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SPD-Programm
„getrost zu
den Akten legen"
Eine Absage an große Teile bishe- riger sozialdemokratischer Ge- sundheitspolitik — dies war der In- halt einer Stellungnahme, die der sozialdemokratische Bundestags- abgeordnete Udo Fiebig, Obmann für Gesundheitspolitik in der SPD- Bundestagsfraktion, am 12. März in einer Podiumsdiskussion in der Evangelischen Akademie Loccum vortrug. Die gesundheitspoliti- schen Vorstellungen, die durch Friedel Läpple und Staatssekretär Hans-Georg Wolters in die offiziel- le Gesundheitsprogrammatik der Sozialdemokratischen Partei hin- eingebracht worden seien, könne man „getrost zu den Akten legen".
Fiebig ließ deutlich erkennen, daß dies nicht eine persönliche Erklä- rung, sondern die durch den Frak- tionsvorsitzenden Herbert Wehner gedeckte Auffassung der SPD- Bundestagsfraktion sei.
Was in Loccum wie ein alteinge- laufenes Tagungsritual begann, wurde zum Ereignis, als Fiebig als dritter Podiumsdiskussant sein Statement mit dem Satz einleitete:
„Da gab es einmal einen Herrn Läpple.. ." Wolters zitierte er ge- nau so, und gegen ihn erhob er den Vorwurf, er habe verkannt, daß man Gesundheitspolitik nur mit den Ärzten, nicht aber gegen sie machen könne. Die gerade erst auf Grund der Bemühungen „eini- ger Hitzköpfe" in das Parteipro- gramm aufgenommenen Forde- rungen nach einem geplanten und integrierten Gesundheitssystem nannte Fiebig einen „letzten Nachhall des Geistes aus der Mot- tenkiste"; die in diesem SPD-Pro- gramm geforderte Rahmenkom- petenz auf dem Gebiet der ge- sundheitspolitischen Planung „hat der Bund gottseidank nicht und wird sie nie bekommen". Auch ge- gen Gerd Muhr und das wirt- schafts- und sozialwissenschaftli- che Institut des DGB machte Fie- big Front: Dessen Vorschläge sei-
KBV veranstaltete ein aktuelles Seminar mit Parlamentariern
Im Seminargebäude der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung in Berlin-Grunewald trafen am 10.
März Mitglieder des Vorstandes und der Geschäftsführung der KBV mit gAsundheits- und sozial- politisch maßgeblichen Bundes- tagsabgeordneten aller Fraktionen sowie mit den Spitzen des Bun- desarbeitsministeriums und der Sozialbehörde Berlins zu einem Seminar mit aktueller Thematik zusammen. Im Mittelpunkt der sachlichen und freimütigen Refe- rate und Diskussionen standen die Bedarfsplanung (Krankenversi-
cheru ngs-Weiterentwicklu ngsge- setz, KVWG) sowie Kostendämp- fung im Gesundheitswesen (Kran- kenversicheru ngs-Kostendäm p- fungsgesetz, KVKG). Das Parla-
mentarier-Seminar, dessen Ver- lauf von allen Seiten als aufschluß- reich und fruchtbar bezeichnet wurde, soll fortgesetzt werden.
Die Bilder zeigen unter den Teil- nehmern (oben, v. I. n. r.): Frau Anke Fuchs, Staatssekretärin/
BMAuS; Dr. Herbert Ehrenberg, Bundesminister für Arbeit und So- zialordnung; Dr. Hans Wolf Mu- schallik, Erster Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung; Dr. Eckart Fiedler, Hauptge- schäftsführer der KBV; Olaf Sund, Berliner Senator für Arbeit und Soziales; (unten, v. I. n. r.): Sani- tätsrat Dr. Josef Schmitz-Formes, Zweiter KBV,Vorsitzender; Johan- nes Müller, Berlin (der zusammen mit Dr. med. Karl Becker die CDU- Bundestagsfraktion vertrat); Paul Kratz (SPD); Horst Jaunich (SPD);
Dr. Jürgen Bösche, Justitiar der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung. Die FDP repräsentierte der Abgeordnete Kurt Spitzmüller.
Fotos: H. und G. Kirsch
DEUTSCHES ARZIEBLATT Heft 12 vom 23. März 1978 673
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en technokratische System-Inte- grationen. Die Gesundheitspolitik aber und die Gesundheitspolitiker müßten sich an den Bedürfnissen des Menschen ausrichten; die Menschen in diesem Lande woll- ten jedoch den Hausarzt, nicht in- tegriert geplante Gesundheitssy- steme. "Diese Phase sozialdemo- kratischer Gesundheitspolitik ist vorbei", sagte Fiebig wörtlich. Bei- spielhaft nannte er die Forderung, die Krankenhäuser institutionell für die ambulante Behandlung zu öffnen: "Das muß auf den Boden der Tatsachen zurückgeführt wer- den: Die Krankenhäuser sind zur Ausübung der ambulanten Be- handlung gar nicht in der Lage!"
