A2200 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 42⏐⏐17. Oktober 2008
P O L I T I K
J
ohn Wayne empfand Entschul- digungen als ein Zeichen von Schwäche und damit als etwas zu- tiefst Unamerikanisches. Die Stimme des „Duke“, der am rechten Rand des demokratischen Spektrums angesie- delt war, ist längst verstummt.Bereits sein ihm ideologisch nahe stehender Kollege aus Hol- lywoods Glanztagen, Ronald Rea- gan, sah nichts Ehrenrühriges darin, sich bei einer Bevölkerungsgruppe zu entschuldigen, der bitteres Un- recht geschehen war. Er drückte gegenüber den US-Amerikanern ja- panischer Abstammung, die nach dem Überfall der Japaner auf Pearl Harbor 1941 von der Regierung der USA unter Missachtung ver- fassungsmäßiger Rechte interniert worden waren, das Bedauern der Nation aus. Dieser honorige Akt kam 1988 noch rechtzeitig, denn viele der einst diskriminierten Lands- leute lebten noch.
Mangel an Respekt
Bill Clinton konnte während seiner Präsidentschaft nur noch einen klei- nen Teil derjenigen erreichen, die die Regierung als Versuchskaninchen für ein höchst unethisches medizini- sches Experiment missbraucht hatte.
Er entschuldigte sich 1997 bei afro- amerikanischen Patienten für die sogenannten Tuskegee-Versuche. In Tuskegee, Alabama, waren seit 1932 mehr als 400 an Syphilis erkrankte Afroamerikaner vom U.S. Public Health Service mit Placebos „behan- delt“ worden, um die Progression der Krankheit zu beobachten.
Mit dem Aufkommen der Political Correctness in den 1980er-Jahren wurde aus offiziellen Entschuldigun- gen gegenüber persönlich Betroffe- nen oft etwas Abstraktes. Die Ent- schuldigungen gerieten zum Ritual.
So haben in den letzten Jahren zahl-
reiche Bundesstaaten Abbitte für die Sklaverei geleistet, auch wenn es bei den entsprechenden Zeremonien schwierig war, Repräsentanten der Opfergenerationen zu finden.
Nun sind auch die ärztlichen Organisationen an der Reihe. Die American Medical Association (AMA) hat sich kürzlich für die Be- nachteiligung afroamerikanischer Ärztinnen und Ärzte entschuldigt.
Das ärztliche Selbstverständnis, so heißt es in der offiziellen Stellung- nahme, gründe auf einem grenzen- losen Respekt für das menschliche Leben. Die Ärzteschaft habe die Pflicht, die Gesellschaft vor einem Mangel an Respekt zu bewahren.
Die AMA habe dies nicht getan und entschuldige sich dafür.
Die ärztliche Standesorganisa- tion wurde 1847 gegründet. Inzwi- schen gehören ihr fast 250 000 Ärz- tinnen und Ärzte an. Dabei hat die AMA über Jahrzehnte afroameri- kanischen Medizinern die Mitglied- schaft verwehrt. Zwar gab es bereits seit den 1930er-Jahren Stellungnah- men gegen die im Süden der USA praktizierte Rassentrennung, doch überließ die AMA es den regionalen Ärzteorganisationen, ob sie Kolle- gen afrikanischer Abstammung auf- nahmen oder nicht.
Die AMA schwieg weitgehend zur Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre und zu der teilweise haarsträubenden Zweiklassenmedi- zin, die sich als Folge der Rassen- trennung entwickelte. Emerson C.
Walden, afroamerikanischer Chirurg im Ruhestand, erinnerte sich anläss- lich der AMA-Entschuldigung in der Zeitung „Baltimore Sun“ an seine Arbeit in einem Krankenhaus der Stadt, das ausschließlich für „colored patients“ bestimmt war. Als in einer turbulenten Samstagnacht alle Bet- ten belegt waren, fragte Walden im
renommierten Johns Hopkins Hos- pital an, ob er Patienten verlegen könne. „Tut uns leid“, erklärte der dortige (weiße) Kollege. „Wir haben kein einziges farbiges Bett in unse- rem Haus.“ Das Johns Hopkins Hos- pital entschuldigte sich nach diesem Beitrag umgehend öffentlich.
Bei sich selbst anfangen
Ob die AMA den Opfern ihrer Dis- kriminierung neben der Entschuldi- gung auch eine Entschädigung ange- boten hat, wird von offizieller Seite nicht kommentiert. Denkbar ist auch eine gezielte Förderung afroameri- kanischer Kolleginnen und Kolle- gen – den Begriff „affirmative ac- tion“ will die Organisation indes nicht bemühen. Diese früher an Col- leges und Universitäten gepflegte bevorzugte Vergabe von Studien- plätzen an Minoritäten scheint juris- tisch heutzutage kaum noch haltbar.Abgelehnte Studierende haben ge- gen diese Praxis geklagt, weil sie sich aufgrund ihrer (weißen) Haut- farbe diskriminiert fühlten.
In der Diskussion um die AMA- Entschuldigung fällt nun häufig der Name Barack Obama. Der demokra- tische Präsidentschaftskandidat hat vorsichtig angedeutet, dass nicht alle gesellschaftlichen Missstände auf Diskriminierungen durch die weiße Mehrheit der US-amerikanischen Be- völkerung zurückzuführen seien und jede „community“ bei sich selbst an- fangen müsse, für eine bessere Zu- kunft zu sorgen. Manch ein afroame- rikanischer Arzt dürfte dem zustim- men, wenn er sich daran erinnert, wie schwer es ist, sich den Weg in die Medical School zu bahnen, wenn man von seinen Freunden als „acting white“, Nachahmer der Weißen, be- schimpft wird – und dafür nie eine Entschuldigung hörte. I Ronald D. Gerste