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Archiv "Humangenetische Beratung Keine Eugenik unter neuem Namen: Schlußwort" (08.03.1990)

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Berater gehen auf deren jeweilige Bedürfnisse engagiert ein. Nur sel- ten werden explizite Ratschläge und Empfehlungen formuliert; dabei wird ausnahmslos keine Entschei- dung der Ratsuchenden vorwegge- nommen Es zeigte sich daß diese vier Berater dem Konzept der Nicht- Direktivität entsprechen.

Es ergaben sich in den unter- suchten Beratungsgesprächen jedoch auch Situationen, in denen sich die Berater direktiv verhielten. Dies war immer dann der Fall, wenn die Rat- suchenden eine Amniozentese wünschten, für deren Durchführung keine Indikation bestand. Weniger direktiv, aber doch mehr oder weni- ger deutlich einflußnehmend ver- hielten sich die Berater auch dann, wenn die Ratsuchenden die Beein- trächtigung durch eine Behinderung oder ein gegebenes Wiederholungs- risiko für das erneute Auftreten ei- ner genetisch bedingten Erkrankung bei (weiteren) Kindern zu hoch ein- schätzten. In den letztgenannten Situationen versuchten die Berater argumentativ, die Sichtweise der Ratsuchenden zu relativieren, ohne ihnen jedoch die Entschei- dung über ihre Familienplanung abzunehmen.

Im Verlaufe dieser Untersu- chung stellte sich die Frage, auf- grund welcher Wertorientierungen sich die Berater in dieser Weise ver- halten. Aus der Auswertung der In- terviews, die mit den Beratern ge- führt wurden, wurde deutlich, daß für diese vier Berater das Akzeptie- ren der Individualität des einzelnen höchsten Stellenwert hat. Wesent- lich ist dabei das Akzeptieren der Wertorientierungen der Ratsuchen- den, auch wenn sie von denen des Beraters abweichen, das Akzeptie- ren der Entscheidung der Ratsu- chenden, selbst wenn sie nicht der entspricht, die der Berater, stünde er in der Situation der Ratsuchenden, gefällt hätte. Als weitere wesentliche Wertorientierung der Berater kam die Achtung vor dem Leben, explizit einschließlich vor dem Leben des Ungeborenen, zum Ausdruck.

Die Untersuchungsergebnisse anhand dieser konkreten Beratungs- gespräche zeigen, daß in der geneti- schen Beratung weder behinderten-

feindliche noch eugenische Zielset- zungen vertreten werden. In der ge- netischen Beratung werden umfas- sende Informationen vermittelt über den Erbgang einer Erkrankung, das Wiederholungsrisiko, die Prognose, Behandlungsmöglichkeiten sowie Möglichkeiten der pränatalen Dia- gnostik einschließlich deren Risiken sowie der möglichen Konsequenz Schwangerschaftsabbruch. Welche Entscheidungen aufgrund dieser In- formationen zu treffen sind, bleibt allein den Ratsuchenden überlassen.

Eine Entscheidung kann demzufolge durchaus auch sein, eine Pränatal- diagnose nicht durchführen zu lassen oder eine Schwangerschaft trotz des Wissens, ein behindertes Kind zu be- kommen, auszutragen. Ein ausführ- liches Gespräch in der genetischen Beratungsstelle kann eine wesent-

In der Zuschrift von Herrn Dr.

med. Martin Gmeindl wird auf einen auch in unseren Augen wichtigen Punkt im Zusammenhang mit der ge- setzlichen Regelung des Schwanger- schaftsabbruches hingewiesen. Es ist richtig, daß die Individualität des Kindes bei einer Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch unterge- ordnet wird und daß die individuelle Entscheidung überwiegend auf die Person der ratsuchenden Frau und ihre Familie bezogen wird. Ein Schwangerschaftsabbruch entspre- chend § 218 a Abs. 2 Nr. 1 StGB darf nur vorgenommen werden, wenn

„ . . . dringende Gründe für die An- nahme sprechen, daß das Kind infol- ge einer Erbanlage oder schädlicher Einflüsse vor der Geburt an einer nicht behebbaren Schädigung seines Gesundheitszustandes leiden würde, die so schwerwiegt, daß von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt wer- den kann " Die schwere, nicht be- hebbare Krankheit ist also die Vor- aussetzung von seiten des Kindes für eine mögliche individuelle mütter- liche Entscheidung. Der letzte Satz unseres Artikels lautet: „Selbstver- ständlich kann aber diese Konse- quenz genetischer Beratung und in- dividueller Entscheidung nur so lan-

liche Hilfestellung für eine solche Entscheidung darstellen.

Abschließend möchte ich noch bemerken, daß die Zielsetzung der genetischen Beratung, den Ratsu- chenden eine eigenverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen, wie dies sowohl aus dem Übersichtsarti- kel von Pander und Schwinger als auch aus der genannten Untersu- chung hervorgeht, auch den Erwar- tungen der Ratsuchenden ent- spricht: Sie erwarten ganz überwie- gend keinen expliziten Ratschlag, sondern Hilfestellung für eine eigen- ständige Entscheidungsfindung (vgl.

Reif & Baitsch, Genetische Bera- tung, Springer Heidelberg 1986).

Dr. Annette Fäßler-Trost Riedleparkstraße 18 7990 Friedrichshafen 1

ge akzeptiert sein, wie unsere Gesell- schaft das Abtöten ungeborenen Le- bens durch § 218 StGB gesetzlich straffrei zuläßt".

Daß genetische Berater jedoch durchaus auch das Leben des unge- borenen Kindes in ihrer Tätigkeit berücksichtigen, wird aus den von Frau Dr. med. Fäßler-Trost empi- risch gewonnenen Ergebnissen über die Wertorientierung genetischer Berater deutlich. Sie fand als eine wesentliche Wertorientierung der Berater die Achtung vor dem Leben einschließlich die Achtung vor dem Leben des Ungeborenen. Damit un- terstreicht sie die von uns angeführte Aufgabe humangenetischer Bera- tung, „. . darauf hinzuweisen, daß es nicht darum gehen kann, körper- lich oder geistig behindertes Leben zu verhindern."

Insofern werden durch beide Leserbriefe nochmals wichtige An- liegen der genetischen Beratung deutlich: die Berücksichtigung der Situation der Ratsuchenden und der des ungeborenen Kindes.

Für die Autoren

Prof. Dr. med. Eberhard Schwinger Institut für Humangenetik

Med. Universität zu Lübeck Ratzeburger Allee 160 2400 Lübeck 1

II Schlußwort

Dt. Ärztebl. 87, Heft 10, 8. März 1990 (67) A-773

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