Die Forderung nach ambulanter Behandlung durch das Kranken- haus nannte Fiebig sogar "Irr- sinn". Demgegenüber verwies er auf die guten Erfahrungen, die er in seinem Ruhrgebietsrand-Wahl- kreis mit dem Belegarztsystem an kleineren Krankenhäusern habe machen können.
ln diesem Zusammenhang be- grüßte es Fiebig, daß die entschei- denden Kompetenzen, mit denen der Bund Gesundheitspolitik ge- stalten kann, nunmehr vom Bun- desgesundheits- in das Bundesar- beitsministerium übergegangen sind, wo sie nach seiner Ansicht besser aufgehoben seien. Er merkte im übrigen an, daß das ge- sundheitspolitische Umdenken in der SPD-Bundestagsfraktion auch mit dem Einfluß des Koalitions- partners zu tun habe. bt
"Sicherungsnetz"
wird immer enger
Der Krankenversicherungsschutz der Bevölkerung der Bundesrepu- blik Deutschland ist nahezu per- fekt: Anfang 1977 waren 92,3 Pro- zent (55,58 Millionen) der Bevölke- rung in der gesetzlichen Kranken- versicherung versichert. Privatver- sichert waren darüber hinaus 7,3 Prozent (4,48 Millionen), 0,22 Mil- lionen hatten überhaupt keinen Krankenversicherungsschutz. EB
BEKANNTMACHUNG DER BUNDESARZTEKAMMER
DIE ARZNEIMITTELKOMMISSION DER DEUTSCHEN ARZTESCHAFT GIBT BEKANNT:
Ab 1. Juli 1978
nur noch ein Biguanid-Präparat
Die Bundesärztekammer be- grüßt die nach Sachverstän- digen-Anhörung am 1. März 1978 ausgesprochene Emp- fehlung des Bundesgesund- heitsamtes, Phenformin- und Buformin-haltige Arz- neimittel bis spätestens zum 1. Juli 1978 vom Markt zu nehmen. Vorausgehend hat- ten Bundesärztekammer und Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft dem Bundesgesundheitsamt eine entsprechende Maß- nahme empfohlen, mehr- mals zu größter Sorgfalt bei der Biguanid-Verordnung geraten (Bekanntgaben vom 17. März 1977 und vom 18.
August 1977 im DEUT- SCHEN ARZTEBLATT) und Ratschläge für die Umstel- lung der Patienten erteilt ("Arzneiverordnung in der Praxis" 8/77, DEUTSCHES ARZTEBLATT 50/77).
e
Für die wenigen Diabeti- ker, bei denen eine Behand- lung mit Diät und/oder ande- ren Antidiabetika unmöglich ist und eine Biguanid-Be- handlung bei strenger Beob- achtung der Kontraindikatio- nen und fortlaufender Über- wachung verantwortet wer- den kann, wird das Biguanid Metformin verfügbar blei- ben. Auch unter Metformin- Behandlung treten Laktata- zidosen auf, zum Teil auch mit tödlichem Ausgang. Sie wurden aber seltener beob- achtet als bei der Behand- lung mit anderen Biguani- den.~ Die Bundesärztekammer wiederholt daher ihre Emp- fehlung vom 2. Februar 1978, daß vor jeder Verord- nung nicht nur Aufzeichnun- gen über die zuvor erhobe- nen Untersuchungsbefunde gemacht werden, sondern darüber hinaus in den Auf- zeichnungen begründet
wird, warum eine andere an-
tidiabetische Therapie nicht durchführbar erscheint.
~ Aus ähnlichen Erwägun- gen besteht das Bundesge- sundheitsamt darauf, daß ein besonderer Fragebogen für jeden Verschreibungsfall ausgefüllt werden muß. Der Arzt soll die Kopie des an den Hersteller zu sendenden Fragebogens und alle ihm weiter notwendig erschei- nenden Patientendaten sorgfältig aufbewahren. Die Berichtspflicht besteht wäh- rend der gesamten Behand- lungsdauer, das heißt, zeit- lich unbegrenzt. Das Bun- desgesundheitsamt legt Wert darauf, das diese Fra- gebogen auch dem Patien- ten bei der Abgabe Metfor- min-haltiger Arzneimittel in der Apotheke zur Weiterga- be an den Arzt ausgehändigt werden.
Das Bundesgesundheitsamt erklärt eine prospektive Stu- die über die Anwendung Metformin-haltiger Arznei- mittel für erforderlich und fordert die beteiligten Heil- berufe und die betroffene In- dustrie zu ihrer Durchfüh- rung auf.
674 Heft 12 vom 23. März 1978 DEUTSCHES ARZTEBLATT