden sie als wichtiges Argument gegen eine allfällige Über- nahme des Euros vorgebracht.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Situation jedoch verändert: Die Schweiz profi- tiert trotz Negativzinsen nicht mehr vom Vor- teil tieferer Realzinsen. Zwischen 2011 und An- fang 2020 lag der reale Zinssatz auf zehnjährige Schweizer Staatsanleihen 0,3  Prozentpunkte über dem Zins für deutsche Bundesanleihen.

Letztere gelten als «sicher», weshalb ihr Zins re- lativ tief ist. Der Zins auf deutsche Bundesanlei- hen dient zudem als Referenz für die Zinssätze der anderen Länder der Eurozone.

Das Ende der Zinsinsel Schweiz?

Die realen Zinssätze unterschiedlicher Länder nähern sich seit rund zehn Jahren an. In der Schweiz sanken die Realzinsen weniger stark. Wertpapiere in Franken bleiben im aktuell unsicheren Umfeld jedoch trotz ihrer tieferen Renditen attraktiv.  

Philippe Bacchetta, Kenza Benhima, Jean-Paul Renne

Abstract    Die Zinsen in der Schweiz waren lange Zeit deutlich tiefer als in anderen Industrieländern. Diese Besonderheit hat sich in den vergangenen zehn Jahren angesichts der generell tiefen Nominal- und Realzinsen jedoch abgeschwächt. Seit ein paar Jahren sind die Zinssätze in der Schweiz sogar leicht höher als in Deutschland. Hat der Franken also an Attraktivität eingebüsst? Eine Analyse lässt vermuten, dass dies nicht der Fall ist: Investoren kaufen nach wie vor Wertpapiere in Fran- ken, auch wenn die erwarteten Erträge bei ausländischen Wertpapieren höher wären. Im aktuellen, von zahlreichen Unsicherheiten geprägten Umfeld dürfte dieser Risikobonus weiterhin zu tiefen Obligationen- renditen beitragen.

1 Vgl. Baltensperger und Kugler (2017).

2 Die in diesem Artikel erwähnten Zahlen und Analysen stützen sich auf Bacchetta et al.

(2021).

3 Bacchetta et al. (2021).

4 Australien, Belgien, Dänemark, Deutsch- land, Finnland, Frank- reich, Italien, Japan, Kanada, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien, Grossbritannien, USA.

(2)

FOKUS

Die Volkswirtschaft   8–9 / 2021 11 KEYSTON

E

Händler an der New Yorker Börse. Mit der Globalisierung der Finanzmärkte haben sich die Zinsen weltweit angeglichen.

(3)

TIEFZINSEN

12 Die Volkswirtschaft   8–9 / 2021

ökonometrische Analyse der Schweizer Realzin- sen zeigt denn auch, dass der globale Zinssatz der Hauptgrund für die tiefen Zinsen in der Schweiz ist. Hingegen konnten keine signifikanten Aus- wirkungen aufgrund lokaler Faktoren gefunden werden, mit denen sich der moderatere Rückgang der Zinssätze in der Schweiz erklären liesse.

Eine naheliegende Erklärung dafür, dass die Realzinsen in der Schweiz weniger stark ge- sunken sind, ist indessen der Umstand, dass die Nominalzinsen nicht unbegrenzt weiter sinken können. Denn die Anleiherenditen – das heisst die Zinserträge von Staats- oder Unterneh- mensanleihen – können nicht sehr weit unter null fallen, da bereits Bargeld eine Nullrendite abwirft. Weil die Schweizer Nominalzinsen be- reits ursprünglich unter denjenigen im Ausland lagen, hatten sie weniger Spielraum, um noch weiter zu fallen. Zudem war die erwartete Infla- tion in der Schweiz tiefer, sodass die Schweizer Realzinsen schliesslich über denjenigen anderer Länder wie etwa Deutschland lagen.

Unattraktiver Franken?

Bedeutet das Verschwinden der realen Zinsdiffe- renz gleichzeitig das Ende des «Risikobonus» des Frankens? Die Antwort ist nein. Denn der Fran- ken gilt typischerweise als sogenannte Flucht- oder «Safe Haven»-Währung. Deshalb halten Anlegerinnen und Anleger trotz geringerer Ren- diten nach wie vor Wertpapiere in Franken.

Auf den ersten Blick paradox ist, dass der Risikobonus nicht verschwunden, sondern sogar gestiegen ist. Doch überraschend ist das eigentlich nicht, denn der Franken ist seinem Ruf als «Safe Haven»-Währung bereits wäh- rend der Schuldenkrise der Eurozone ab 2010 gerecht geworden. Das führte damals zu einer starken Aufwertung des Frankens. Umfragen zu Wechselkursprognosen zeigen zudem, dass auf Anleihen in Euro klar höhere Erträge erwartet werden als auf Anleihen in Franken. Diese Dif- ferenz zwischen den erwarteten Erträgen (die zur Berechnung des Risikobonus herangezogen wird) hat in den letzten zehn Jahren zugenom- men.

Doch wie kann der Franken an Attraktivität gewinnen, obwohl gleichzeitig der reale Zins- satz im Vergleich zu Deutschland höher ist? Der Grund ist, dass eine Abwertung des Frankens antizipiert wird: Wenn die Märkte eine Franken- abwertung vorwegnehmen, müssen die Investo- ren durch einen im Vergleich zu Deutschland höheren Schweizer Realzins entschädigt wer- den. In diesem Fall spricht man von einer Real- zinsdifferenz. Allerdings handelt es sich nur um eine teilweise Kompensation, da die Anleger ja in Franken eine geringere Rendite akzeptieren.

