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Archiv "Das Knock-Syndrom: Gesunde sind Kranke – sie wissen es nur noch nicht" (12.03.2010)

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A 436 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 10

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12. März 2010

GLOSSE

Dr. med. Stephan Heinrich Nolte, Kinder- und Jugendarzt, Marburg/Lahn

In Jules Romains Theaterstück „Knock – oder der Triumph der Medizin“ wird gezeigt, wie gesunde Menschen zu dankbaren und vor allem zahlenden Patienten gemacht werden. Der in ei- ner ländlichen Kleinstadt beschaulich ordinierende Dr. Parpalaid entschließt sich, seine Praxis an einen jüngeren Arzt von 40 Jahren, Dr. Knock, zu ver- kaufen, um in die Großstadt, nach Lyon, zu ziehen; gemeinsam mit seiner Frau holt er Knock mit dem Wagen am Bahnhof ab. Auf der pannenträchtigen Fahrt in den Ort fragt Knock seinen

Vorgänger nach dem Gesundheitsver- halten der Bewohner aus, um ent- täuscht festzustellen, dass es der Be- völkerung gut geht, Krankheit, Seu- chen, Geburt und Tod ohne Arzt bewäl- tigt werden und zudem der ortsübliche jährliche Zahltag für Arztrechnungen soeben verstrichen ist.

Der sich zunächst betrogen fühlen- de Knock lässt als Erstes den Ausrufer des Ortes kommen und ihn verbreiten, dass er seine Praxis eröffnet habe und montags kostenlos ordiniere. Dann wird der Lehrer sogleich in eine neue

„Gesundheitsfürsorge“ eingebunden und mit drohenden Keimen und ande- ren gesundheitlichen Gefahren einge- schüchtert. Schließlich wird auch dem darbenden Apotheker ein glänzendes Geschäft versprochen. Der Erfolg lässt nicht auf sich warten: Die kostenlose Sprechstunde quillt über, die geizigen, aber neugierigen Menschen werden zu kostspieligen Behandlungen animiert und zu Dauerpatienten gemacht. Der örtliche Gasthof wird zu einem kleinen Krankenhaus, in dem sich die aus allen Ecken herbeiströmenden Patienten sta- tionär behandeln lassen.

Nach drei Monaten kommt Parpa- laid zurück, um erstaunt zur Kenntnis

zu nehmen, was vorgefallen ist. Als er merkt, wie sich die Patientenzahlen entwickelt haben, tut ihm sein Ab- schied leid, aber im Dialog mit Knock wird schließlich auch er zum Patienten gemacht und ins Krankenbett gelegt.

Keiner im Ort will die alten Zeiten zu- rück, die moderne Medizin hat trium- phierend Einzug gehalten!

Jules Romains’ (eigentlich Louis Henri Jean Farigoule, 1885–1972) Theaterstück „Knock – oder der Tri- umph der Medizin“ wurde am 15. De- zember 1923 in der Comédie des

Champs-Elysées unter der Leitung von Jacques Hébertot uraufgeführt. Regie und Hauptrolle übernahm Louis Jouvet, der auch durch zwei erfolgreiche Verfil- mungen in der Rolle des Dr. Knock in Erinnerung bleiben wird.

Die Rezeption in Deutschland ist eher spärlich, obwohl es „Knock“ in verschiedenen Schulausgaben für den Französischunterricht gibt – es scheint eine Geschichte für Kinder aus einer fernen Zeit zu sein. Eine synchronisier- te Fassung der Verfilmung von 1951 ist nicht im Handel. In Frankreich dagegen ist „Knock“ in Medizinerkreisen sehr präsent und wird viel zitiert.

Heute wird das Stück schon deswe- gen nicht mehr verstanden, weil sich das Modell „Knock“ längst durchge- setzt hat, zum Alltag geworden ist und gar nicht mehr hinterfragt wird: durch ein beim Arzt-Patienten-Kontakt zu- nächst einmal weitgehend kostenfreies Medizinsystem (um den hohen Kran- kenversicherungsbeitrag kommt man im Pflichtversicherungssystem ja nicht herum – und das Geld muss ja irgend- wie wieder eingespielt werden) ist der

„niedrigschwellige“ Eingang in eine le- benslange Patientenkarriere vorgege- ben. Wenn entsprechende Untersu-

chungen gemacht sind, ergeben sich immer Möglichkeiten einer Behandlung:

sei es im Rahmen einer regelmäßigen, möglichst quartalsmäßigen Kontrolle, sei es als „individuelle Gesundheitsleis- tung“ oder sei es im „kollegialen“ Ver- schiebebahnhof der gegenseitigen Hin- und Herüberweiserei. „Ein gesunder Patient ist nur noch nicht genau genug untersucht“ – dieses alte Bonmot cha- rakterisiert den Sachverhalt.

Gesundheit gibt es rein formal schon deswegen nicht, weil ein Patient, auch wenn er ohne Beschwerden den

Arzt zu einer Vorsorge aufsucht, immer eine Abrechnungsdiagnose erhalten muss, und zwar eine „kurative“ Dia - gnose, also einen Krankheitsnamen.

Denn ohne eine solche „kurative“ Dia - gnose sind weitere erbrachte „Leistun- gen“, ja nicht einmal die Ordinationszif- fer, nicht abrechenbar.

Wenn man verschiedene Ärzte aus verschiedenen Fachgebieten aufsucht, wird man also aus jedem dieser Fach- gebiete eine „kurative“ Diagnose erhal- ten. Und eine Diagnose allein reicht nicht, eine Dauerdiagnose muss her, die nicht nur den Ansatz einer „Chroni- kerziffer“ rechtfertigt, sondern im bes- ten Falle auch noch der Einschleusung in ein oder mehrere Disease-Manage- ment-Programme.

Das gibt dann extrabudgetäres Geld;

nicht nur für den Arzt, auch für die Krankenkassen ist das gut, und sie un- ternehmen alles, damit es geschieht:

Krankenkassenvertreter kommen in die Praxen, um gemeinsam zu überlegen, ob nicht irgendwo noch ein bislang un- benannter „Chroniker“ herumläuft, und teilen dem Patienten mit, ihnen gerne die Adresse eines einschreibewilligen Kollegen mitzuteilen, falls der bislang betreuende Arzt dies nicht wolle . . . ■ DAS KNOCK-SYNDROM

Gesunde sind Kranke –

sie wissen es nur noch nicht

T H E M E N D E R Z E I T

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