Dass die Erwartungen bezüglich einer Abwer- tung gestiegen sind, ist eine Folge der starken Frankenaufwertung, insbesondere nach  2010.

Dadurch wird der höhere Risiko bonus mehr als ausgeglichen (siehe Tabelle).

Realzinsen 10-jähriger Staatsanleihen (1970–2020)

BACCHETTA ET AL. (2021) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

7,5 Realzins, in %

5

2,5

0

–2,5

–5

1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020

  Schweiz          Deutschland          Global

(4)

FOKUS

Die Volkswirtschaft   8–9 / 2021 13 Realzinsdifferenz bei zehnjährigen Staatsanleihen zwischen

Deutschland und der Schweiz

1. Quartal 1999 bis

4. Quartal 2009 1. Quartal 2010 bis

4. Quartal 2020 Differenz 2010–2020 vs.

1999–2009

Realzinsdifferenz 0,79 −1,08 −1,87

Risikobonus (Differenz zwischen erwarteten Renditen in Euro und Franken)

1,34 2,45 1,11

Antizipierte reale Frankenabwertung

−0,34 −3,09 −2,75

Verfügbarkeitsprämie

(Convenience Yield) −0,21 −0,44 −0,23

Realzinsdifferenz = Risikobonus − antizipierte reale Abwertung + Verfügbarkeits- prämie. Der Risikobonus und die antizipierte reale Abwertung wurden basierend auf Untersuchungen von Consensus Economics berechnet.

BACCHETTA ET AL. (2021), CONSENSUS ECONOMICS, JORDÀ ET AL. (2015), REFINITIV, IMF INTERNATIONAL FINANCIAL STATISTICS, KOF

Tiefe Verfügbarkeitsprämie

Ein weiterer Grund für die derzeit höheren Real- zinsen auf Schweizer Staatsanleihen ist die tie- fere Verfügbarkeitsprämie (engl.: Convenience Yield). Diese ist definiert als der nicht monetäre Wert, den die Investoren der Sicherheit und der Liquidität von Staatsanleihen beimessen.5 Eine tiefere Verfügbarkeitsprämie rechtfertigt somit einen höheren Zinssatz.

Die abnehmende Verfügbarkeitsprämie auf Schweizer Obligationen im Vergleich zu auslän- dischen Obligationen ist angesichts des Risiko- bonus auf Schweizer Wertpapiere auf den ers- ten Blick überraschend. Die Abnahme lässt sich jedoch dadurch erklären, dass die relative Ver- fügbarkeitsprämie von Angebot und Nachfrage abhängt: Bei selteneren und gefragteren Obliga- tionen ist die Prämie höher. Die ökonometrische Analyse zeigt, dass Staatsanleihekäufe durch ausländische Zentralbanken (Verringerung des verfügbaren Angebots an ausländischen Obliga- tionen) sowie die Devisenmarktinterventionen der Schweizerischen Nationalbank (Erhöhung ihrer Nachfrage) potenziell zum relativen Rück- gang der Verfügbarkeitsprämie für Schweizer Obligationen beigetragen haben. Mit anderen Worten: Die Investoren bewerten diese tiefer

Philippe Bacchetta Professor für Wirtschaft, Fakultät für Wirtschafts­

wissenschaften (HEC), Universität Lausanne

Kenza Benhima Professorin für Wirt­

schaft, Fakultät für Wirtschaftswissen­

schaften (HEC), Universität Lausanne

Jean-Paul Renne Professor für Wirtschaft, Fakultät für Wirtschafts­

wissenschaften (HEC), Universität Lausanne

Literatur

Bacchetta, P., Benhima, K. und Renne, J.-P. (2021). Unders- tanding Swiss Real Interest Rates in a Financially Glo- balized World. Grundlagen für die Wirtschaftspolitik, Nr. 25, Staatssekretariat für Wirtschaft, Bern.

Baltensperger, E. und Kugler, P.

(2017). Swiss Monetary Histo- ry Since the Early 19th Century.

Studies in Macroeconomic History. Cambridge Univer- sity Press.

Jiang, Z., Krishnamurthy, A.

und Lustig, H. (2018). Foreign Safe Asset Demand for US Treasuries and the Dollar. AEA Papers and Proceedings, 108, 537–541.

Jordà O., Schularick M. et Tay- lor A. M. (2015). Leveraged bubbles. Journal of Moneta- ry Economics, 76 (S), 1–20.

im Vergleich zu ausländischen Obligationen, die vergleichsweise seltener und gefragter gewor- den sind. Schliesslich könnte auch die Franken- aufwertung durch die Erhöhung des Angebots an Schweizer Obligationen in Fremdwährungen ein Grund für den Rückgang sein. Der Beitrag der Verfügbarkeitsprämie zur Zinsdifferenz ist im Vergleich zum Beitrag der antizipierten Fran- kenabwertung seit 2010 jedoch gering.

Zusammengefasst haben die Zinsen in der Schweiz in einer allgemein konvergierenden Ab- wärtsbewegung einen historischen Tiefstand erreicht. Heute ist der Schweizer Zinssatz im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften nicht mehr speziell tief. Die antizipierte Frankenab- wertung und eine vergleichsweise tiefere Ver- fügbarkeitsprämie für Schweizer Obligationen sind mit ein Grund für das Ende der «schwei- zerischen Zinsinsel». Trotzdem sind Anlagen in Franken weiterhin beliebt, da der Franken heute noch stärker als «Safe Haven»-Währung wahrgenommen wird. Angesichts der aktuellen Unsicherheiten wird sich diese Situation wohl kaum ändern.

5 Jiang et al. (2018).

Referenzen

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